Legal Lexikon

Realvertrag


Begriff und rechtliche Einordnung des Realvertrags

Der Realvertrag ist ein rechtsdogmatischer Begriff des Schuldrechts und bezeichnet einen Vertrag, dessen Rechtswirksamkeit nicht allein durch die übereinstimmende Willenserklärung der Parteien (Angebot und Annahme), sondern zusätzlich durch die tatsächliche Vornahme einer bestimmten Handlung, meist die Übergabe eines Gegenstands, begründet wird. Dies unterscheidet den Realvertrag vom Konsensualvertrag, bei dem das bloße Zustandekommen der Willenserklärungen genügt.

Im deutschen Recht firmiert der Realvertrag vorrangig als schuldrechtlicher Vertrag, dessen Typus bei bestimmten Vertragsschlüssen von Bedeutung ist. Auch in anderen europäischen Rechtsordnungen, etwa dem österreichischen und schweizerischen Zivilrecht, finden sich korrespondierende Regelungen.

Merkmale und Bedeutung des Realvertrags

Wesensmerkmale

Charakteristisch für einen Realvertrag ist das Erfordernis einer tatsächlichen Realhandlung als Vertragselement. Die rechtsgeschäftliche Bindung entsteht erst, wenn die vorgesehene Sachhingabe oder Realhandlung vollzogen wird. Bis dahin handelt es sich lediglich um ein sogenanntes „Verpflichtungsgeschäft“.

Beispielhafte Merkmale des Realvertrags:

  • Die Einigung der Parteien (Konsens) allein genügt nicht für das Entstehen eines Schuldverhältnisses.
  • Eine typische Realhandlung ist die Übergabe einer beweglichen Sache.
  • Der Vertrag wird erst mit Durchführung der Realhandlung rechtlich wirksam.

Abgrenzung zum Konsensualvertrag

Konsensualverträge kommen mit beidseitiger Übereinkunft zustande, ungeachtet etwaiger nachvertraglicher Handlungen. Der Realvertrag setzt hingegen ausdrücklich eine Realhandlung voraus, ohne die der Vertrag nicht wirksam ist.

Beispiel Konsensualvertrag:

  • Mietvertrag (§ 535 BGB): Kommt durch Einigung zustande, Verpflichtungen entstehen unabhängig von der Übergabe der Mietsache.

Beispiel Realvertrag:

  • Darlehensvertrag (§ 488 BGB a.F., heute eher Konsensualvertrag, im alten Recht aber als Realvertrag angesehen): Die Verpflichtung zur Rückzahlung entsteht erst mit Auszahlung bzw. Übergabe des Darlehensbetrages.

Erscheinungsformen von Realverträgen im deutschen Recht

Typische Realverträge (Beispiele)

Im deutschen Recht sind heute nur noch wenige Rechtsgeschäfte typischerweise als Realverträge ausgestaltet. Häufig genannte Beispiele sind:

Leihe (§§ 598 ff. BGB)

Ein Leihvertrag verpflichtet zur unentgeltlichen Überlassung einer Sache zum Gebrauch. Nach wohl herrschender Meinung entsteht der Vertrag erst mit Übergabe der Leihsache. Erst durch diese Realhandlung wird das vertragliche Schuldverhältnis begründet.

Verwahrung (§§ 688 ff. BGB)

Der Verwahrungsvertrag verpflichtet zur Aufbewahrung einer beweglichen Sache. Die meisten Stimmen im Schrifttum halten die Verwahrung für einen Realvertrag, da erst mit Übergabe der Sache das Vertragsverhältnis zustande kommt.

Sachdarlehen (§§ 607 ff. BGB)

Beim Sachdarlehen verpflichtet sich der Darlehensgeber, dem Darlehensnehmer Sachen gleicher Art, Güte und Menge in das Eigentum zu übertragen. Das Vertragsverhältnis entsteht mit der tatsächlichen Übergabe der Sachen.

Auftrag (§§ 662 ff. BGB) – Diskussion

Das Auftragsverhältnis wird überwiegend als Konsensualvertrag eingestuft, gleichwohl gibt es auch die Ansicht, der Auftrag sei ein Realvertrag, falls er erst mit der Übernahme der Tätigkeit zu Stande kommt. Nach heute herrschender Meinung ist jedoch die bloße Einigung ausreichend.

Sonderformen und internationale Einflüsse

Im Bereich der unentgeltlichen Gebrauchsüberlassung und ähnlicher Rechtsverhältnisse ist die Konstruktion des Realvertrags auch im europäischen Rechtsvergleich von Bedeutung, beispielsweise im österreichischen und schweizerischen Obligationenrecht.

Funktionen und Rechtsfolgen des Realvertrags

Zustandekommen

Ein Realvertrag setzt – im Gegensatz zum Konsensualvertrag – folgende Elemente voraus:

  • Angebot und Annahme (übereinstimmende Willenserklärungen)
  • Erfüllung einer Realhandlung (z. B. Übergabe der Sache)

Die Vertragspflichten entstehen erst mit Vornahme der Realhandlung. Bis zu diesem Zeitpunkt können die Parteien regelmäßig frei von rechtlichen Verpflichtungen gegenüberstehen.

