Definition und rechtlicher Rahmen des Begriffs Schwerstpflegebedürftige
Der Begriff „Schwerstpflegebedürftige“ bezeichnet im deutschen Recht Personen, die aufgrund körperlicher, geistiger oder psychischer Erkrankungen oder Behinderungen in außergewöhnlich hohem Maße auf Hilfe bei den Verrichtungen des täglichen Lebens angewiesen sind. Diese Einordnung ist rechtlich relevant im Kontext der sozialen Pflegeversicherung sowie angrenzender sozialrechtlicher Regelungen und beeinflusst sowohl den Leistungsumfang als auch die Organisation und Finanzierung von Pflegeleistungen.
Rechtliche Grundlagen
Die rechtliche Definition und Einordnung von Schwerstpflegebedürftigkeit erfolgt maßgeblich im Elften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) – Soziale Pflegeversicherung. Bis zum 31. Dezember 2016 wurden Begriffe wie „Schwerstpflegebedürftige“ und deren Einteilung in Pflegestufen vor allem nach § 15 SGB XI (a.F.) geregelt. Seit dem 1. Januar 2017 erfolgte durch das Zweite Pflegestärkungsgesetz (PSG II) eine grundlegende Reform mit der Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs und der Umstellung von Pflegestufen auf fünf Pflegegrade.
Historische Einordnung: Pflegestufe III
Vor der Einführung der Pflegegrade waren Schwerstpflegebedürftige im Sinne der Pflegeversicherung überwiegend Angehörige der Pflegestufe III (§ 15 Abs. 3 SGB XI a.F.). Diese betraf Personen mit einer außergewöhnlich hohen zeitlichen Beanspruchung, die mindestens fünfmal täglich der Hilfe, auch nachts, bedurften.
Pflegegrade ab 2017
Mit dem neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff (§ 14 SGB XI) werden seit 2017 fünf Pflegegrade unterschieden. Die schwerste Stufe – der Pflegegrad 5 – erfasst Personen mit „schwersten Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten mit besonderen Anforderungen an die pflegerische Versorgung“. Die frühere Gruppe der Schwerstpflegebedürftigen wird nun überwiegend diesem Pflegegrad zugeordnet.
Aktuelle Definition nach Sozialgesetzbuch XI
Nach § 14 SGB XI sind Schwerstpflegebedürftige in den Kreis der Personen einzubeziehen, deren Selbstständigkeit oder Fähigkeiten in den Bereichen Mobilität, kognitive und kommunikative Fähigkeiten, Verhaltensweisen und psychische Problemlagen, Selbstversorgung, Krankheitsbewältigung und soziale Kontakte dauerhaft in „schwerstem“ Maße eingeschränkt sind. Die konkreten Kriterien und die Einstufung in den entsprechenden Pflegegrad werden durch das sogenannte Neue Begutachtungsassessment (NBA) festgestellt.
Kriterien und Begutachtungsverfahren
Das Neue Begutachtungsassessment (NBA)
Das NBA ist das standardisierte Verfahren zur Feststellung von Pflegebedürftigkeit. Dabei werden sechs Module bewertet, die unterschiedlich gewichtet sind. Ausschlaggebend für die Einordnung als schwerstpflegebedürftig (Pflegegrad 5) ist die höchste Bewertungsstufe mit 90 bis 100 von maximal 100 Punkten.
Module des NBA
- Mobilität
- Kognitive und kommunikative Fähigkeiten
- Verhaltensweisen und psychische Problemlagen
- Selbstversorgung
- Bewältigung von und selbstständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen
- Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte
Eine Einordnung in Pflegegrad 5 erfordert ganz überwiegend schwerste Einschränkungen in den genannten Bereichen.
Sonderregelung: Härtefall
In besonderen Fällen sieht § 15 Abs. 4 SGB XI eine Härtefallregelung vor. Diese greift, wenn der Hilfebedarf das übliche Maß des Pflegegrades 5 noch überschreitet. Die Pflegekassen und Einrichtungen sind in derartigen Härtefällen verpflichtet, zusätzliche Maßnahmen zur Sicherstellung der Pflege zu treffen.
Rechtliche Folgen und Ansprüche
Leistungsumfang der Pflegeversicherung
Schwerstpflegebedürftige im Sinne des Pflegegrades 5 haben Anspruch auf die umfassendsten und höchsten Leistungen der Pflegeversicherung. Dazu zählen unter anderem:
- Pflegegeld
- Pflegesachleistungen
- Kombinationsleistungen
- Leistungen zur teilstationären und stationären Pflege
- Zusätzliche Betreuungs- und Entlastungsleistungen
- Leistungen für Pflegehilfsmittel und wohnumfeldverbessernde Maßnahmen
Die konkreten Leistungshöhen werden jährlich angepasst und richten sich nach den gesetzlichen Vorgaben.
