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Rettungsschuss


Rechtliche Einordnung des Rettungsschusses

Der Rettungsschuss ist ein Begriff aus dem deutschen Polizei- und Notwehrrecht und bezeichnet den gezielten Schusswaffengebrauch durch Amtsträger mit der Absicht, einen gegenwärtig lebensbedrohlichen Angriff zu beenden, der anders nicht abgewehrt werden kann, auch wenn dadurch der Angreifer schwer verletzt oder getötet wird. Der Rettungsschuss ist eine äußerste und nur unter eng gefassten Voraussetzungen zulässige Maßnahme staatlichen Handelns mit unmittelbarer Lebensgefahr für den Angreifer.


Gesetzliche Grundlagen des Rettungsschusses

Polizeirechtliche Regelungen

Grundlage für den Rettungsschuss bilden die Polizeigesetze der Länder, das Bundespolizeigesetz (BPolG) sowie das Gesetz über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes (UZwG).

Nach allgemeinen Bestimmungen ist der Schusswaffeneinsatz grundsätzlich nur als letztes Mittel zulässig (Ultima-Ratio-Prinzip). §§ 60 ff. BPolG und vergleichbare landesrechtliche Vorschriften regeln den Vollzugswaffengebrauch, wobei der Gebrauch gegen Personen auf gefährliche Ausnahmesituationen wie Abwehr eines gegenwärtigen Angriffs beschränkt ist.

Ein gezielter Schuss auf einen Menschen mit der Absicht, eine Gefahr abzuwehren, ist als letztes Mittel nur dann erlaubt, wenn andere, weniger gefährliche Maßnahmen (z.B. körperliche Gewalt, Festnahmegriffe, Einsatz von Pfefferspray oder Taser) entweder erfolglos geblieben sind oder von vornherein ersichtlich ungeeignet wären.

Strafrechtliche Aspekte

Der Rettungsschuss ist regelmäßig unter dem rechtfertigenden Notwehr- (§ 32 StGB) oder im Rahmen des Notstands (§ 34 StGB) zu beurteilen. Hierbei liegt eine Rechtfertigung vor, wenn der Schuss zur Abwehr einer gegenwärtigen, rechtswidrigen Gefahr für Leben oder schwere körperliche Unversehrtheit erforderlich ist und keine anderen Mittel zur Verfügung stehen.

Ein gezielter Schusswaffengebrauch kann grds. eine Körperverletzung mit Todesfolge, im Extremfall sogar Mord oder Totschlag (§§ 212, 211 StGB) oder gefährliche Körperverletzung (§ 224 StGB) darstellen, wird jedoch unter rechtmäßiger Ausübung von Notwehr oder Nothilfe als gerechtfertigt angesehen, wenn alle Voraussetzungen streng eingehalten sind.

Abgrenzung zu anderen Schusswaffengebräuchen

Der Rettungsschuss unterscheidet sich von Warnschüssen oder sogenannten „wirkungsgleichen Maßnahmen“ dadurch, dass er nicht der Einschüchterung dient, sondern gezielt auf die Unschädlichmachung zur Lebensrettung von Dritten abzielt. Ein gezielter Kopfschuß oder Schuß auf den Oberkörper ist dabei nach herrschender Meinung lediglich dann zulässig, wenn eine weniger gefährliche Beendigung der aktuellen Gefahr mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist.


Voraussetzungen und Grenzen des Rettungsschusses

Ultima-Ratio-Prinzip

Die wichtigste Voraussetzung für den rechtmäßigen Rettungsschuss ist seine absolute Erforderlichkeit im Sinne einer Ultima Ratio. Es müssen sämtliche milderen Mittel bereits ausgeschöpft oder offensichtlich ungeeignet sein. Beispiele hierfür sind:

  • Der Angriff erfolgt mit einer tödlichen Waffe unmittelbar auf ein (weiteres) Opfer.
  • Der Angreifer kann durch andere Maßnahmen (Festnahme, Androhung, Handlungsalternativen) nicht aufgehalten werden.

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit muss zwingend beachtet werden. Der Schusswaffengebrauch ist nur dann gestattet, wenn die Gefahr für Leib und Leben des Angreifers nach sorgfältiger Abwägung hinter die abzuwehrende Gefahr für das bedrohte Opfer zurücktritt.

