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Schadensrückversicherung


Begriff und Bedeutung der Schadensrückversicherung

Die Schadensrückversicherung ist eine zentrale Form der Rückversicherung im Bereich des Versicherungsrechts. Sie dient der Absicherung von Erstversicherungsunternehmen gegen spezifische versicherte Risiken, indem sie diesen einen finanziellen Ausgleich für tatsächlich eingetretene und gemeldete Schäden gewährt. Die Schadensrückversicherung unterscheidet sich deutlich von der Summenrückversicherung, die unabhängig von konkreten Schäden lediglich eine vertraglich fixierte Summe deckt. Die rechtliche Ausgestaltung der Schadensrückversicherung, ihr Funktionsumfang und regulatorische Rahmenbedingungen unterliegen einer Vielzahl von spezialgesetzlichen Normen, insbesondere des Versicherungsvertragsrechts und des Aufsichtsrechts in Deutschland und der Europäischen Union.


Vertragsgrundlagen und rechtliche Einordnung

Rechtsnatur des Rückversicherungsvertrages

Der Rückversicherungsvertrag ist ein eigenständiger Versicherungsvertrag zwischen einem Erstversicherer (Zedent) und einem Rückversicherer (Zessionar). Rechtliche Grundlage bildet das Versicherungsvertragsgesetz (VVG) in Verbindung mit den rückversicherungsvertraglichen Besonderheiten. Der Rückversicherungsvertrag ist ein abstraktes Schuldverhältnis, das unabhängig vom zugrundeliegenden Erstversicherungsvertrag geschlossen wird. Die Rückversicherungsbranche ist dem europäischen Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) unterworfen, das durch die Solvency-II-Richtlinie europaweit harmonisiert ist.

Wesentliche Vertragsbestandteile

Ein Schadensrückversicherungsvertrag enthält typischerweise:

  • Definition des versicherten Risikos
  • Vereinbarung zu Selbstbehalt und Deckungsobergrenzen
  • Regelungen zu Prämiensatz, Schadenabwicklung und Meldepflichten
  • Abwicklungsmodalitäten im Schadenfall

Die Vertragsfreiheit erlaubt es, konditionale Anpassungen für Einzelschadendeckung, Aggregatdeckungen oder sogenannte Excess-of-Loss-Modelle zu vereinbaren.


Funktionsweise der Schadensrückversicherung

Leistungsprinzip

Die Schadensrückversicherung greift nur bei tatsächlich eingetretenen, durch den Erstversicherer regulierten Schadenfällen. Der Rückversicherer übernimmt eine anteilige oder vollständige Erstattung der Schadenssumme gemäß den vertraglichen Vereinbarungen im Rahmen eines Schadenquoten- oder Schadeneinzelfallvertrages (z. B. proportional oder non-proportional/excess-of-loss). Die Eintrittspflicht des Rückversicherers setzt voraus, dass

  • die übernommenen Risiken versichert sind,
  • der Schadenersatzanspruch des Versicherungsnehmers berechtigt und reguliert wurde,
  • der Versicherungsfall im angegebenen Deckungszeitraum eingetreten ist.

Abgrenzung zur Summenrückversicherung

Die Schadensrückversicherung ist auf den konkreten Schadeneintritt bezogen und unterscheidet sich damit grundlegend von der Summenrückversicherung, die einen pauschalen, unabhängigen Ausgleich gemäß vertraglicher Versicherungssumme bietet, ohne einen Nachweis eines tatsächlich eingetretenen Schadens zu verlangen.


Arten der Schadensrückversicherung

Proportionale Schadensrückversicherung

Bei der proportionalen Schadensrückversicherung, insbesondere der Quotenteilungsrückversicherung (Quota Share) und der Summenexzedentenrückversicherung (Surplus Treaty), teilt der Rückversicherer die Prämie und das Risiko im festgelegten Verhältnis mit dem Erstversicherer. Im Schadenfall partizipiert der Rückversicherer anteilig an den Zahlungen.

