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Reichensteuer


Begriff und Definition der Reichensteuer

Als Reichensteuer wird im deutschen Steuerrecht eine steuerliche Maßnahme bezeichnet, die darauf abzielt, besonders hohe Einkommen über eine zusätzliche tarifliche Komponente einer stärkeren Besteuerung zu unterwerfen. Der Begriff ist kein gesetzlicher Terminus, sondern eine umgangssprachliche Bezeichnung für die Einführung eines erhöhten Einkommensteuersatzes für besonders hohe zu versteuernde Einkommen. Ziel ist es regelmäßig, eine steuerliche Mehrbelastung für Personen mit sehr hohem Einkommen herzustellen und so zur Finanzierung staatlicher Aufgaben beizutragen sowie eine Umverteilung von Vermögen zu fördern.

Abgrenzung zur Einkommensteuer und Progression

Die Reichensteuer ist rechtlich Teil der Einkommensteuer und bildet keinen eigenständigen Steuerbestandteil. Sie ist vielmehr eine Ergänzung zur bestehenden Tarifstruktur der Einkommensteuer, indem sie für einen festgelegten Teil des Einkommens einen Satz oberhalb des regulären Spitzensteuersatzes vorsieht. Die gesetzliche Grundlage dafür findet sich im Einkommensteuergesetz (EStG), wobei die Höhe und die Einkommensgrenzen im Rahmen regelmäßiger Gesetzesänderungen angepasst werden können.

Gesetzliche Ausgestaltung in Deutschland

Einführung und Entwicklung

Die Reichensteuer wurde in Deutschland im Zuge des Unternehmenssteuerreformgesetzes 2007 (Unternehmenssteuerreformgesetz 2008, BGBl. I S. 1912) als „Zusatzbeitrag für besonders hohe Einkommen“ in das Einkommensteuergesetz aufgenommen. Seit 2007 gilt der höchste Einkommensteuersatz von 45 % für zu versteuernde Einkommen, die bestimmte Freigrenzen überschreiten.

Tarifliche Grundlage

Spitzensteuersatz und Reichensteuer

Gemäß § 32a EStG ist der reguläre Spitzensteuersatz der Einkommensteuer bei 42 % festgelegt. Ab einem festgeschriebenen zu versteuernden Jahreseinkommen greift für natürliche Personen der sogenannte „Reichensteuersatz“ von 45 % (Stand: 2024). Die Einkommensgrenze (2024) beträgt für Ledige 277.826 Euro pro Jahr, für zusammenveranlagte Ehegatten das Doppelte.

Berechnung und Mechanik

Der erhöhte Steuersatz von 45 % (Reichensteuer) kommt nicht für das gesamte Einkommen, sondern nur für den Teil des Einkommens zur Anwendung, der die genannte Grenze überschreitet. Ergänzend kann der Solidaritätszuschlag (§ 3 SolzG 1995) die Steuerbelastung weiter erhöhen.

Rechtliche Einordnung und verfassungsrechtliche Aspekte

Steuerrechtliche Grundlage

Die Regelung zur Reichensteuer ist im Einkommensteuergesetz (§ 32a EStG) geregelt. Die Anwendung erfolgt nach dem Prinzip der Leistungsfähigkeit, gemäß Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), der Grundsatz der Gleichbehandlung, welcher auch im Steuerrecht Relevanz besitzt. Die Progression – und in deren Folge auch die Reichensteuer – wurde durch das Bundesverfassungsgericht mehrfach auf ihre Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz hin überprüft und grundsätzlich nicht beanstandet, sofern sie am Maßstab der finanziellen Leistungsfähigkeit ausgerichtet bleibt.

Diskriminierungsfreiheit und Willkürverbot

Die Einführung einer Reichensteuer ist im Hinblick auf Art. 3 GG solange zulässig, wie sie keine willkürliche oder diskriminierende Belastung für bestimmte Gruppen darstellt. Die Gleichheitsgrundsätze gebieten, dass die Steuerlasten gleichmäßig verteilt und sachlich begründet werden.

