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Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit


Begriff und rechtliche Grundlagen der Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit

Die Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ist eine gesetzliche Leistungsform der deutschen Sozialversicherung, die Personen finanziell absichert, wenn sie aus gesundheitlichen Gründen nur noch eingeschränkt oder gar nicht mehr in der Lage sind, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Sie ist im sechsten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB VI) geregelt und zählt zu den zentralen Säulen der gesetzlichen Rentenversicherung. Im deutschen Rechtssystem ersetzt sie seit dem 1. Januar 2001 die frühere Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsrente.

Definition und Abgrenzung

Die Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit unterscheidet sich von anderen Rentenarten wie der Altersrente oder der Hinterbliebenenrente. Sie wird nur dann gewährt, wenn gesundheitliche Einschränkungen zu einem dauerhaften oder lang andauernden Verlust der Arbeitskraft führen. Eine Erwerbsminderung liegt vor, wenn Versicherte aufgrund von Krankheit oder Behinderung weniger als sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten können.

Gesetzliche Regelungen und Anspruchsvoraussetzungen

Gesetzliche Grundlagen

Die zentrale Rechtsgrundlage für die Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit findet sich in den §§ 43 ff. SGB VI. Hier werden die Voraussetzungen, die Beantragung und die Berechnung der Rentenansprüche festgelegt.

Versicherungsrechtliche Voraussetzungen

Personen haben Anspruch auf eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, wenn sie:

  • die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren (60 Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung) erfüllt haben (§ 50 SGB VI) und
  • in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung mindestens drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit gezahlt haben (§ 43 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI).

Ausnahmen und abweichende Regelungen bestehen für Versicherte, die infolge eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit erwerbsgemindert wurden.

Medizinische Voraussetzungen

Maßgeblich für den Anspruch ist der Grad der Erwerbsminderung. Die Beurteilung erfolgt nach sozialmedizinischen Grundsätzen und beruht auf ärztlichen Gutachten.

Unterschieden werden:

  • Volle Erwerbsminderung: Versicherte können aufgrund Krankheit oder Behinderung weniger als drei Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erwerbstätig sein.
  • Teilweise Erwerbsminderung: Versicherte sind noch zwischen drei und unter sechs Stunden täglich einsatzfähig.

Arten der Erwerbsminderungsrente

Volle Erwerbsminderungsrente

Die volle Erwerbsminderungsrente (§ 43 Abs. 2 SGB VI) wird gezahlt, wenn Versicherte aufgrund gesundheitlicher Beeinträchtigungen unter drei Stunden täglich jede Tätigkeit am allgemeinen Arbeitsmarkt oder einen zumutbaren Arbeitsplatz ausführen können.

Teilweise Erwerbsminderungsrente

Die teilweise Erwerbsminderungsrente (§ 43 Abs. 1 SGB VI) wird gewährt, wenn die Erwerbsfähigkeit auf drei bis unter sechs Stunden täglich gesunken ist. Eine besondere Regelung gilt, wenn dem Versicherten kein entsprechender Teilzeitarbeitsplatz zur Verfügung steht – in diesem Fall kann auch die volle Erwerbsminderungsrente beansprucht werden (sog. „Arbeitsmarktrente“).

Dauer und Befristung des Rentenanspruchs

Erwerbsminderungsrenten werden grundsätzlich befristet (§ 102 SGB VI). Die Befristung beträgt maximal drei Jahre und kann auf Antrag fortgesetzt werden, solange die Voraussetzungen weiterhin vorliegen. Eine unbefristete Rentenzahlung erfolgt nur, wenn keine Besserung der Erwerbsfähigkeit zu erwarten ist.

Verfahren der Beantragung und Feststellung

Antragsstellung

Die Rente muss schriftlich bei dem zuständigen Rentenversicherungsträger beantragt werden. Die Antragstellung kann auch über kommunale Stellen, Krankenkassen oder direkt elektronisch erfolgen.

