Definition und Grundlagen der Selbstorganschaft
Die Selbstorganschaft ist ein zentrales Rechtsprinzip im Gesellschaftsrecht und beschreibt das System, bei dem die Mitglieder einer juristischen Person – beispielsweise einer Gesellschaft – zugleich deren notwendige Organe bilden und deren Geschäfte führen. Das Konzept steht im Gegensatz zur Fremdorganschaft, bei der die Leitungs- und Geschäftsführungsfunktionen von externen, nicht zu den Mitgliedern zählenden Personen übernommen werden.
Die Selbstorganschaft ist insbesondere im Recht der Personengesellschaften (z.B. Gesellschaft bürgerlichen Rechts, Offene Handelsgesellschaft, Kommanditgesellschaft) und in bestimmten Bereichen des Genossenschafts- und Vereinsrechts ausgeprägt. Ihr Vorliegen beruht auf gesetzlichen Regelungen und ist bei bestimmten Gesellschaftsformen zwingend vorgeschrieben.
Begriffliche Abgrenzung
Die Abgrenzung zwischen Selbstorganschaft und Fremdorganschaft ist wesentlich für die rechtliche Einordnung von Gesellschaftsstrukturen. Bei der Selbstorganschaft sind die Gesellschafter kraft Gesetzes und ihrer Stellung nicht nur Träger der Mitgliedschaft, sondern auch zwingend mit Organfunktionen, insbesondere der Geschäftsführung und Vertretung, betraut. Bei der Fremdorganschaft hingegen kann das Geschäftsführungs- und Vertretungsorgan – beispielsweise ein Geschäftsführer oder Vorstand – auch außerhalb des Mitgliederkreises rekrutiert werden.
Gesetzliche Regelungen und Anwendungsbereiche
Selbstorganschaft bei Personengesellschaften
Im deutschen Recht ist die Selbstorganschaft vor allem im Bereich der Personengesellschaften verankert:
- Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR): Nach §§ 709 ff. BGB obliegt die Geschäftsführung grundsätzlich allen Gesellschaftern gemeinschaftlich. Die Vertretung entspricht in der Regel ebenfalls der Geschäftsführungsbefugnis.
- Offene Handelsgesellschaft (OHG): Gemäß §§ 114 ff. HGB sind alle Gesellschafter kraft Gesetzes zur Geschäftsführung und Vertretung befugt.
- Kommanditgesellschaft (KG): Die Komplementäre, als voll haftende Gesellschafter, führen grundsätzlich Geschäft und Vertretung, § 164 HGB. Die Kommanditisten sind hiervon in der Regel ausgeschlossen.
Selbstorganschaft im Vereins- und Genossenschaftsrecht
Auch Vereine und Genossenschaften folgen in gewissem Umfang dem Prinzip der Selbstorganschaft, indem Mitglieder das Wahlrecht zu Organen wie Vorstand und Aufsichtsrat besitzen. Insbesondere bei kleineren Vereinen kann die Selbstorganschaft durch einstimmige Beschlussfassung aller Mitglieder praktisch realisiert werden.
Rechte und Pflichten bei Selbstorganschaft
Geschäftsführungsbefugnis
Die Geschäftsführungsbefugnis ergibt sich aus dem Gesetz, kann durch Gesellschaftsvertrag jedoch modifiziert oder beschränkt werden. Bei Selbstorganschaft tragen alle Mitglieder die Leitungsverantwortung, was gleichzeitige Teilhabe an Rechten und Pflichten mit sich bringt. Diese sind beispielsweise:
- Abschluss von Geschäften im Namen der Gesellschaft
- Vertretung der Gesellschaft im Außenverhältnis
- Pflicht zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung
- Verantwortung für die Einhaltung der gesetzlichen und vertraglichen Vorgaben
Haftung der Organmitglieder
Ein wesentliches Merkmal der Selbstorganschaft ist die unmittelbare Haftung der die Geschäftsführung ausübenden Mitglieder. So haften zum Beispiel bei der GbR oder OHG die Gesellschafter selbst mit ihrem Privatvermögen für Verbindlichkeiten der Gesellschaft (§ 128 HGB).
Bindungswirkung und Kontrollmechanismen
Konflikte können insbesondere bei abweichenden Auffassungen über die Geschäftsführung auftreten. Das Gesetz sieht hierfür unterschiedliche Entscheidungsmechanismen vor, etwa das Prinzip der Gesamtgeschäftsführung oder die Möglichkeit, durch Gesellschaftsvertrag Einzelgeschäftsführung zu regeln. Die Kontrolle der Geschäftsführung erfolgt durch die Gesellschafter selbst.
