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Selbstverwaltung


Begriff und Wesen der Selbstverwaltung

Der Begriff Selbstverwaltung bezeichnet ein Organisationsprinzip, bei dem Gruppen, Körperschaften oder Einrichtungen innerhalb eines übergeordneten politischen oder staatlichen Rahmens befugt sind, ihre eigenen Angelegenheiten eigenverantwortlich und in eigener Zuständigkeit zu regeln. Die Selbstverwaltung ist insbesondere ein zentrales Element des öffentlichen Rechts und stellt einen Gegenentwurf zur vollständigen staatlichen Zentralverwaltung dar. Sie ermöglicht institutionellen Einheiten, mit eigenen Organen und unter staatlicher Aufsicht öffentliche Aufgaben wahrzunehmen.

Grundprinzipien der Selbstverwaltung

Die Selbstverwaltung ist geprägt durch folgende Merkmale:

  • Recht auf eigene Angelegenheiten: Selbstverwaltungsträger sind zur eigenständigen Wahrnehmung bestimmter Aufgaben berechtigt.
  • Eigene Organe: Die Organisation erfolgt durch gewählte oder bestimmte Organe, die gegenüber den Mitgliedern oder Betroffenen verantwortlich sind.
  • Staatliche Rechtsaufsicht: Die staatliche Kontrolle beschränkt sich zumeist auf die Einhaltung der Gesetze (Rechtsaufsicht), nicht jedoch auf eine inhaltliche Überwachung (Fachaufsicht).
  • Satzungsautonomie: Selbstverwaltungskörperschaften dürfen eigene Regelungen (Satzungen) innerhalb des gesetzlich eingeräumten Rahmens erlassen.

Arten der Selbstverwaltung

Kommunale Selbstverwaltung

Die kommunale Selbstverwaltung ist das prominenteste Beispiel in Deutschland und Europa. Sie ist grundgesetzlich garantiert und umfasst insbesondere Gemeinden und Gemeindeverbände. Die kommunale Selbstverwaltung gewährt den Gemeinden das Recht, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft in eigener Verantwortung zu regeln (§ 28 Grundgesetz).

Typische Aufgabenbereiche:

  • Organisation der Verwaltung
  • Planung und Durchführung von Bauvorhaben
  • Bereitstellung öffentlicher Einrichtungen (beispielsweise Schulen, Bibliotheken)
  • Erlass kommunaler Satzungen und Gebührenordnungen

Rechtlicher Rahmen

Art. 28 Abs. 2 Grundgesetz garantiert den Gemeinden und Gemeindeverbänden die Selbstverwaltung. Die einzelnen Landesverfassungen und Kommunalgesetze konkretisieren Umfang und Ausgestaltung der Selbstverwaltung sowie die zulässigen Instrumente staatlicher Aufsicht.

Körperschaftliche (mittelbare) Selbstverwaltung

Neben der kommunalen Selbstverwaltung gibt es die sogenannte mittelbare Selbstverwaltung, die auf Körperschaften öffentlichen Rechts übertragen wird. Beispiele hierfür sind Sozialversicherungsträger, Hochschulen, Industrie- und Handelskammern oder Handwerkskammern.

Wesentliche Aspekte:

  • Übertragung bestimmter öffentlicher Aufgaben
  • Mitgliedschaft kann verpflichtend sein (z.B. bei berufsständischen Körperschaften)
  • Organstruktur mit eigenständigen Organen (z.B. Versammlung, Vorstand)
  • Satzungsgebungsrecht innerhalb gesetzlicher Grenzen

Sozialversicherungsträger

Die deutschen Sozialversicherungsträger (z.B. gesetzliche Kranken-, Renten-, Unfallversicherung) nehmen ihre Aufgaben als Selbstverwaltungskörperschaften wahr. Organe wie Vertreterversammlungen und Vorstandsgremien sind paritätisch besetzt und verwalten die jeweiligen Aufgaben im gesetzlichen Rahmen.

Selbstverwaltung im Verfassungsrecht

Die Selbstverwaltung ist gemäß Art. 28 Abs. 2 GG Bestandteil der bundesstaatlichen Ordnung und somit ein verfassungsrechtlich garantiertes Prinzip. Dies sichert den Selbstverwaltungsträgern eine eigenständige Stellung gegenüber dem Staat. Die subjektspezifische Rechtsstellung manifestiert sich durch:

  • Organschaftliche Autonomie: Selbstverwaltungseinheiten bestimmen eigene Leitungs- und Vertretungsorgane.
  • Finanzielle Eigenverantwortung: Dotierung mit eigenen Finanzmitteln durch Hebung von Beiträgen, Gebühren oder Steuern (insbesondere im kommunalen Bereich).
  • Rechtsschutz: Selbstverwaltungskörperschaften sind befugt, die Verletzung ihrer Rechte vor Gericht geltend zu machen.

Abgrenzung zur Selbstbestimmung und Autonomie

Es ist zwischen Selbstverwaltung, Selbstbestimmung und Autonomie abzugrenzen. Während Selbstbestimmung das Recht des Individuums oder Kollektivs auf freie Entfaltung beschreibt und Autonomie eine umfassende Unabhängigkeit markiert, bezieht sich Selbstverwaltung auf die Handlungsspielräume innerhalb eines übergeordneten organisatorischen Rahmens bei fortbestehender staatlicher Rechtsaufsicht.