Medizinische Begutachtung

Im Rahmen des Verwaltungsverfahrens prüft der Rentenversicherungsträger die medizinischen Unterlagen und lässt gegebenenfalls unabhängige Gutachten erstellen. Die Begutachtung orientiert sich nicht am bisher ausgeübten Beruf, sondern an allen Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes.

Beteiligung und Mitwirkung

Versicherte sind zur umfassenden Mitwirkung verpflichtet, insbesondere bei der Vorlage von ärztlichen Unterlagen sowie bei der Teilnahme an Begutachtungen und Rehabilitationsmaßnahmen.

Berechnung der Rentenhöhe

Die Rentenhöhe basiert auf der individuell erworbenen Entgeltpunkten im Versichertenkonto. Die allgemeine Formel zur Rentenberechnung lautet:

Monatliche Rente = Entgeltpunkte × Zugangsfaktor × aktueller Rentenwert × Rentenartfaktor

Für die volle Erwerbsminderungsrente beträgt der Rentenartfaktor 1,0; bei der teilweisen Erwerbsminderungsrente ist er 0,5.

Zurechnungszeit

Ein wesentlicher Bestandteil der Berechnung ist die sog. Zurechnungszeit (§ 59 SGB VI), die Zeiten zwischen dem Eintritt der Erwerbsminderung und einem bestimmten Lebensalter (2024: 67 Jahre) berücksichtigt und rentensteigernd wirkt.

Rehabilitationsvorrang und Nachrangigkeit

Vor der Gewährung einer Erwerbsminderungsrente prüfen die Rentenversicherungsträger regelmäßig, ob medizinische oder berufliche Rehabilitationsmaßnahmen zur Wiederherstellung oder Verbesserung der Erwerbsfähigkeit möglich und zumutbar sind (§ 9 SGB VI, § 116 SGB VI).

Die Rente wird erst dann bewilligt, wenn alle zumutbaren Rehabilitationsmaßnahmen ausgeschöpft sind. Dieses sogenannte „Rehabilitation vor Rente“-Prinzip dient der Vermeidung einer dauerhaften Erwerbsminderung.

Auswirkungen auf andere Sozialleistungen und Einkommensanrechnung

Anrechnung von Einkommen

Neben der Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit kann weiteres Erwerbseinkommen bezogen werden. Dieses wird ab bestimmten Freibeträgen auf die Rente angerechnet (§ 96a SGB VI). Die Höhe der Freibeträge ist abhängig von der Rentenart und der individuellen Situation.

Wechselwirkungen mit anderen Leistungen

Die Erwerbsminderungsrente wirkt sich auf andere Sozialleistungen wie Arbeitslosengeld, Grundsicherung und private Versicherungen aus. Insbesondere im Bezug auf die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem vierten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB XII) bestehen Wechselwirkungen.

Beendigung und Überprüfung der Rentenzahlung

Die Zahlung der Erwerbsminderungsrente endet mit Ablauf der Befristung, durch Verbesserung des Gesundheitszustandes, beim Erreichen der Regelaltersgrenze (dann automatische Umwandlung in eine Altersrente) oder durch Tod des Anspruchsberechtigten.

Rechtsschutzmöglichkeiten bei Ablehnung und Überprüfung

Wird eine Erwerbsminderungsrente abgelehnt oder besteht Uneinigkeit über das Ausmaß der Erwerbsminderung, können Betroffene Widerspruch einlegen und anschließend den Rechtsweg vor den Sozialgerichten (Sozialgerichtsbarkeit) beschreiten.

Zusammenfassung

Die Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit bildet ein zentrales Element der sozialen Absicherung in Deutschland. Sie bietet Menschen, die krankheits- oder behinderungsbedingt dauerhaft oder für längere Zeit nicht mehr oder nur in eingeschränktem Umfang arbeiten können, einen wichtigen Schutz vor wirtschaftlicher Not. Die Voraussetzungen, Berechnung und Verfahren sind im Sozialgesetzbuch VI umfassend geregelt und durch ein feingliedriges Zusammenspiel aus medizinischer und versicherungsrechtlicher Begutachtung charakterisiert.