Doppelbesteuerung und internationale Aspekte

Internationale Aspekte sind insbesondere bei grenzüberschreitenden Einkünften relevant. Durch Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) wird vermieden, dass der erhöhte Steuersatz für im Ausland bereits besteuerte Einkommen nochmals uneingeschränkt erhoben wird. Das deutsche Einkommensteuergesetz macht zudem Vorgaben zur Anrechnung ausländischer Steuern (§ 34c EStG).

Abgrenzung zu anderen steuerlichen Instrumenten

Vermögenssteuer und Erbschaftsteuer

Die Reichensteuer ist von der Vermögenssteuer zu unterscheiden, welche das vorhandene Vermögen und nicht das Einkommen besteuert. Auch Erbschaft- und Schenkungsteuer sind davon abzugrenzen, da jene auf Übertragungen von Vermögenswerten Anwendung finden.

Solidaritätszuschlag und andere Zuschläge

Der Solidaritätszuschlag ist ein eigenständiger Zuschlag zur Einkommensteuer (§ 1 SolzG 1995), der für besonders hohe Einkommen ebenfalls relevant sein kann, aber ein anderes Ziel und eine andere rechtliche Grundlage besitzt. Ebenso ist der Unterschied zu einer Vermögensabgabe zu beachten, welche in besonderen Ausnahmefällen (z. B. nach Kriegen) als einmalige Sonderabgabe erhoben werden kann.

Kritik, Rechtsprechung und aktuelle Reformdiskussionen

Gesellschaftspolitische Diskussionen

Die Reichensteuer ist regelmäßig Gegenstand politischer und gesellschaftlicher Diskussionen. Einerseits wird sie als Beitrag zur steuerlichen Gerechtigkeit gesehen, andererseits werden negative Auswirkungen auf Leistungsbereitschaft, Innovation und Investitionsbereitschaft angeführt.

Rechtsprechung

Das Bundesverfassungsgericht hat die grundsätzliche Zulässigkeit progressiver Steuertarife und auch eines erhöhten Spitzensteuersatzes bestätigt, solange der Gleichheitsgrundsatz, das Verbot der Übermaßbesteuerung sowie das Leistungsfähigkeitsprinzip beachtet werden. Entscheidungen zu Details erfolgen im Rahmen einzelner Steuerrechtsstreitigkeiten.

Relevanz in der Steuerpolitik

Immer wieder wird eine Erweiterung oder Anpassung der Reichensteuer debattiert, etwa durch Absenkung der Eintrittsgrenzen, Erhöhung der Steuersätze oder Ausweitung auf weitere Einkunftsarten. Auch internationale Entwicklungen, wie die Debatte um Mindeststeuersätze für Unternehmen und Kapital, beeinflussen die Diskussion über nationale Steuermodelle für hohe Einkommen.

Zusammenfassung und Ausblick

Die Reichensteuer ist in Deutschland eine spezielle Ausprägung der tariflichen Einkommensteuer für besonders hohe Einkommen. Rechtsgrundlage ist das Einkommensteuergesetz, ergänzt um verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen und internationale Abkommen. Sie dient der Erhöhung der Steuerprogression bei hohen Einkommen und steht regelmäßig im Fokus politischer und gesellschaftlicher Auseinandersetzungen über Steuergerechtigkeit, Leistungsfähigkeit und fiskalische Zielsetzungen. Zukünftige Gesetzesänderungen und internationale Entwicklungen können die konkrete Ausgestaltung weiter beeinflussen.

Häufig gestellte Fragen

Welche Gesetze regeln die Erhebung der Reichensteuer in Deutschland?