Androhung des Schusswaffengebrauchs

Vor dem gezielten Rettungsschuss muss Polizei- und Ordnungsrecht grundsätzlich eine Androhung erfolgen (§ 61 Abs. 1 BPolG oder entsprechende Landesvorschriften), sofern die Lage eine solche Androhung zulässt, ohne den Einsatzerfolg oder die Sicherheit Dritter zu gefährden. Eine unmittelbare, nicht angedrohte Schussabgabe ist nur zulässig, wenn die Eigensicherung oder Sicherung anderer Personen dies erfordern.

Rechtliche Folgen für die handelnde Person

Die Rechtmäßigkeit des Rettungsschusses bewirkt, dass keine strafrechtliche oder zivilrechtliche Verantwortlichkeit für die Verletzung bzw. Tötung des Angreifers besteht, sofern alle Voraussetzungen vorlagen. Andernfalls kommen straf- und/oder dienstrechtliche Konsequenzen in Betracht. Die Rechtsprechung verlangt umso sorgfältigere Prüfung, je gravierender der Eingriff ist.


Praktische Relevanz und Anwendungsfälle des Rettungsschusses

Typische Einsatzlagen

Rettungsschüsse werden in der Praxis äußerst selten abgegeben. Typische Beispiele sind:

  • Geiselnahmen, bei denen ein Täter eine Waffe an einer Geisel anlegt und unmittelbar mit der Tötung droht.
  • Amoktaten, bei denen ein schwer bewaffneter Täter fortgesetzte Angriffe auf zahlreiche Personen unternimmt.
  • Situationen, in denen eine Person ihr eigenes Leben unmittelbar zu beenden droht (Suizidandrohung) und dabei andere gefährdet.

Dokumentations- und Nachprüfungspflichten

Der Waffengebrauch, insbesondere ein Rettungsschuss, ist stets umfassend zu dokumentieren und zu begründen. In jedem Einzelfall erfolgen nachträgliche Ermittlungen der Staatsanwaltschaft, ob die Voraussetzungen für einen rechtmäßigen Rettungsschuss vorlagen. Die Dokumentationspflichten dienen der rechtsstaatlichen Kontrolle sowie dem Schutz der Vollzugsbeamten vor ungerechtfertigten Vorwürfen.


Gesellschaftliche und ethische Diskussion

Abwägung zwischen Lebensschutz und Gefahrenabwehr

Der Einsatz des Rettungsschusses ist im Spannungsfeld zwischen staatlichem Gewaltmonopol und Lebensschutz höchst umstritten und ethisch sensibel. Die Entscheidung über einen gezielten tödlichen Schuss stellt für die eingesetzten Kräfte eine schwerwiegende Belastung dar und steht im Spannungsfeld des Grundrechts auf Leben (Art. 2 Abs. 2 GG).

Rechtsprechung und öffentliche Diskussion

Gerichte betonen regelmäßig die engen rechtlichen Grenzen und die Notwendigkeit strikter Prüfung eines jeden Einzelfalles. Öffentlich diskutiert wird insbesondere, ob und inwieweit ein gezielter Schusswaffeneinsatz gegen beispielsweise Geiselnehmer oder Amoktäter vom Grundgesetz gedeckt ist.


Zusammenfassung

Der Rettungsschuss ist eine polizeiliche Zwangsmaßnahme, bei der das Leben einer Person in äußerster Gefahr gegen das Leben des Angreifers abgewogen wird. Seine rechtliche Zulässigkeit hängt von engen Voraussetzungen ab: unmittelbare Lebensgefahr, Ausschöpfung aller milderen Mittel, Beachtung der Verhältnismäßigkeit, und – wenn möglich – Androhung vor dem Einsatz. Die Maßnahme ist ethisch und rechtlich hoch sensibel und unterliegt strenger Kontrolle durch die Gerichte und Verwaltung. Die sorgfältige Dokumentation und Überprüfung im Einzelfall sind unerlässlich, um Missbrauch und Rechtsverletzungen zu verhindern und das Vertrauen in den Rechtsstaat zu sichern.

Häufig gestellte Fragen

Wann ist der Rettungsschuss im rechtlichen Sinne zulässig?