Selbstverwaltung in weiteren Rechtsgebieten

Hochschulselbstverwaltung

Hochschulen verfügen in vielen deutschen Bundesländern über Selbstverwaltungsrechte. Sie organisieren Forschung und Lehre eigenverantwortlich, wählen Organe wie den Senat oder Rektorat, erlassen Satzungen und verwalten eigene Haushalte im Rahmen staatlicher Vorgaben.

Selbstverwaltung in der Sozialversicherung

Die gesetzliche Sozialversicherung ist in Deutschland (Kranken-, Renten-, Unfall-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung) als Selbstverwaltungskörperschaft ausgestaltet. Die Versicherten, Arbeitgeber und Leistungserbringer wirken durch Gremien eigenständig an der Verwaltung der Versicherungen mit.

Berufsständische Selbstverwaltung

Viele berufsständische Zusammenschlüsse, beispielsweise Ärztekammern, Rechtsanwaltskammern oder Handwerkskammern, sind als Körperschaften öffentlichen Rechts organisiert und verpflichten ihre Mitglieder zur Regulierung von Berufsangelegenheiten durch autonome Ordnungspolitik und Selbstkontrolle.

Selbstverwaltung in der Europäischen Union

Ein weiteres Anwendungsfeld ist die Selbstverwaltung im Rahmen der Europäischen Union, etwa im Kontext von Gebietskörperschaften oder bestimmten Verwaltungseinheiten, die eigenverantwortlich Kompetenzen der öffentlichen Verwaltung wahrnehmen.

Staatliche Aufsicht und Schranken

Obwohl die Selbstverwaltung einen hohen Grad an Unabhängigkeit gewährt, bleibt der Staat zur Rechtsaufsicht verpflichtet. Eine Eingriffsverwaltung durch fachliche Weisungen ist grundsätzlich ausgeschlossen, es sei denn, dies ist durch Gesetz ausdrücklich zugelassen. Bei Verstößen gegen gesetzliche Pflichten kann der Staat Ersatzvornahmen anordnen oder, in gravierenden Fällen, Selbstverwaltungsorgane auflösen.

Grenzen der Selbstverwaltung

Straffe gesetzliche Bindungen, Aufsichtsbefugnisse, Finanzkontrollen und der Pflichtenkatalog schränken die Autonomie der Selbstverwaltungsträger ein und sorgen für ein Gleichgewicht zwischen Selbstverantwortung und staatlicher Obhut.

Bedeutung und Funktion der Selbstverwaltung

Selbstverwaltung stärkt demokratische Teilhabe durch bürgernahe Entscheidungen, erhöht die Effizienz der Verwaltung durch Kenntnis und Nähe zu den lokalen und spezifischen Bedürfnissen und trägt zur Dezentralisierung staatlicher Aufgabenwahrnehmung bei. Sie ist ein prägendes Element rechtsstaatlicher Demokratien und zentral für das moderne öffentliche Verwaltungsverständnis.


Weiterführende Begriffe:
Kommunalrecht, Körperschaft öffentlichen Rechts, Rechtsaufsicht, Satzungsautonomie, Öffentliche Verwaltung, Sozialversicherungssystem

Häufig gestellte Fragen

Inwiefern ist die Selbstverwaltung im deutschen Rechtssystem verankert?

Die Selbstverwaltung ist im deutschen Rechtssystem insbesondere durch das Grundgesetz (GG) verankert. Maßgeblich ist hier Art. 28 Abs. 2 GG, der den Gemeinden das Recht der Selbstverwaltung garantiert. Dieses Selbstverwaltungsrecht beinhaltet die eigenverantwortliche Verwaltung aller Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze. Das betrifft unter anderem die Organisation, Personalhoheit, Finanzhoheit sowie das Recht, eigene Satzungen zu erlassen. Darüber hinaus regeln verschiedene Spezialgesetze – etwa das Sozialgesetzbuch (SGB) im Bereich der Sozialversicherungsträger oder das Hochschulgesetz im Bereich der Universitäten – spezifische Ausprägungen und Grenzen der Selbstverwaltung. Die Rechtsprechung, vor allem das Bundesverfassungsgericht, hat wiederholt betont, dass die Selbstverwaltung eine tragende Säule des demokratischen Rechtsstaates ist und ihre Einschränkung nur auf Basis eines Gesetzes und im Rahmen der Verhältnismäßigkeit zulässig ist.

Welche Arten der Selbstverwaltung kennt das deutsche Recht?

Im deutschen Recht werden grundsätzlich mehrere Arten der Selbstverwaltung unterschieden: die kommunale Selbstverwaltung (z. B. Städte und Gemeinden), die berufsständische Selbstverwaltung (z. B. Ärztekammer, Rechtsanwaltskammer) und die funktionale Selbstverwaltung (z. B. Sozialversicherungsträger wie Krankenkassen). Während die kommunale Selbstverwaltung insbesondere durch das Grundgesetz geschützt ist, leitet sich die berufsständische und funktionale Selbstverwaltung meist aus Spezialgesetzen ab. Allen gemeinsam ist, dass sie Aufgaben, die ansonsten staatlichen Behörden obliegen würden, auf rechtlich verselbstständigte Organisationen übertragen und diesen eine eigenständige Willensbildung ermöglichen.