Die Erhebung der sogenannten „Reichensteuer“ in Deutschland basiert primär auf den Bestimmungen des Einkommensteuergesetzes (EStG). Insbesondere bildet § 32a EStG die rechtliche Grundlage, da dort der sogenannte progressive Tarif der Einkommensteuer und die entsprechenden Steuersätze verankert sind. Die Begriffsverwendung „Reichensteuer“ bezieht sich umgangssprachlich auf den seit dem Jahr 2007 geltenden höheren Steuersatz von 45 % für zu versteuernde Einkommen oberhalb einer bestimmten Schwelle (aktueller Stand: ab ca. 277.826 € für Ledige bzw. 555.652 € für zusammen Veranlagte, Stand 2024). Gesetzlich ist der Steuertarif gestaffelt und die „Reichensteuer“ stellt keine eigenständige Steuerart dar, sondern ist Teil des Spitzensteuersatzes. Daneben sind auch das Grundgesetz (GG), insbesondere Art. 3 GG (Allgemeiner Gleichheitsgrundsatz) und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts maßgeblich, da diese die Grenzen der Belastung und die Zulässigkeit von progressiven Steuersätzen bestimmen.

Wer ist rechtlich von der Reichensteuer betroffen?

Rechtlich betroffen sind natürliche Personen, die in Deutschland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sind, also ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben (§ 1 Abs. 1 EStG), und deren Jahreseinkommen oberhalb der gesetzlich festgelegten Grenze für den Spitzensteuersatz (inklusive „Reichensteuer“) liegt. Die relevante Einkommensgrenze wird jährlich angepasst. Die Steuer greift unabhängig von der Einkunftsart, also sowohl bei Einkünften aus selbständiger, nichtselbständiger oder gewerblicher Tätigkeit, aus Kapitalvermögen, Vermietung und Verpachtung sowie sonstigen steuerpflichtigen Einkünften, sofern das zu versteuernde Jahreseinkommen die Grenze überschreitet, nach der die 45 %-Besteuerung gilt. Davon sind sowohl Alleinstehende als auch Verheiratete betroffen, wobei letztere höhere Freibeträge aufgrund der Zusammenveranlagung nutzen können.

Gibt es im Steuerrecht Ausnahmen oder Gestaltungsmodelle, um die Reichensteuer zu vermeiden oder zu mindern?

Im deutschen Steuerrecht existieren wenige explizite Ausnahmen für die Anwendung des Spitzensteuersatzes inklusive der „Reichensteuer“. Allerdings können Steuerpflichtige durch legale steueroptimierende Gestaltungen ihre steuerliche Bemessungsgrundlage mindern. Beispiele hierfür sind die Nutzung von Freibeträgen, Sonderausgaben (z. B. Altersvorsorgeaufwendungen, Spenden) und außergewöhnlichen Belastungen. Auch können etwa Unternehmensstrukturen (z. B. Familiengesellschaften, Holdingstrukturen) oder die Nutzung von Verlustvorträgen eine steuerliche Entlastung herbeiführen. Allerdings prüft die Finanzverwaltung im Rahmen der sogenannten „Missbrauchskontrolle“ gemäß § 42 Abgabenordnung (AO) gezielt Gestaltungen, die nur zur Steuerersparnis vorgenommen werden. Steuerumgehungen, bei denen der wirtschaftliche Gehalt lediglich simuliert wird, können im Rahmen des rechtlichen Gestaltungsmissbrauchs herausgefiltert werden und sind dann nicht wirksam.

Welche Bedeutung kommt dem Solidaritätszuschlag im Zusammenhang mit der Reichensteuer zu?