Abweichende gesellschaftsvertragliche Regelungen
Das Gesetz lässt grundsätzlich Raum für gesellschaftsvertragliche Anpassungen. Durch Gesellschaftsvertrag können Umfang und Ausübung der Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis abweichend von der gesetzlichen Selbstorganschaft ausgestaltet werden. Möglich ist beispielsweise die Bestellung einzelner Mitglieder zu alleinigen Geschäftsführern oder die Ausgestaltung einer Fremdorganschaft in Gesellschaften, bei denen dies gesetzlich zulässig ist (z.B. Bestellung eines Fremdgeschäftsführers bei einer GmbH).
Vergleich zur Fremdorganschaft
Der bedeutende Unterschied liegt darin, dass bei Fremdorganschaft die Organstellung auch von Nichtmitgliedern übernommen werden kann. Dies ist insbesondere bei Kapitalgesellschaften wie der GmbH oder Aktiengesellschaft (AG) der Regelfall: Hier können Geschäftsführung und Vorstand aus Externen bestehen, die keine Gesellschafter sind.
Praxisrelevanz und Bedeutung
Die Selbstorganschaft bietet insbesondere kleinen und mittelständischen Unternehmen Vorteile, da die Trennung zwischen Kapital und Leitung aufgehoben ist. So entstehen kurze Entscheidungswege sowie eine unmittelbare Bindung der Mitglieder an die Belange der Gesellschaft. Auf der anderen Seite bringt Selbstorganschaft für die Mitglieder auch eine erhöhte persönliche Verantwortung und Haftungsrisiken mit sich.
Selbstorganschaft im internationalen Kontext
In anderen Rechtsordnungen ist die Selbstorganschaft ebenfalls verbreitet, etwa im französischen, britischen oder schweizerischen Gesellschaftsrecht. Die grundsätzliche Zuordnung der Leitungsfunktionen zu den Mitgliedern ist ein prägendes Element des Personengesellschaftsrechts in vielen Ländern.
Literaturhinweise
- Baumbach/Hopt: Handelsgesetzbuch, Kommentar, aktuelle Auflagen
- Münchener Kommentar zum BGB, Band 2, §§ 705-853
- Grunewald: Gesellschaftsrecht, aktuelle Auflage
- Röhricht/Graf von Westphalen: Handelsgesetzbuch, Kommentar
Dieser Artikel bietet eine umfassende Darstellung der Selbstorganschaft unter Berücksichtigung relevanter rechtlicher Aspekte und gesellschaftsvertraglicher Gestaltungsmöglichkeiten und eignet sich als Nachschlagewerk für ein Online-Rechtslexikon.
Häufig gestellte Fragen
Welche rechtlichen Voraussetzungen müssen für die Ausübung der Selbstorganschaft in deutschen Kapitalgesellschaften erfüllt sein?
Die Ausübung der Selbstorganschaft in deutschen Kapitalgesellschaften, wie der GmbH oder der Aktiengesellschaft (AG), unterliegt strengen gesetzlichen Vorgaben. Grundsätzlich muss die Satzung der jeweiligen Gesellschaft ausdrücklich vorsehen, dass die Mitglieder des Leitungsorgans (z. B. Geschäftsführer oder Vorstand) identisch mit den Gesellschaftern bzw. Aktionären sind (sog. „Selbstorganschaftsklausel“). In einer GmbH kann die Bestellung zum Geschäftsführer gemäß § 6 GmbHG auf Gesellschafter beschränkt werden. Bei einer AG ist Selbstorganschaft aufgrund der strikten Trennung von Aktionären und Vorstand grundsätzlich nicht möglich. Die betroffenen Personen müssen voll geschäftsfähig und nicht von der Geschäftsführung ausgeschlossen sein (z. B. infolge Insolvenzverfahrens oder strafrechtlicher Verurteilungen nach § 6 GmbHG, § 76 AktG). Formvorschriften für die Bestellung und Abberufung sind zu beachten, ebenso die Eintragung im Handelsregister. Zudem dürfen keine Interessenkonflikte mit gesellschaftsrechtlichen Pflichten entstehen, insbesondere im Hinblick auf das Verbot des Insichgeschäfts (§ 181 BGB) und die Bindung an das Weisungsrecht der Gesellschafterversammlung. Notwendige Mitteilungen an das Handelsregister und die Beachtung von Meldepflichten (z. B. im Transparenzregister) sind unabdingbar. Die konkrete gesellschaftsvertragliche Ausgestaltung kann je nach Gesellschaftsform und individuellen Satzungsbestimmungen variieren.
Welche haftungsrechtlichen Besonderheiten bestehen bei der Selbstorganschaft?
