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Seebetriebsrat


Begriff und Rechtsgrundlage des Seebetriebsrats

Der Seebetriebsrat ist ein betriebsverfassungsrechtliches Organ, das besondere Interessenvertretung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf Seeschiffen sicherstellt. Seine rechtliche Regelung findet sich im Seearbeitsgesetz (SeeArbG), genauer in den §§ 116 ff. SeeArbG, welches die betriebsverfassungsrechtlichen Besonderheiten des Seeverkehrs berücksichtigt. Das Institut des Seebetriebsrats steht im engen Zusammenhang mit der herkömmlichen Betriebsverfassung, unterscheidet sich jedoch in zahlreichen Aspekten, die sich aus den speziellen Bedingungen der Seeschifffahrt ergeben.

Geltungsbereich des Seebetriebsrats

Anwendungsbereich

Der Anwendungsbereich des Seebetriebsrats bezieht sich auf Unternehmen, deren Arbeitnehmer auf deutschflaggigen Seeschiffen tätig sind. Nach § 116 Abs. 1 SeeArbG finden die Regelungen Anwendung auf Reedereien, deren Schiffe die Bundesflagge führen und auf denen Arbeitnehmer im Sinne des SeeArbG beschäftigt werden.

Abgrenzung zu sonstigen Betriebsräten

Im Gegensatz zu klassischen Betriebsräten nach dem Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) ist der Seebetriebsrat speziell für die einzigartige Arbeits- und Lebenswelt auf Seeschiffen konzipiert. Er fungiert als Pendant zum Betriebsrat an Land, seine Kompetenzen und Aufgaben sind jedoch aufgrund der besonderen rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen der Seeschifffahrt angepasst.

Wahl und Zusammensetzung des Seebetriebsrats

Wahlberechtigung und Wählbarkeit

Gemäß § 117 Abs. 2 SeeArbG sind alle Arbeitnehmer eines Seeschiffes, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, aktiv wahlberechtigt. Passiv wählbar sind diejenigen Arbeitnehmer, die mindestens sechs Monate dem Unternehmen angehören oder auf einem Schiff des Unternehmens beschäftigt sind.

Größe und Amtszeit

Die Größe des Seebetriebsrats richtet sich nach der Zahl der wahlberechtigten Besatzungsmitglieder auf dem Schiff bzw. innerhalb der Flotte. Die Amtszeit des Gremiums beträgt regelmäßig vier Jahre; Abweichungen sind unter bestimmten Voraussetzungen (z.B. Auflösung der Reederei, Untergang des Schiffes) möglich.

Wahlverfahren

Das Wahlverfahren für den Seebetriebsrat ist in der Wahlordnung SeeArbG konkretisiert. Es berücksichtigt die Besonderheiten seefahrender Arbeitnehmer, wie etwa die Durchführung der Wahl während eines Auslandseinsatzes durch Briefwahl oder elektronische Abstimmung.

Rechte und Pflichten des Seebetriebsrats

Allgemeine Aufgaben

Zu den Kernaufgaben zählt die Vertretung der Interessen der Beschäftigten an Bord gegenüber dem Reeder, insbesondere bei personellen, sozialen und wirtschaftlichen Angelegenheiten (§ 117 Abs. 1 SeeArbG). Hierzu zählt die Überwachung der Einhaltung arbeits- und sozialrechtlicher Vorschriften an Bord.

Mitbestimmungsrechte

Der Seebetriebsrat besitzt umfassende Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte, die denjenigen eines Betriebsrats an Land ähneln. Dazu gehören unter anderem:

  • Mitbestimmung bei sozialen Angelegenheiten (z.B. Arbeitszeitregelungen, Urlaubspläne)
  • Beteiligung bei personellen Maßnahmen (z.B. Einstellungen, Versetzungen, Kündigungen)
  • Initiativrecht bei betrieblichen Verbesserungsmaßnahmen
  • Informationsrechte bezüglich der wirtschaftlichen Lage und Entwicklung des Unternehmens

Besonderheiten ergeben sich insbesondere im Hinblick auf die Umstände des Arbeitsplatzes auf hoher See, z.B. bei Fragen der Unterbringung, Bordverpflegung und Freizeitgestaltung.

Schutz der Mitglieder

Die Mitglieder des Seebetriebsrats genießen einen besonderen Kündigungsschutz nach § 15 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) analog und nach seearechtlichen Vorschriften. Ihre Tätigkeit darf nicht zu Benachteiligungen oder Behinderungen durch den Arbeitgeber führen.

Verhältnis zu anderen Gremien

Zusammenarbeit mit dem Unternehmensbetriebsrat

In Unternehmen mit mehreren Betrieben, einschließlich Landbetrieben, kann ein Gesamtbetriebsrat gebildet werden. Der Seebetriebsrat entsendet in diesen Fällen Vertreter in den Gesamtbetriebsrat, sofern dies in der Unternehmensstruktur erforderlich ist.

