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Selbstbestimmung, informationelle


Definition der informationellen Selbstbestimmung

Die informationelle Selbstbestimmung bezeichnet das Recht des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen. Dieser Begriff wurde 1983 vom Bundesverfassungsgericht im sogenannten Volkszählungsurteil geprägt und gilt heute als zentrales Datenschutzprinzip in Deutschland und auf europäischer Ebene. Informationelle Selbstbestimmung bildet einen Grundpfeiler des modernen Datenschutzrechts und trägt der Tatsache Rechnung, dass persönliche Daten im digitalen Zeitalter einen hohen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wert besitzen.

Rechtsgrundlagen der informationellen Selbstbestimmung

Grundgesetz und Volkszählungsurteil

Die informationelle Selbstbestimmung ist kein ausdrücklich normiertes Grundrecht, sondern leitet sich aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht gemäß Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) ab. Das Bundesverfassungsgericht definierte sie 1983 mit dem berühmten Leitsatz: „Unter den Bedingungen der automatischen Datenverarbeitung ist das Recht auf informationelle Selbstbestimmung die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner personenbezogenen Daten zu bestimmen.“

Das Volkszählungsurteil legte erstmals verbindliche Regelungen zum Umgang mit personenbezogenen Daten durch staatliche Stellen fest. Es begründete den Anspruch jedes Bürgers auf Transparenz, Zweckbindung und Schutz gegen unbegrenzte Speicherung, Verwendung und Weitergabe persönlicher Daten.

Einfachgesetzliche Regelungen

Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO)

Die Datenschutz-Grundverordnung (Verordnung (EU) 2016/679) bildet den zentralen Rechtsrahmen für den Umgang mit personenbezogenen Daten innerhalb der Europäischen Union. Die DSGVO stärkt die informationelle Selbstbestimmung durch folgende Prinzipien:

  • Rechtmäßigkeit, Verarbeitung nach Treu und Glauben und Transparenz (Art. 5 DSGVO)
  • Recht auf Auskunft, Berichtigung, Löschung, Einschränkung der Verarbeitung, Datenübertragbarkeit und Widerspruch (Art. 15-21 DSGVO)
  • Verpflichtungen für Verantwortliche zur Sicherung, Dokumentation und Meldung von Datenschutzverletzungen

Bundesdatenschutzgesetz (BDSG)

Das Bundesdatenschutzgesetz konkretisiert die Bestimmungen der DSGVO auf nationaler Ebene und regelt zusätzliche Rechte und Pflichten für öffentliche Stellen und private Unternehmen in Deutschland. Ergänzt werden diese Vorgaben durch spezifische Regelungen in anderen Fachgesetzen, wie etwa dem Sozialgesetzbuch, dem Telekommunikationsgesetz und dem Telemediengesetz.

Inhalt und Reichweite der informationellen Selbstbestimmung

Schutzbereich

Die informationelle Selbstbestimmung schützt sämtliche personenbezogene Daten. Hierzu zählen alle Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person, etwa Name, Anschrift, Geburtsdatum, Kommunikations- oder Gesundheitsdaten. Nicht geschützt sind anonyme oder nicht personenbezogene Daten sowie Daten juristischer Personen.

Eingriffe und Rechtfertigung

Ein Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung liegt vor, wenn personenbezogene Daten erhoben, verarbeitet oder genutzt werden. Einschränkungen dieses Rechts sind nur zulässig, wenn sie auf einem Gesetz beruhen, dem Grundsatz der Erforderlichkeit genügen und das Verhältnismäßigkeitsprinzip wahren. Besonders streng sind die Anforderungen bei sensiblen Daten, z.B. zur Gesundheit, zur politischen Meinungsäußerung oder zur Religionszugehörigkeit.

Recht auf Löschung („Recht auf Vergessenwerden“)

Ein zentrales Element der informationellen Selbstbestimmung ist das Recht auf Löschung oder „Vergessenwerden“. Betroffene können verlangen, dass ihre Daten gelöscht werden, wenn sie für die erhobenen Zwecke nicht mehr notwendig sind, eine Einwilligung widerrufen wurde oder unrechtmäßig verarbeitet werden.

Besonderer Schutz im Arbeitsverhältnis und im Internet

Im Arbeitsverhältnis gilt das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung auch gegenüber dem Arbeitgeber. Arbeitgeber dürfen personenbezogene Mitarbeiterdaten nur verarbeiten, wenn dies für das Beschäftigungsverhältnis erforderlich ist, eine Einwilligung vorliegt oder eine gesetzliche Grundlage besteht.

Im Internet erfährt die informationelle Selbstbestimmung durch Technologien wie Cookies, Tracking und Social Media besondere Relevanz. Die Entwicklung digitaler Dienste erfordert eine ständig fortschreitende Auslegung und Anpassung des Datenschutzrechts.