Im Rahmen der Selbstorganschaft unterliegen die handelnden Personen – in ihrer Doppelrolle als Organmitglieder und Gesellschafter – denselben haftungsrechtlichen Regelungen wie „fremde“ Organmitglieder. Nach außen haften sie primär im Rahmen der organschaftlichen Vertretungsmacht (§ 43 Abs. 2 GmbHG, § 93 AktG), insbesondere für Pflichtverletzungen bei der Geschäftsführung, wie z.B. Verletzung der Sorgfaltspflichten, Untreue oder Insolvenzverschleppung. Innen haftet das Mitglied dem Unternehmen – und somit auch sich selbst als Gesellschafter. Es besteht jedoch keine Besonderheit dahingehend, dass die Doppelstellung automatisch zu einer Begrenzung oder Erweiterung der Haftung führt. Bei Pflichtverletzungen kann die Gesellschaft Ersatzansprüche gegen das eigene Organmitglied geltend machen, auch wenn dieses gleichzeitig Gesellschafter ist. Besonderes Augenmerk gilt Eigeninteressenlagen: Bei Interessenkonflikten, insbesondere bei sog. Insichgeschäften (§ 181 BGB), ist eine Vertretung der Gesellschaft durch andere (z. B. einen weiteren Geschäftsführer) erforderlich. Zudem kann die Gesellschafterversammlung zum Schadensersatzanspruch ermächtigen. Die persönliche Haftung kann – wie üblich – durch D&O-Versicherungen abgesichert werden.
Wie wirkt sich Selbstorganschaft auf die Vertretungsmacht und das Handeln der Gesellschaft aus?
Durch die Selbstorganschaft übernimmt der Gesellschafter als Organmitglied die rechtliche Vertretung der Gesellschaft nach außen. Die Vertretungsmacht ergibt sich aus Gesellschaftsvertrag/Satzung und ist im Regelfall unbeschränkt und unbeschränkbar (§ 35 GmbHG, § 78 AktG). Einschränkungen im Innenverhältnis sind möglich, gegen Dritte aber in der Regel unwirksam, sofern keine Vollmachtsüberschreitung mit gutgläubiger Kenntnis (§ 15 HGB) vorliegt. Für die Wirksamkeit von Insichgeschäften (Rechtsgeschäfte eines Geschäftsführers mit sich selbst als Gesellschafter) gelten die Einschränkungen nach § 181 BGB, es sei denn, es wird ein Befreiungstatbestand geregelt. Darüber hinaus bedarf es im Rahmen der Selbstorganschaft besonderer Transparenz im Geschäftsverkehr, da trotz Personalunion die Gesellschaft als eigene juristische Person fortbesteht und nicht mit dem Willen des Organs/Gesellschafters verschmilzt. Maßnahmen und Entscheidungen müssen weiterhin in den dafür erforderlichen Organstellungen getroffen werden (z. B. Protokollierung in der Gesellschafterversammlung vs. Beschluss des Geschäftsführers). Ein Missbrauch der Vertretungsmacht kann zu Nachhaftung führen.
Welche Besonderheiten ergeben sich im Rahmen des Mehrpersonenprinzips und der Willensbildung?
Auch wenn bei der Selbstorganschaft Personenidentität besteht, sind die gesellschaftsrechtlichen Vorschriften zur Willensbildung zwingend zu beachten. Das bedeutet, dass ein Gesellschafter, der zugleich Geschäftsführer ist, zwischen Gesellschaftsorgan und Gesellschafterfunktion unterscheiden muss. Grundsatz ist das Mehrpersonenprinzip: Sofern mehrere Gesellschafter bestehen, können nicht alle Funktionen von einer Person ausgeübt werden; insbesondere Beschlüsse der Gesellschafterversammlung bedürfen der förmlichen Willensbildung und ggf. Einhaltung von Beschlussfassungsregeln (§ 48 GmbHG). In Ein-Personen-Gesellschaften übernimmt der Alleingesellschafter formal alle Aufgaben, dennoch müssen Beschlüsse protokolliert und die gesellschaftlichen Formalien eingehalten werden (§ 48 Abs. 3 GmbHG). Insbesondere in Mehrpersonengesellschaften kann ein Interessenkonflikt auftreten, weshalb eine saubere Trennung und Dokumentation der Willensäußerungen auf Seiten der Gesellschaft und des Organs rechtlich geboten ist.
Welche Melde- und Offenlegungspflichten bestehen bei Gesellschaften mit Selbstorganschaft?
