Legal Lexikon

Seeamt


Begriff und Rechtsstellung des Seeamtes

Das Seeamt ist eine besondere Einrichtung der deutschen Schifffahrtsverwaltung mit gerichtlicher Funktion. Seine zentrale Aufgabe besteht in der förmlichen Untersuchung von Seeunfällen sowie der Klärung von Schifffahrtsangelegenheiten im öffentlichen Interesse. Seeämter sind vorwiegend in Küstenstädten eingerichtet und agieren als besondere Gerichte im Bereich des Seerechts.


Rechtsgrundlagen und Zuständigkeiten

Gesetzliche Grundlage

Die Tätigkeit und Zuständigkeit der Seeämter in Deutschland regelt das Seeaufgabengesetz (SeeAufgG) sowie ergänzende Vorschriften wie das Schiffsbesetzungsrecht, das See-Unfall-Untersuchungs-Gesetz (SUG) und die Schiffsbesichtigungsordnung. Diese Normen bestimmen, wann und wie ein Seeamt tätig wird und welche Kompetenzen diesem zustehen.

Zuständigkeit

Das Seeamt ist zuständig für:

  • die Untersuchung von Schiffsunfällen deutscher Seeschiffe,
  • die Feststellung der Seetauglichkeit von Besatzungsmitgliedern,
  • die Ahndung von Verstößen gegen die gesetzlichen Vorschriften der Seeschifffahrt,
  • die Prüfung von Fragen der Schiffsführung, insbesondere in Zusammenhang mit Unfällen oder Disziplinarangelegenheiten.

Es kommt insbesondere dann zum Tätigwerden, wenn Unfälle mit Todesfolge, schwerwiegende Verletzungen, Havarien oder Kollisionen von Seeschiffen mit möglicher Auswirkung auf Leben, Umwelt oder erhebliche wirtschaftliche Bedeutung vorliegen.


Aufgaben und Verfahren

Untersuchung von Seeunfällen

Das Seeamt leitet und führt Untersuchungen bei Seeunfällen. Dabei arbeitet es eng mit den Seeschifffahrtsbehörden, der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung, der Polizei und mitunter auch internationalen Institutionen zusammen, sofern Schiffe verschiedener Fahnen beteiligt sind. Die Untersuchung umfasst das Erheben des Sachverhalts, das Anhören von Zeugen und Beteiligten sowie die Sicherung und Auswertung von Beweismitteln.

Disziplinarverfahren und Folgen

Bei festgestellten Pflichtverstößen kann das Seeamt dienstrechtliche Maßnahmen gegen Angehörige der Schiffsbesatzung einleiten, etwa Verwarnungen oder Berufsverbote aussprechen. Die disziplinaren Maßnahmen verfolgen das Ziel, die Sicherheit der Schifffahrt und öffentlichen Interessen zu wahren. Sie können auch Grundlage für weitere arbeits- oder strafrechtliche Verfahren sein.

Entscheidungskompetenz

Das Seeamt entscheidet abschließend über die festgestellten Sachverhalte und leitet ggf. die notwendigen Maßnahmen ein. Seine Beschlüsse sind mit Begründung zu versehen und orientieren sich strikt an den geltenden seerechtlichen Bestimmungen.


Organisation und Zusammensetzung

Aufbau

Ein Seeamt besteht aus einem Vorsitzenden, in der Regel einem erfahrenen Amtsrichter mit besonderer Kenntnis des Seerechts, sowie mehreren beisitzenden Mitgliedern, deren Bestellung und Aufgabenverteilung gesetzlich geregelt ist. Die Beisitzer verfügen zumeist über praktische Kenntnisse der Schifffahrt (z.B. ehemalige Kapitäne, Nautiker oder Schiffstechniker).

Verfahrensablauf

Die Sitzungen des Seeamts sind öffentlich, sofern keine zwingenden Gründe für den Ausschluss der Öffentlichkeit vorliegen (§ 10 SeeAufgG). Beteiligte Parteien können rechtliches Gehör erhalten und dürfen zur Wahrung ihrer Interessen auftreten. Das Verfahren ähnelt einem gerichtlichen Erkenntnisverfahren und ist von Amts wegen zu betreiben.


Rechtsfolgen, Rechtsmittel und Auswirkungen

Rechtswirkungen der Entscheidungen

Die Feststellungen und Entscheidungen des Seeamts haben unmittelbare Wirkungen auf die betroffenen Personen und das betroffene Schiff, beispielsweise hinsichtlich der weiteren Führung des Schiffes, der Ausübung des Schifffahrtsberufs oder in Bezug auf Erlaubnisse und Zertifikate.