Der Solidaritätszuschlag (Soli) ist eine Ergänzungsabgabe zur Einkommensteuer und damit auch zur „Reichensteuer“. Seit der Gesetzesänderung 2021 wurde der Solidaritätszuschlag für die meisten Steuerpflichtigen abgeschafft, bleibt aber für besonders hohe Einkommen weiterhin relevant. Sobald der zu zahlende Einkommensteuerbetrag, zu dem auch der Teil mit dem „Reichensteuer“-Satz gehört, die Freigrenze überschreitet, fällt für diesen Anteil weiterhin ein Zuschlag von 5,5 % auf die Einkommensteuer an. Das Bundesministerium der Finanzen definiert jährlich eine Freigrenze, ab deren Überschreiten sich der Solidaritätszuschlag zu einem vollen Satz aufbaut. Diese Ausgestaltung führt dazu, dass die einkommenstärksten Steuerpflichtigen weiterhin zusätzlich zum 45 %-Tarif den Solidaritätszuschlag zu entrichten haben.

Unterliegt die Reichensteuer der verfassungsrechtlichen Prüfung?

Ja, jede steuerrechtliche Regelung, also auch der Spitzensatz gemäß § 32a EStG (umgangssprachlich „Reichensteuer“) unterliegt der ständigen verfassungsrechtlichen Kontrolle – insbesondere durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG). Prüfschwerpunkte sind hierbei das Prinzip der Gleichmäßigkeit der Besteuerung (Art. 3 GG), das Leistungsfähigkeitsprinzip sowie das Übermaßverbot. In der Vergangenheit wurden verschiedene Verfahren angestrengt, die sich gegen die Höhe des Spitzensteuersatzes und damit auch gegen die Reichensteuer richteten. Das BVerfG hat aber bislang die Steuerprogression und auch die Erhebung eines erhöhten Spitzensteuersatzes als mit dem Grundgesetz vereinbar angesehen, sofern ein angemessenes Verhältnis zur Leistungsfähigkeit gewahrt bleibt und keine konfiskatorische Wirkung eintritt. Änderungen der Rechtsprechung sind möglich, sofern sich die Belastungswirkung erheblich erhöhen oder gesellschaftspolitische Entwicklungen neue Bewertungen erforderlich machen.

Welche Mitwirkungspflichten bestehen bezüglich der Reichensteuer?

Die steuerlichen Mitwirkungspflichten bei Erreichen der Einkommensgrenze der „Reichensteuer“ sind identisch mit denen der regulären Einkommensteuerveranlagung. Steuerpflichtige müssen sämtliche Einnahmen, inklusive sonstiger Einkünfte und Kapitalerträge, im Rahmen der Einkommensteuererklärung umfassend, wahrheitsgemäß und vollständig angeben. Daneben sind entsprechende Nachweise, insbesondere bei Sonderausgaben, außergewöhnlichen Belastungen oder Werbungskosten, auf Verlangen des Finanzamts einzureichen. Bei komplexen Einkunftsarten, ausländischen Einkünften und Umstrukturierungen kann das Finanzamt erweiterte Auskünfte oder Gutachten verlangen. Auch die Pflicht zur elektronischen Abgabe der Steuererklärung gilt uneingeschränkt. Bei Verletzung dieser Pflichten drohen steuerstrafrechtliche Konsequenzen.

Wird die Höhe der Einkommensgrenze für die Reichensteuer regelmäßig angepasst?

Ja, die jeweils geltende Einkommensgrenze, ab welcher der Tarif von 45 % (Reichensteuer) greift, wird im Regelfall jährlich angepasst. Dies erfolgt entsprechend der Entwicklung des sogenannten Grundfreibetrags und/oder durch Gesetzesbeschlüsse des Bundestags, die auf Indexierungen, steuerpolitische Änderungen oder Anpassung an die Inflation reagieren. Grundlage hierfür ist in der Regel die sogenannte Tarifanpassung im Rahmen des „Steuerlichen Existenzminimumsberichts“ der Bundesregierung, um den progressiven Tarif an ökonomische und gesellschaftliche Entwicklungen anzupassen und eine Steuermehrbelastung aufgrund kalter Progression zu vermeiden. Die genaue Höhe der Grenze wird jeweils im Einkommensteuergesetz (Tarifvorschrift, § 32a EStG) veröffentlicht.