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Reichsstraßen


Begriff und rechtshistorische Einordnung der Reichsstraßen

Reichsstraßen sind ein Terminus aus der Rechts- und Verwaltungsgeschichte Deutschlands, der sich auf bestimmte, überregionale Verkehrswege bezieht, welche im Zuge der Gesetzgebung und Verwaltungshoheit des Deutschen Reichs ab 1934 eine zentrale Rolle einnahmen. Die rechtliche Definition und Ausgestaltung der Reichsstraßen wurde wesentlich durch Gesetze und Verordnungen des Deutschen Kaiserreichs, der Weimarer Republik sowie des Dritten Reichs bestimmt.

Rechtliche Grundlagen und Entwicklung

Entstehung und Rechtsgrundlage

Die Einrichtung und Klassifikation der Reichsstraßen erfolgte maßgeblich auf Grundlage des Gesetzes über das Kraftfahrwesen (KraftFahrG) und der zugehörigen Verordnungen. Mit dem „Gesetz über den Bau und die Unterhaltung der Reichsstraßen” vom 27. Juni 1934 wurde die Verwaltung und Finanzierung von Fernstraßen erstmals reichseinheitlich geregelt. Zuvor oblag die Zuständigkeit für Fernstraßen, bis dahin als „Staatsstraßen erster Ordnung” bezeichnet, den einzelnen Ländern. Ziel der Einführung der Reichsstraßen war die Vereinheitlichung des Straßennetzes zu Zwecken der Verteidigung, Wirtschaftsförderung und Verkehrssicherheit. Die Gesetzgebung erstreckte sich sowohl auf Bau- und Unterhaltspflichten als auch auf die Finanzierung und Verwaltung der Reichsstraßen.

Gesetzliche Regelungen

  • Reichsstraßengesetz (RStrG) vom 1934

Das Reichsstraßengesetz definierte Reichsstraßen als “öffentliche Straßen, die dem allgemeinen überregionalen Verkehr dienen und in der vom Reichsverkehrsministerium herausgegebenen Reichsstraßenkarte verzeichnet sind.”

  • Verordnung über das Kraftfahrstraßenwesen (1937)

Diese ergänzende Verordnung verfeinerte Einteilung, Benennung und Nummerierung der Reichsstraßen, wobei eine einheitliche Systematik geschaffen wurde.

Verwaltung und Zuständigkeiten

Mit der Reichsreform der 1930er Jahre ging die Zuständigkeit für Planung, Bau und Unterhaltung der Reichsstraßen auf das Reich über. Die Leitung und Aufsicht oblagen dem Reichsministerium für Verkehr, während die Durchführung weiterhin den Straßenbauverwaltungen der Länder überlassen blieb, allerdings unter strikter Reichsaufsicht. Letztinstanzliche Entscheidungen bei Streitfragen wurden im Verwaltungsrechtsweg geklärt.

Kennzeichnung und Nummerierung

Die Reichsstraßen wurden mittels eines einheitlichen Nummernsystems geführt und mit weiß-rot-schwarzen Straßenschildern gekennzeichnet. Die Nummernvergabe folgte einer hierarchisch-logistischen Ordnung, die Richtung und geografische Lage berücksichtigte.

Rechtlicher Status und Rechtsfolgen

Eigentums- und Nutzungsrechte

Reichsstraßen standen grundsätzlich im Alleineigentum des Reichs, wobei abgeleitete Nutzungsrechte für den öffentlichen Verkehr galten. Privateigentum war in Ausnahmefällen möglich, sofern eine Enteignung nicht verhältnismäßig war und das Reich ein Interesse an der Einbindung der Strecke hatte. Bau- und Unterhaltslast lagen überwiegend beim Reich; Anlieger konnten zu Beiträgen herangezogen werden.

Rechtsnatur

Reichsstraßen zählen zu den öffentlichen Sachen im Sinne des Sachenrechts. Sie sind dem Gemeingebrauch gewidmet und unterliegen dem besonderen Schutz durch das Straßenrecht. Der Zugang konnte lediglich aus Gründen der Verkehrssicherheit oder des Gemeinwohls beschränkt werden.

Enteignungs- und Belastungsfragen

Für Planung, Bau und Erweiterung der Reichsstraßen konnten Enteignungen nach Maßgabe des Reichsleistungsgesetzes erfolgen, sofern das öffentliche Verkehrsinteresse überwog. Belastungen des Grundstücks für Versorgungsleitungen wurden gesondert gemäß Straßenrecht und Enteignungsrecht geregelt. Entschädigungsansprüche waren im Gesetz ausdrücklich normiert.

Pflichten und Befugnisse der Nutzenden

Die Nutzung der Reichsstraßen stand grundsätzlich jedermann für die verkehrsübliche Benutzung offen, wobei Sondernutzungen (bspw. Märkte, Filmaufnahmen, Demonstrationen) einer behördlichen Genehmigung bedurften. Verstöße gegen Nutzungsauflagen konnten mit Ordnungswidrigkeiten oder Verwaltungsakten geahndet werden.

