Legal Lexikon

Wiki»Legal Lexikon»Gesellschaftsrecht»Sektorenauftraggeber

Sektorenauftraggeber


Begriff und rechtliche Einordnung des Sektorenauftraggebers

Der Begriff Sektorenauftraggeber ist ein zentrales Element des deutschen und europäischen Vergaberechts. Er bezeichnet öffentliche und bestimmte private Auftraggeber, die im Rahmen besonderer Tätigkeiten – der sogenannten Sektoren – öffentliche Aufträge oder Konzessionen vergeben. Sektorenauftraggeber unterliegen dabei spezifischen vergaberechtlichen Bestimmungen, die im Unterschied zum klassischen öffentlichen Auftragswesen stehen und sich insbesondere aus dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) sowie der Sektorenverordnung (SektVO) ergeben.

Rechtsgrundlagen und Definition

Die gesetzliche Definition des Sektorenauftraggebers findet sich vorrangig in § 100 Absatz 1 Nummer 2 GWB. In Umsetzung der europäischen Richtlinie 2014/25/EU regelt das deutsche Recht, wer als Sektorenauftraggeber gilt und welche Aktivitäten darunterfallen.

Öffentliche und private Sektorenauftraggeber

Sektorenauftraggeber können sein:

  • Öffentliche Auftraggeber (z. B. Bund, Länder, Gemeinden, sonstige juristische Personen des öffentlichen Rechts), wenn sie Sektorentätigkeiten ausüben.
  • Unternehmen des Privatrechts, sofern sie im Rahmen von Sektorentätigkeiten über spezielle oder ausschließliche Rechte verfügen oder durch öffentliche Auftraggeber beherrscht werden.

Maßgeblich ist nicht allein die Rechtsform, sondern vor allem das Bestehen bestimmter Tätigkeiten oder Behördennähe.

Sektorentätigkeiten

Als Sektorentätigkeiten gelten gemäß § 102 GWB und Art. 4 der RL 2014/25/EU Tätigkeiten in den Bereichen:

  • Trinkwasser- und Energieversorgung (Gas, Wärme, Elektrizität),
  • Verkehrsleistungen öffentlicher Art,
  • Bereitstellung von Häfen und Flughäfen,
  • Rückgewinnung und Weiterverteilung von Erdöl/Oder Gas,
  • Postdienste.

Die Ausübung dieser Tätigkeiten begründet eine besondere Marktstellung, die aus Gründen des Wettbewerbs- und Gleichheitsgrundsatzes einer eigens angepassten Regelung im Vergaberecht bedarf.

Abgrenzung zu anderen Auftraggebern

Unterschied zum öffentlichen Auftraggeber

Während öffentliche Auftraggeber grundsätzlich alle Träger öffentlicher Gewalt und gleichgestellte juristische Personen des öffentlichen Rechts umfassen, sind Sektorenauftraggeber spezifisch diejenigen Auftraggeber, die in den genannten Sektoren tätig sind. Bei Tätigkeiten außerhalb der Sektoren gelten sie lediglich als öffentliche Auftraggeber und unterliegen damit den Vorschriften des klassischen Vergaberechts (Vergabeverordnung – VgV).

Private Sektorenauftraggeber

Privatrechtliche Unternehmen werden dann als Sektorenauftraggeber eingeordnet, wenn sie im Rahmen ihrer Tätigkeit spezielle oder ausschließliche Rechte nach § 100 Abs. 1 Nr. 2b GWB von einer Behörde erhalten haben oder durch öffentliche Auftraggeber kontrolliert werden. Dies betrifft insbesondere ehemals öffentliche Unternehmen wie Energieversorger oder Verkehrsunternehmen, die nach erfolgter Privatisierung weiterhin marktbeeinflussende Positionen besitzen.