Verhältnis zum Schiffsausschuss

Neben dem Seebetriebsrat gibt es auf einzelnen Schiffen den so genannten Schiffsausschuss, der die Vertretung der Interessen an Bord organisiert, insbesondere wenn auf anderen Schiffen kein Seebetriebsrat gebildet wurde.

Beendigung und Auflösung des Seebetriebsrats

Der Seebetriebsrat endet regelmäßig mit Ablauf der Amtszeit oder durch Auflösung des Beschäftigungsverhältnisses, etwa beim Untergang des Schiffes, Wegfall des Schiffs aus der deutschen Flagge oder durch Unternehmensschließung. Auch durch gerichtlichen Beschluss kann der Seebetriebsrat unter bestimmten Voraussetzungen aufgelöst werden (z.B. grobe Pflichtverletzung).

Internationalrechtliche Aspekte

Der Seebetriebsrat ist auf deutschem Hoheitsgebiet und auf Schiffen unter deutscher Flagge wirksam. Bei internationalen Tätigkeiten sind zudem Regelungen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) und relevante EU-Vorschriften einschlägig, beispielsweise die Umsetzung der Richtlinie 2009/13/EG über die Umsetzung des Übereinkommens der IAO über die Arbeit auf See.

Bedeutung und Praxisrelevanz

Der Seebetriebsrat ist ein zentrales Instrument zur Wahrung der Arbeitnehmerrechte auf deutschflaggigen Seeschiffen. Er gewährleistet eine wirksame Mitbestimmung und Interessenvertretung unter den besonderen Gegebenheiten der Seeschifffahrt. Damit trägt er wesentlich zur sozialen Absicherung und zum Schutz des arbeitenden Personals in der maritimen Wirtschaft bei.


Zusammenfassung:
Der Seebetriebsrat ist das betriebsverfassungsrechtliche Organ für deutschflaggige Seeschiffe und übernimmt eine Vielzahl von Mitbestimmungs-, Mitwirkungs- und Überwachungsaufgaben zum Schutz der Arbeitnehmerinteressen auf See. Die rechtlichen Grundlagen ergeben sich vor allem aus dem Seearbeitsgesetz und berücksichtigen die besonderen Bedingungen der Schifffahrt, wodurch sich der Seebetriebsrat deutlich vom landbasierten Betriebsrat unterscheidet.

Häufig gestellte Fragen

Welche besonderen Mitbestimmungsrechte hat der Seebetriebsrat gemäß § 117 BetrVG?

Der Seebetriebsrat verfügt gemäß § 117 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) über spezifisch beschränkte Mitbestimmungsrechte im Vergleich zum „gewöhnlichen“ Betriebsrat an Land. Während das Betriebsverfassungsgesetz grundsätzlich auf Seeschifffahrtsbetriebe Anwendung findet, schränkt § 117 BetrVG unter anderem § 87 BetrVG (Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten) stark ein. Das bedeutet, dass der Seebetriebsrat beispielsweise im Bereich der Arbeitszeitgestaltung, der Urlaubsgrundsätze oder der betrieblichen Ordnung lediglich Anhörungs- und Beratungsrechte und keine vollumfänglichen Mitbestimmungsrechte besitzt. Die Vorschriften zur Mitwirkung bei Kündigungen (§ 102 BetrVG), zum Personalfragebogen (§ 94 Abs. 1 BetrVG) sowie zum Arbeitsschutz (§ 89 BetrVG) gelten jedoch weiterhin vollumfänglich. Diese Besonderheiten im Beteiligungsumfang sind historisch durch die besonderen betrieblichen Bedingungen und organisatorischen Anforderungen an Bord von Seeschiffen begründet.

Welche Voraussetzungen gelten für die Wahl eines Seebetriebsrats?

Für die Wahl eines Seebetriebsrats gelten abweichende Voraussetzungen gegenüber landgestützten Betrieben, geregelt in § 117 BetrVG. Wahlberechtigt sind alle Besatzungsmitglieder eines Seeschiffs unter deutscher Flagge, die das 18. Lebensjahr vollendet haben und mindestens sechs Monate zur See gefahren sind (§ 9 ff. BetrVG i.V.m. § 117 Abs. 2 BetrVG). Die Wahlen finden an Bord statt oder werden in einem mehrstufigen Verfahren mit Briefwahllösungen durchgeführt, da sich die Besatzung während des Wahlzeitraums häufig nicht komplett gleichzeitig an einem Ort befindet. Die Zusammensetzung und Größe des Seebetriebsrats richten sich nach der Anzahl der wahlberechtigten Arbeitnehmer. Eine Besonderheit ist zudem, dass auch kurzfristig beschäftigtes Personal – aufgrund der turnusmäßigen Crewwechsel – besondere Beachtung im Wahlverfahren erfährt, womit den realen Arbeitsplatzbedingungen auf See Rechnung getragen wird.

Welche besonderen Kündigungsschutzregelungen bestehen für Mitglieder des Seebetriebsrats?