Gesellschaften mit Selbstorganschaft unterliegen den üblichen Meldungen an das Handelsregister nach §§ 8, 39 GmbHG bzw. §§ 78, 105 AktG. Bei der Bestellung eines Gesellschafters zum Geschäftsführer ist die Eintragung verpflichtend, ebenfalls sind ggf. Befreiungen nach § 181 BGB einzutragen. Weiterhin gelten Offenlegungs- und Meldepflichten im Sinne des Geldwäschegesetzes (GWG), d. h. Registermeldungen betreffend „wirtschaftlich Berechtigte“ im Transparenzregister (§ 20 GWG); hier ist die Personalunion zu dokumentieren. Auch ggf. steuerlicher Anzeigepflichten, z. B. § 138 AO (Abgabenordnung), sind einzuhalten. Bei Kapitalmaßnahmen oder Änderungen der Organstellung sind entsprechende Veröffentlichungen und ggf. die Offenlegung von Jahresabschlüssen nach §§ 325 ff. HGB verpflichtend.
Inwieweit kann die Selbstorganschaft gesellschaftsvertraglich eingeschränkt oder ausgeschlossen werden?
Die Möglichkeit der Selbstorganschaft ist dispositives Recht und kann im Gesellschaftsvertrag ausdrücklich geregelt oder ausgeschlossen werden. In der GmbH kann laut § 6 GmbHG die Bestellung zum Organ auf Gesellschafter beschränkt oder auch ausgeschlossen werden, etwa durch ausdrückliche Klauseln im Gesellschaftsvertrag, welche die Organstellung an eine externe Person binden (Fremdorganschaft). Ebenso kann der Gesellschaftsvertrag Ausschluss- oder Zustimmungsregelungen für die Personalunion zwischen Gesellschafter und Geschäftsführer/Aufsichtsrat vorsehen. Bei der AG ist aufgrund aktienrechtlicher Trennung von Vorstand und Aktionären die Personalunion ausgeschlossen. Gesellschaftsvertragliche Klauseln, die gegen gesetzliche Grundprinzipien (wie Trennungsprinzip oder Mehrpersonenprinzip) verstoßen, sind unwirksam. Die Satzungsbestimmungen sind im Handelsregister offenzulegen.
Welche gesetzlichen Grenzen bestehen für Rechtsgeschäfte im Rahmen der Selbstorganschaft (z. B. Insichgeschäft, Wettbewerbsverbot)?
Rechtsgeschäfte, bei denen ein Gesellschafter in Doppelfunktion als Geschäftsführer für die Gesellschaft auftritt (sog. Insichgeschäfte), unterliegen den Beschränkungen des § 181 BGB. Ohne explizite Befreiung im Gesellschaftsvertrag bzw. Einzelvollmacht sind solche Geschäfte unwirksam. Ebenso ist das Wettbewerbsverbot (§ 88 AktG, § 112 HGB) zu beachten: Organmitglieder dürfen keine Konkurrenzunternehmen leiten oder am Wettbewerb teilnehmen. Verstöße können zur sofortigen Abberufung und Schadensersatzforderungen führen. Die gesellschaftlichen Kontrollmechanismen (z. B. Zustimmungspflichten durch die Gesellschafterversammlung bei bestimmten Geschäften gem. § 47 GmbHG) bleiben auch bei Selbstorganschaft uneingeschränkt bestehen und dienen dem Gläubigerschutz. Zusätzliche Beschränkungen können branchenspezifische Regelungen etwa im Steuer-, Aufsichts- oder Arbeitsrecht sein.
Wie wirkt sich die Selbstorganschaft auf Mitwirkungs- und Stimmrechte bei Gesellschafterbeschlüssen aus?
Gesellschafter, die zugleich Organfunktionen innehaben, behalten grundsätzlich ihre Mitgliedschaftsrechte, darunter insbesondere das Stimmrecht. Allerdings ist das Stimmrecht bei Beschlussgegenständen, die den Gesellschafter in seiner Eigenschaft als Organmitglied persönlich betreffen (z. B. Entlastung, Abberufung, Geltendmachung von Ersatzansprüchen), nach § 47 Abs. 4 GmbHG ausgeschlossen. Gleiches gilt für Beschlüsse, bei denen ein Interessenkonflikt vorliegt oder der Gesellschafter von derartigen Beschlusspunkten unmittelbar betroffen ist. Diese Regelungen gelten unabhängig von der Ausübung der Selbstorganschaft und sichern die Neutralität bei der Willensbildung innerhalb der Gesellschaft. Die genaue Ausübung und Einzelfallprüfung kann im Gesellschaftsvertrag ausgestaltet werden, etwa über weitergehende Ausschlussregelungen bei Interessenkollisionen.