Reichsstraßen im Kontext weiterer Rechtsnormen

Verhältnis zu anderen Straßenkategorien

Dem übergeordneten Begriff der „öffentlichen Straße” folgend, standen Reichsstraßen der Hierarchie nach über Land- und Gemeindestraßen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Rechtsregime der Reichsstraßen aufgegeben und in das System der Bundesstraßen beziehungsweise Landesstraßen integriert. Die bis heute gültige Unterscheidung zwischen Bundesstraßen und Landesstraßen resultiert maßgeblich aus der vormaligen Kategorisierung der Reichsstraßen.

Überleitung in das bundesdeutsche Straßenrecht

Mit Einführung des Grundgesetzes und dem Erlass des Bundesfernstraßengesetzes (FStrG) 1953 wurden Reichsstraßen als Begriff und Kategorie formal aufgehoben und in das System der Bundesstraßen überführt. Bestehende Strecken der ehemaligen Reichsstraßen erhielten neue, aber oft an die alten Nummerierungen angelehnte Kennzeichnungen.

Bedeutung und Auswirkung auf die heutige Rechtslage

Historische Bedeutung

Die Reichsstraßen bildeten das Rückgrat des bundesdeutschen Fernstraßennetzes. Sie waren Vorläufer der heutigen Bundesstraßen und Autobahnen und beeinflussten nachhaltig die Entwicklung des Verkehrsrechts, des Straßenbaus und der verkehrsrechtlichen Verwaltung in Deutschland.

Einfluss auf das aktuelle Straßenrecht

Viele Rechtsbegriffe, insbesondere hinsichtlich Widmung, Änderung der Straßenklasse, Enteignung, Sondernutzung und Unterhaltspflichten, sind noch heute im Bundesfernstraßengesetz und im Straßenrecht der Länder nachzuvollziehen. Zahlreiche ehemalige Reichsstraßen verlaufen auf identischen Trassen wie heutige Bundesstraßen.

Literatur, Normen und weiterführende Quellen

  • Reichsstraßengesetz vom 27. Juni 1934 (RGBl. I S. 559)
  • Bundesfernstraßengesetz (FStrG)
  • Enteignungsrechtliche Vorschriften des Reiches und des Bundes
  • Kommentierte Werke zum Straßen- und Wegerecht
  • Historische Karten und Verzeichnisse der Reichsstraßen

Hinweis: Der Begriff Reichsstraße ist eine historische Rechtskategorie ohne aktuelle Entsprechung, deren rechtliche Relevanz sich heute aus historischen und systematischen Betrachtungen ergibt.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Grundlagen bestimmten Bau, Unterhalt und Nutzung der Reichsstraßen?

Die rechtlichen Grundlagen für Bau, Unterhalt und Nutzung der Reichsstraßen wurden im Deutschen Reich zunächst durch landesrechtliche Regelungen und später durch das „Gesetz über das Straßenwesen des Reichs” (Reichsstraßengesetz) geschaffen. Mit Inkrafttreten des Gesetzes über den „Führer der Landesverwaltung” (1934) und des „Gesetzes über das Straßenwesen des Reichs” von 1934 erlangte das Reich die Hoheit über die Reichsstraßen; die Bundesstraßen in der Bundesrepublik führten diese Tradition fort. Die Aufgaben für Bau und Unterhalt lagen meist bei staatlichen Stellen, die im Gesetz ausdrücklich benannt wurden. Nutzung und Widmung waren ebenfalls gesetzlich geregelt: Reichsstraßen waren dem öffentlichen Verkehr gewidmet, womit ein Anspruch auf Benutzung unter Beachtung der Verkehrsregeln bestand. Sonderregelungen für Militärtransporte oder Ausnahmegenehmigungen bei Straßensperrungen wurden vom Gesetzgeber festgelegt und unterlagen der Aufsicht der Straßenverwaltungen.

Inwieweit bestand eine Haftung des Reichs (bzw. später des Bundes) für Schäden auf Reichsstraßen?

Die Haftung für Schäden auf Reichsstraßen richtete sich nach dem im BGB geltenden Straßenverkehrsrecht und dem jeweiligen landesrechtlichen oder später reichsrechtlichen Straßenrecht. Das Reich (und später der Bund) haftete grundsätzlich für Schäden, die aus mangelhafter Unterhaltung oder fehlender Verkehrssicherungspflicht resultierten. Die Haftung setzte jedoch voraus, dass ein Verschulden oder zumindest eine Pflichtverletzung der zuständigen Behörde vorlag. Bei höherer Gewalt, etwa Naturkatastrophen, entfiel die Haftung. Rechtlich war die Verkehrssicherungspflicht so ausgestaltet, dass regelmäßige Kontrollen, Räumung von Schnee und Beseitigung von Gefahrenquellen zu den Obliegenheiten der Straßenverwaltung gehörten. Die Durchsetzung von Ansprüchen erfolgte meist auf dem Zivilrechtsweg mittels Amtshaftungsklagen.