Pflege im häuslichen und stationären Bereich
Schwerstpflegebedürftige können wählen, ob die Pflege im häuslichen Umfeld durch Angehörige, ambulante Dienste oder in einer vollstationären Einrichtung erfolgt. Im Bereich der stationären Pflege gilt für Pflegegrad 5 die höchste Leistungspauschale der Pflegeversicherung.
Recht auf Beratung und Pflegehilfsmittel
Personen mit Schwerstpflegebedürftigkeit haben ein erweitertes Recht auf individuelle Beratung durch die Pflegekassen gemäß § 7a SGB XI. Zudem besteht ein Anspruch auf die Versorgung mit ärztlich verordneten Pflegehilfsmitteln und gegebenenfalls wohnumfeldverbessernden Maßnahmen (§ 40 SGB XI).
Abgrenzung zu anderen Begriffen und Rechtsgebieten
Unterschied zum Begriff „erheblicher Pflegebedürftigkeit“
Während „Schwerstpflegebedürftige“ die höchste Intensität des Hilfebedarfs bezeichnet, gibt es darunter weitere Abstufungen, etwa die „erhebliche Pflegebedürftigkeit“, die in Pflegegrad 2 und 3 abgebildet wird. Die Differenzierung hat erhebliche Auswirkungen auf den Umfang und die Art der Leistungsgewährung.
Relevanz im Sozialrecht, Betreuungsrecht und Schwerbehindertenrecht
Der Status als schwerstpflegebedürftig wirkt sich nicht nur auf Leistungen der Pflegeversicherung aus, sondern hat auch Bedeutung im Schwerbehindertenrecht, Betreuungsrecht, Rentenrecht und in weiteren sozialrechtlichen Zusammenhängen.
Verfahrensrechtliche Aspekte
Antragstellung und Begutachtung
Pflegebedürftige oder ihre Angehörigen können einen Antrag auf Leistungen bei der Pflegekasse stellen. Im Anschluss beauftragt die Pflegekasse den Medizinischen Dienst (MD) oder andere Begutachtungsinstanzen mit der Feststellung der Pflegebedürftigkeit und der Einstufung in einen Pflegegrad. Das Verfahren ist umfassend in §§ 18 ff. SGB XI geregelt. Gegen die Entscheidung besteht ein Widerspruchsrecht sowie gegebenenfalls die Möglichkeit einer Klage vor dem Sozialgericht.
Zusammenfassung
Der Begriff „Schwerstpflegebedürftige“ bezeichnet Personen mit einem sehr hohen, dauernden Pflegebedarf und ist im deutschen Sozialrecht ein zentraler Begriff zur Sicherstellung einer optimalen pflegerischen Versorgung. Die juristische Einordnung erfolgt überwiegend im Rahmen der Pflegeversicherung nach SGB XI und ist mit umfassenden Leistungsansprüchen verbunden. Die aktuelle rechtliche Systematik stellt den Pflegegrad 5 mit besonderen Leistungserweiterungen und Schutzvorschriften in den Mittelpunkt, um eine bedarfsgerechte Unterstützung dieser Personengruppe sicherzustellen.
Häufig gestellte Fragen
Welche rechtlichen Voraussetzungen müssen für die Anerkennung einer Schwerstpflegebedürftigkeit erfüllt sein?
Für die Anerkennung einer Schwerstpflegebedürftigkeit im rechtlichen Sinne müssen bestimmte gesetzliche Voraussetzungen vorliegen, die sich im Wesentlichen nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) richten. Ausschlaggebend ist hier der festgestellte Pflegegrad, insbesondere Pflegegrad 5, dem in der Regel die schwerste Beeinträchtigung der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten zugeordnet wird. Die Begutachtung erfolgt auf Antrag durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) bzw. durch unabhängige Gutachter bei privat Versicherten. Dabei wird geprüft, ob der Pflegebedürftige in allen sechs Bereichen des Begutachtungsassessments – Mobilität, kognitive und kommunikative Fähigkeiten, Verhaltensweisen und psychische Problemlagen, Selbstversorgung, Bewältigung von und selbständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen, Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte – gravierend eingeschränkt ist. Hinzu kommt die Voraussetzung, dass diese Beeinträchtigungen dauerhaft, also voraussichtlich für mindestens sechs Monate, gegeben sein müssen (§ 14 SGB XI). Die Anerkennung ist zudem an eine Antragstellung gebunden, d.h. sie erfolgt nicht automatisch, sondern setzt die Initiative des Betroffenen oder seiner Vertreter voraus.
Welche rechtlichen Ansprüche haben schwerstpflegebedürftige Personen gegenüber der Pflegeversicherung?
