Legal Lexikon

Reihengentest


Definition und rechtlicher Rahmen des Reihengentests

Der Reihengentest ist ein Verfahren der DNA-Analytik im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen, bei dem eine größere Anzahl von Personen – meist Männer aus einer bestimmten geographischen Region – gebeten wird, freiwillig eine Speichelprobe oder andere DNA-haltige Materialien abzugeben. Der Zweck besteht darin, einen etwaigen genetischen Treffer mit Spurenmaterial, das an einem Tatort sichergestellt wurde, zu erzielen. Die umfassende rechtliche Bewertung des Reihengentests ergibt sich insbesondere aus verfassungs-, straf-, datenschutz- und polizeirechtlichen Vorschriften.


Gesetzliche Grundlagen für die Durchführung von Reihengentests

Regelung im Strafprozessrecht (§ 81h StPO)

Der rechtliche Ausgangspunkt für den Reihengentest in Deutschland liegt in § 81h der Strafprozessordnung (StPO). Dort ist der sogenannte „genetische Fingerabdruck in Form einer DNA-Analyse“ im Rahmen eines Reihengentests ausdrücklich geregelt. Vor Einführung der Vorschrift durch das Gesetz zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern und der Kinderpornographie im Jahr 1997 war die Rechtslage nicht eindeutig.

Nach § 81h Abs. 1 StPO darf ein Reihengentest ausschließlich zur Aufklärung einer Straftat von erheblicher Bedeutung durchgeführt werden. Die Maßnahme beschränkt sich auf den Vergleich des sogenannten Spurenmaterials mit freiwillig abgegebenen Proben von Personen, die einen Bezug zu der relevanten Personengruppe aufweisen (beispielsweise Menschen, die im fraglichen Zeitraum am Tatort waren oder dort wohnten).

Anforderungen an Freiwilligkeit und Einwilligung

Für die Teilnahme am Reihengentest ist gemäß § 81h Abs. 2 StPO die schriftliche Einwilligung der betroffenen Person erforderlich. Die Beteiligten müssen vorab umfassend über Umfang, Zweck und Reichweite der Maßnahme sowie über die Freiwilligkeit ihrer Teilnahme aufgeklärt werden. Ebenso sind die datenschutzrechtlichen Rahmenbedingungen zu erläutern, darunter die Möglichkeiten zum Widerruf der Einwilligung.

Datenschutzrechtliche Aspekte des Reihengentests

Die Verarbeitung, Speicherung und Weiterleitung der gewonnenen DNA-Daten im Rahmen eines Reihengentests unterliegen strengen Regeln des Datenschutzes, insbesondere der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) und dem Bundesdatenschutzgesetz (BDSG). Nach erfolgtem Abgleich der Proben sind diejenigen DNA-Daten, die nicht für die Ermittlungen von Bedeutung sind und keinen Treffer ergeben haben, umgehend sowie unwiederbringlich zu löschen. Die Teilnahme an der Maßnahme darf zudem nicht nachteilig ausgelegt werden, falls die Teilnahme verweigert wird.


Verfassungsrechtliche Dimensionen

Grundrechte und Persönlichkeitsrecht

Die Durchführung und Ausgestaltung eines Reihengentests berühren das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, das sich aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) herleitet. Die Abgabe der DNA-Probe ist ein Eingriff in das Recht auf Schutz personenbezogener Daten. Daher ist die Maßnahme an den strengen Vorgaben des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu messen. Die Teilnahme muss stets vollkommen freiwillig erfolgen und darf nicht indirekt erzwungen werden, etwa durch Druck, Stigmatisierung oder Diskriminierung.

Gleichbehandlungsgrundsatz

Besondere Beachtung findet bei der Auswahl der infrage kommenden Personengruppe der Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 GG). Die Auswahl darf nicht aufgrund diskriminierender Merkmale wie Herkunft, Geschlecht oder Religion erfolgen, sondern ist am Ermittlungsbedarf und objektiven Kriterien zu orientieren.


Durchführung, Ablauf und rechtliche Kontrollmechanismen

Ablauf eines Reihengentests

  1. Planung und Festlegung der Zielgruppe durch die Ermittlungsbehörden
  2. Einladung zur freiwilligen Teilnahme mit ausführlicher Aufklärung und Information
  3. Einwilligung und Probenentnahme unter dokumentierten Bedingungen
  4. DNA-Analyse und gezielter Abgleich mit Spurenmaterial
  5. Unverzügliche Löschung der nicht weiter relevanten Daten bei negativem Ergebnis

Rechtsschutz und Beschwerdemöglichkeiten

Teilnehmende und auch Nicht-Teilnehmende am Reihengentest haben verschiedene Möglichkeiten, sich gegen unzulässige Maßnahme zu wenden. Dies erfasst Anträge auf Datenschutzaufsicht, Beschwerden bei der Staatsanwaltschaft oder auch Anrufung von Gerichten im Falle der widerrechtlichen Speicherung oder Verarbeitung personenbezogener Daten.