Rechtliche Pflichten und Verfahren

Vergabeverfahren für Sektorenauftraggeber

Sektorenauftraggeber sind grundsätzlich zur Durchführung eines transparenten und wettbewerbsoffenen Vergabeverfahrens verpflichtet. Die wichtigsten Vorschriften ergeben sich aus Teil 4 des GWB und der Sektorenverordnung (SektVO). Im Vergleich zur Vergabeverordnung (VgV) für klassische öffentliche Auftraggeber enthält die SektVO zahlreiche Erleichterungen und Besonderheiten, die dem wettbewerblichen Umfeld und wirtschaftlichen Eigeninteresse der Sektorenauftraggeber Rechnung tragen.

Wesentliche Regelungen der Sektorenverordnung (SektVO)

  • Anwendungsbereich: Die SektVO regelt ausschließlich Aufträge, die die Mindestschwellenwerte für sektorale Auftragsvergaben erreichen oder überschreiten.
  • Verfahrensarten: Sektorenauftraggeber können offenere, flexiblere Verfahren wählen (offenes Verfahren, nichtoffenes Verfahren, Verhandlungsverfahren, wettbewerblicher Dialog, Innovationspartnerschaft).
  • Eignungskriterien und Auswahl: Kriterien zur Auswahl unterliegen besonderen Anforderungen an Transparenz und Nichtdiskriminierung, sind aber weniger stark reglementiert als bei klassischen Vergaben.

Ausnahmen und Freistellungen (Ausnahmeverfahren)

Bestimmte Sektoren- oder Unternehmen können sich gemäß §§ 131 ff. GWB von den Vorgaben der SektVO freistellen lassen, wenn der Sektortätigkeitsbereich einer unmittelbaren Marktöffnung und keinem Monopol („direkte Wettbewerbsbedingungen“) unterliegt. Dies betrifft besonders Tätigkeiten, bei denen nachweislich ein Wettbewerb besteht.

Nachprüfbarkeit und Rechtsschutz

Vergaben durch Sektorenauftraggeber unterliegen den Nachprüfungsregeln der Vergabekammern und Vergabesenate, analog zu klassischen öffentlichen Vergabeverfahren (§§ 155 ff. GWB). Damit haben unterlegene Bieter in Streitfällen den Zugang zu effektiven Rechtsschutzmitteln.

Bedeutung und Praxisrelevanz von Sektorenauftraggebern

Neben der hohen wirtschaftlichen Bedeutung der Sektoraufträge – insbesondere in Energieversorgung, Verkehr und Wasserwirtschaft – spielen Sektorenauftraggeber auch eine zentrale Rolle bei der Sicherstellung von Wettbewerb und Transparenz im Binnenmarkt der Europäischen Union. Sie tragen dazu bei, wettbewerbliche Verzerrungen in Bereichen mit struktureller Monopolbildung zu verhindern, ohne die wirtschaftliche Handlungsfreiheit der Unternehmen über Gebühr einzuschränken.

Zusammenfassung

Sektorenauftraggeber sind eine nach rechtlichen Kriterien definierte Auftraggebergruppe im Vergaberecht, deren Tätigkeiten einer besonderen Regulierung unterliegen. Wesentliche Merkmale sind die Ausübung bestimmter Tätigkeiten (Sektoren) und eine daraus folgende spezifische wettbewerbliche Marktstellung. Ihre Pflichten und Verfahren richten sich nach dem GWB und der SektVO und unterscheiden sich in wesentlichen Punkten vom klassischen Vergaberecht, sowohl in der Definition der Auftraggeber als auch in den rechtlichen Anforderungen und Verfahren. Die praxisrelevante Abgrenzung erfolgt anhand der wirtschaftlichen, organisatorischen und rechtlichen Strukturen sowie der ausgeführten Tätigkeiten. Sektorenauftraggeber tragen wesentlich zur Sicherstellung wettbewerblicher Vergaben in den sensiblen Wachstumssektoren der Energie-, Verkehrs- und Wasserwirtschaft bei.

