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Recht auf Vergessen


Begriff und Entstehung des Rechts auf Vergessen

Das Recht auf Vergessen – häufig auch als „Recht auf Vergessenwerden“ oder „Right to be Forgotten“ bezeichnet – ist ein rechtlicher Anspruch, der die Löschung personenbezogener Daten und deren Entfernung aus öffentlich zugänglichen Quellen, insbesondere im Internet, umfasst. Es handelt sich um einen Bestandteil des Datenschutzrechts, der in Europa vor allem durch die europäische Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) geprägt ist und in Reaktion auf die zunehmende Digitalisierung sowie die langanhaltende Verfügbarkeit persönlicher Informationen im Netz entstanden ist.

Historische Entwicklung

Ursprung und Europäische Grundrechte

Die Diskussion über ein Recht auf Vergessen reicht zurück in die Anfänge des Datenschutzes. Mit dem wachsenden Einfluss digitaler Technologien, der Verarbeitung personenbezogener Daten und dem Internet entstand ein zunehmender Bedarf an besonderen Regelungen zum Schutz persönlicher Daten und Privatsphäre. Bereits in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ist in Art. 7 und Art. 8 der Schutz personenbezogener Daten und der Achtung des Privatlebens verankert.

Einfluss des EuGH

Wesentliche Impulse erhielt das Recht auf Vergessen durch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 13. Mai 2014 (Rechtssache C-131/12, Google Spain SL, Google Inc. gegen Agencia Española de Protección de Datos, Mario Costeja González). Dieses Urteil stärkte das individuelle Recht, bestimmte personenbezogene Informationen aus den Suchergebnissen großer Internetdienste entfernen zu lassen. Seither wurde das Recht auf Vergessen integraler Bestandteil des europäischen Datenschutzrechts.

Rechtliche Grundlagen

Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO)

Das Recht auf Vergessen ist insbesondere in Art. 17 DSGVO verankert. Nach dieser Vorschrift hat die betroffene Person das Recht, die unverzügliche Löschung ihrer personenbezogenen Daten zu verlangen, sofern bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind.

Voraussetzungen des Anspruchs

Unter anderem besteht das Recht auf Löschung, wenn:

  • die personenbezogenen Daten für die Zwecke, für die sie erhoben oder verarbeitet wurden, nicht mehr notwendig sind;
  • die betroffene Person ihre Einwilligung widerrufen hat und es an einer anderweitigen Rechtsgrundlage fehlt;
  • die betroffene Person Widerspruch gegen die Verarbeitung eingelegt hat (Art. 21 DSGVO) und keine vorrangigen berechtigten Gründe für die Verarbeitung vorliegen;
  • die personenbezogenen Daten unrechtmäßig verarbeitet wurden;
  • die Löschung zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung nach dem Unionsrecht oder dem Recht der Mitgliedstaaten erforderlich ist.

Ausnahmen und Einschränkungen

Die DSGVO normiert ebenfalls Ausnahmen, bei denen das Recht auf Vergessen nicht gilt (Art. 17 Abs. 3 DSGVO). Dies betrifft insbesondere, wenn die Verarbeitung zur Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung und Information, zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung, aus Gründen des öffentlichen Interesses im Bereich der öffentlichen Gesundheit, für Archivzwecke, wissenschaftliche oder historische Forschungszwecke oder zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen erforderlich ist.

Anwendungsbereich und Wirkung

Suchmaschinen

Das Recht auf Vergessen findet insbesondere dann praktische Anwendung, wenn es um die Löschung von Links in Suchmaschinen geht. Personen können verlangen, dass unter ihrem Namen erscheinende Suchergebnisse entfernt werden, sofern die darin enthaltenen Informationen nicht mehr aktuell, sachlich falsch, unvollständig oder unangemessen sind. Die Abwägung zwischen Persönlichkeitsrecht und Informationsinteresse der Öffentlichkeit spielt hierbei eine zentrale Rolle.

Weitere Verantwortliche (Datenverarbeiter und -verantwortliche)

Das Recht ist nicht ausschließlich auf Suchmaschinen anwendbar, sondern richtet sich grundsätzlich gegen alle Datenverarbeiter und -verantwortlichen. Auch Unternehmen, Behörden oder andere Institutionen können verpflichtet sein, personenbezogene Daten zu löschen, sofern die genannten Voraussetzungen erfüllt sind.

Internationale Anwendungsprobleme

Das Recht auf Vergessen wirft im internationalen Kontext komplexe Fragen auf, insbesondere hinsichtlich der Durchsetzung europäischer Löschpflichten gegenüber außereuropäischen Unternehmen und im Hinblick auf die Reichweite der Löschverpflichtung (weltweit oder beschränkt auf EU-Domains).