Rechtsmittel

Gegen die Entscheidungen des Seeamts können innerhalb einer festgelegten Frist Rechtsmittel eingelegt werden. Zuständig für die Überprüfung ist das See-Berufsgericht, welches als zweite Instanz fungiert und die Sach- und Rechtslage umfassend prüft.

Internationale Bezüge

Bei grenzüberschreitenden Seeunfällen, insbesondere wenn ausländische Schiffe oder Staatsangehörige betroffen sind, arbeitet das Seeamt mit internationalen Seeschifffahrtsorganisationen und den Behörden anderer Flaggenstaaten zusammen. Internationale Abkommen wie das SOLAS-Übereinkommen (International Convention for the Safety of Life at Sea) oder MARPOL (International Convention for the Prevention of Pollution from Ships) spielen hierbei eine zentrale Rolle.


Historische Entwicklung

Die institutionelle Geschichte der Seeämter reicht bis in das 19. Jahrhundert zurück. Die Organisationsform und Zuständigkeiten haben sich im Laufe der Zeit mehrfach geändert, um den stetig wachsenden Anforderungen des internationalen Seeverkehrs gerecht zu werden. Die heutige Ausgestaltung ist auf die Nachkriegszeit und fortlaufende Anpassungen an das völkerrechtliche und nationale Seerecht zurückzuführen.


Bedeutung für die Schifffahrt

Die Seeämter leisten einen entscheidenden Beitrag zur Sicherheit der Seeschifffahrt, zur Einhaltung der internationalen Rechtsvorschriften und zur Klärung von Haftungsfragen. Sie sind ein zentrales Organ zur Wahrung der Rechtsordnung auf See und zur Stärkung des Vertrauens in die maritime Rechtsstaatlichkeit.


Literatur und Weiterführende Hinweise

  • Seeaufgabengesetz (SeeAufgG)
  • See-Unfall-Untersuchungs-Gesetz (SUG)
  • Schiffsbesichtigungsordnung
  • Internationales Seerecht (SOLAS, MARPOL)

Weblinks


Hinweis: Dieser Artikel dient der umfassenden Information im Rahmen eines Rechtslexikons und stellt keine Rechtsberatung dar.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Grundlagen regeln die Zuständigkeit und Verfahren des Seeamts?

Das Seeamt wird in Deutschland rechtlich insbesondere durch das Gesetz über das Verfahren in Angelegenheiten der Binnenschifffahrt und Seeschifffahrt (§§ 1 ff. SeeämterG, vormals Seeunfalluntersuchungsgesetz) sowie durch die Seeschiffsunfall-Untersuchungsverordnung geregelt. Diese Normen legen fest, dass das Seeamt für die Ermittlung und Beurteilung von Seeunfällen, Schadensereignissen sowie Disziplinarsachen im Bereich der Seeschifffahrt zuständig ist. Die rechtlichen Befugnisse des Seeamts umfassen die Anordnung und Durchführung von Ermittlungen, Anhörungen von Beteiligten und Zeugen sowie das Recht, Gutachten einzuholen. Das Verfahren ist grundsätzlich öffentlich, um Transparenz zu gewährleisten, kann aber in sensiblen Fällen, wie bei Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen, auf Antrag nicht-öffentlich geführt werden. Das Seeamt ergeht auf Grundlage des Verwaltungsverfahrensgesetzes, ist aber in vielen Belangen durch eigenständige Regelungen geprägt, etwa zur Beweisaufnahme oder zur Bestellung von Sachverständigen.

In welchen Fällen ist die Anrufung des Seeamts gesetzlich vorgeschrieben?

Die Anrufung des Seeamts ist insbesondere nach einem Seeunfall mit erheblichem Personen- oder Sachschaden, bei Schiffskollisionen, Havarien, Totalausfällen oder in sicherheitsrelevanten Ausnahmefällen gesetzlich vorgeschrieben. Dies betrifft sowohl Unfälle deutscher Schiffe weltweit als auch ausländischer Schiffe in deutschen Hoheitsgewässern, sofern der Vorfall relevante Auswirkungen auf die Sicherheit des Seeverkehrs, den Umweltschutz oder die Rechtsverhältnisse an Bord deutscher Schiffe hat. Darüber hinaus ist das Seeamt bei disziplinarrechtlichen Vorwürfen gegen Kapitäne oder weitere Besatzungsmitglieder, etwa bei Verdacht auf schwere Pflichtverletzungen, zu befassen. Spätestens bei Todesfällen an Bord oder schwerwiegenden Verletzungen ist eine seeamtliche Untersuchung zwingend einzuleiten, wobei der zuständige Reeder, Kapitän oder Behördenvertreter die Meldung zu veranlassen hat.

