Legal Lexikon

Wiki»Legal Lexikon»Vertragsrecht»Rechtshindernde Einwendungen

Rechtshindernde Einwendungen


Rechtshindernde Einwendungen

Begriff und rechtliche Einordnung

Rechtshindernde Einwendungen sind zentrale Rechtsbegriffe im deutschen Zivilrecht. Sie bezeichnen Rechtsgründe, die bereits die Entstehung eines Anspruchs von Anfang an verhindern. Durch das Vorliegen einer rechtshindernden Einwendung kann ein Anspruch gar nicht erst wirksam entstehen, sodass eine spätere Durchsetzung unmöglich ist. Im System der zivilrechtlichen Anspruchsprüfung nehmen rechtshindernde Einwendungen eine zentrale Stellung ein, da sie der Wirksamkeit von Rechtsgeschäften oder Verpflichtungen entgegenstehen und somit deren rechtliche Folgen verhindern.

Abgrenzung zu anderen Einwendungen

Im deutschen Zivilrecht wird zwischen rechtshindernden Einwendungen, rechtsvernichtenden Einwendungen und rechtshemmenden Einreden unterschieden:

  • Rechtshindernde Einwendungen verhindern das Entstehen eines Anspruchs von vornherein.
  • Rechtsvernichtende Einwendungen führen dazu, dass ein bereits entstandener Anspruch nachträglich erlischt.
  • Rechtshemmende Einreden ermöglichen dem Schuldner, die Durchsetzbarkeit eines bestehenden Anspruchs zeitweise oder dauerhaft zu hemmen, zum Beispiel durch Verjährung.

Die klare Abgrenzung dieser Begriffe ist maßgeblich für die korrekte Anspruchsprüfung im Zivilrecht. Während ein Anspruch nach dem Tatbestand des Gesetzes oder eines Vertrags entstanden sein könnte, prüfen die rechtshindernden Einwendungen, ob dies rechtlich überhaupt möglich war.

Systematik der rechtshindernden Einwendungen

Zu den rechtshindernden Einwendungen zählen insbesondere folgende Konstellationen:

1. Geschäftsunfähigkeit (§ 104 BGB)

Ein Vertrag, der mit einer geschäftsunfähigen Person geschlossen wird, ist gemäß § 105 Abs. 1 BGB nichtig. Die Geschäftsunfähigkeit ist somit eine rechtshindernde Einwendung, da ein Vertrag oder sonstiges Rechtsgeschäft mangels Wirksamkeit keinen Anspruch begründet.

2. Formmangel (§ 125 BGB)

Bestimmte Rechtsgeschäfte bedürfen einer gesetzlich vorgeschriebenen Form. Wird diese Form nicht eingehalten, so ist das Rechtsgeschäft nach § 125 BGB grundsätzlich nichtig; der Anspruch entsteht somit nicht.

3. Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB)

Rechtsgeschäfte, die gegen die guten Sitten verstoßen, sind gemäß § 138 BGB nichtig. Auch hier handelt es sich um eine rechtshindernde Einwendung, die die Entstehung eines Anspruchs ausschließt.

4. Gesetzliches Verbot (§ 134 BGB)

Geschäfte, die gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen, sind nach § 134 BGB nichtig. Solche Verbote entfalten rechtshindernde Wirkung auf die Entstehung vertraglicher Ansprüche.

5. Fehlen einer essentialia negotii

Fehlen bei Verträgen wesentliche Vertragsbestandteile (z. B. Kaufgegenstand oder Kaufpreis beim Kaufvertrag), so kommt kein wirksamer Vertrag zustande und damit auch kein Anspruch.

Anwendung im Anspruchsaufbau

Im Rahmen des zivilrechtlichen Anspruchsaufbaus sind die rechtshindernden Einwendungen in der zweiten Stufe der Anspruchsprüfung („Anspruch entstanden?“) zu verorten. Nach der Feststellung des vorliegenden Tatbestandsmerkmals muss geprüft werden, ob rechtshindernde Einwendungen entgegenstehen. Erst wenn das nicht der Fall ist, entstehen Ansprüche überhaupt rechtlich wirksam.

Beispiele für rechtshindernde Einwendungen

| Tatbestand | Gesetzliche Grundlage | Wirkung |
|———————————–|———————-|———————————–|
| Geschäftsunfähigkeit | § 104 BGB | Nichtigkeit des Geschäfts |
| Sittenwidrigkeit | § 138 Abs. 1 BGB | Nichtigkeit |
| Wucher | § 138 Abs. 2 BGB | Nichtigkeit |
| Gesetzliches Verbot | § 134 BGB | Nichtigkeit |
| Formmangel | § 125 BGB | Nichtigkeit |
| Scheingeschäft | § 117 BGB | Nichtigkeit |

Auswirkungen und Bedeutung

Rechtshindernde Einwendungen verhindern, dass aus einem Vertrag oder Gesetz ein Anspruch entsteht. Das hat zur Folge, dass ein Anspruch bereits im Ursprung scheitert und daher nicht eingeklagt oder durchgesetzt werden kann. Im Prozess ist es möglich, sich darauf auch ohne entsprechende Einredeerhebung zu berufen. Das Gericht prüft deren Vorliegen unabhängig von Einwendungen der Parteien (Grundsatz der Amtsermittlung, § 138 ZPO).

