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Schadensversicherung


Begriff und rechtliche Einordnung der Schadensversicherung

Die Schadensversicherung ist ein zentrales Rechtsinstitut des Versicherungsrechts im deutschen Rechtssystem. Sie bildet zusammen mit der Summenversicherung einen der beiden Haupttypen der Versicherung nach deutschem Recht. Die Schadensversicherung ist im Wesentlichen darauf ausgerichtet, einen dem Versicherten durch ein bestimmtes Ereignis entstandenen Vermögensnachteil auszugleichen. Die rechtliche Ausgestaltung und die grundlegenden Vorschriften zur Schadensversicherung finden sich insbesondere in den §§ 74 bis 99 des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG).

Definition und Abgrenzung

Die Schadensversicherung dient der Absicherung gegen finanzielle Nachteile infolge eines versicherten Schadensereignisses. Ihr Zweck besteht darin, den tatsächlichen Vermögensschaden des Versicherten zu ersetzen. Sie ist abzugrenzen von der Summenversicherung, bei der der Versicherer im Versicherungsfall eine im Voraus festgelegte Geldsumme auszahlt, unabhängig von der Höhe des verursachten Schadens. Während die Summenversicherung beispielsweise im Bereich der Lebens- oder Unfallversicherung Anwendung findet, erstreckt sich der Anwendungsbereich der Schadensversicherung insbesondere auf die Sachversicherung, Haftpflichtversicherung, Transportversicherung sowie bestimmte Bereiche der Kreditversicherung.

Gesetzliche Grundlagen

Die hauptsächlichen Regelungen zur Schadensversicherung ergeben sich aus dem dritten Abschnitt des VVG (§§ 74 ff.). Weitere relevante Normen sind gegebenenfalls im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) und im Handelsgesetzbuch (HGB) zu finden, insbesondere bei Transport- und Seeversicherungen.

Arten der Schadensversicherung

Sachversicherung

Die Sachversicherung deckt Schäden an bestimmten Sachen (z. B. Gebäude, Fahrzeuge, Hausrat) ab, die durch versicherte Gefahren, wie Feuer, Leitungswasser, Sturm, Hagel oder Einbruchdiebstahl entstehen können. Die Versicherungsleistung ist auf die Wiederherstellung des Zustands vor Eintritt des Versicherungsfalls gerichtet (Naturalrestitution bzw. Wertersatz).

Haftpflichtversicherung

Die Haftpflichtversicherung schützt gegen Ansprüche Dritter aus gesetzlichen Haftpflichtbestimmungen. Sie übernimmt den Schadenersatz, den der Versicherungsnehmer einem Dritten zu leisten hat, sowie gegebenenfalls die Abwehr unberechtigter Ansprüche. Typische Formen sind die private Haftpflichtversicherung, Kfz-Haftpflichtversicherung sowie Berufshaftpflichtversicherungen.

Transportversicherung

Die Transportversicherung gleicht Schäden aus, die während des Transports von Waren aufgrund von Verlust, Beschädigung oder Zerstörung der Güter entstehen. Zu den Unterarten gehören die Fracht-, See-, Luftfahrt- und Landtransportversicherungen.

Kredit- und Kautionsversicherung

Die Kreditversicherung deckt Ausfallrisiken ab, die aus der Nichtzahlung von Forderungen resultieren können. Die Kautionsversicherung steht für die Erfüllung bestimmter vertraglicher Verpflichtungen ein, falls der Versicherungsnehmer diese nicht oder nicht ordnungsgemäß erfüllen kann.

Zentrale Rechtsfragen der Schadensversicherung

Versicherungswert und Versicherungssumme

Versicherungswert (Wiederherstellungswert)

In der Schadensversicherung ist der sogenannte Versicherungswert maßgeblich, in der Regel der Wiederbeschaffungs- oder Wiederherstellungswert der versicherten Sache unmittelbar vor dem Schadensfall. Der Versicherer ist laut § 88 VVG verpflichtet, genau diesen Wert zu ersetzen, höchstens jedoch die vereinbarte Versicherungssumme.