Praktische Bedeutung und Risiken im Kontext des Strafverfahrens

Ermittlungsdruck und gesellschaftliche Folgen

In der Praxis kann die Einladung zur Teilnahme an einem Reihengentest zu erheblichem sozialem Druck führen. Eine Ablehnung kann bei Dritten den Eindruck erwecken, es bestehe ein Verdacht, weshalb Ermittlungsbehörden und aufklärende Stellen sicherstellen müssen, dass Anonymität und Diskretion gewahrt bleiben.

Zweckbindung und Verwertungsverbot

Die im Rahmen des Reihengentests erhobenen DNA-Daten dürfen ausschließlich zum festgelegten Ermittlungszweck verwendet werden. Jede weitergehende Nutzung ist unzulässig und mit einem Beweisverwertungsverbot belegt (§ 81h Abs. 4 StPO). Änderungen am Verwendungszweck bedürfen einer neuerlichen, spezifischen Einwilligung sowie eingehender gerichtlicher Kontrolle.


Internationale Aspekte und Vergleiche

Auch in anderen europäischen Ländern sind Formen des Reihengentests zulässig, jedoch unterliegen die Verfahren teilweise abweichenden Anforderungen an Datenschutz und Verfahrensrechte. Die Anwendung des Reihengentests erfolgt im internationalen Vergleich zumeist restriktiv und stets unter besonderer Beachtung menschenrechtlicher Standards.


Zusammenfassung

Der Reihengentest stellt ein sensibles, rechtlich genau geregeltes Ermittlungsverfahren zur Aufklärung schwerer Straftaten dar. Er darf ausschließlich auf freiwilliger Basis erfolgen und unterliegt strengen Voraussetzungen hinsichtlich Transparenz, Datenschutz und Zweckbindung. Jegliche Durchführung ist engmaschigen gerichtlichen sowie datenschutzrechtlichen Kontrollen unterworfen. Die Rechte der Teilnehmer, insbesondere auf informierte Einwilligung und den Schutz ihrer personenbezogenen Daten, stehen im Mittelpunkt der rechtlichen Betrachtung. Wegen seiner Eingriffsintensität ist der Reihengentest weiterhin ein Kernthema in Diskussionen um Verhältnismäßigkeit und Persönlichkeitsrecht im Strafverfahrensrecht.

Häufig gestellte Fragen

Wann ist für die Durchführung eines Reihengentests die Einwilligung der betroffenen Personen notwendig?

Für die Durchführung eines Reihengentests ist grundsätzlich die informierte Einwilligung der betroffenen Person erforderlich, soweit es sich um genetische Untersuchungen an Menschen handelt. Diese Verpflichtung ergibt sich aus dem Gendiagnostikgesetz (GenDG), das vorsieht, dass eine genetische Analyse nur dann zulässig ist, wenn die betroffene Person nach ausreichender Aufklärung ausdrücklich und schriftlich zustimmt (§ 8 Abs. 1 GenDG). Die Aufklärung muss unter anderem den Zweck, die Art, den Ablauf und die Tragweite des Tests sowie die möglichen Konsequenzen der Testergebnisse umfassen. Eine Ausnahme von der Einwilligungspflicht kann nur bei bestimmten Infektionsschutzmaßnahmen zum Schutz der Allgemeinheit, z.B. auf Basis des Infektionsschutzgesetzes (IfSG), gegeben sein, wobei hierbei in der Regel keine genetische, sondern eine infektionsdiagnostische Untersuchung im Vordergrund steht. Des Weiteren sind Schutzmechanismen zum Datenschutz und zur Wahrung der Persönlichkeitsrechte einzuhalten, insbesondere da genetische Daten als besonders schützenswerte personenbezogene Daten gelten.

Welche rechtlichen Grundlagen gelten für Arbeitgeber, die Reihengentests im Unternehmen durchführen wollen?

Arbeitgeber dürfen Reihengentests unter keinen Umständen eigeninitiativ oder anlasslos anordnen, da die Erhebung und Verarbeitung genetischer Daten einem besonders strengen gesetzlichen Schutz unterliegt. Gemäß § 15 GenDG ist es Arbeitgebern untersagt, genetische Untersuchungen bei Beschäftigten vorzunehmen, Ergebnisse solcher Untersuchungen zu erfragen oder entgegenzunehmen. Selbst im Rahmen präventiver Maßnahmen zum Gesundheits- oder Arbeitsschutz sind Gentests durch den Arbeitgeber oder durch ihn beauftragte Dritte rechtlich nicht zulässig. Eine Ausnahme besteht lediglich, wenn es eine spezifische gesetzliche Grundlage gibt (z.B. im Rahmen des Infektionsschutzgesetzes, jedoch werden diese Testungen im Regelfall nicht als Reihengentests i.S.d. GenDG verstanden). Ein Verstoß kann zu erheblichen Schadensersatz- und Bußgeldforderungen führen. Zulässig sind stattdessen rein medizinische Tests hinsichtlich akuter Infektionen, die aber keine genetischen Analysen im Sinne des GenDG darstellen.

Wer darf die Ergebnisse eines Reihengentests verarbeiten und weitergeben?

