Begriff und rechtliche Einordnung des Schwellenerwerbers
Der Terminus Schwellenerwerber ist ein im Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht verwendeter Begriff, der insbesondere im Zusammenhang mit der Übernahme und dem Erwerb von Anteilen an börsennotierten Gesellschaften von zentraler Bedeutung ist. Ein Schwellenerwerber ist in diesem Kontext eine natürliche oder juristische Person, die durch den Erwerb von Aktien oder anderen stimmberechtigten Anteilen bestimmte gesetzlich festgelegte Schwellen überschreitet und dadurch spezielle Pflichten und Rechtsfolgen auslöst.
Rechtlicher Hintergrund und gesetzliche Grundlagen
Wesentliche Schwellen im Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG)
Das deutsche Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG) normiert zentrale Schwellen, deren Überschreitung durch den Erwerb von Stimmrechten an einer Zielgesellschaft besondere Bedeutung zukommt. Die maßgeblichen Schwellen sind im § 29 Abs. 2 WpÜG geregelt. Wesentliche Schwellen sind hierbei insbesondere 30 % der Stimmrechte an einer börsennotierten Gesellschaft.
Auslösende Schwellenwerte
Ein Schwellenerwerber ist jede Person, die durch Zurechnung eigener und zugerechneter Anteile die maßgeblichen Schwellenwerte (z. B. 10 %, 20 %, 30 %, 50 %, 75 %) überschreitet. Die bedeutendste Schwelle im Übernahmerecht ist dabei der Erwerb von 30 % der Stimmrechte, da mit deren Überschreitung gemäß § 29 Abs. 2 WpÜG die Kontrollschwelle erreicht wird.
Rechtliche Folgen für Schwellenerwerber
Angebotspflicht nach WpÜG
Der wichtigste Aspekt des Schwellenerwerbers ist die Angebotspflicht. Wer als Schwellenerwerber die Kontrolle an einer börsennotierten Gesellschaft durch Überschreiten der 30 %-Schwelle erlangt, ist gemäß § 35 WpÜG verpflichtet, den übrigen Aktionären ein Pflichtangebot zum Erwerb ihrer Anteile zu unterbreiten. Dies dient dem Schutz der übrigen Aktionäre und der Transparenz am Markt.
Ausnahmen von der Angebotspflicht
Das Gesetz sieht Ausnahmen von der Angebotspflicht vor, etwa bei Überschreiten der Schwelle infolge einer Erbschaft, Schenkung oder z. B. im Fall bestimmter gesellschaftsinterner Umstrukturierungen (§ 37 WpÜG). Die Einzelfallprüfung ist dabei maßgeblich. Zudem kann bei bestimmten Konstellationen die Befreiung von der Angebotspflicht beantragt werden (§ 37 WpÜG).
Zurechnung von Stimmrechten
Zurechnungsregelungen nach § 30 WpÜG
Für die Ermittlung des Schwellenwertes werden nicht nur die selbst gehaltenen Stimmrechte berücksichtigt, sondern auch solche, die dem Erwerber nach § 30 WpÜG zuzurechnen sind. Hierzu zählen beispielsweise Stimmrechte von Tochtergesellschaften, von Dritten, mit denen abgestimmt wird, oder aus Treuhandverhältnissen. Dadurch wird verhindert, dass Schwellenerwerber die Angebotspflicht durch Aufteilung des Aktienpakets auf verschiedene Gesellschaften umgehen können.
Mitteilungspflichten beim Erwerb wesentlicher Beteiligungen
Mitwirkungspflichten nach WpHG
Unabhängig von der Angebotspflicht bestehen für Schwellenerwerber Mitteilungspflichten gemäß § 33 Wertpapierhandelsgesetz (WpHG). Wer eine meldepflichtige Schwelle von 3 %, 5 %, 10 %, 15 %, 20 %, 25 %, 30 %, 50 % oder 75 % der Stimmrechte überschreitet, ist verpflichtet, dies der Gesellschaft sowie der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) unverzüglich anzuzeigen. Die Meldung muss bestimmte Mindestangaben enthalten und unterliegt festen Fristen.
Rechtsfolgen bei Pflichtverletzungen
Die Nichtbeachtung der Angebotspflicht oder der Mitteilungspflichten kann erhebliche Rechtsfolgen nach sich ziehen. Hierzu zählen beispielsweise:
- Ruhen der Stimmrechte: Nicht gemeldete Stimmrechte ruhen bis zur ordnungsmäßigen Nachmeldung (§ 44 WpHG).
- Bußgelder und Untersagungen: Die BaFin kann empfindliche Geldbußen verhängen und Maßnahmen gegen die betreffenden Personen ergreifen.
- Nichtigkeit von Rechtsgeschäften: In bestimmten Fällen können Aktienübertragungen als schwebend unwirksam gelten.