Auch für Mitglieder des Seebetriebsrats gilt ein besonderer Kündigungsschutz gemäß § 15 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) in Verbindung mit § 117 BetrVG. Das bedeutet, dass eine ordentliche Kündigung während der Amtszeit und für einen Nachwirkungszeitraum von einem Jahr nach dem Ausscheiden aus dem Gremium grundsätzlich unzulässig ist. Eine außerordentliche Kündigung ist nur mit Zustimmung des Seebetriebsrats oder nach erfolgter gerichtlicher Entscheidung möglich, sofern ein wichtiger Grund vorliegt. Dies dient dem Schutz der unabhängigen Interessenvertretung der Besatzungsmitglieder vor etwaigen Benachteiligungen oder Repressalien des Arbeitgebers. Die rechtliche Stellung des Seebetriebsrats schützt insbesondere vor dem Hintergrund der besonderen Arbeitsbedingungen und der typischerweise engeren sozialen Kontrolle an Bord.

Wie verhält sich das Seearbeitsgesetz (SeeArbG) zur Arbeit des Seebetriebsrats?

Das Seearbeitsgesetz (SeeArbG) regelt ergänzend zahlreiche arbeitsrechtliche Normen für Seeleute und steht in einem engen Wechselverhältnis zu den Regelungen des Betriebsverfassungsgesetzes. Der Seebetriebsrat ist für kollektivrechtliche Belange zuständig, während individuelle Rechte unmittelbar dem SeeArbG oder dem Heuertarifgesetz entspringen. Bei Überschneidungen – etwa in Fragen der Arbeitszeit, der Mindestanforderungen an Unterkünfte oder des Gesundheitsschutzes – hat das SeeArbG häufig Vorrang als spezielle Rechtsvorschrift. Dennoch obliegt es dem Seebetriebsrat, die Einhaltung der Bestimmungen des SeeArbG durch den Arbeitgeber zu überwachen und gegebenenfalls Rechtsansprüche durchzusetzen oder die zuständigen Behörden einzuschalten. Die Zusammenarbeit des Seebetriebsrats mit dem Seemannsamt spielt deshalb eine zentrale Rolle im Rahmen der rechtlichen Interessenvertretung.

Welche Beteiligungsmöglichkeiten bestehen bei Restrukturierungsmaßnahmen oder Betriebsänderungen?

Anders als der Betriebsrat an Land besitzt der Seebetriebsrat gemäß § 117 BetrVG ein eingeschränktes Recht auf Beteiligung bei wesentlichen Betriebsänderungen. Dies beinhaltet insbesondere das Recht auf Information und Beratung, jedoch nicht immer den Abschluss von Interessenausgleichs- oder Sozialplanvereinbarungen nach §§ 111 ff. BetrVG. Der Gesetzgeber hat dies so ausgestaltet, weil die besondere Struktur und Internationalität der Seeschifffahrt, sowie die häufig wechselnden Besatzungen, die Anwendung von Betriebsänderungsregelungen erschweren. Kommt es dennoch zu einer sozialen oder wirtschaftlichen Restrukturierung, so ist der Seebetriebsrat frühzeitig zu informieren und anzuhören. Seine Beteiligung beschränkt sich dabei auf Vorschlags- und Beratungsrechte.

Inwieweit gilt das BetrVG an Bord ausländisch geflaggter Schiffe?

Das Betriebsverfassungsgesetz, und damit auch die Einrichtung eines Seebetriebsrats, ist grundsätzlich auf Schiffe unter deutscher Flagge beschränkt. Deutsche Reedereien, die Schiffe unter einer ausländischen Flagge führen (sog. Ausflaggen), unterliegen für diese Schiffe nicht den deutschen betriebsverfassungsrechtlichen Vorschriften. Eine Interessenvertretung analog zum deutschen Seebetriebsrat kann in diesem Fall nur durch Anwendung ausländischen Rechts oder auf freiwilliger Basis, etwa im Rahmen von Tarifverträgen, erfolgen. Diese Besonderheit ist für die Praxis bedeutsam, da viele deutsche Reedereien aus betriebswirtschaftlichen Gründen unter sogenannten „Billigflaggen“ operieren und Arbeitnehmer somit nicht den Schutzmechanismen des BetrVG unterliegen.

Wer überwacht die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften gegenüber dem Seebetriebsrat?

Die Überwachung der Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften bezüglich des Seebetriebsrats obliegt maßgeblich dem Seemannsamt, das als Aufsichts- und Genehmigungsbehörde fungiert. Das Seemannsamt ist befugt, Beschwerden von Seeleuten oder des Seebetriebsrats entgegenzunehmen, Untersuchungen einzuleiten und Sanktionen gegen den Arbeitgeber zu verhängen, wenn betriebsverfassungsrechtliche oder andere arbeitsrechtliche Vorgaben nicht eingehalten werden. Zudem prüft das Seemannsamt regelmäßig Wahlvorgänge und die gesetzeskonforme Durchführung der Seebetriebsratsarbeit. Ansprüche aus betriebsverfassungsrechtlichen Streitigkeiten können grundsätzlich auch vor dem Arbeitsgericht durchgesetzt werden, wobei für Seeleute eigene Zuständigkeitsregelungen in der Arbeitsgerichtsbarkeit bestehen.