Der Einsatz eines Rettungsschusses ist im deutschen Recht ausschließlich unter eng begrenzten Voraussetzungen zulässig. Maßgeblich ist hierbei das Rechtfertigungsinstitut der sogenannten „Notwehr“ oder des „Notstands“ gemäß § 32 und § 34 StGB sowie die polizeilichen Standardmaßnahmen wie unmittelbarer Zwang (§§ 54 ff. PolG der Länder) und die Anwendung von Schusswaffen nach dem Waffengebrauchsgesetz bzw. den jeweiligen Landesgesetzen. Ein Rettungsschuss gilt als äußerstes Mittel, um eine gegenwärtige, nicht anders abwendbare Gefahr für das Leben oder die Gesundheit eines Dritten zu beenden, insbesondere wenn eine Geisel unmittelbar bedroht ist. Er darf nur dann eingesetzt werden, wenn sämtliche weniger gravierende Mittel – wie Warnrufe, Androhungen, der gezielte Schuss auf nicht lebenswichtige Körperregionen, Pfefferspray oder andere Zwangsmittel – erfolglos geblieben oder von vornherein untauglich sind. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist stets streng zu beachten: Es muss eine konkrete, gegenwärtige Gefahr für Leib oder Leben vorliegen, und der Schuss muss das relativ mildeste, aber noch wirksame Mittel sein. Fehlt eine Gefahr für Dritte oder sind Alternativen möglich, ist der Rettungsschuss rechtswidrig und wird ggf. als Tötung im Amt strafrechtlich verfolgt.

Wie wird die Verhältnismäßigkeit des Rettungsschusses rechtlich bewertet?

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist beim Rettungsschuss besonders prägnant: Die Maßnahme muss geeignet, erforderlich und angemessen sein. Geeignetheit bedeutet, dass der Rettungsschuss das Ziel – die Abwendung der akuten Lebensgefahr – erreichen kann. Erforderlich ist der Schuss nur, wenn kein anderes milderes Mittel in Betracht kommt und auch nicht mit Aussicht auf Erfolg sofort eingesetzt werden kann. Angemessenheit prüft, ob die Schwere des Eingriffs im Verhältnis zum drohenden Schaden steht; sprich, das Rechtsgut „Leben“ des Bedrohten darf nur zur Rettung eines anderen gleichwertigen Gutes (ebenfalls Leben oder schwerste Gesundheitsschädigung) geopfert werden. Die Bewertung erfolgt stets ex ante, also zum Zeitpunkt der Schussabgabe unter Berücksichtigung des subjektiven Kenntnisstands und der objektiven Gefahrenlage. Übermäßige Gewalt, mangelnde Gefahrenlage oder Missachtung milderer Mittel führen zur Rechtswidrigkeit.

Welche strafrechtlichen Konsequenzen drohen bei einem ungerechtfertigten Rettungsschuss?

Wird ein Rettungsschuss rechtswidrig abgegeben, d. h. bestand keine Rechtfertigung nach Notwehr, Notstand oder den polizeilichen Erlaubnisnormen, können strafrechtliche Konsequenzen erheblich sein. Relevant sind insbesondere die Tatbestände des Totschlags (§ 212 StGB), im schlimmsten Fall des Mordes (§ 211 StGB), sofern niedere Beweggründe oder andere Mordmerkmale gegeben sind. In minder schweren Fällen kann auch eine fahrlässige Tötung (§ 222 StGB) vorliegen, wenn etwa eine Gefahrensituation fehlerhaft eingeschätzt oder die Schusswaffe fahrlässig eingesetzt wird. Kommt es lediglich zu einer schweren Verletzung, sind Körperverletzungsdelikte (§§ 223 ff. StGB) einschlägig. Zudem sind beamtenrechtliche Konsequenzen wie Disziplinarverfahren zu erwarten, die bis zur Entfernung aus dem Dienst reichen können. Die strafrechtliche und disziplinarische Würdigung erfolgt stets einzelfallbezogen und hängt entscheidend von der konkreten Gefahrenlage, dem Wissen und der Lagebeurteilung des Schützen ab.

Welche Rolle spielt die Selbstgefährdung des Täters im Rahmen des Rettungsschusses?