Abwägung mit anderen Grundrechten

Das Recht auf Vergessen erfordert im Einzelfall eine sorgfältige Abwägung verschiedener Grundrechte:

  • Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens: Die Interessen des Einzelnen an Datenschutz und Privatsphäre.
  • Recht auf Meinungs- und Informationsfreiheit: Die Interessen der Allgemeinheit an Zugang zu Informationen sowie die Rechte der Medien und Internetplattformen.

Diese Abwägung erfolgt auf Basis der Umstände des Einzelfalls und orientiert sich an der Schwere des Eingriffs, der Aktualität der Informationen und dem öffentlichen Interesse an deren weiterer Verfügbarkeit.

Relevante Rechtsprechung

Das Recht auf Vergessen wurde in mehreren bedeutenden Entscheidungen geprägt, unter anderem:

  • EuGH, Google Spain (C-131/12): Anerkennung des individuellen Löschanspruchs gegenüber Suchmaschinenbetreibern.
  • EuGH, GC und andere (C-136/17): Differenzierung zwischen sensiblen und nicht-sensiblen Daten sowie Stärkung der erforderlichen Interessenabwägung.
  • EuGH, Google gegen CNIL (C-507/17): Beschränkung der Pflicht zur Entfernung von Suchergebnissen grundsätzlich auf das Gebiet der Europäischen Union.

Umsetzung in Deutschland

In Deutschland wird das Recht auf Vergessen durch die DSGVO und das Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) konkretisiert. Zudem wird es von nationalen Gerichten fortlaufend ausgestaltet und weiterentwickelt. Betroffene können sich auf das Recht auf Löschung berufen und bei Verstößen entsprechende Beschwerden bei den Datenschutzaufsichtsbehörden einreichen.

Bedeutung und Ausblick

Das Recht auf Vergessen ist ein dynamischer rechtlicher Mechanismus, welcher den Schutz der Privatsphäre insbesondere in einer zunehmend digitalisierten Gesellschaft garantiert. Die Herausforderung liegt in der fortlaufenden Abwägung zwischen individuellem Persönlichkeitsschutz und dem öffentlichen Informationsinteresse. Mit Blick auf den rasanten technologischen Fortschritt und die Internationalität digitaler Medien wird das Recht auf Vergessen in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen und rechtlich sowie praktisch weiterentwickelt werden müssen.


Siehe auch:

  • Datenschutz-Grundverordnung
  • Datenschutz
  • Persönlichkeitsrecht
  • Internetrecht
  • Informationsfreiheit

Häufig gestellte Fragen

Wer kann vom Recht auf Vergessenwerden Gebrauch machen?

Das Recht auf Vergessenwerden steht grundsätzlich jeder natürlichen Person zu, deren personenbezogene Daten online verfügbar sind und die der Ansicht ist, dass diese Informationen für die ursprünglichen Zwecke, für die sie erhoben oder veröffentlicht wurden, nicht mehr notwendig oder relevant sind. Besonders personengebunden ist hierbei die Möglichkeit, einen Antrag auf Löschung dieser Daten bei Suchmaschinenbetreibern oder Webseiteninhabern zu stellen. Das Recht bezieht sich dabei nicht nur auf offensichtliche personenbezogene Daten wie Name oder Adresse, sondern umfasst sämtliche Informationen, die einer Person zugeordnet werden können. Juristische Personen (wie etwa Unternehmen oder Organisationen) können sich hingegen nicht auf das Recht auf Vergessenwerden berufen, da dieses ausschließlich dem Schutz der Privatsphäre und Persönlichkeitsrechte natürlicher Personen dient. Auch Angehörige verstorbener Personen können in Einzelfällen berechtigt sein, etwa wenn sie durch die Verarbeitung personenbezogener Daten des Verstorbenen mittelbar betroffen sind, wobei dies oftmals von den jeweiligen nationalen Regelungen abhängt.

Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit das Recht auf Vergessenwerden greift?

Das Recht auf Vergessenwerden nach Artikel 17 der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) setzt voraus, dass eine der gesetzlichen Löschgründe vorliegt. Hierzu zählt insbesondere, dass die Daten für die Zwecke, für die sie erhoben oder verarbeitet wurden, nicht mehr notwendig sind, oder dass die betroffene Person ihre Einwilligung widerruft und es keine anderweitige Rechtsgrundlage für die Verarbeitung gibt. Weitere Gründe sind das erfolgreiche Einlegen eines Widerspruchs gegen die Verarbeitung gemäß Art. 21 DSGVO, die unrechtmäßige Verarbeitung personenbezogener Daten sowie das Erfordernis der Löschung zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung. Allerdings ist das Recht auf Löschung umfassend, aber nicht unbeschränkt: Die Interessen der betroffenen Person werden gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit, rechtliche Verpflichtungen des Verantwortlichen sowie öffentliche Interessen abgewogen. Das bedeutet, dass bei gegensätzlichen Interessen, wie etwa Archivierungspflichten oder der Notwendigkeit, Informationen aus Gründen der öffentlichen Gesundheit vorzuhalten, das Recht auf Vergessenwerden beschränkt werden kann.