Praktische Bedeutung und Schutzfunktion
Anlegerschutz und Markttransparenz
Die Regelungen zum Schwellenerwerber dienen in erster Linie dem Schutz der Aktionäre und der Marktteilnehmer. Durch die Angebotspflicht wird gewährleistet, dass Aktionäre im Fall eines Kontrollwechsels ihre Anteile zu angemessenen Bedingungen veräußern können. Die Meldepflichten sorgen für die notwendige Transparenz am Kapitalmarkt und erschweren verdeckte Beteiligungsaufbauten.
Bedeutung in Unternehmensübernahmesituationen
Insbesondere bei öffentlichen Übernahmeangeboten, fusionen oder strategischen Beteiligungsaufbauten spielt der Begriff des Schwellenerwerbers eine zentrale Rolle. Potenzielle Investoren müssen die Schwellen genau im Blick behalten, um rechtliche Konsequenzen und mögliche Angebots- und Mitteilungspflichten zu beachten.
Internationale Aspekte
Europäische Vorgaben
Die EU-Übernahmerichtlinie (2004/25/EG) enthält vergleichbare Vorschriften zu Angebotspflichten und Mitteilungspflichten wie das WpÜG. Mitgliedstaaten wenden diese Vorgaben national an und setzen sie in nationales Recht um. Im grenzüberschreitenden Kontext sind die Regelungen zum Schwellenerwerber daher europäisch harmonisiert und besitzen innerhalb der Europäischen Union eine vergleichbare Schutzwirkung.
Zusammenfassung
Der Begriff Schwellenerwerber beschreibt im Kontext des Gesellschafts- und Kapitalmarktrechts jene Personen oder Unternehmen, die durch Erwerb oder Zurechnung von Stimmrechten an einer börsennotierten Gesellschaft maßgebliche Schwellenwerte erreichen und dadurch spezielle rechtliche Pflichten auslösen. Die wichtigsten Konsequenzen betreffen insbesondere die Angebotspflicht nach WpÜG sowie umfangreiche Mitteilungspflichten. Diese Regelungen dienen dem Schutz der Aktionäre, der Transparenz auf dem Kapitalmarkt und der Verhinderung missbräuchlicher Beteiligungsaufbauten. Verstöße können zu erheblichen Sanktionen führen und damit die Integrität des Kapitalmarktes sichern.
Häufig gestellte Fragen
Wann liegt aus rechtlicher Sicht ein Schwellenerwerb vor?
Ein Schwellenerwerb liegt rechtlich dann vor, wenn ein Erwerber („Schwellenerwerber“) durch den Erwerb von Stimmrechten an einem börsennotierten Unternehmen bestimmte gesetzlich festgelegte Schwellenwerte überschreitet oder unterschreitet. Diese Schwellenwerte sind in § 33 Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) geregelt, wobei insbesondere die Schwellen von 3 %, 5 %, 10 %, 15 %, 20 %, 25 %, 30 %, 50 % und 75 % der Stimmrechte relevant sind. Sobald eine solche Schwelle durch Zukauf oder Verkauf von Aktien oder anderweitigen Erwerbsvorgängen erreicht, überschritten oder unterschritten wird, löst dies spezifische Anzeige- und Veröffentlichungspflichten aus. Die rechtliche Relevanz bezieht sich hierbei nicht nur auf direkte Erwerbsvorgänge, sondern auch auf indirekte Zurechnungstatbestände, wie z. B. die Zurechnung von Stimmrechten durch kontrollierte Unternehmen oder im Rahmen von Stimmrechtsvereinbarungen. Maßgeblich ist dabei immer der Zeitpunkt, zu dem der Erwerb wirksam wird – in der Regel mit Einbuchung der Aktien auf das Depot des Erwerbers.
Welche Pflichten treffen einen Schwellenerwerber nach dem Überschreiten einer Schwelle?
Der Schwellenerwerber ist nach dem Überschreiten einer Schwelle gemäß § 33 Abs. 1 WpHG verpflichtet, unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb von vier Handelstagen, sowohl der Gesellschaft als auch der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) schriftlich mitzuteilen, dass und welche Schwelle überschritten wurde. Diese Mitteilungspflichten zielen darauf ab, Transparenz im Kapitalmarkt sicherzustellen und den Aktionären sowie dem Markt Kenntnis über wesentliche Beteiligungsverhältnisse zu verschaffen. Die Meldung muss dabei detaillierte Angaben enthalten, darunter die genaue Prozentzahl der gehaltenen Stimmrechte, das Datum der Schwellenberührung, die zugrundeliegenden Instrumente sowie ggf. Angaben über die Zurechnungstatbestände. Darüber hinaus ist die betroffene Gesellschaft verpflichtet, diese Mitteilung unverzüglich zu veröffentlichen.
Welche Rechtsfolgen drohen bei Verletzung der Mitteilungspflichten durch Schwellenerwerber?