Versicherungssumme

Die Versicherungssumme stellt die vertraglich maximale Ersatzleistung dar, die der Versicherer im Schadensfall zu erbringen hat. Es gilt das Prinzip, dass der Versicherer einen finanziellen Nachteil nur bis höchstens zur vereinbarten Summe kompensiert.

Unterversicherung und Überversicherung

Unterversicherung

Liegt der Versicherungswert über der Versicherungssumme, besteht eine sogenannte Unterversicherung. Im Schadenfall kann der Versicherer die Entschädigung gemäß § 75 VVG im Verhältnis von Versicherungssumme zu Versicherungswert kürzen (prozentuale Kürzung).

Überversicherung

Übersteigt die Versicherungssumme hingegen den Versicherungswert, liegt eine Überversicherung vor. In diesem Fall ist der Ersatz auf den tatsächlich entstandenen Schaden begrenzt; der Versicherte darf sich nicht bereichern (§ 78 VVG).

Doppelversicherung

Bei der Doppelversicherung ist das gleiche Interesse gegen dieselbe Gefahr bei mehreren Versicherern versichert (§ 78 VVG). Die Versicherer leisten anteilig nach dem Verhältnis der Versicherungssummen, ein Anspruch auf doppelte Entschädigung besteht nicht.

Anspruch auf Versicherungsschutz und Schadensfeststellung

Obliegenheiten des Versicherungsnehmers

Der Versicherungsnehmer hat bestimmte Obliegenheiten zur Schadenabwendung und Schadenminderung, informiert den Versicherer über den Schadensfall und beteiligt sich an der Schadensfeststellung (§§ 28, 82 VVG).

Schadensfeststellungsverfahren

Der Schaden wird gemeinsam durch Versicherer und Versicherungsnehmer festgestellt. Kommt eine Einigung nicht zustande, können Gutachter eingeschaltet werden oder gerichtliche Feststellung erfolgen.

Zeitlicher und räumlicher Geltungsbereich

Der Versicherungsschutz erstreckt sich nur auf im Vertrag bestimmte Risiken, Zeiträume und Orte. Der zeitliche Geltungsbereich wird durch die vereinbarte Versicherungsdauer bestimmt; räumliche Einschränkungen sind beispielsweise bei Reise- oder Transportversicherungen üblich.

Haftung, Regress und Subrogation

Prinzip der Kongruenz

Die Schadensversicherung verfolgt den Grundsatz, dass Ersatz nur für tatsächlich erlittene Nachteile gewährt wird (Kongruenzprinzip). Eine Bereicherung des Versicherungsnehmers ist ausgeschlossen.

Übergang der Ersatzansprüche (Subrogation)

Hat der Versicherungsnehmer gegenüber Dritten Ansprüche auf Schadenersatz (z.B. gegen einen Schädiger), gehen diese Ansprüche nach Leistung der Entschädigung durch den Versicherer automatisch auf diesen über (§ 86 VVG).

Abgrenzung zur Summenversicherung

Im Gegensatz zur Schadensversicherung ist die Summenversicherung (z. B. Lebens- und Unfallversicherung mit fest vereinbarter Versicherungssumme) nicht auf den tatsächlich eingetretenen Vermögensnachteil, sondern auf die Auszahlung einer Pauschalsumme im Versicherungsfall ausgerichtet.

Bedeutung in der Praxis und Rechtsprechung

Die Schadensversicherung ist von erheblicher praktischer Bedeutung und Gegenstand zahlreicher Entscheidungen der Zivilgerichte, insbesondere des Bundesgerichtshofs (BGH). Es existiert umfangreiche Rechtsprechung zur Auslegung von Versicherungsklauseln, zu Fragen der Obliegenheitspflichten, der Schadensregulierung, zur Unter- und Überversicherungsproblematik sowie zu Regressansprüchen.

Literatur

Looschelders, Dirk / Pohlmann, Manuel: VVG – Kommentar zum Versicherungsvertragsgesetz, 3. Auflage, München 2023.
Marlow, Dirk: Versicherungsvertragsgesetz – VVG, Kommentar, 4. Auflage, Berlin 2021.
Schimikowski, Klaus: Sachversicherungsrecht, 2. Auflage, Köln 2020.