Verhältnis zu anderen Anspruchsvoraussetzungen

Rechtshindernde Einwendungen stehen im Prüfungsaufbau typischerweise nach der Feststellung des Entstehungstatbestandes, jedoch vor der Prüfung rechtsvernichtender Einwendungen und Einreden. Sie sind Voraussetzung für die weitere Anspruchsprüfung und nehmen daher eine filternde Funktion im Prüfungsaufbau ein.

Rechtshindernde Einwendungen im Schuldrecht

Im Schuldrecht treten rechtshindernde Einwendungen vor allem im Zusammenhang mit dem Vertragsschluss sowie dessen Wirksamkeit auf. Dies betrifft sowohl das allgemeine Schuldrecht als auch spezielle Vertragstypen wie Kauf-, Werk-, Miet- oder Dienstverträge. Typische Fragestellungen betreffen etwa die Geschäftsfähigkeit der Vertragsparteien, Formvorschriften oder die Vereinbarkeit des Vertragsgegenstands mit der Rechtsordnung.

Prozessuale Beachtung

Ein weiteres zentrales Merkmal rechtshindernder Einwendungen besteht darin, dass sie grundsätzlich von den Gerichten von Amts wegen zu beachten sind. Das bedeutet, dass sie unabhängig davon zu berücksichtigen sind, ob sie von den Parteien geltend gemacht werden. Dies stellt einen bedeutsamen prozessualen Unterschied zu den Einreden dar, die ausdrücklich von einer Partei erhoben werden müssen.

Zusammenfassung

Rechtshindernde Einwendungen sind im deutschen Zivilrecht maßgebliche Faktoren für die Gültigkeit von Ansprüchen und Verträgen. Sie verhindern das Entstehen eines Anspruchs bereits im Keim, indem bestimmte rechtliche Voraussetzungen nicht erfüllt werden. Ihre systematische Erfassung und korrekte Anwendung sind für die rechtliche Bewertung von Ansprüchen unverzichtbar. Das Verständnis ihrer Wirkungsweise bildet eine Grundlage für die Anspruchsprüfung und die Durchsetzung zivilrechtlicher Interessen.

Häufig gestellte Fragen

Welche praktischen Beispiele für rechtshindernde Einwendungen gibt es im Bürgerlichen Recht?

Rechtshindernde Einwendungen verhindern die Entstehung eines Anspruchs bereits im Keim und gehören damit zur ersten Ebene der Anspruchsprüfung. Im Bürgerlichen Recht treten solche Einwendungen insbesondere dann auf, wenn bereits die Voraussetzungen für die Wirksamkeit eines Rechtsgeschäfts fehlen. Praktische Beispiele finden sich u.a. im Recht der Willenserklärungen (§§ 116 ff. BGB), insbesondere bei der Geschäftsunfähigkeit (§ 104 BGB): Schließt beispielsweise ein Siebenjähriger einen Kaufvertrag ab, ist dieser von vornherein nichtig, sodass ein Anspruch auf Übereignung oder Bezahlung gar nicht entsteht. Ein weiteres Beispiel betrifft das Formmangel (§ 125 BGB), etwa bei Verträgen über Grundstückskäufe, die nicht der notariellen Beurkundung bedürfen: Auch hier entsteht kein wirksamer Anspruch. Ein drittes Beispiel ist das Fehlen der erforderlichen Einwilligung eines gesetzlichen Vertreters (§ 107 BGB), etwa bei Verträgen, die Minderjährige ohne Zustimmung der Eltern schließen. Diese Beispiele zeigen, dass rechtshindernde Einwendungen typischerweise an Voraussetzungen ansetzen, die schon im Stadium des Vertragsschlusses oder der Willenserklärung nicht vorliegen, und damit verhindern, dass ein wirksamer Vertrag und damit ein Anspruch entstehen kann.

In welchem Stadium der Anspruchsprüfung werden rechtshindernde Einwendungen relevant?

Rechtshindernde Einwendungen sind bereits im ersten Schritt der Anspruchsprüfung relevant: Sie sind ein Teil der so genannten „Entstehung des Anspruchs“. Im klassischen juristischen Prüfungsaufbau wird zunächst gefragt, ob ein Anspruch überhaupt entstanden ist. Erst hier – noch vor der Frage nach etwaigen rechtsvernichtenden oder rechtshemmenden Einwendungen – wird geprüft, ob zum Beispiel die Wirksamkeit einer Willenserklärung oder eines Vertrages gegeben ist oder ob bestimmte Hindernisse wie Geschäftsunfähigkeit, Formmängel oder anfängliche Unmöglichkeit bereits der Entstehung des Anspruchs entgegenstehen. Treten rechtshindernde Einwendungen auf, so erledigt sich eine weitere Prüfung zu Durchsetzbarkeit oder Erlöschen des Anspruchs von selbst, da ein Anspruch dann gar nicht erst besteht.