Die Verarbeitung und Weitergabe der Ergebnisse von Reihengentests ist eng gesetzlich geregelt. Gemäß § 8 und § 10 GenDG dürfen die Testergebnisse ausschließlich der betroffenen Person selbst sowie – sofern ausdrücklich und schriftlich eingewilligt wurde – ärztlichem oder medizinischem Fachpersonal mitgeteilt werden. Dritte, dazu zählen auch Arbeitgeber, Versicherungen oder Behörden, dürfen ohne ausdrückliche und informierte Einwilligung keinen Zugang zu diesen sensiblen Daten erhalten. Selbst behandelnde Ärzte dürfen die Ergebnisse nicht ohne weiteres an andere weitergeben, sondern unterliegen den strengen Vorgaben der ärztlichen Schweigepflicht (§ 203 StGB). Wenn Reihengentests im Rahmen einer Meldepflicht durch Gesetz (z.B. bei bestimmten Infektionskrankheiten nach IfSG) durchgeführt werden, ist die Übermittlung an die zuständige Behörde in eng umrissenen Grenzen zulässig.

Welche Rechte haben Betroffene im Hinblick auf Auskunft, Berichtigung und Löschung der Daten aus einem Reihengentest?

Betroffene Personen haben umfassende Rechte bezüglich der sie betreffenden Daten aus Reihengentests. Nach der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) sowie dem GenDG können sie Auskunft verlangen, welche Daten über sie erhoben, verarbeitet und gespeichert wurden. Darüber hinaus steht ihnen das Recht auf Berichtigung unrichtiger Daten sowie auf Löschung oder Einschränkung der Verarbeitung zu, sofern keine gesetzlichen Aufbewahrungspflichten entgegenstehen. Das Recht auf Löschung kann etwa dann eingeschränkt sein, wenn eine gesetzliche Archivierungspflicht besteht oder wenn das Ergebnis für bestimmte medizinische oder wissenschaftliche Zwecke weiterhin benötigt wird. Die verantwortlichen Stellen müssen sicherstellen, dass sämtliche datenschutzrechtlichen und genehmigungsrechtlichen Vorgaben eingehalten werden.

Kann ein Reihengentest gegen den Willen einer Person durchgesetzt werden?

In Deutschland ist die Durchführung eines Reihengentests grundsätzlich freiwillig. Jeder Versuch, eine genetische Untersuchung mit physischer oder psychischer Gewalt oder durch Täuschung gegen den Willen einer Person durchzusetzen, stellt eine schwere Verletzung der Persönlichkeitsrechte und eine strafbare Handlung dar. Das GenDG normiert dabei ausdrücklich das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, insbesondere bei genetischen Untersuchungen geht es um elementare Grundrechte wie das Recht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG) und das Recht auf Selbstbestimmung. In seltenen Ausnahmefällen kann das IfSG zur Bekämpfung und Verhinderung übertragbarer Krankheiten unter richterlicher Anordnung Untersuchungen, jedoch keine Gentests im Sinne des GenDG, ermöglichen. Eine erzwungene genetische Testung ist außer in ausdrücklich im Gesetz geregelten Einzelfällen (beispielsweise in bestimmten Strafverfahren) strikt unzulässig.

Welche Haftungsrisiken bestehen bei fehlerhaften oder widerrechtlichen Reihengentests?

Fehlerhafte oder ohne rechtliche Grundlage durchgeführte Reihengentests können zivil- und strafrechtliche Folgen für die verantwortlichen Personen oder Institutionen nach sich ziehen. Ansprüche auf Schadensersatz nach § 823 BGB (Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts) oder Schmerzensgeld kommen ebenso in Betracht wie Unterlassungsansprüche. Zudem sieht das GenDG Bußgeldtatbestände vor (§ 27 GenDG), insbesondere bei Verstößen gegen die Einwilligungspflicht, Weitergabeverbote und das Diskriminierungsverbot. Datenschutzbehörden können zusätzlich Sanktionen nach der DSGVO verhängen – einschließlich empfindlicher Geldbußen. Bei ärztlichen oder institutionellen Pflichtverletzungen droht auch die berufsrechtliche Ahndung, etwa durch die Ärztekammer.

Inwieweit können Versicherungen die Durchführung oder Vorlage von Reihengentest-Ergebnissen verlangen?

Versicherungen (beispielsweise Lebens- oder Krankenversicherungen) dürfen weder im Rahmen der Antragstellung noch während bestehender Verträge die Durchführung eines Reihengentests oder die Offenlegung entsprechender Ergebnisse verlangen. § 18 GenDG verbietet Versicherungsunternehmen explizit die Anforderung, Entgegennahme oder Verwertung genetischer Daten außerhalb eng begrenzter gesetzlicher Ausnahmen (z.B. für genetische Untersuchungen, die bei Versicherungsanträgen für Summen ab 300.000 bzw. 250.000 Euro Lebens-/Invaliditätsversicherung vorgenommen werden können, aber nur bei ausdrücklicher Einwilligung des Antragstellers). Ein generelles Diskriminierungsverbot schützt Betroffene ferner davor, Nachteile bei Vertragskonditionen allein aufgrund genetischer Informationen zu erleiden.