Rechtswirkungen

Mit Vollzug des Realvertrags entstehen die vertraglich vereinbarten Hauptleistungspflichten der Parteien. Typischerweise betrifft dies die Herausgabe, Rückgabe oder Verwahrung von Sachen. Die Parteien sind ab diesem Zeitpunkt an die Vereinbarung gebunden und können sich bei Pflichtverletzungen auf schuldrechtliche Ansprüche berufen (z. B. Schadensersatz, Rückgabe).

Beweislast und Besonderheiten im Streitfall

Im Streitfall trägt die beweisbelastete Partei die Last, sowohl eine Einigung als auch die Vornahme der erforderlichen Realhandlung zu belegen. Der Nachweis des Zugangs beziehungsweise der Übergabe ist regelmäßig entscheidungserheblich für die Durchsetzbarkeit eventueller Ansprüche.

Dogmatische Einordnung und Kritik

Historische Entwicklung

Der Realvertrag hat seine Wurzeln im römischen Recht, wo verschiedene Vertragstypen (z. B. Mutuum, Commodatum, Depositum) ausdrücklich als Realverträge gebildet wurden. Die Rezeptionsgeschichte dieser Vertragsart prägte das kontinentaleuropäische Privatrecht tiefgreifend.

Kritik am Realvertragskonzept

Im modernen Schuldrecht wird die Notwendigkeit der Unterscheidung zwischen Konsensual- und Realvertrag teilweise als überholt angesehen. Kritisch hervorgehoben wird, dass der Realvertrag im heutigen Wirtschaftsleben durch die fortschreitende Flexibilisierung von Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäften zunehmend an Bedeutung verloren hat. Die Tendenz geht zum Konsensualvertrag, dessen rechtliche Bindungswirkung bereits mit Einigung entsteht.

Praxisrelevanz

Dennoch bleibt die klare Abgrenzung dort notwendig, wo gesetzliche Regelungen bei bestimmten Vertragstypen explizit oder durch Auslegung den Eintritt der Bindungswirkung an eine Realhandlung knüpfen. Das Verständnis des Realvertrags ist insbesondere für das Verständnis bestimmter unentgeltlicher Rechtsverhältnisse, wie etwa Leihe und Verwahrung, weiterhin erforderlich.

Zusammenfassung

Der Begriff des Realvertrags beschreibt ein Schuldverhältnis, für dessen Wirksamwerden neben einer Einigung der Parteien zusätzlich die Vornahme einer faktischen Handlung – meist der Übergabe einer Sache – erforderlich ist. Realverträge befinden sich im Gegensatz zu Konsensualverträgen und finden im deutschen Recht heute vorrangig bei der Leihe, Verwahrung und beim Sachdarlehen Anwendung. Rechtsdogmatisch reicht der Begriff bis in die römischrechtliche Tradition zurück und ist bis heute relevant für das Verständnis des Zustandekommens und der Wirkungen bestimmter Vertragstypen. Trotz abnehmender Bedeutung im modernen Schuldrecht bleibt der Realvertrag ein grundlegend wichtiger Begriff für das Verständnis von Rechtsgeschäften, bei denen erst eine reale Handlung die Bindungswirkung herbeiführt.

Häufig gestellte Fragen

Welche Rolle spielt die tatsächliche Übergabe beim Realvertrag?

Die tatsächliche Übergabe (Tradition) ist beim Realvertrag das zentrale und notwendige Element für das Zustandekommen des Vertrages. Anders als beim sogenannten Konsensualvertrag, bei dem die bloße Einigung der Parteien genügt, kommt der Realvertrag erst mit der tatsächlichen Verschaffung des Vertragsgegenstands an den Empfänger zustande. Rechtlich bedeutet dies, dass sich beide Parteien zwar zunächst über die wesentlichen Vertragsbestandteile einigen können, der Vertrag aber erst wirksam wird, wenn die versprochene Leistung (z. B. die Hingabe einer Sache beim Darlehen oder die Hinterlegung bei der Verwahrung) tatsächlich erfolgt. Dieser Erfordernis dient der Schutzfunktion, um Parteien nicht allein durch den Vertragsabschluss ohne tatsächliche Leistungserbringung zu verpflichten. Die Übergabe bewirkt auch den Gefahrübergang und gegebenenfalls Eigentumsübergang, was vor allem bei Typen wie Leihe, Darlehen und Verwahrung von größter Bedeutung ist.

Welche typischen Vertragstypen zählen zu den Realverträgen?