Nichtproportionale Schadensrückversicherung

Die nichtproportionale Schadensrückversicherung, vor allem die Schadensexzedentenrückversicherung (Excess of Loss, XL), tritt nur ein, wenn die Schäden aus einem Einzelereignis oder kumuliert über eine festgelegte Grenze (Priorität) hinausgehen. Der Rückversicherer trägt dann die Schäden oberhalb der vereinbarten Selbstbeteiligung bis zur Deckungsgrenze.


Rechtliche Rahmenbedingungen und aufsichtsrechtliche Vorschriften

Regulierung und Aufsicht

Schadensrückversicherungen sind nach dem Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) und europäischen Vorschriften, insbesondere Solvency II, strengen regulatorischen Vorgaben unterworfen. Aufsicht und Zulassung obliegen in Deutschland der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Rückversicherungsunternehmen müssen bestimmte Solvabilitätskapitalanforderungen erfüllen, um die dauerhafte Erfüllbarkeit ihrer Verpflichtungen zu gewährleisten.

Besonderheiten des Rückversicherungsverhältnisses

  • Direktanspruch des Erstversicherungsnehmers: Ein Versicherungsnehmer (der Kunde des Erstversicherers) kann gegen den Rückversicherer grundsätzlich keine eigenen Ansprüche geltend machen, da das Rückversicherungsverhältnis ein internes Vertragsverhältnis zwischen Erst- und Rückversicherer darstellt (sog. Trennungsprinzip).
  • Ansprüche bei Insolvenz: Im Regelfall fällt die Forderung aus der Rückversicherung im Insolvenzfall des Erstversicherers in die Insolvenzmasse und dient der Befriedigung sämtlicher Gläubiger.
  • Verjährung: Die Verjährungsregelungen richten sich nach dem allgemeinen Versicherungsvertragsrecht, können aber durch vertragliche Vereinbarung individualisiert werden.
  • Regress und Abtretung: Regressansprüche oder Forderungsabtretungen zwischen Erst- und Rückversicherer sind zulässig, soweit sie vertraglich vorgesehen sind.

Bedeutung für das Versicherungsrecht und die Versicherungswirtschaft

Die Schadensrückversicherung dient dem Risikotransfer und der Kapazitätsentlastung des Erstversicherers. Durch Bündelung und Streuung versicherter Risiken sorgt sie für Stabilisierung der Versicherungsbestände und ermöglicht größere Deckungskapazitäten auch bei Großschäden, Elementarschäden oder Katastrophenrisiken. Darüber hinaus erfüllt sie zentrale Funktionen zur Eigenmitteloptimierung und Bilanzstabilisierung im Sinne des europäischen Aufsichtsrechts.


Literatur und weiterführende Quellen

  • MüKoVVG/Koch, Versicherungsvertragsgesetz, aktuelle Auflage, § 49 VVG, Rn. 1 ff.
  • Prölss/Martin, VVG-Kommentar, aktuelle Auflage, Einleitung Rückversicherung
  • Deutsches Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG)
  • BaFin – Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, Informationsportal Rückversicherung
  • Solvency II, Richtlinie 2009/138/EG

Die Schadensrückversicherung bildet einen der wichtigsten Pfeiler der modernen Assekuranz und ist aus rechtlicher Sicht durch eine hohe Komplexität und einen ausgeprägten Ausgestaltungsfreiheiten gekennzeichnet. Die Beachtung der jeweiligen vertraglichen sowie aufsichtsrechtlichen Regelungen ist für die praktische Handhabung unerlässlich.

Häufig gestellte Fragen

Wie wird das Treuhandverhältnis zwischen Erst- und Rückversicherer im Schadensfall rechtlich ausgestaltet?