Weblinks

node.html“>Bundesministerium der Justiz – Überblick Versicherungsrecht


Hinweis: Die Informationen in diesem Artikel bieten einen umfassenden Überblick zur Schadensversicherung und orientieren sich an den gesetzlichen Regelungen und gängiger Kommentarliteratur.

Häufig gestellte Fragen

Wann und wie muss ein Versicherungsnehmer einen Schadenfall bei der Schadensversicherung anzeigen?

Im rechtlichen Kontext ergibt sich aus den §§ 30 ff. VVG (Versicherungsvertragsgesetz) die Verpflichtung des Versicherungsnehmers, einen Schadenfall unverzüglich nach dessen Kenntniserlangung dem Versicherer anzuzeigen. „Unverzüglich“ bedeutet hierbei ohne schuldhaftes Zögern; eine Frist von wenigen Tagen ist regelmäßig angemessen, wobei längere Verzögerungen nur dann gerechtfertigt sind, wenn triftige Gründe vorliegen (z. B. schwere Krankheit). Die Anzeigepflicht dient dem Interesse des Versicherers, frühzeitig Kenntnis vom Schaden zu erhalten, um Ermittlungen zu ermöglichen und Folgeschäden zu verhindern. Die Anzeige sollte alle relevanten Angaben zum Schaden, den Tathergang, Tatzeitpunkt, Schadenumfang sowie die beteiligten Personen enthalten. Formvorschriften können im Versicherungsvertrag geregelt sein, grundsätzlich ist aber auch die mündliche Anzeige wirksam, sofern vertraglich oder gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. Wird die Pflicht zur Schadenanzeige verletzt, kann dies zu einer Leistungsfreiheit oder Leistungskürzung seitens des Versicherers führen, sofern ein vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verschulden des Versicherungsnehmers vorliegt (§ 28 VVG).

Welche Mitwirkungspflichten bestehen nach Eintritt eines Schadensfalles gemäß VVG?

Nach Eintritt des Versicherungsfalles ist der Versicherungsnehmer nach § 31 VVG verpflichtet, bei der Feststellung des Schadens und des Versicherungsumfanges mitzuwirken. Dies umfasst insbesondere die Pflicht, dem Versicherer unverzüglich, wahrheitsgemäß und vollständig alle sachdienlichen Auskünfte zu erteilen sowie die notwendigen Unterlagen und Beweise vorzulegen. Dazu zählen etwa Kaufbelege, Fotos, Rechnungen, polizeiliche Berichte oder ärztliche Atteste, soweit diese zur Klärung des Sachverhalts relevant sind. Je nach Versicherungsart können zusätzliche Anzeigepflichten gegenüber Dritten bestehen (z.B. Meldepflichten bei Diebstahl gegenüber der Polizei). Die Nichterfüllung dieser Pflichten kann gemäß § 28 VVG mit einer Leistungskürzung oder -verweigerung durch den Versicherer sanktioniert werden, insbesondere bei grober Fahrlässigkeit oder Vorsatz.

In welchen Fällen kann der Versicherer die Leistung wegen Obliegenheitsverletzung verweigern oder kürzen?

Eine Obliegenheitsverletzung liegt vor, wenn der Versicherungsnehmer nach Eintritt des Schadenfalls gegen vertraglich oder gesetzlich vorgeschriebene Handlungspflichten (z.B. Schadenanzeige, Aufklärungspflicht, Rettungspflicht) verstößt. Gemäß § 28 VVG kann der Versicherer in solchen Fällen die Leistung ganz oder teilweise verweigern, wenn der Versicherungsnehmer die Obliegenheit vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt hat. Bei grober Fahrlässigkeit erfolgt eine anteilige Kürzung entsprechend dem Grad des Verschuldens, während bei Vorsatz in der Regel eine vollständige Leistungsfreiheit eintritt. Ist der Verstoß dagegen nur leicht fahrlässig erfolgt, bleibt der Versicherungsschutz bestehen. Der Versicherungsnehmer trägt die Beweislast dafür, dass keine oder nur leichte Fahrlässigkeit gegeben ist. Ausnahmen davon gelten, wenn die Obliegenheitsverletzung keinen Einfluss auf den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalles oder auf die Feststellung oder den Umfang der Leistung gehabt hat („Kausalitätsgegenbeweis“).