Wie unterscheiden sich rechtshindernde Einwendungen von rechtsvernichtenden Einwendungen und Einreden?

Der Hauptunterschied zwischen rechtshindernden und rechtsvernichtenden Einwendungen sowie Einreden betrifft den jeweiligen Zeitpunkt und die Art und Weise ihrer Wirkung auf den Anspruch. Rechtshindernde Einwendungen stehen der Entstehung des Anspruchs bereits entgegen und verhindern diesen von vornherein. Rechtsvernichtende Einwendungen greifen hingegen nachträglich ein, d.h. sie vernichten einen bereits entstandenen Anspruch (zum Beispiel durch Erfüllung, Rücktritt, Minderung oder Anfechtung). Einreden wiederum hindern nicht die Entstehung oder das Bestehen eines Anspruchs, sondern nur seine Durchsetzbarkeit – etwa durch Verjährung (§ 214 BGB) oder die Einrede des nicht erfüllten Vertrages (§ 320 BGB) – sodass der Anspruch nur auf Einrede des Schuldners hin nicht geltend gemacht werden kann. Die Struktur der materiellen Anspruchsprüfung sieht demnach vor, zuerst rechtshindernde, dann rechtsvernichtende Einwendungen und zuletzt Einreden zu prüfen.

Welche Bedeutung kommt der Beweislast bei rechtshindernden Einwendungen zu?

Die Beweislast für das Vorliegen einer rechtshindernden Einwendung trägt grundsätzlich derjenige, der sich darauf beruft. In der Praxis ist dies meist der Beklagte im Zivilprozess, der geltend macht, dass z.B. ein Vertrag wegen Geschäftsunfähigkeit, Formmangel oder wegen fehlender Einwilligung unwirksam sei. Es ist dann dessen Aufgabe, die entsprechenden Tatsachen substantiiert vorzutragen und im Bestreitensfall zu beweisen. Die Gerichte sind verpflichtet, diese Einwendungen umfassend zu würdigen – da ein Anspruch schon bei Vorliegen einer rechtshindernden Einwendung von Anfang an nicht besteht. Fehlt ein entsprechender Nachweis, bleibt der geltend gemachte Anspruch bestehen.

Welche typischen Fehler werden bei der Anwendung rechtshindernder Einwendungen in Klausuren gemacht?

Ein häufiger Fehler in juristischen Klausuren ist es, rechtshindernde Einwendungen mit rechtsvernichtenden Einwendungen oder Einreden zu vermischen oder deren Prüfungsreihenfolge zu verwechseln. Insbesondere wird oft versäumt, schon im ersten Prüfungspunkt („Anspruch entstanden?“) zu untersuchen, ob möglicherweise die Voraussetzungen für das Zustandekommen des Vertrages fehlen – etwa weil eine Willenserklärung wegen Geschäftsunfähigkeit nichtig ist oder ein Formmangel vorliegt. In solchen Fällen führen Studierende die Prüfung der weiteren Einwendungen oder gar die Anspruchsdurchsetzung fort, obwohl der Anspruch bereits nicht entstanden ist. Ein weiterer Fehler ist es, spezielle rechtshindernde Einwendungen wie das Fehlen der Einwilligung bei Minderjährigen (§ 107 BGB) zu übersehen oder die Beweislastverteilung nicht zutreffend zu berücksichtigen. Besonders bedeutsam ist deshalb eine systematische und saubere Anspruchsprüfung, in der rechtshindernde Einwendungen zu Beginn abgeprüft werden.

Welche Rolle spielen rechtshindernde Einwendungen im Kontext von AGB-Kontrollen?

Im Rahmen der AGB-Prüfung kommt rechtshindernden Einwendungen eine bedeutende Rolle zu, wenn durch die Verwendung von AGB-Bestimmungen bereits das Zustandekommen eines wirksamen Vertrages verhindert wird. Zum Beispiel kann ein Vertrag dann nicht wirksam werden, wenn die Einbeziehungskontrolle nach §§ 305 ff. BGB ergibt, dass wesentliche Vertragsbestandteile nicht klar oder transparent dargestellt wurden, oder überraschende Klauseln nach § 305c BGB vorliegen, die als nicht Vertragsbestandteil angesehen werden und so das Zustandekommen des Vertrages hindern können. In diesen Fällen liegt eine rechtshindernde Einwendung vor, da von vornherein kein wirksamer Vertrag zustande kommt und folglich keine Ansprüche daraus hergeleitet werden können. Die AGB-Kontrolle ist damit auch aus dem Blickwinkel der rechtshindernden Einwendungen von praktischer Bedeutung, insbesondere für den Verbraucherschutz.