Weiterführende Rechtsgrundlagen:

  • §§ 43-55, 59, 96a, 102 SGB VI
  • § 9 SGB VI (Rehabilitation vor Rente)
  • § 116 SGB VI (Erwerbsminderung wegen Berufskrankheit/Arbeitsunfall)
  • Vierte Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV)
  • Zehnte Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) – Verwaltungsverfahren

Siehe auch:

  • Altersrente
  • Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung
  • Rehabilitation und Teilhabe am Arbeitsleben

Häufig gestellte Fragen

Welche Voraussetzungen müssen für den Anspruch auf eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach deutschem Recht erfüllt sein?

Um einen Anspruch auf eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach § 43 SGB VI zu haben, müssen verschiedene versicherungsrechtliche und medizinische Voraussetzungen erfüllt sein. Zunächst ist es erforderlich, dass die versicherte Person wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig zu sein. Es wird zwischen voller und teilweiser Erwerbsminderung unterschieden: Bei voller Erwerbsminderung darf die Arbeitsfähigkeit täglich weniger als drei Stunden betragen, bei teilweiser weniger als sechs, aber mehr als drei Stunden. Weiterhin muss ein gewisses Maß an Pflichtbeitragszeiten vorliegen. Insbesondere wird verlangt, dass in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung für mindestens drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit gezahlt wurden. Zusätzlich ist eine allgemeine Wartezeit von fünf Jahren (60 Monate) der Versicherungspflicht Voraussetzung. Die Feststellung der medizinischen Voraussetzungen erfolgt durch den ärztlichen Dienst der Deutschen Rentenversicherung oder durch unabhängige Gutachter.

Wie und wann muss ein Antrag auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit gestellt werden?

Der Antrag auf eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ist bei der Deutschen Rentenversicherung zu stellen und kann nicht automatisch durch die Rentenversicherung oder einen Arzt initiiert werden. Der Antrag kann frühestens ab dem Zeitpunkt gestellt werden, zu dem die Erwerbsminderung vorliegt. Es empfiehlt sich, den Antrag möglichst zeitnah zu stellen, da die Rente grundsätzlich erst ab dem Monat der Antragstellung gezahlt wird, es sei denn, ein Anspruch auf eine Reha-Leistung bestand bereits vorher und wurde nicht erfolgreich abgeschlossen („Reha vor Rente“-Grundsatz). Für den Antrag müssen umfangreiche Unterlagen vorgelegt werden, darunter medizinische Befunde, Angaben zum bisherigen Versicherungsverlauf sowie Nachweise über ausgeübte Tätigkeiten. Der gesamte Prozess ist formalisiert und erfolgt über entsprechende Formulare, die bei der Rentenversicherung oder online erhältlich sind. Die Antragstellung kann auch durch eine bevollmächtigte Person, etwa einen Rentenberater, erfolgen.

Wie erfolgt die medizinische Begutachtung zur Feststellung der Erwerbsminderung und welche Rechte hat der Antragsteller?

Die medizinische Begutachtung nimmt einen zentralen Stellenwert im Rentenverfahren wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ein. Grundsätzlich prüft der medizinische Dienst der Deutschen Rentenversicherung auf Grundlage der eingereichten ärztlichen Atteste und, falls nötig, durch eigene Gutachter, inwiefern eine Erwerbsminderung vorliegt. Die Begutachtung erfolgt unter Anwendung der sozialmedizinischen Grundsätze. Der Antragsteller hat das Recht, Einsicht in das Gutachten zu nehmen, sich zur Begutachtung wählen zu lassen und eigene ärztliche Stellungnahmen einzureichen. Sollte der Antragsteller mit dem Ergebnis der Begutachtung nicht einverstanden sein, besteht das Recht, eine Gegenvorstellung oder ein Zweitgutachten zu beantragen. Im Streitfall kann der Rechtsweg zu den Sozialgerichten beschritten werden.

Welche Auswirkungen hat eine Nebenbeschäftigung auf eine laufende Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit im rechtlichen Kontext?

