Begriff und Rechtsgrundlagen des Schachtelprivilegs
Das Schachtelprivileg ist ein zentraler steuerrechtlicher Begriff im deutschen und europäischen Körperschaftsteuerrecht, der insbesondere bei der Besteuerung von Dividendenzahlungen zwischen Kapitalgesellschaften Anwendung findet. Es handelt sich dabei um eine steuerliche Begünstigung, die verhindern soll, dass gleiche Gewinnanteile auf mehreren Ebenen wirtschaftlich belastet werden (Mehrfachbesteuerung). Die Regelungen zum Schachtelprivileg finden sich vor allem in § 8b Körperschaftsteuergesetz (KStG) sowie in einer abgestimmten Ausgestaltung in verschiedenen internationalen Doppelbesteuerungsabkommen (DBA).
Historische Entwicklung und Hintergrund
Entstehung des Schachtelprivilegs
Die Notwendigkeit des Schachtelprivilegs ergibt sich aus der Struktur von Unternehmensbeteiligungen, bei denen Muttergesellschaften Anteile an Tochtergesellschaften halten. Ohne eine entsprechende Regelung würden ausgeschüttete Gewinne der Tochtergesellschaft zunächst auf deren Ebene und sodann nochmals bei der Muttergesellschaft im Rahmen der Dividendenbesteuerung dem Steuertatbestand unterliegen. Das Schachtelprivileg wurde eingeführt, um diese wirtschaftliche Doppel- oder Mehrfachbesteuerung derselben Erträge zu verhindern und eine steuerliche Entlastung zu schaffen.
Entwicklung im internationalen Umfeld
Vergleichbare Regelungen finden sich auch in anderen Ländern der Europäischen Union (vgl. Mutter-Tochter-Richtlinie 2011/96/EU) und werden international durch die OECD-Bestimmungen zu internationalen Beteiligungserträgen geprägt.
Anwendungsbereich und Voraussetzungen
Grundsatz: Beteiligungserträge zwischen Kapitalgesellschaften
Das Schachtelprivileg kommt regelmäßig zur Anwendung, wenn eine inländische Muttergesellschaft – typischerweise eine AG oder GmbH – Beteiligungserträge in Form von Dividenden aus einer anderen Kapitalgesellschaft erhält.
Mindestbeteiligungsschwelle
Ein wesentliches Kriterium für den Anwendungsbereich ist die Mindestbeteiligung der Muttergesellschaft an der Tochtergesellschaft. Nach § 8b Abs. 4 KStG muss die Beteiligung mindestens 10 % des Grund- oder Stammkapitals der Tochtergesellschaft zu Beginn des Kalenderjahres betragen haben. Bei internationalen Fallgestaltungen können abweichende Schwellen, insbesondere nach DBA oder der Mutter-Tochter-Richtlinie, gelten.
Begünstigte Gesellschaftsformen
Begünstigt sind insbesondere Kapitalgesellschaften (z.B. GmbH, AG), aber auch bestimmte Erwerbs- oder Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit sowie andere Körperschaften gemäß § 1 Abs. 1 KStG.
Umfang und Ausmaß der Steuerbefreiung
Grundregel der Steuerbefreiung
Gemäß § 8b Abs. 1 KStG sind Gewinne aus Beteiligungen an anderen Körperschaften grundsätzlich bei der Einkommensermittlung der beteiligten Gesellschaft von der Körperschaftsteuer befreit.
Ausnahmen und Abzugsverbote
Allerdings unterliegen 5 % der bezogenen Dividenden (§ 8b Abs. 5 KStG) als nicht abziehbare Betriebsausgaben der Steuer, was faktisch zu einer „Teilfreistellung“ von 95 % des Gewinns führt.
Rechtsfolgen bei fehlerhafter Anwendung
Werden die formellen Anforderungen an die Beteiligungsschwelle oder die richtige Beteiligungsdauer nicht eingehalten, entfällt das Schachtelprivileg und die Dividendenzahlungen sind vollumfänglich dem steuerlichen Ertrag der empfangenden Gesellschaft zuzurechnen.