Rechtlich ist zu beachten, dass der Rettungsschuss kein zulässiges Mittel ist, um ausschließlich den Täter an dessen eigener Selbstgefährdung – etwa einem Suizidversuch – zu hindern, soweit keine unmittelbare Gefahr für unbeteiligte Dritte besteht. Das Leben und die Selbstbestimmung des Täters werden grundsätzlich ebenfalls als höchstwertiges Rechtsgut geschützt, und ein Angriff auf dieses ist nur durch gleich- oder höherwertige Rechtsgüter (wie das Leben einer Geisel) zu rechtfertigen. Liegt hingegen einzig eine Eigengefährdung des Täters vor, darf kein tödlicher Schuss abgegeben werden; vielmehr sind deeskalierende Maßnahmen und der Schutz des eigenen und fremden Lebens zu beachten. Eine Ausnahme könnte sich bei akuter Fremdgefährdung in Folge eines erweiterten Suizids ergeben, wobei dann die Abwehr konkreten Unheils für Dritte im Vordergrund steht.

Wer trägt die Beweislast für die Rechtmäßigkeit des Rettungsschusses?

Im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren trägt grundsätzlich die Staatsanwaltschaft die Beweislast für eine rechtswidrige Tötungshandlung. Liegt eine Rechtfertigung – etwa nach Notwehrrecht oder polizeilichen Ermächtigungsgrundlagen – vor, muss das Gericht im Zweifel zu Gunsten des Angeklagten entscheiden, sofern eine Notwehrlage nicht widerlegt werden kann („in dubio pro reo“). Dennoch ist der Ausführende (z. B. Polizeibeamte) in der Praxis verpflichtet, die Gefahrenlage vollständig und plausibel darzulegen und darzubelegen, warum keine anderen Mittel zur Verfügung standen und warum die tödliche Schussabgabe erforderlich war. Bei Unsicherheiten oder Zweifeln an der Darstellung kann sich eine Strafbarkeit dennoch ergeben, sodass eine ausführliche und genaue Dokumentation unerlässlich ist.

Gibt es gesetzliche Dokumentationspflichten nach einem Rettungsschuss?

Die Abgabe eines Rettungsschusses unterliegt strengen Dokumentations- und Berichtspflichten, insbesondere für Polizeikräfte. Nach polizeilichen Dienstvorschriften (z. B. PDV 100, Polizeidienstvorschrift) und den Landespolizeigesetzen ist jeder Schusswaffengebrauch unverzüglich und lückenlos zu dokumentieren. Hierzu gehören eine ausführliche Schilderung der Gefahrenlage, die Darlegung aller ergriffenen und in Betracht kommenden milderen Mittel sowie eine nachvollziehbare Begründung, warum der Rettungsschuss das einzig verbleibende Mittel war. Die Dokumentation dient sowohl der Nachprüfbarkeit im Hinblick auf die Rechtmäßigkeit der Maßnahme als auch der Sicherung gegen straf- und disziplinarrechtliche Vorwürfe. Bei Versäumnissen oder Mängeln in der Dokumentation kann dies im späteren Verfahren gegen den Schützen ausgelegt werden.

Wie unterscheiden sich die Vorschriften zum Rettungsschuss im Zivil- und Polizei- bzw. Sicherheitsdienst?

Im Zivilrecht (StGB) ist die Anwendung tödlicher Gewalt ausschließlich durch die besonderen Institute der Notwehr und des Notstands gedeckt. Durch Private darf ein Rettungsschuss nur erfolgen, wenn eine gegenwärtige Gefahr für das Leben eines Dritten besteht, alle anderen Mittel versagen und eine Notwehrlage eindeutig vorliegt. Für Polizeibeamte und andere staatliche Vollzugsorgane existieren darüber hinaus spezifische gesetzliche Regelungen (Polizeigesetze der Länder, UZwG, WaffG), die zusätzliche Anforderungen – etwa besondere Androhungspflichten, behördliche Genehmigungen oder die Pflicht zur Verhältnismäßigkeitsprüfung – enthalten. Während der Rettungsschuss bei der Polizei als äußerstes Zwangsmittel in fest umrissenen Ausnahmelagen vorgesehen ist, riskieren zivile Schützen in der Regel eine höhere strafrechtliche Würdigung und sehr genaue Ermittlungen zur Rechtfertigungslage. Die Einhaltung der gesetzlichen und untergesetzlichen Vorschriften ist hier besonders zu beachten.