Schadensrückversicherung: Begriff, Einordnung und rechtliche Grundlagen
Die Schadensrückversicherung ist eine Form der Rückversicherung, bei der der Rückversicherer nicht proportional am Geschäft des Erstversicherers beteiligt ist, sondern erst dann eintritt, wenn ein Schaden oder eine Summe von Schäden eine vertraglich festgelegte Grenze (Selbstbehalt) überschreitet. Sie dient der Begrenzung außergewöhnlich hoher Einzel- oder Kumulschäden und sichert die Stabilität der Schadenbilanz des Erstversicherers.
Abgrenzung und Grundprinzip
Im Gegensatz zur proportionalen Rückversicherung, bei der Prämien und Schäden anteilig geteilt werden, greift die Schadensrückversicherung erst ab einer definierten Auslöseschwelle. Typische Ausprägungen sind:
- Per-Risk-Exzedenten (Deckung für den Teil eines Einzelschadens, der den Selbstbehalt übersteigt)
- Katastrophen-Exzedenten pro Ereignis (z. B. Sturm, Erdbeben, Überschwemmung)
- Stop-Loss- oder Aggregatdeckungen (Begrenzung der Gesamtschadenquote über einen Zeitraum)
Vertragsparteien, Stellung und Rechtsnatur
Parteien und Stellung der Versicherten
Vertragsparteien sind der Erstversicherer (Zedent) und der Rückversicherer. Versicherungsnehmende des Erstversicherers sind keine Vertragsparteien der Rückversicherung und haben grundsätzlich keine unmittelbaren Ansprüche aus dem Rückversicherungsvertrag. Ausnahmen können vertragliche Durchgriffsregelungen (z. B. Cut-Through-Klauseln) bilden.
Rechtsnatur und Charakter
Schadensrückversicherungsverträge sind überwiegend individuell ausgehandelte Unternehmungsverträge zwischen professionellen Marktteilnehmenden. Sie werden häufig als Rahmenverträge (Treaties) mit jährlicher Laufzeit geschlossen und durch Anhänge (Endorsements) ergänzt. Platzierung und Dokumentation erfolgen oft über Slips und Deckungsbestätigungen.
Deckungsumfang und Trigger
Deckungstatbestände
Der Deckungsumfang ergibt sich aus der Definition der versicherten Gefahr, der Auslöseschwellen (Retention/Selbstbehalt) und der Deckungssummen (Limits). Wichtige Deckungselemente sind:
- Auslösungsmechanismus: Losses Occurring During (LOD) oder Risks Attaching During (RAD)
- Ereignisdefinitionen (z. B. Stundenklauseln bei Naturkatastrophen)
- Aggregation von Einzelschäden zu einem Ereignis
- Gängige Ausschlüsse (z. B. Krieg, Kernrisiken, Sanktionen)
Retention, Limits und Layering
Der Erstversicherer trägt den Selbstbehalt. Darüber liegende Schichten (Layer) werden durch einen oder mehrere Rückversicherer gezeichnet. Layer können mit Wiederauffüllungen (Reinstatements) versehen sein, die eine zusätzliche Prämie auslösen.
Klauseln zur Schadenabwicklung
Verbreitet sind Klauseln wie Follow-the-Fortunes oder Follow-the-Settlements, die die Bindungswirkung der Schadenregulierung des Erstversicherers für den Rückversicherer regeln. Claims-Cooperation- und Claims-Control-Klauseln bestimmen Mitwirkungs- oder Entscheidungsrechte des Rückversicherers in der Schadenbearbeitung.
Pflichten, Obliegenheiten und Dokumentation
Vorvertragliche und laufende Informationspflichten
Üblich sind Obliegenheiten zur richtigen und vollständigen Risikodarstellung beim Vertragsschluss sowie zur laufenden Berichterstattung (z. B. Bordereaux, Großschadenmeldungen). Wesentliche Risikoänderungen und kumulträchtige Entwicklungen werden typischerweise angezeigt.
Schadenanzeige und Kooperation
Schäden oberhalb definierter Schwellen werden fristgerecht gemeldet. Bei komplexen oder großflächigen Ereignissen sind die Zuordnung zum Ereignis, die Aggregation und die Anwendung von Stundenklauseln rechtlich maßgeblich.