Das Verhältnis zwischen Erst- und Rückversicherer wird im Schadensfall durch den Rückversicherungsvertrag rechtlich ausgestaltet, der dabei regelmäßig als Geschäftsbesorgungsvertrag (§ 675 BGB) mit treuhänderischen Elementen gilt. Der Erstversicherer fungiert als „Zedierende Gesellschaft“ und handelt bei der Regulierung und Abwicklung von Schäden im eigenen Namen, aber für Rechnung des Rückversicherers, soweit die Rückversicherung greift. Insbesondere bestehen seitens des Erstversicherers Informations- und Korrespondenzpflichten gegenüber dem Rückversicherer, sobald ein potenziell rückversicherungsrelevanter Schaden eintritt. Die Treuhandstellung verpflichtet den Erstversicherer zu einer sorgfältigen und gewissenhaften Schadenbearbeitung, wobei er nach den Verfahrensweisen und Weisungen handeln muss, die üblicherweise im Rückversicherungsvertrag festgehalten sind. Eine rechtliche Besonderheit stellt die sogenannte „claims cooperation clause“ dar, mit der die Mitwirkung und Zustimmung des Rückversicherers bei der Schadensbearbeitung verpflichtend geregelt werden kann.

Welche rechtlichen Folgen hat eine Obliegenheitsverletzung des Erstversicherers gegenüber dem Rückversicherer bei der Schadensbearbeitung?

Verletzt der Erstversicherer im Zusammenhang mit der Schadensbearbeitung oder -anzeige seine vertraglichen Obliegenheiten gegenüber dem Rückversicherer, etwa durch verspätete Schadenmeldung oder eigenmächtige Schadensregulierung entgegen vertraglicher Vorgaben, können Rechtsfolgen wie Leistungsverweigerungsrechte, Leistungsminderungen oder Schadenersatzforderungen eintreten. Maßgeblich ist jedoch, dass eine Obliegenheitsverletzung grundsätzlich nur dann sanktioniert werden kann, wenn dadurch dem Rückversicherer ein Nachteil oder Schaden entstanden ist, etwa aufgrund verlorener Einflussmöglichkeiten auf die Regulierung oder mangelhafter Beweissicherung. Die Reichweite der Sanktionen richtet sich nach vertraglicher Vereinbarung und dem Grad des Verschuldens (z. B. grobe Fahrlässigkeit, Vorsatz).

Welche rechtlichen Einflussmöglichkeiten hat der Rückversicherer auf die Schadenregulierung durch den Erstversicherer?

Der Rückversicherer hat je nach Ausgestaltung des Rückversicherungsvertrages unterschiedlich weitgehende Einflussmöglichkeiten auf die Schadenregulierung. Ist im Vertrag eine „claims cooperation clause“ oder „claims control clause“ vereinbart, hat der Rückversicherer das Recht, über die Schadenbearbeitung oder sogar die Regulierung selbst (mit-)zuentscheiden. Ohne vertragliche Sonderregelungen vertraut das gesetzliche Leitbild auf die Fachkenntnis des Erstversicherers, der eigenverantwortlich, aber im Interesse des Rückversicherers handelt. Einflussmöglichkeiten bestehen darüber hinaus im Rahmen vertraglicher Auskunfts- und Einsichtsrechte, die dem Rückversicherer erlauben, jederzeit Akteneinsicht zu verlangen oder eigene Prüfungen anzustellen. In Streitfällen entscheidet vertraglich meistens ein Schiedsgericht oder staatliches Gericht über Umfang und Zulässigkeit des Rückversicherungsanspruchs.

Welche Verjährungsfristen finden im Rückversicherungsverhältnis bei Schadensrückversicherung Anwendung?

Im Rückversicherungsverhältnis finden grundsätzlich die zivilrechtlichen Verjährungsvorschriften Anwendung, sofern im Rückversicherungsvertrag keine abweichende Regelung getroffen wird. Nach deutschem Recht beträgt die regelmäßige Verjährungsfrist nach § 195 BGB drei Jahre, wobei die Frist mit dem Schluss des Jahres beginnt, in dem der Rückversicherer von Anspruch und Schaden Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen. Spezifische Fristen können in den Rückversicherungsbedingungen (Allgemeine Rückversicherungsbedingungen, ARB) geregelt und individuell abweichend vereinbart werden. Die Kenntnisnahme ist dabei an die Information durch den Erstversicherer gebunden; eine verzögerte oder unterlassene Anzeige kann zu einer Verschiebung des Fristbeginns führen.