Wer ist zur Teilnahme oder zur Stellungnahme im Rahmen eines Seeamtsverfahrens berechtigt oder verpflichtet?

Zur Teilnahme am Seeamtsverfahren sind die unmittelbar am Unfall oder Vorfall beteiligten Parteien, insbesondere Schiffsführer, Schiffseigner, Reeder, betroffene Besatzungsmitglieder und gegebenenfalls weitere am Vorfall mitwirkende Dritte berechtigt und auf Anordnung des Seeamts auch verpflichtet. Nebenbeteiligte, wie Versicherungsvertreter oder Vertreter von Berufsorganisationen, können auf Antrag hinzugelassen werden, sofern ihre Teilnahme zur Sachaufklärung beiträgt. Zeugen und Sachverständige können vom Seeamt geladen werden und sind zur Aussage verpflichtet, es sei denn, es greifen besondere Zeugnisverweigerungsrechte, beispielsweise aus Gründen des Selbstbelastungsschutzes oder spezifischer Berufsgeheimnisse. Die Einhaltung rechtlicher Ladungsfristen und die Pflicht zur wahrheitsgemäßen Aussage sind im Verfahren strikt geregelt und Verstöße können mit Ordnungsmitteln wie Bußgeldern oder Zwangsvorführungen geahndet werden.

Welche Rechtsmittel stehen gegen Entscheidungen des Seeamts zur Verfügung?

Gegen Entscheidungen des Seeamts, zum Beispiel Bußgeldbescheide, Anordnungen oder disziplinarische Maßnahmen, steht das Rechtsmittel der Beschwerde offen. Diese ist innerhalb einer bestimmten Frist, meist zwei Wochen nach Bekanntgabe der Entscheidung, schriftlich einzulegen. Zuständig für die Überprüfung ist in der Regel das übergeordnete Verwaltungsgericht oder, in maritimen Belangen, das zuständige Landgericht. In strafrechtlichen oder disziplinarrechtlichen Fällen kann – je nach Art des Tenors – auch eine Revison oder Berufung vor höheren Instanzen eingelegt werden. Die Einzelheiten zur jeweiligen Rechtsmittelbelehrung ergeben sich stets aus der eigenen Entscheidung des Seeamts und müssen sowohl Frist als auch Form der Einlegung klar benennen.

Wie erfolgt die Beweisaufnahme im Seeamtsverfahren und welche Beweismittel sind zulässig?

Die Beweisaufnahme im Seeamtsverfahren richtet sich nach den Grundsätzen der Amtsermittlung, das heißt, das Seeamt ist verpflichtet, den Sachverhalt unabhängig, umfassend und von Amts wegen zu erforschen. Zulässige Beweismittel sind neben Zeugenaussagen und Parteivernehmungen auch Sachverständigengutachten, Urkunden, Navigationsdaten (z. B. Logbücher, Blackbox-Aufzeichnungen), technische Unterlagen, Fotodokumentationen oder Videomaterial. In vielen Fällen werden zudem Seehandbücher, nautische Karten oder Wetterdaten beigezogen, um den Hergang nachvollziehen zu können. Die betroffenen Parteien können eigene Beweisanträge stellen, über deren Zulassung das Seeamt entscheidet. Die Beweisaufnahme ist protokollarisch zu dokumentieren und stellt einen wesentlichen Teil der Verfahrensakte dar.

Welche Verpflichtungen treffen Schiffsführer und Reeder im Hinblick auf die Mitwirkung am Seeamtsverfahren?

Schiffsführer und Reeder, deren Schiffe oder Personal in Seeamtsangelegenheiten verwickelt sind, sind kraft Gesetzes verpflichtet, sowohl den Vorfall umgehend zur Anzeige zu bringen als auch während des gesamten Verfahrens vollumfänglich mitzuwirken. Hierzu zählen die fristgerechte Vorlage sämtlicher behördlich oder vom Seeamt geforderter Dokumente, die wahrheitsgemäße Auskunftserteilung und die Sicherstellung, dass relevante Besatzungsmitglieder und Zeugen zum Termin erscheinen. Sie haben außerdem sicherzustellen, dass keine Beweismittel verfälscht oder zurückgehalten werden. Bei Zuwiderhandlungen können empfindliche Ordnungsmaßnahmen wie Bußgelder oder hinterlegungsrechtliche Maßnahmen gegen das Schiff erlassen werden, im Extremfall droht auch ein Fahrverbot oder die Einleitung weiterer straf- und haftungsrechtlicher Verfahren.