Vertragsunterlagen
Wesentliche Dokumente sind der Treaty-Text, ggf. Slip, Deckungsbestätigung, Anhänge und Nachträge. Sie bestimmen Deckungsumfang, Gerichtsstand, Streitbeilegung, anwendbares Recht, Sprache und etwaige Compliance-Anforderungen.
Prämien, Abrechnung und finanzielle Regelungen
Prämienmodelle
Bei Exzedenten-Deckungen sind Rate-on-Line-Konzepte verbreitet. Üblich sind Mindest- und Depotprämien mit späterer Anpassung. Reinstatement-Prämien entstehen bei Wiederauffüllungen ausgeschöpfter Limits.
Abrechnung und Reserven
Die Abrechnung erfolgt regelmäßig, etwa jährlich oder quartalsweise. Rückstellungen für Spätschäden und Schadenfortentwicklung (IBNR/IBNER) sind prägend und werden durch Berichte des Erstversicherers untermauert.
Beendigung, Run-off und Commutation
Vertragsende
Rückversicherungsverträge enden üblicherweise kalenderjährlich oder zum vereinbarten Termin. Die Modalitäten zur Fortführung der Deckung für bereits angefallene Risiken beziehungsweise Schäden (Run-off) sind vertraglich geregelt.
Commutation
Parteien können offene Verpflichtungen durch eine Commutation einvernehmlich abfinden. Rechtsfolgen betreffen die endgültige Beendigung von Ansprüchen und die Festlegung einer Ausgleichszahlung.
Regulatorische und aufsichtsrechtliche Aspekte
Erlaubnis und Solvabilität
Rückversicherer unterliegen einer Aufsicht mit Anforderungen an Kapitalausstattung, Risikomanagement und Governance. Erstversicherer können durch zulässige und hinreichend riskotransferierende Rückversicherung Eigenkapitalentlastungen erreichen.
Berichterstattung und Governance
Erst- und Rückversicherer dokumentieren Rückversicherungsprogramme, messen Konzentrationen und Kumulrisiken und steuern Gegenparteirisiken. Interne Richtlinien und Prüfprozesse sind im Markt üblich.
Internationale Bezüge
Rechtswahl, Gerichtsstand und Schiedsklauseln
Rückversicherungsverträge enthalten regelmäßig Rechtswahl- und Gerichtsstandsklauseln oder verweisen auf Schiedsverfahren. Häufig sind institutionelle Schiedsordnungen und ein bestimmter Schiedsort vereinbart. Sprach- und Kollisionsnormen werden ausdrücklich festgelegt.
Sanktionen, Exportkontrolle und Geldwäscheprävention
Verträge enthalten Sanktionen- und Complianceregelungen. Sie regeln den Umgang mit Verbotslagen und Informationspflichten bei Sanktionsereignissen.
Datenschutz und Geheimhaltung
Die Übermittlung von Daten an Rückversicherer erfolgt auf Grundlage vertraglicher Geheimhaltungsabreden. Bei grenzüberschreitender Datenverarbeitung werden datenschutzrechtliche Voraussetzungen und Übermittlungsmechanismen vertraglich aufgegriffen.
Schadenbearbeitung und Streitfragen
Definition des Ereignisses und Aggregation
Die rechtliche Einordnung, ob mehrere Schäden ein einziges Ereignis bilden, beeinflusst Selbstbehalt, Limit und Deckungsauslösung. Stundenklauseln und Kriterien der Nähe in Zeit, Ort und Ursache sind dafür maßgeblich.
Follow-Klauseln und Ex-gratia-Zahlungen
Follow-the-Settlements kann die Bindung an angemessene und in gutem Glauben erfolgte Regulierungen des Erstversicherers vorsehen. Ex-gratia-Zahlungen sind in der Rückversicherung häufig nur bei ausdrücklicher Vereinbarung erstattungsfähig.