Unterlässt ein Schwellenerwerber die Anzeige gemäß § 33 WpHG ordnungsgemäß, drohen erhebliche rechtliche Konsequenzen. Zum einen sind die aus den betreffenden Aktien resultierenden Rechte suspendiert (§ 44 WpHG), das heißt insbesondere das Stimmrecht für diese Aktien ruht bis zur ordnungsgemäßen Nachholung der Meldung. Darüber hinaus kann die BaFin Bußgelder gegen den Pflichtigen verhängen, wobei die Höhe der Geldbußen in schweren Fällen bis zu zwei Millionen Euro beziehungsweise bis zu zehn Prozent des erzielten Jahresumsatzes erreichen kann. Bei vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Verstößen kommen zudem weitere haftungsrechtliche Ansprüche in Betracht. Insbesondere trifft die Geschäftsleitung des Schwellenerwerbers eine Organisationspflicht, entsprechende Prozesse und Kontrollen zur Erfüllung dieser Pflichten einzurichten.
Welche Rolle spielen derivative Finanzinstrumente beim Schwellenerwerb?
Derivatives Instrumentarium wie Optionen, Futures, Swaps oder sonstige vergleichbare Geschäfte kann ebenso das Überschreiten oder Unterschreiten einer relevanten Schwelle auslösen, sofern sich daraus Rechte auf den Erwerb bereits ausgegebener Aktien mit Stimmrechten ergeben. Gemäß §§ 38 ff. WpHG sind auch solche Finanzinstrumente, die auf den Erwerb von Aktien gerichtet sind oder eine vergleichbare wirtschaftliche Wirkung entfalten, bei der Berechnung der maßgeblichen Schwellen zu berücksichtigen. Schwellenerwerber müssen entsprechend neben direkten und indirekten Aktienbeständen sämtliche relevanten Finanzinstrumente in ihre Meldung einbeziehen und detailliert aufschlüsseln. Dies dient einer umfassenden Transparenz der tatsächlichen Einflussmöglichkeiten auf die börsennotierte Gesellschaft.
Wie sind konzernrechtliche Zurechnungen im Fall eines Schwellenerwerbs zu berücksichtigen?
Das Transparenzsystem des WpHG sieht eine umfassende Zurechnung von Stimmrechten vor, um die Einflussmöglichkeiten auf eine börsennotierte Gesellschaft rechtlich zutreffend abbilden zu können. Im Konzernkontext werden Stimmrechte von Tochtergesellschaften grundsätzlich dem Mutterunternehmen zugerechnet, wenn das Mutterunternehmen einen beherrschenden Einfluss im Sinne von § 34 WpHG ausübt. Gleiches gilt für Fälle, in denen Stimmrechte durch andere Zurechnungstatbestände, wie z. B. durch Stimmrechtsbindungsverträge oder Treuhandverhältnisse, gehalten werden. Die Zurechnung führt dazu, dass das Mutterunternehmen als Schwellenerwerber im Sinne des WpHG gilt und die entsprechenden Meldepflichten einhalten muss. Versäumnisse bei der Zurechnung können ebenfalls zu erheblichen Sanktionen führen.
Gelten für Schwellenerwerber besondere Vorgaben bei Übernahmeangeboten?
Ja, wenn ein Erwerber durch einen Schwellenerwerb die Kontrolle im Sinne des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes (WpÜG) erlangt – dies ist regelmäßig beim Überschreiten der 30 %-Schwelle der Fall – wird er verpflichtet, ein Pflichtangebot an die übrigen Aktionäre der betroffenen Gesellschaft zu richten (§ 35 WpÜG). Das Angebot muss allen Aktionären zu gleichen Bedingungen unterbreitet werden und ermöglicht es ihnen, ihre Aktien zum Erwerb anzubieten. Ziel ist der Minderheitenschutz und die Sicherstellung einer fairen Beteiligung aller Anteilseigner am Kontrollwechsel. Die Einhaltung der Angebotsbestimmungen unterliegt der Kontrolle durch die BaFin; Verstöße können zu Nichtigkeit des Angebots, Stimmrechtsverboten und Bußgeldern führen.
Welche Ausnahmen und Erleichterungen gelten für Schwellenerwerber im Rahmen des Transparenzrechts?
Das WpHG sieht in bestimmten Konstellationen Ausnahmen und Erleichterungen von den Meldepflichten für Schwellenerwerber vor. Beispielsweise muss eine Meldung nicht erfolgen, wenn die Schwellenüberschreitung ausschließlich auf vorübergehende Übertragungssachverhalte im Sinne von § 40 Abs. 1 WpHG, etwa im Rahmen von Wertpapierleihegeschäften, zurückzuführen ist. Ebenso bestehen Ausnahmen für Kreditinstitute und Wertpapierfirmen, sofern diese vorübergehend und im Rahmen ihrer alltäglichen Handelsgeschäfte Aktien erwerben, vorausgesetzt bestimmte Haltefristen werden eingehalten und die Handelstätigkeit übersteigt keinen maßgeblichen Einfluss auf die Gesellschaft. Die genauen Ausnahmetatbestände und deren Anwendung sind jedoch gesetzlich eng auszulegen; bei Unsicherheiten empfiehlt sich eine Rücksprache mit der BaFin oder einer auf Kapitalmarktrecht spezialisierten Rechtsberatung.