Abgrenzung zu verwandten Begriffen

Allgemeines Persönlichkeitsrecht

Die informationelle Selbstbestimmung ist Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 Abs. 1 GG. Während das allgemeine Persönlichkeitsrecht auch nicht informationsbezogene Aspekte wie Ehre oder Privatsphäre umfasst, konzentriert sich die informationelle Selbstbestimmung auf die Kontrolle über personenbezogene Daten.

Datenschutzrecht

Das Datenschutzrecht konkretisiert und operationalisiert die informationelle Selbstbestimmung durch verbindliche Regelungen für Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten.

Entwicklungen und aktuelle Herausforderungen

Digitalisierung und Big Data

Die fortschreitende Digitalisierung, insbesondere durch Künstliche Intelligenz, Cloud-Computing und Big Data, stellt die informationelle Selbstbestimmung vor neue Herausforderungen. Die Möglichkeit umfassender Datenanalyse führt zu einer stetigen Erweiterung des Schutzbereichs und zu intensiver diskutierten Regelungen im Datenschutzrecht.

Internationale Dimension

Mit der DSGVO wurde die informationelle Selbstbestimmung europaweit harmonisiert, jedoch erfordern globale Datenströme zunehmend auch internationale Abkommen und Koordination, etwa mit Blick auf Datentransfers in Drittstaaten.

Fazit

Die informationelle Selbstbestimmung ist ein zentrales und dynamisches Grundrecht des Datenschutzrechts. Sie verschafft dem Einzelnen umfassende Rechte zur Kontrolle seiner personenbezogenen Daten und verpflichtet Daten verarbeitende Stellen zu klaren und transparenten Regeln. In Zeiten umfassender Digitalisierung bleibt die fortlaufende Weiterentwicklung der rechtlichen Regelungen zur Sicherung der informationellen Selbstbestimmung eine wesentliche Herausforderung für Gesetzgebung und Rechtsprechung.

Häufig gestellte Fragen

In welchen rechtlichen Kontexten spielt die informationelle Selbstbestimmung eine entscheidende Rolle?

Die informationelle Selbstbestimmung ist im deutschen Recht vor allem durch das Grundrecht auf Schutz personenbezogener Daten verankert, das aus dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) abgeleitet wird. Sie spielt eine zentrale Rolle im Datenschutzrecht, insbesondere bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch öffentliche und private Stellen. Sowohl die Europäische Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) als auch das Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) stützen sich auf dieses Prinzip. Es betrifft unter anderem die Erhebung, Speicherung, Nutzung sowie Weitergabe personenbezogener Daten und verlangt stets eine Rechtsgrundlage für die jeweilige Verarbeitung. Insbesondere bei staatlichen Maßnahmen, wie etwa Überwachungsmaßnahmen oder der Vorratsdatenspeicherung, ist das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung häufig Gegenstand verfassungsgerichtlicher Prüfungen. Auch in zivilrechtlichen Kontexten, wie etwa dem Arbeitsrecht oder bei Vertragsverhältnissen, gewinnt die rechtliche Ausgestaltung der informationellen Selbstbestimmung immer weiter an Bedeutung.

Welche gesetzlichen Regelungen schützen die informationelle Selbstbestimmung in Deutschland?

Die wichtigsten gesetzlichen Regelungen zum Schutz der informationellen Selbstbestimmung finden sich in der DSGVO auf europäischer Ebene und im BDSG auf nationaler Ebene. Die DSGVO räumt jeder betroffenen Person eine Vielzahl von Rechten ein, wie das Auskunftsrecht, das Recht auf Berichtigung, Löschung und Einschränkung der Verarbeitung sowie das Widerspruchsrecht. Das BDSG ergänzt diese Bestimmungen für Bereiche, in denen die DSGVO nationale Öffnungsklauseln vorsieht, etwa beim Beschäftigtendatenschutz oder bei besonderen Kategorien von Daten. Darüber hinaus gibt es bereichsspezifische Datenschutzregelungen, etwa im Telekommunikationsgesetz (TKG) oder im Sozialgesetzbuch (SGB). Die Verpflichtung, Datenschutz durch Technikgestaltung und datenschutzfreundliche Voreinstellungen zu gewährleisten, dient ebenfalls dem effektiven Schutz der informationellen Selbstbestimmung.

Wie wird die informationelle Selbstbestimmung durch das Bundesverfassungsgericht geschützt?

Das Bundesverfassungsgericht hat die informationelle Selbstbestimmung als eigenständiges Grundrecht anerkannt, erstmals explizit im „Volkszählungsurteil“ von 1983. Seitdem hat es in mehreren grundlegenden Entscheidungen den Schutzrahmen deutlich abgesteckt. Eingriffe in die informationelle Selbstbestimmung bedürfen gesetzlicher Grundlage, müssen verhältnismäßig sein und dürfen nicht den Wesensgehalt des Grundrechts antasten. Das Gericht differenziert bei seiner Prüfung insbesondere nach Art, Umfang, Zweck der Datenverarbeitung und dem Erfordernis der Transparenz für die Betroffenen. Bei besonders eingriffsintensiven Maßnahmen, wie der Rasterfahndung oder Onlinedurchsuchung, sind die Anforderungen an die Rechtfertigung besonders hoch. Das Bundesverfassungsgericht fordert stets ein hohes Maß an Datensicherheit, Zweckbindung und Datenminimierung.