Wie erfolgt die rechtliche Abwicklung des Schadensausgleichs zwischen Erstversicherer und Rückversicherer?

Die rechtliche Abwicklung des Schadensausgleichs erfolgt grundsätzlich auf Basis der nachgewiesenen und vom Rückversicherer anzuerkennenden Schadenzahlung durch den Erstversicherer. Der Erstversicherer hat eine Rechenschaftspflicht über die Höhe, Ursache und Abwicklung des Schadens. Die Zahlungspflicht des Rückversicherers ist regelmäßig an den tatsächlichen Zahlungsabfluss seitens des Erstversicherers gebunden (Abflussprinzip). Die Auszahlung ist dabei häufig erst nach Vorlage einer bestimmungsgemäßen Abrechnung mit begleitenden Schadennachweisen und ggf. zusätzlichen Dokumenten zu leisten. Der Anspruch des Erstversicherers auf Ersatzleistung gegen den Rückversicherer ist ein selbstständiger vertraglicher Anspruch und unabhängig vom Direktversicherungsvertrag des Erstversicherers mit dem Drittgeschädigten. Werden Rückversicherungsleistungen gewährt, ist darauf zu achten, ob es sich um eine Netto- oder Bruttoabwicklung handelt und ob der Erstversicherer ggf. Selbstbehalte oder Vorleistungen zu tragen hat.

Inwiefern unterscheidet sich das Rückversicherungsverhältnis im Schadensfall rechtlich vom direkten Versicherungsverhältnis gegenüber dem Versicherungsnehmer?

Das Rückversicherungsverhältnis ist ein eigenständiger Vertrag sui generis und unterscheidet sich damit grundlegend vom Direktversicherungsvertrag. Während der Erstversicherer dem Versicherungsnehmer zur unmittelbaren Schadenregulierung verpflichtet ist und diesem direkt aus dem Versicherungsvertrag haftet, besteht zwischen Rückversicherer und Erstversicherungsnehmer kein Vertragsverhältnis und somit keine direkte Haftung aus dem Schadensereignis. Der Rückversicherer haftet ausschließlich gegenüber dem Erstversicherer aus dem Rückversicherungsvertrag und nur im Umfang der dort vereinbarten Bedingungen und Deckungssummen. Ansprüche des Versicherungsnehmers gegen den Rückversicherer sind in aller Regel ausgeschlossen („no direct right of action“). Der Rückversicherungsvertrag ist rechtlich und wirtschaftlich als eigenständiges Geschäft zu betrachten, das den Erstversicherer bei Schadenregulierung finanziell entlasten soll, ohne selbst Vertragspartner des Endkunden zu sein.

Welche rechtlichen Probleme können sich bei Mehrfachrückversicherungen oder Kettenrückversicherungen im Schadensfall ergeben?

Bei Mehrfachrückversicherungen oder Kettenrückversicherungen („Retrozedierung“) ergeben sich im Schadensfall häufig komplexe Abstimmungs-, Durchsetzungs- und Korrespondenzprobleme. Aus rechtlicher Sicht ist zu beachten, dass jede Vertragsstufe einen eigenen Rechtskreis bildet und Ansprüche ausschließlich vertragsbezogen geltend gemacht werden können. Daraus ergeben sich mögliche Risiken von Deckungslücken, Zeitverzögerungen bei der Schadensregulierung und Doppelmeldungen oder konkurrierenden Ansprüchen. Ebenso können Insolvenzen innerhalb der Kette dazu führen, dass einzelne Rückversicherungsleistungen nicht oder nur teilweise fließen, was im Grundsatz als unternehmerisches Risiko beim jeweiligen Zedenten verbleibt. Juristisch problematisch ist oft die Weitergabe von Schadeninformationen und der koordinierte Vollzug von Obliegenheiten entlang der Rückversicherungskette. Es empfiehlt sich deshalb, eindeutige vertragliche Abstimmungen über die Informationsweiterleitung, Schadenregulierung und Schadensabrechnung im jeweiligen Vertragstext zu treffen.