Wer war rechtlich für Enteignungen beim Bau von Reichsstraßen zuständig und wie war das Verfahren geregelt?

Die rechtliche Zuständigkeit für Enteignungen beim Bau von Reichsstraßen lag nach den Vorschriften des Straßenrechts und der Enteignungsgesetze des Reiches bzw. der Länder bei den speziellen Behörden, wie dem zuständigen Regierungspräsidium. Das Verfahren war streng formalisiert: Nach Feststellung des Vorhabens und Planfeststellungsverfahren konnte auf Grundlage des Reichsenteignungsgesetzes (vom 11. Juni 1874) und später ergänzender Reichsgesetze enteignet werden. Es mussten grundsätzlich umfangreiche Begründungen für das öffentliche Interesse und die Unvermeidbarkeit der Enteignung vorliegen. Die Betroffenen erhielten vorab Gelegenheit zu Einwendungen. Die Entschädigung war zwingend vorausgesetzt und wurde anhand von Wertermittlungen bestimmt, wobei es im Streitfall einen Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten gab.

Welche Verkehrsbeschränkungen oder Sonderregelungen galten auf Reichsstraßen aus rechtlicher Sicht?

Reichsstraßen unterlagen – soweit sie nicht als Autobahnen geführt wurden – grundsätzlich dem allgemeinen, öffentlichen Straßenverkehrsrecht. Besondere Verkehrsbeschränkungen konnten jedoch durch Verordnungen des Reichs erlassen werden, beispielsweise Einschränkungen für Schwerlastverkehr, Militärtransporte oder bei besonderen Gefahrenlagen (Baustellen, Hochwasser etc.). Auch konnten temporäre Geschwindigkeitsbegrenzungen verhängt werden. Für Fahrzeuge mit Sonderrechten (Polizei, Feuerwehr) sah das Gesetz Ausnahmen vor. Die Anordnung solcher Regelungen lag bei den zuständigen Polizeibehörden bzw. den Straßenverkehrsämtern und bedurfte regelmäßig einer besonderen Begründung sowie öffentlicher Bekanntmachung.

Wie wurden Konflikte um Straßenbaulast und Unterhaltungszuständigkeit auf Reichsstraßen rechtlich gelöst?

Die Straßenbaulast, das heißt die rechtliche Pflicht zur Herstellung, Unterhaltung und Verwaltung der Reichsstraßen, war klar dem Reich bzw. den von ihm beauftragten Behörden zugewiesen. Konflikte mit Ländern oder Kommunen entstanden insbesondere bei Veränderungen der Straßenklassifikation oder Grenzverläufen. Zur rechtlichen Lösung sah das Gesetz Vermittlungsverfahren unter Einbeziehung der Landesbehörden und gegebenenfalls der Reichsregierung vor. Im Streitfall war der Verwaltungsrechtsweg eröffnet, bei dem die Zustimmung höherer Verwaltungsbereiche oder die Entscheidung von Oberverwaltungsgerichten eingeholt werden konnte. Auch nach Umstufungen zu Landes- oder Kreisstraßen gab es Übergangsregelungen über die Zuständigkeit und Kostenbeteiligung.

Welche rechtlichen Vorgaben galten für den Rückbau oder die Umwidmung früherer Reichsstraßen?

Der Rückbau oder die Umwidmung von Reichsstraßen zu anderen Straßenkategorien (wie Kreis-, Landes- oder Kommunalstraßen) erfolgte nach Maßgabe spezieller Vorschriften im Straßenrecht. Das Verfahren verlangte regelmäßig einen öffentlichen Verwaltungsakt (Entwidmung oder Umstufung) mit entsprechender Begründung, insbesondere dem Wegfall des überregionalen Verkehrsinteresses. Die betroffenen Kommunen oder Länder mussten angehört werden, und es konnten Ersatz- oder Ausgleichsleistungen festgelegt werden. Der Rechtsschutz der Betroffenen war durch Anfechtung der Verwaltungsakte vor den Verwaltungsgerichten gesichert.

Wie waren die Rechte und Pflichten Dritter (z.B. Leitungsrechte von Versorgungsunternehmen) auf Reichsstraßen geregelt?

Dritte wie Versorgungsunternehmen (Gas, Wasser, Strom, Telekommunikation) hatten im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen bestimmte Leitungsrechte auf Reichsstraßen, diese waren jedoch stets an Bedingungen geknüpft. Die Errichtung und Unterhaltung solcher Leitungen bedurfte in jedem Fall einer behördlichen Sondernutzungserlaubnis sowie einer vertraglichen Regelung über Haftung, Unterhaltung und Entschädigung bei Baumaßnahmen. Rechte Dritter durften die widmungsgemäße Nutzung als Straße nicht beeinträchtigen. Streitigkeiten um Leitungsrechte wurden vor den ordentlichen Gerichten oder im Wege der verwaltungsrechtlichen Normenkontrolle entschieden.