Schachtelprivileg im internationalen Steuerrecht
Mutter-Tochter-Richtlinie der EU
Die EU-Mutter-Tochter-Richtlinie 2011/96/EU hat zur Harmonisierung der steuerlichen Behandlung von Konzernverflechtungen innerhalb der EU beigetragen. Sie verpflichtet die Mitgliedstaaten, Dividendenzahlungen zwischen verbundenen Gesellschaften unter bestimmten Voraussetzungen von Quellensteuern freizustellen und auf Ebene der empfangenden Gesellschaft von der Steuer zu befreien.
Anwendung im DBA-Kontext
In zahlreichen internationalen Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) ist das Schachtelprivileg in Gestalt eines ermäßigten Quellensteuersatzes bei Dividendenzahlungen vorgesehen. Die Anforderungen an die Mindestbeteiligung variieren länderspezifisch meist zwischen 10 % und 25 %.
Besonderheiten bei Drittstaaten
Für Dividendenzahlungen aus Drittstaaten erfolgt die Umsetzung des Schachtelprivilegs unter Berücksichtigung der jeweiligen DBA-Regelungen und der Voraussetzungen zur Hinzurechnungsbesteuerung (§§ 7 ff. AStG). Hierbei wird zum Teil auf anti-missbräuchliche Regelungen abgestellt, um missbräuchliche Steuergestaltungen zu verhindern.
Abgrenzung zu anderen steuerlichen Vorschriften
Unterschiede zur Organschaft
Das Schachtelprivileg ist von der sogenannten Organschaft abzugrenzen. Während die Organschaft eine umfassende Verrechnung der Gewinne und Verluste zwischen verbundenen Gesellschaften ermöglicht, bezieht sich das Schachtelprivileg ausschließlich auf die Befreiung von Dividendenzahlungen unter Kontrolle bestimmter Beteiligungshöhen.
Abzug vs. Freistellung
Im Rahmen des Schachtelprivilegs wird mit der Teilfreistellung von 95 % ein sogenannter Freistellungsansatz verfolgt. Hierdurch wird die Besteuerungsgrundlage systematisch gemindert, während der Betriebsausgabenabzug eingeschränkt bleibt.
Missbrauchsbekämpfung und Gestaltungsmissbrauch
Anti-Abkommensmissbrauchsregelungen
Zur Verhinderung von missbräuchlichen Gestaltungen und sogenannter „Dividend Stripping“-Modelle, bei denen insbesondere kurzfristig vor Dividendenausschüttungen Beteiligungen erworben werden, existieren spezielle Missbrauchsvermeidungsregelungen (§ 42 AO, § 50d Abs. 3 EStG).
Rückwirkende Versagung des Schachtelprivilegs
Bei nachträglicher Feststellung missbräuchlicher Strukturen kann das Schachtelprivileg rückwirkend versagt und eine entsprechende Korrektur vorgenommen werden, was im Einzelfall zu erheblichen Steuernachzahlungen führen kann.
Bedeutung und Zielsetzung des Schachtelprivilegs
Das Schachtelprivileg verfolgt das grundlegende Ziel, eine mehrfache steuerliche Belastung thesaurierter Gesellschaftsgewinne auf Gesellschaftsebene zu verhindern und damit eine steuerneutrale Behandlung konzerninterner Dividenden zu ermöglichen. Dies soll nicht nur die internationale Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmensgruppen stärken, sondern stellt auch im Rahmen europäischer Richtlinien einen essenziellen Bestandteil einer effizienten Kapitalverkehrsfreiheit dar.
Literaturverzeichnis
- Körperschaftsteuergesetz (KStG), insbesondere § 8b KStG
- Mutter-Tochter-Richtlinie 2011/96/EU
- OECD-Musterabkommen
- AStG – Außensteuergesetz
- Bundesministerium der Finanzen: BMF-Schreiben zum internationalen Steuerrecht
Hinweis: Der vorstehende Artikel gibt einen umfassenden Überblick über das Schachtelprivileg im Kontext des deutschen und internationalen Steuerrechts und berücksichtigt insbesondere die im wirtschaftlichen und gesellschaftsrechtlichen Kontext steuerlich relevanten Aspekte.