Eine Nebenbeschäftigung ist grundsätzlich auch während des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit möglich, sofern die individuellen Leistungsgrenzen nicht überschritten werden. Gesetzlich ist geregelt, dass der Hinzuverdienst – abhängig von der Art der Erwerbsminderung – bestimmte Grenzen nicht überschreiten darf. Für voll erwerbsgeminderte Rentner gilt eine kalenderjährliche Hinzuverdienstgrenze, die regelmäßig angepasst wird. Wird die Grenze überschritten, erfolgt eine Anrechnung auf die Rentenzahlung, unter Umständen ruht der Anspruch anteilig oder vollständig. Der Rentenbezieher ist verpflichtet, jede Änderung seiner Erwerbstätigkeit oder des Hinzuverdienstes unverzüglich der Rentenversicherung zu melden. Kommt es zur Überschreitung der zulässigen Stundenzahl (bei voller Erwerbsminderung mehr als drei Stunden täglich), kann die Rentenberechtigung ganz entfallen.

Was ist der Unterschied zwischen einer befristeten und einer unbefristeten Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und wann wird welche gewährt?

Die Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit wird in der Regel zunächst befristet gewährt. Das Gesetz (§ 102 SGB VI) sieht vor, dass die Rente befristet erteilt wird, wenn voraussichtlich eine Besserung des Gesundheitszustands zu erwarten ist. Die Befristung erfolgt in der Regel für maximal drei Jahre ab Rentenbeginn, danach kann auf Antrag eine erneute Befristung oder eine Entfristung erfolgen. Erst wenn keine wesentliche Änderung des Gesundheitszustandes mehr zu erwarten ist, kann die Rente unbefristet gezahlt werden. Dies entscheidet die Rentenversicherung regelmäßig auf Grundlage ärztlicher Gutachten und der Entwicklung der gesundheitlichen Situation. Die Befristung dient der Überprüfung, ob und wie sich die Erwerbsfähigkeit des Rentenberechtigten entwickelt, wobei gesetzlich eine wiederholte Befristung bis zu maximal neun Jahren möglich ist.

Inwieweit können Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit auf Sozialleistungen angerechnet werden?

Die Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit gilt als Einkommen im Sinne des Sozialrechts und wird deshalb auf zahlreiche Sozialleistungen wie Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (SGB XII) oder Wohngeld angerechnet. Das bedeutet, dass diese Rente zunächst zur Sicherung des Lebensunterhalts herangezogen wird, bevor ergänzende Leistungen bewilligt werden. Die Anrechnung erfolgt im Rahmen der jeweiligen Bedürftigkeitsprüfung. Dabei werden Freibeträge und andere Einkommen mitberücksichtigt. Besonders bei niedrigen Erwerbsminderungsrenten kann es daher erforderlich werden, ergänzende Grundsicherungsleistungen zu beantragen. Auch die sogenannte Verwertung von Vermögen kann in diesem Zusammenhang von Bedeutung sein.

Kann gegen eine ablehnende Entscheidung der Rentenversicherung Widerspruch oder Klage eingelegt werden?

Wird der Antrag auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit abgelehnt oder eine bewilligte Rente entzogen, steht dem Versicherten der Rechtsweg offen. Zunächst ist gegen den Bescheid der Deutschen Rentenversicherung innerhalb eines Monats nach Zugang schriftlich oder zur Niederschrift Widerspruch einzulegen (§ 84 SGG). Wird der Widerspruch ebenfalls abgelehnt, besteht die Möglichkeit, binnen eines weiteren Monats Klage vor dem Sozialgericht zu erheben. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei. Im Klageverfahren werden alle tatsächlichen und rechtlichen Aspekte, insbesondere die medizinische Begutachtung, erneut überprüft. Der Kläger kann eigene Gutachten einreichen und Zeugen benennen; das Gericht kann weitere Sachverständige hinzuziehen. Bis zum Abschluss des Rechtsstreits besteht grundsätzlich kein Anspruch auf die begehrte Rente, es sei denn, es wird im Eilverfahren eine einstweilige Anordnung erlassen.