Welche Regelungen gelten zur Verjährung von Ansprüchen aus der Schadensversicherung?

Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag unterliegen der regelmäßigen Verjährung nach § 195 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch), die grundsätzlich drei Jahre beträgt. Nach § 195 VVG beginnt die Verjährungsfrist mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Versicherungsnehmer von den anspruchsbegründenden Umständen sowie der Person des Schuldners Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen. Für den Versicherungsanspruch entsteht die Verjährung daher ab dem Zeitpunkt, in dem der Versicherungsnehmer Kenntnis vom Eintritt des Versicherungsfalles und von den anspruchsbegründenden Umständen hat. Die Verjährung kann durch Verhandlungen mit dem Versicherer gehemmt werden (§ 203 BGB) oder durch Klageerhebung bzw. Zustellung eines Mahnbescheides unterbrochen werden.

Welche Rechte stehen dem Versicherer im Zusammenhang mit der Prüfung des Versicherungsfalles zu?

Nach Eintritt des Versicherungsfalles hat der Versicherer das Recht, alle zur Feststellung des Schadenfalles und der Höhe der Versicherungsleistung erforderlichen Informationen einzuholen und eigene Ermittlungen zu führen (Untersuchungs- und Prüfrecht). Der Versicherungsnehmer ist verpflichtet, dem Versicherer hierzu Zugang zu verschaffen, erforderliche Auskünfte zu erteilen und auf Verlangen Nachweise sowie Belege (z.B. Kostenvoranschläge, Zeugenaussagen, Fotos) beizubringen. Dies ergibt sich aus § 31 VVG und kann im Versicherungsvertrag durch detaillierte Mitwirkungsklauseln konkretisiert werden. Der Versicherer ist berechtigt, einen Gutachter zu beauftragen und Schäden selbst zu besichtigen. Verweigert der Versicherungsnehmer die Mitwirkung oder erschwert die Prüfung schuldhaft, kann dies zur Leistungsfreiheit des Versicherers führen.

Unter welchen Bedingungen kann der Versicherer Regress gegen den Versicherungsnehmer oder Dritte nehmen?

Ein Regress meint das Rückgriffsrecht des Versicherers auf den Versicherungsnehmer oder Dritte, falls der Schaden durch deren Verschulden oder vorsätzliches/grob fahrlässiges Verhalten verursacht wurde. Gegen den eigenen Versicherungsnehmer kann der Versicherer gemäß § 86 VVG Rückgriff nehmen, wenn dieser vorsätzlich oder grob fahrlässig den Versicherungsfall herbeigeführt hat. Gegenüber Dritten erwirbt der Versicherer mit Zahlung der Entschädigung die Ansprüche des Versicherungsnehmers gegen den Schädiger (Legalzession). Der Versicherungsnehmer ist verpflichtet, alles zu unterlassen, was den Anspruch gegen den Schädiger beeinträchtigt, andernfalls droht Leistungsfreiheit oder Regress (§ 86 Abs. 2 VVG).

Wie ist die Schadensminderungspflicht im Rahmen der Schadensversicherung rechtlich ausgestaltet?

Die sogenannte Rettungspflicht (§ 82 VVG) verpflichtet den Versicherungsnehmer, nach Eintritt des Versicherungsfalles alle vernünftigerweise gebotenen Maßnahmen zur Abwendung und Minderung des Schadens zu treffen, soweit ihm dies möglich und zumutbar ist. Verstöße gegen diese Pflicht können zur Leistungskürzung führen. Der Versicherer hat die notwendigen Kosten für diese Maßnahmen zu ersetzen, selbst wenn sie erfolglos bleiben. Die Schadensminderungspflicht gilt unabhängig von einer ausdrücklichen vertraglichen Vereinbarung und ist ein zentraler Grundsatz des Versicherungsrechts. Kommt der Versicherungsnehmer dieser Pflicht nicht nach, ist der Versicherer gemäß § 82 Abs. 3 VVG ganz oder teilweise leistungsfrei, sofern der Verstoß auf Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit beruht.