Unter welchen Voraussetzungen darf der Staat in die Selbstverwaltung eingreifen?

Der Staat darf nur ausnahmsweise und unter strengen Voraussetzungen in die Selbstverwaltung eingreifen. Ein solcher Eingriff erfolgt stets auf der Grundlage eines förmlichen Gesetzes, das die Eingriffsbefugnis klar regeln muss. Eingriffe sind nur zulässig, wenn übergeordnete Interessen des Gemeinwohls dies zwingend erforderlich machen oder wenn die betroffene Selbstverwaltungsorganisation ihre Aufgaben nicht ordnungsgemäß erfüllt (sogenannte Ersatzvornahme). Dabei sind das Prinzip der Verhältnismäßigkeit und angemessene Beteiligungsrechte der betroffenen Körperschaft zu beachten. Das Bundesverfassungsgericht kontrolliert, ob staatliche Eingriffe die Eigenverantwortung und Entscheidungsfreiheit der Selbstverwaltung respektieren.

Wie wird die Rechtmäßigkeit der Entscheidungen von Selbstverwaltungskörperschaften überprüft?

Die Entscheidungen von Selbstverwaltungskörperschaften unterliegen der gerichtlichen Kontrolle, insbesondere der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Betroffene Bürger oder Unternehmen können gegen Maßnahmen oder Unterlassungen der Selbstverwaltungskörperschaften Widerspruch einlegen und anschließend Klage erheben. Die Gerichte prüfen dabei, ob die Selbstverwaltung ihr Ermessen sachgerecht ausgeübt, Verfahrensregeln eingehalten und die gesetzlichen Grenzen beachtet hat. Aufgrund des Selbstverwaltungsrechts ist den Körperschaften allerdings ein weiter Gestaltungsspielraum einzuräumen, sodass die gerichtliche Kontrolle sich auf eine Rechtskontrolle, nicht aber auf eine Zweckmäßigkeitskontrolle beschränkt.

Welche Mitbestimmungsrechte bestehen für Angehörige einer Selbstverwaltungskörperschaft?

Die Mitbestimmungsrechte innerhalb der Selbstverwaltung richten sich nach der jeweiligen Organisationsform und den für sie geltenden Rechtsvorschriften. In der kommunalen Selbstverwaltung erfolgt die Mitbestimmung in erster Linie durch gewählte Organe wie Gemeinderat oder Stadtrat. Bei berufsständischen Körperschaften sind es gewählte Vertreterversammlungen oder Delegiertenversammlungen, in denen die Mitglieder direkt oder indirekt Einfluss auf Entscheidungen nehmen können. Häufig bestehen daneben Möglichkeiten der direkten Mitwirkung, etwa durch Bürgerbegehren und Bürgerentscheide nach den Kommunalgesetzen der Länder. Das Selbstverwaltungsrecht verpflichtet die Körperschaften zudem zur Transparenz und zur ordnungsgemäßen Beteiligung ihrer Mitglieder.

Welche Bedeutung hat die Selbstverwaltung für den Föderalismus in Deutschland?

Die Selbstverwaltung stellt eine wesentliche Ergänzung und Ausprägung des föderalen Systems in Deutschland dar. Sie trägt zur horizontalen Gewaltenteilung bei, indem sie Aufgaben auf Gemeinde-, Landes- oder Bundesebene eigenverantwortlich und staatsfern organisiert. Dies entlastet die staatlichen Stellen, fördert demokratische Teilhabe und ermöglicht eine bürgernahe Verwaltung. Gerade im Bereich der Kommunen ist die Selbstverwaltung Ausdruck des Subsidiaritätsprinzips, das vorschreibt, dass Aufgaben so weit wie möglich auf der niedrigsten Ebene wahrgenommen werden sollen.

Welche Besonderheiten gelten für die Finanzierung von Selbstverwaltungskörperschaften?

Die Finanzierung von Selbstverwaltungskörperschaften ist ein Kernbereich ihrer Eigenverantwortung und umfasst das Recht, eigene Einnahmen zu erzielen (z. B. durch Beiträge, Gebühren oder kommunale Steuern), sowie das Recht, über die Verwendung ihrer Mittel selbst zu entscheiden. Im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung garantiert das Grundgesetz den Gemeinden das Recht auf eine eigene, bedarfsgerechte Finanzwirtschaft (Art. 28 Abs. 2 GG). Daneben sind die Finanzierungsregelungen jeweils in den relevanten spezialgesetzlichen Normen näher ausgestaltet, zum Beispiel im Sozialrecht für die Krankenkassen oder für berufsständische Körperschaften in deren Satzungen und den sie betreffenden Landesgesetzen. Finanzaufsicht durch staatliche Organe ist nur in engen Schranken und vorwiegend als Rechtsaufsicht zulässig.