Häufig gestellte Fragen

Welche Besonderheiten gelten für Sektorenauftraggeber bei der Vergabe öffentlicher Aufträge im Vergleich zu klassischen öffentlichen Auftraggebern?

Sektorenauftraggeber, die Tätigkeiten in den Bereichen Wasser, Energie, Verkehr und Postdienste ausüben, unterliegen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge speziellen Regelungen, die im Wesentlichen durch die Sektorenverordnung (SektVO) geregelt werden. Im Vergleich zu klassischen öffentlichen Auftraggebern nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) genießen Sektorenauftraggeber größere Flexibilität, insbesondere hinsichtlich der Verfahrenswahl, der Eignungsprüfung und der Gestaltung der Vertragsbedingungen. So können Sektorenauftraggeber häufiger das Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb anwenden und haben erweiterte Möglichkeiten, technische Spezifikationen und Eignungskriterien an ihre Bedürfnisse anzupassen. Darüber hinaus gibt es Freistellungsmöglichkeiten, falls die betreffende Tätigkeit dem unmittelbaren Wettbewerb ausgesetzt ist, was einer Individualprüfung unterliegt. Ziel ist es, die besonderen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in den Sektorenbereichen – etwa monopolartige Strukturen mit hohem Investitionsbedarf – zu berücksichtigen, ohne das Diskriminierungsverbot und den Wettbewerb zu beeinträchtigen.

Unterliegen Sektorenauftraggeber der Nachprüfung durch Vergabekammern und -senate?

Ja, Sektorenauftraggeber unterliegen grundsätzlich der vergaberechtlichen Nachprüfung. Vergabeverfahren von Sektorenauftraggebern, bei denen der geschätzte Auftragswert die EU-Schwellenwerte überschreitet, können von Unternehmen, die einen Verstoß gegen Vergabevorschriften rügen, vor den Vergabekammern und, in zweiter Instanz, vor den Vergabesenaten überprüft werden. Besondere Eigenheiten existieren jedoch im Hinblick auf Fristenregelungen und den Ablauf der Nachprüfungsverfahren. So sind unter anderem die Anforderungen an Rügen und die Einlegungsfristen identisch mit jenen für klassische Auftraggeber. Entscheidend für die Nachprüfbarkeit ist ausschließlich die Eigenschaft des Auftraggebers sowie der Schwellenwert – unabhängig davon, ob Sonderregelungen für Sektorenauftraggeber zum Tragen kommen.

Welche Schwellenwerte sind im Sektorenvergaberecht zu beachten?

Für Sektorenauftraggeber gelten regelmäßig abweichende – oftmals niedrigere – Schwellenwerte im Vergleich zu klassischen öffentlichen Auftraggebern. Zum Beispiel liegt der Schwellenwert für Liefer- und Dienstleistungsaufträge aktuell (Stand 2024) bei 431.000 Euro (netto), während für Bauaufträge ein Schwellenwert von 5.382.000 Euro (netto) maßgeblich ist. Die Schwellenwerte werden alle zwei Jahre von der Europäischen Kommission angepasst. Sobald diese Werte überschritten werden, ist zwingend ein EU-weites Vergabeverfahren nach den Vorschriften der Sektorenverordnung durchzuführen. Unterhalb dieser Schwellenwerte findet das nationale Vergaberecht Anwendung, wobei die Bundesländer zusätzliche Anforderungen stellen können.

Inwiefern können Sektorenauftraggeber Direktvergaben nutzen und welche Voraussetzungen bestehen hierfür?