Verletzung von Obliegenheiten
Rechtsfolgen von Pflichtverletzungen (etwa verspätete Meldungen oder unzutreffende Risikoangaben) ergeben sich aus dem Vertrag. Üblich sind abgestufte Rechtsfolgen bis hin zur Leistungsfreiheit, abhängig von Schwere und Kausalität der Pflichtverletzung.
Retrozesion und Mehrparteienverhältnisse
Weitergabe von Risiken
Rückversicherer können Risiken im Wege der Retrozesion erneut rückversichern. Dadurch entstehen Ketten von Verträgen. Grundsätzlich besteht keine unmittelbare Bindung zwischen den verschiedenen Ebenen, sofern keine Durchgriffsklauseln vereinbart sind.
Abgrenzungen
Schadensrückversicherung vs. proportionale Rückversicherung
Bei proportionalen Formen werden Prämien und Schäden anteilig geteilt; der Rückversicherer teilt das laufende Ergebnis. Bei der Schadensrückversicherung greift Deckung erst oberhalb definierter Schwellen; die Prämie spiegelt das Risiko seltener, aber hoher Schäden.
Häufig gestellte Fragen (rechtlicher Kontext)
Was unterscheidet die Schadensrückversicherung rechtlich von der proportionalen Rückversicherung?
Die Schadensrückversicherung ist nicht proportional. Sie knüpft an vertraglich definierte Auslöseschwellen und Limits an und greift erst bei Überschreiten des Selbstbehalts, während in proportionalen Verträgen Prämien und Schäden anteilig geteilt werden. Dadurch sind Klauseln zu Trigger, Aggregation und Ereignisdefinition rechtlich zentraler als bei proportionalen Modellen.
Welche Stellung hat der Versicherungsnehmer des Erstversicherers im Rückversicherungsverhältnis?
Der Versicherungsnehmer des Erstversicherers ist nicht Partei des Rückversicherungsvertrags und hat grundsätzlich keine unmittelbaren Ansprüche. Ansprüche bestehen ausschließlich zwischen Zedent und Rückversicherer, es sei denn, es wurde eine ausdrückliche Durchgriffsklausel vereinbart.
Wie wird ein „Ereignis“ in der Schadensrückversicherung rechtlich bestimmt?
Das Ereignis ergibt sich aus der Vertragsdefinition, oft unterlegt mit Stundenklauseln bei Naturgefahren. Maßgeblich sind Kriterien der zeitlichen, örtlichen und ursächlichen Nähe, weil diese die Aggregation von Einzelschäden, die Auslösung der Deckung und die Anwendung von Selbstbehalt und Limit beeinflussen.
Welche Bedeutung haben Follow-the-Settlements- oder Follow-the-Fortunes-Klauseln?
Diese Klauseln regeln die Bindungswirkung der Schadenregulierung des Erstversicherers. Sie können vorsehen, dass der Rückversicherer angemessene, sachgerecht begründete und in gutem Glauben erfolgte Regulierungsentscheidungen grundsätzlich akzeptiert, vorbehaltlich vertraglicher Grenzen und Ausschlüsse.
Welche Pflichten bestehen zur Schadenanzeige und welche Rechtsfolgen hat eine Verspätung?
Verträge enthalten Schwellen und Fristen für Großschadenmeldungen. Eine verspätete Anzeige kann je nach Vereinbarung zu Einschränkungen der Leistungspflicht führen, insbesondere wenn dem Rückversicherer dadurch Nachteile bei Prüfung oder Abwehr entstanden sind.
Wie werden Streitigkeiten aus Schadensrückversicherungsverträgen typischerweise gelöst?
Üblich sind Schiedsklauseln mit festgelegtem Schiedsort und einer anerkannten Schiedsordnung. Alternativ können Gerichtsstandsvereinbarungen getroffen werden. Die Entscheidung über den Streitweg ist Bestandteil des Vertragstextes.
Welche Rolle spielen Datenschutz und Geheimhaltung im Rückversicherungsverhältnis?
Rückversicherungsverträge enthalten Geheimhaltungsabreden und Regeln zur Datenübermittlung, insbesondere bei grenzüberschreitender Verarbeitung. Sie adressieren die rechtlichen Voraussetzungen für die Weitergabe, die Zweckbindung und die Sicherheit der Daten.