Häufig gestellte Fragen
Welche rechtlichen Voraussetzungen müssen für die Inanspruchnahme des Schachtelprivilegs erfüllt sein?
Das Schachtelprivileg nach deutschem Steuerrecht (§ 8b KStG) ist an mehrere rechtliche Voraussetzungen geknüpft. Zunächst muss die Beteiligungshöhe an der Tochtergesellschaft mindestens 10 % des Grund- oder Stammkapitals zum Beginn des Kalenderjahres betragen haben. Maßgeblich ist dabei die Beteiligung am Anfang des Steuerjahres; wird diese Schwelle erst im Laufe des Jahres überschritten, greift das Privileg erst ab dem nächsten Jahr. Zudem muss die beteiligte Muttergesellschaft eine unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtige Kapitalgesellschaft im Sinne des KStG sein. Die Tochtergesellschaft kann sowohl im In- als auch im Ausland ansässig sein, wobei bei ausländischen Kapitalgesellschaften zusätzliche Nachweispflichten über deren Qualifikation als Kapitalgesellschaft und festgestellte Beteiligung bestehen. Die Ausschüttung muss auf einer Gewinnverteilung an die Anteilsinhaber beruhen, sonstige Auskehrungen sind nicht privilegiert. Für die Erlangung des Privilegs ist zudem erforderlich, dass die Erträge aus der Beteiligung als Betriebseinnahmen erfasst werden.
Welche steuerlichen Folgen ergeben sich durch das Schachtelprivileg?
Das Schachtelprivileg bewirkt aus rechtlicher Sicht, dass bestimmte Gewinnanteile aus Beteiligungen an Kapitalgesellschaften bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens der Muttergesellschaft grundsätzlich außer Ansatz bleiben. Das bedeutet, dass Dividendenerträge zu 95 % steuerfrei gestellt werden, nur 5 % dieser Einnahmen unterliegen als nicht abzugsfähige Betriebsausgaben der Körperschaftsteuer. Beim Verkauf von Anteilen (Beteiligungsveräußerung) gilt das Privileg entsprechend, sodass auch Veräußerungsgewinne größtenteils steuerbefreit sind. Unberührt davon bleibt allerdings die gewerbesteuerliche Behandlung: Während bei inländischen Tochtergesellschaften das Privileg Spuren hinterlässt, sind Gewinne aus Anteilen an nicht inländischen Gesellschaften gewerbesteuerpflichtig. Ebenso ist das Privileg nicht anwendbar auf Anteile, die sich im Privatvermögen befinden oder auf natürliche Personen.
Wie verhält sich das Schachtelprivileg im internationalen Kontext?
Im Rahmen des internationalen Steuerrechts ist das Schachtelprivileg besonders relevant bei Auslandsbeteiligungen. Liegt eine Tochtergesellschaft im Ausland, kann das Schachtelprivileg dennoch angewendet werden, vorausgesetzt, sie ist mit einer inländischen Kapitalgesellschaft vergleichbar. Deutschland hat zahlreiche Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) abgeschlossen, die ggf. die Quellensteuer im Ausland auf Dividenden beschränken. Jedoch ist zu beachten, dass Erträge aus sogenannten „passiven Gesellschaften“ (Niedrigsteuerländer, nicht ausreichende Substanz oder Tätigkeitsnachweis) ggf. nach den Regelungen der Hinzurechnungsbesteuerung (§ 8 AStG) im Inland zu versteuern sind. Überdies verlangt das Gesetz insbesondere Nachweise über die Beteiligungshöhe, etwa durch Vorlage einer Beteiligungsbescheinigung zum maßgeblichen Stichtag.