Welche Pflichten haben datenverarbeitende Stellen zur Wahrung der informationellen Selbstbestimmung?

Datenverarbeitende Stellen, egal ob staatlich oder privat, haben umfangreiche Pflichten zur Wahrung der informationellen Selbstbestimmung der Betroffenen. Dazu zählen vor allem die Transparenzpflichten, also die Information der Betroffenen über Art, Zweck und Umfang der Datenverarbeitung sowie deren Rechtsgrundlage. Sie müssen geeignete technische und organisatorische Maßnahmen zum Schutz der Daten umsetzen, Datenschutz-Folgenabschätzungen bei risikobehafteten Verarbeitungsvorgängen durchführen und die Datenminimierung sowie Speicherbegrenzung beachten. Zudem sind sie verpflichtet, die Betroffenenrechte gemäß DSGVO zu gewährleisten, etwa Auskunft zu erteilen, Daten zu berichtigen oder zu löschen und auf Wunsch die Datenportabilität zu ermöglichen. Bei Datenschutzverletzungen besteht eine Meldepflicht gegenüber der zuständigen Aufsichtsbehörde und unter Umständen auch gegenüber den Betroffenen.

Welche Rechte stehen betroffenen Personen im Rahmen der informationellen Selbstbestimmung zu?

Betroffene Personen haben eine Vielzahl von Rechten bezogen auf ihre personenbezogenen Daten. Dazu zählen insbesondere das Recht auf Auskunft, mit dem sie Informationen über die zu ihrer Person gespeicherten Daten verlangen können, sowie das Recht auf Berichtigung unrichtiger Daten. Ebenfalls von zentraler Bedeutung ist das Recht auf Löschung („Recht auf Vergessenwerden“), bei dem Betroffene die Entfernung ihrer Daten verlangen können, wenn deren Speicherung unzulässig oder nicht mehr erforderlich ist. Weiterhin besteht das Recht auf Einschränkung der Verarbeitung, Widerspruch gegen bestimmte Verarbeitungen sowie das Recht auf Datenübertragbarkeit, das ermöglicht, eigene Daten in strukturierter, gängiger und maschinenlesbarer Form zu erhalten oder an Dritte weiterleiten zu lassen. Diese Rechte sind durch die DSGVO detailliert geregelt und durchsetzbar.

Welche Konsequenzen drohen bei Verstößen gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung?

Bei Verstößen gegen die informationelle Selbstbestimmung drohen sowohl zivilrechtliche als auch verwaltungs- und strafrechtliche Konsequenzen. Die Aufsichtsbehörden können empfindliche Bußgelder verhängen, die sich nach Art und Schwere des Verstoßes sowie nach dem Umsatz des Verantwortlichen richten (nach DSGVO bis zu 20 Millionen Euro oder 4% des weltweiten Jahresumsatzes). Darüber hinaus besteht für Betroffene die Möglichkeit, Schadensersatzansprüche geltend zu machen. Kommt es zu schwerwiegenden Eingriffen, wie etwa der unbefugten Weitergabe oder dem Missbrauch von Daten, kann dies unter Umständen auch strafrechtliche Konsequenzen haben, etwa nach § 42 BDSG oder anderen Spezialgesetzen. Unternehmen drohen zudem Reputationsschäden und Vertrauensverluste.

Wo bestehen besondere Herausforderungen oder Konfliktfelder bei der Umsetzung der informationellen Selbstbestimmung im rechtlichen Alltag?

Besondere Herausforderungen bestehen vor allem in Bereichen mit neuen Technologien, etwa im Zusammenhang mit Big Data, Künstlicher Intelligenz, Cloud-Computing und dem Internet der Dinge. Hier stehen Verantwortliche oft vor der Schwierigkeit, Transparenz und Zweckbindung sowie den Grundsatz der Datenminimierung umzusetzen, da Datenverarbeitungsprozesse komplexer und weniger vorhersehbar werden. Konfliktfelder entstehen zudem regelmäßig an der Schnittstelle zur allgemeinen Sicherheit, etwa bei Überwachungsmaßnahmen, Videoüberwachung im öffentlichen Raum oder im Beschäftigtenverhältnis. Auch internationale Datentransfers werfen juristische Komplexitätsfragen auf, insbesondere im Hinblick auf das Schutzniveau außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums. Schließlich stellen die Gewährleistung wirksamer technischer und organisatorischer Maßnahmen sowie die fortlaufende Sensibilisierung und Schulung von Mitarbeitenden eine anhaltende Herausforderung dar.