Sektorenauftraggeber haben insbesondere im Bereich der Direktvergabe – auch bekannt als Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb – größere Spielräume als klassische Auftraggeber. Voraussetzung hierfür ist jedoch stets das Vorliegen besonderer Gründe, etwa das Fehlen von Wettbewerb aus technischen Gründen, die Notwendigkeit des Schutzes ausschließlicher Rechte oder die Tatsache, dass nur ein Unternehmen ein bestimmtes Bedürfnis erfüllen kann. Darüber hinaus schreibt § 14 SektVO weitere Tatbestände vor, in denen Direktvergaben rechtlich zulässig sind. Die Sektorenauftraggeber müssen jedoch auch hier Transparenz- und Dokumentationspflichten beachten und dürfen nicht willkürlich vergeben. Im Zweifel empfiehlt sich die rechtliche Prüfung und gegebenenfalls die Veröffentlichung einer Freiwilligen Ex-ante-Transparenzbekanntmachung im EU-Amtsblatt, um das Risiko nachträglicher Überprüfungen und etwaiger Sanktionen zu minimieren.

Welche Besonderheiten bestehen hinsichtlich der Rahmenvereinbarungen für Sektorenauftraggeber?

Sektorenauftraggeber können Rahmenvereinbarungen mit einem oder mehreren Unternehmen abschließen, wobei Art und Umfang dieser Rahmenvereinbarungen in der Sektorenverordnung weniger restriktiv geregelt sind als im klassischen Vergaberecht. Insbesondere die Laufzeit kann flexibler gestaltet werden und überschreitet nicht selten die maximal vierjährige Dauer, die für klassische öffentliche Auftraggeber vorgegeben ist, sofern dies durch den Vertragsgegenstand, z. B. Investitionsbedingungen oder technische Notwendigkeiten, sachlich gerechtfertigt werden kann. Zudem sind die Abruf- und Zuteilungsverfahren innerhalb der Rahmenvereinbarungen weniger formalisiert, was eine schnellere und bedarfsgerechtere Beschaffung ermöglicht. Allerdings müssen auch hier Transparenz, Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung beachtet werden.

Inwiefern unterliegen Sektorenauftraggeber der Berichtspflicht und Dokumentationspflicht?

Gemäß § 6 Sektorenverordnung und den entsprechenden EU-Vorgaben obliegen Sektorenauftraggebern umfangreiche Dokumentationspflichten. Sie müssen sämtliche Abschnitte des Vergabeverfahrens dokumentieren, insbesondere die Auswahl der Teilnehmer, die Verfahrensart, Zuschlagskriterien sowie das Zustandekommen der Endauswahl. Darüber hinaus besteht die Pflicht zur Erstellung eines Vergabevermerks. Diese Dokumentation dient nicht nur der internen Kontrolle, sondern ist auch Grundlage für eine eventuell erforderliche Nachprüfung durch die Vergabekammern sowie für Berichtspflichten gegenüber nationalen Aufsichtsbehörden und der Europäischen Kommission. Verstöße gegen diese Pflichten können zu erheblichen Rechtsfolgen führen, darunter Aufhebung des Vergabeverfahrens oder Schadensersatzansprüche von Bietern.

Gibt es im Sektorenvergaberecht Ausnahmen oder Befreiungen von der Anwendung der Vorschriften?

Ja, Sektorenauftraggeber können unter bestimmten Voraussetzungen gemäß § 100 Abs. 2 GWB sowie § 143 GWB von den vergaberechtlichen Vorschriften befreit werden, wenn nachgewiesen werden kann, dass die Tätigkeit, für die der Auftrag vergeben werden soll, unmittelbar dem Wettbewerb ausgesetzt ist und der Zugang zu diesem Markt nicht beschränkt ist. Diese sogenannte Individualbefreiung bedarf einer Genehmigung durch die Europäische Kommission, die anhand von Marktdaten und Wettbewerbsanalysen prüft, ob die erforderlichen Voraussetzungen vorliegen. Solche Befreiungen sind in der Praxis insbesondere im Bereich Postdienste und Güterverkehr relevant. Wird eine Befreiung erteilt, entfällt für den betroffenen Auftraggeber die Pflicht, das europäische Vergaberecht in diesen Tätigkeitsbereichen anzuwenden. Bis zur Erteilung der Befreiung gelten weiterhin die gesetzlichen Vorgaben für Sektorenauftraggeber.