Unterliegen auch verdeckte Gewinnausschüttungen dem Schachtelprivileg?
Das Schachtelprivileg findet nach herrschender Rechtslage grundsätzlich auch auf verdeckte Gewinnausschüttungen Anwendung, soweit diese nach den steuerlichen Vorschriften als Einkünfte aus Kapitalvermögen berücksichtigt werden. Verdeckte Gewinnausschüttungen liegen etwa dann vor, wenn dem Anteilseigner Vorteile außerhalb der regulären gesetzlichen Gewinnverteilung zugewendet werden, etwa durch überhöhte Vergütungen oder unübliche Entnahmen. Allerdings prüft das Finanzamt im Rahmen der Betriebsprüfung regelmäßig die Angemessenheit und steuerliche Anerkennung solcher Ausschüttungen. Missbrauchsfälle werden häufig ausgeschlossen, sodass das Schachtelprivileg hier nicht greift, wenn die Voraussetzungen einer verdeckten Ausschüttung im steuerlichen Sinne nicht vorliegen.
Gibt es Ausnahmen vom Schachtelprivileg, bei denen die Steuerfreiheit versagt wird?
Das Schachtelprivileg ist in bestimmten Fällen ausgeschlossen. Insbesondere bei sog. Streubesitzdividenden, also Beteiligungen unterhalb der 10 %-Grenze, kommt das Privileg nicht zur Anwendung. Weiterhin sind bestimmte Ausschüttungen von Banken oder Versicherungen, die im Rahmen von Handelsbeständen gehalten werden, nicht privilegiert. Ein weiterer Ausschlusstatbestand betrifft Anteile, die im Rahmen bestimmter Umwandlungsvorgänge angeschafft wurden, falls spezielle Sperrfristen nicht eingehalten wurden. Zudem ist das Privileg ausgeschlossen, wenn es sich um eine Zwischengesellschaft handelt und die Substanzvoraussetzungen („Substance over Form“) oder Anti-Missbrauchsregelungen nicht eingehalten werden. Schließlich greift die Hinzurechnungsbesteuerung bei Auslandstöchtern aus Niedrigsteuerländern.
Welche Nachweispflichten ergeben sich für die Inanspruchnahme des Schachtelprivilegs?
Für die Inanspruchnahme des Schachtelprivilegs ist die Muttergesellschaft verpflichtet, die Beteiligungshöhe nachzuweisen. Dies erfolgt in der Regel durch eine Beteiligungsbescheinigung der ausschüttenden Gesellschaft, die die Höhe des Anteils zum Stichtag belegt. Bei ausländischen Gesellschaften ist darüber hinaus die steuerliche Vergleichbarkeit mit einer inländischen Kapitalgesellschaft durch geeignete Unterlagen darzulegen. Die Nachweispflicht erstreckt sich auf alle für die Anwendung des § 8b KStG relevanten Tatbestände, etwa auch die Art der Beteiligungserträge und ihre steuerliche Qualifikation im Auslandsstaat. Kommt die Gesellschaft diesen Nachweispflichten nicht nach, kann das Schachtelprivileg vom Finanzamt versagt werden.
Wie wirkt sich das Schachtelprivileg auf Verlustabzug und das steuerliche Einlagekonto aus?
Das Schachtelprivileg beeinflusst sowohl den Verlustabzug nach § 8c KStG als auch das steuerliche Einlagekonto gemäß § 27 KStG. Verluste, die aus der steuerfreien Veräußerung oder der steuerfreien Ausschüttung einer Beteiligung entstehen, sind steuerrechtlich nicht abzugsfähig. Die von der Tochter ausgeschütteten, steuerfreien Dividenden erhöhen grundsätzlich nicht das steuerliche Einlagekonto, da sie beim Empfänger nicht besteuert werden. Dadurch kann es zu einer steuerlichen Trennung zwischen Besteuerung auf Ebene der Tochter- und Muttergesellschaft kommen, was insbesondere beim Eigenkapitalabgleich und der Verlustverrechnung zu beachten ist.