An wen muss der Löschantrag im Rahmen des Rechts auf Vergessenwerden gestellt werden?

Der Antrag auf Löschung personenbezogener Daten kann grundsätzlich sowohl an den ursprünglichen Verantwortlichen (z. B. eine Webseite oder ein Unternehmen, das die Daten veröffentlicht hat) als auch an Betreiber von Suchmaschinen gerichtet werden. Im Fall der Verlinkungen in Suchmaschinenergebnissen, wie sie unter anderem vom Europäischen Gerichtshof im sogenannten „Google-Spain-Urteil“ 2014 behandelt wurden, kann sich das Recht auf Vergessenwerden explizit auch auf Suchmaschinenbetreiber erstrecken. Diese müssen bei entsprechender Begründung und nach positiver Prüfung unzulässiger Suchergebnisse die Verweise aus ihren Ergebnislisten entfernen. Es empfiehlt sich, den Antrag möglichst präzise zu formulieren und geeignete Nachweise beizufügen, um die Identität des Antragstellers und die Berechtigung des Anliegens zu bestätigen.

Welche Ausnahmen bestehen für das Recht auf Vergessenwerden?

Das Recht auf Vergessenwerden unterliegt bestimmten relevanten Einschränkungen. Ausnahmen gelten insbesondere, wenn die Datenverarbeitung erforderlich ist zur Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung und Information, zur Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung, zur Wahrnehmung einer Aufgabe, die im öffentlichen Interesse liegt oder in Ausübung öffentlicher Gewalt erfolgt, zu Archivierungszwecken im öffentlichen Interesse, zur wissenschaftlichen oder historischen Forschung oder zu statistischen Zwecken, sofern das Recht auf Löschung voraussichtlich die Verwirklichung der Ziele dieser Verarbeitung unmöglich macht oder ernsthaft beeinträchtigt, oder zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen. Diese Ausnahmen sind abschließend im Gesetz geregelt und werden in jedem Einzelfall sorgfältig abgewogen.

Welche Rechtsfolgen drohen bei Nichtbeachtung des Rechts auf Vergessenwerden?

Eine Nichtbeachtung des Rechts auf Vergessenwerden, insbesondere wenn die betreffende betroffene Person ausdrücklich einen wirksamen Antrag auf Löschung gestellt hat, kann empfindliche Konsequenzen für Verantwortliche nach sich ziehen. Die Datenschutz-Grundverordnung sieht bei Verstößen gegen die Vorschriften zur Löschung personenbezogener Daten empfindliche Bußgelder vor, die je nach Schwere des Verstoßes bis zu 20 Millionen Euro oder 4 % des weltweit erzielten Jahresumsatzes eines Unternehmens betragen können – je nachdem, welcher Wert höher ist. Darüber hinaus können betroffene Personen Schadenersatzansprüche geltend machen, wenn ihnen durch die Nichtlöschung ein materieller oder immaterieller Schaden entsteht. Die zuständigen Aufsichtsbehörden (Datenschutzbehörden) sind verpflichtet, Beschwerden nachzugehen und gegebenenfalls weitere rechtliche Maßnahmen zu ergreifen.

Wie können Betroffene nach Ablehnung eines Löschantrags weiter vorgehen?

Sollte ein Löschantrag ganz oder teilweise abgelehnt werden, steht der betroffenen Person grundsätzlich der Rechtsweg offen. In einem ersten Schritt kann Beschwerde bei der zuständigen nationalen Datenschutzbehörde eingereicht werden, welche dann den Fall prüft und gegebenenfalls verwaltungsrechtliche Schritte gegen den Verantwortlichen einleitet. Zusätzlich besteht die Möglichkeit, Zivilklage vor Gerichten anzustrengen, um die Löschung der betreffenden Daten einzufordern. Je nach nationalem Recht besteht weiterhin die Option, vor einem Verwaltungs- oder ordentlichen Gericht einen Antrag auf gerichtliche Überprüfung zu stellen. Eine transparente Dokumentation aller bisherigen Schritte und Ablehnungsgründe ist in diesem Zusammenhang empfehlenswert.