Schwerstpflegebedürftige Personen haben, je nach anerkanntem Pflegegrad, einen Anspruch auf verschiedene Leistungen der gesetzlichen oder privaten Pflegeversicherung. Bei Vorliegen von Pflegegrad 5 stehen den Betroffenen die höchsten Leistungsbeträge zu, sowohl bei der Pflege zu Hause als auch bei stationärer Unterbringung (§ 28 ff. SGB XI). Dazu zählen das Pflegegeld bei häuslicher Pflege durch Angehörige, Pflegesachleistungen bei professioneller Pflege zu Hause, Zuschüsse für wohnumfeldverbessernde Maßnahmen, Leistungen zur Kurzzeit- und Verhinderungspflege, sowie teilweise die Übernahme von Kosten für Pflegehilfsmittel. Im stationären Bereich werden die pflegebedingten Aufwendungen, einschließlich Betreuung und medizinischer Behandlungspflege, bezuschusst. Die konkreten Leistungshöhen und Voraussetzungen sind gesetzlich geregelt und werden regelmäßig angepasst.
Wie läuft das rechtliche Verfahren zur Feststellung der Schwerstpflegebedürftigkeit ab?
Das Verfahren zur Feststellung der Schwerstpflegebedürftigkeit ist ein formalisiert geregelter Prozess. Es beginnt mit einem formalen Antrag bei der zuständigen Pflegekasse. Nach Antragstellung beauftragt die Pflegekasse den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) bzw. die Medicproof GmbH (bei privat Versicherten) zur Begutachtung. Die Begutachtung erfolgt i. d. R. im Wohnumfeld der betroffenen Person und orientiert sich an den rechtlich festgelegten Kriterien des Begutachtungsinstruments nach §§ 14 ff. SGB XI. Die Gutachter bewerten differenziert nach Modulen die Einschränkungen in der Selbstständigkeit und Fähigkeiten und vergeben Punkte, die zur Einstufung in einen Pflegegrad führen. Der Bescheid der Pflegekasse ist ein Verwaltungsakt, gegen den innerhalb einer Frist von einem Monat nach Zugang Widerspruch eingelegt werden kann, sofern die beantragte Pflegebedürftigkeit oder deren Schweregrad nicht anerkannt wurde.
Welche rechtlichen Möglichkeiten bestehen bei Ablehnung oder Herabstufung des Pflegegrades?
Im Falle einer Ablehnung oder einer Herabstufung des Pflegegrades sieht das Sozialgesetzbuch ein förmliches Widerspruchsverfahren vor (§ 85 SGG). Innerhalb eines Monats nach Erlass des ablehnenden Bescheids kann der Betroffene oder ein gesetzlicher Vertreter schriftlich Widerspruch bei der Pflegekasse einlegen. Die Pflegekasse prüft daraufhin den Vorgang erneut, häufig unter erneuter Hinzuziehung eines Gutachters. Sollte auch der Widerspruch erfolglos bleiben, kann Klage vor dem zuständigen Sozialgericht erhoben werden. Es empfiehlt sich, spätestens im gerichtlichen Verfahren einen spezialisierten Rechtsbeistand hinzuzuziehen, um die Anspruchsdurchsetzung zu unterstützen. Während des Verfahrens kann unter Umständen ein Antrag auf einstweilige Anordnung gestellt werden, wenn eine außergewöhnliche Dringlichkeit besteht.
Welche Mitwirkungspflichten bestehen für schwerstpflegebedürftige Personen im rechtlichen Verfahren?
Schwerstpflegebedürftige Personen oder deren Vertretungsberechtigte (z. B. Bevollmächtigte, Betreuer) sind nach § 60 SGB I verpflichtet, im Rahmen des Verwaltungsverfahrens zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit aktiv mitzuwirken. Hierzu zählt insbesondere die wahrheitsgemäße und vollständige Beantwortung aller Fragen im Antragsformular, die Mitteilung aller relevanten medizinischen Unterlagen und Gutachten sowie die Ermöglichung der Begutachtung im häuslichen Umfeld. Kommt die betroffene Person ihrer Mitwirkungspflicht trotz Aufforderung nicht nach, kann dies nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften zu einer Versagung der Leistungen führen. Auch im Widerspruchs- und Klageverfahren besteht eine Mitwirkungspflicht, die sich insbesondere auf die Bereitstellung notwendiger Nachweise erstreckt.
Inwiefern haben Betreuer oder Bevollmächtigte besondere Rechte und Pflichten bei schwerstpflegebedürftigen Personen?
Betreuer oder Bevollmächtigte, die im Rahmen einer gesetzlichen Betreuung oder über eine Vorsorgevollmacht bestellt sind, nehmen für schwerstpflegebedürftige Personen zentrale Aufgaben wahr. Im rechtlichen Kontext sind sie berechtigt, Anträge auf Pflegeleistungen zu stellen, Widerspruchs- und Klageverfahren zu führen und die Kommunikation mit Behörden und medizinischen Gutachtern zu organisieren. Aus ihrer Stellung ergeben sich zugleich Pflichten, insbesondere die Interessen des Betroffenen wahrzunehmen, den Betroffenen anzuhören sowie Entscheidungen zu dokumentieren. Zudem sind sie verpflichtet, regelmäßig Nachweise über ihre Tätigkeit und über die getroffenen Maßnahmen zu führen und ggf. gegenüber dem Betreuungsgericht Rechenschaft abzulegen.