Im deutschen Zivilrecht zählen insbesondere die Leihe (§§ 598 ff. BGB), das Darlehen (§§ 488 ff. BGB), die Verwahrung (§§ 688 ff. BGB) und der Sachdarlehensvertrag (§§ 607 ff. BGB) zu den klassischen Realverträgen. Gemeinsames Merkmal dieser Vertragstypen ist, dass sie erst durch die tatsächliche Übereignung beziehungsweise Übergabe der betreffenden Sache oder des Geldes zustande kommen. Auch das Pfandrecht (§§ 1204 ff. BGB) setzt etwa die Besitzübergabe an den Pfandgläubiger voraus, wobei hier Fraglichkeiten bestehen, ob es sich streng genommen um einen Realvertrag oder um ein dingliches Recht handelt. Die genaue Zuordnung kann in Einzelfällen umstritten sein, jedoch gilt für die Mehrheit dieser Vertragstypen eindeutig das Prinzip des Realvertrags.

Können Realverträge auch durch Willenserklärungen per E-Mail oder schriftlich geschlossen werden?

Rein durch schriftlichen oder elektronischen Austausch von Willenserklärungen kann ein Realvertrag grundsätzlich nicht wirksam zustande kommen. Wesentlich für den Realvertrag ist neben dem Konsens der Parteien die tatsächliche Leistungserbringung, also etwa die Übergabe der Sache oder die Auszahlung des Geldbetrags. Eine Willenserklärung per E-Mail oder in Schriftform kann lediglich die Einigung herbeiführen, bildet aber noch keinen rechtswirksamen Vertragsschluss im Sinne eines Realvertrags. Erst mit der physischen oder tatsächlichen Realisierung (Überlassung der Sache) entsteht das vertragliche Schuldverhältnis mit allen wechselseitigen Pflichten und Rechten. Dennoch ist die dokumentierte Einigung natürlich für die Beweisführung im Streitfall bedeutsam.

Welche rechtlichen Folgen hat der Realvertrag für die Vertragsparteien?

Mit dem Wirksamwerden eines Realvertrags werden die vertraglich geregelten Pflichten bindend und können gerichtlich durchgesetzt werden. Die rechtlichen Folgen ergeben sich aus dem jeweiligen Vertragstyp. So muss beim Darlehen der Darlehensnehmer den erhaltenen Geldbetrag fristgerecht zurückzahlen, beim Verwahrungsvertrag muss der Verwahrer die Sache sorgfältig aufbewahren und auf Verlangen herausgeben, bei der Leihe ist der Entleiher zur Rückgabe der geliehenen Sache nach Beendigung verpflichtet. Im Falle von Leistungsstörungen, zum Beispiel verspäteter oder verweigerter Rückgabe, greifen die üblichen vertragsrechtlichen und schadensersatzrechtlichen Regelungen des BGB. Zudem gehen mit der Übergabe häufig weitere Rechtsfolgen wie Haftungsverschiebung oder Risikoübergang auf den Empfänger über.

Gibt es Besonderheiten hinsichtlich der Rückabwicklung eines Realvertrags?

Im Falle der Rückabwicklung eines Realvertrags, beispielsweise bei Anfechtung oder Rücktritt, ist zu beachten, dass eine Rückgabe der ausgetauschten Leistungen vorzunehmen ist. Im Gegensatz zu rein konsensualen Verträgen wurde hier bereits eine tatsächliche Leistung vollzogen, sodass die Rückabwicklung durch die sogenannte Rückgewähr der empfangenen Leistungen erfolgen muss. Dies geschieht regelmäßig nach den Rückabwicklungsregeln des Bereicherungsrechts (§§ 812 ff. BGB), es sei denn, besondere Vorschriften gehen vor. Die Rückabwicklung kann mit praktischen Schwierigkeiten verbunden sein, etwa wenn die Sache nicht mehr existiert oder beschädigt ist, was Haftungs- und Wertersatzansprüche auslösen kann.

Wann verjähren Ansprüche aus Realverträgen?

Die Verjährung von Ansprüchen aus Realverträgen richtet sich nach den allgemeinen gesetzlichen Vorschriften der §§ 194 ff. BGB. Grundsätzlich gilt für vertragliche Ansprüche eine regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren ab dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Umständen Kenntnis erlangte oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen (§ 195, § 199 BGB). Hiervon abweichend können insbesondere bei typischen Nebenpflichtverletzungen oder bei Schadensersatzansprüchen spezielle Verjährungsfristen gelten, beispielsweise bei Sachbeschädigung während der Verwahrung.

Wie gestaltet sich die Beweislast beim Realvertrag?

Die Beweislast bezüglich des Zustandekommens eines Realvertrags liegt bei demjenigen, der sich auf den Vertrag beruft. Zentraler Beweisgegenstand ist hierbei regelmäßig die tatsächliche Übergabe der Sache oder Leistung. Ohne Nachweis der tatsächlichen Leistungserbringung – zum Beispiel durch Empfangsbestätigung, Zeugen oder sonstige Beweismittel – können keine vertraglichen Ansprüche geltend gemacht werden. Dies stellt eine Besonderheit gegenüber Konsensualverträgen dar, bei denen die Einigung über Angebot und Annahme im Vordergrund steht. Die Schwierigkeit bei der Beweisführung macht die korrekte Dokumentation und Zeugenbeteiligung beim Abschluss von Realverträgen oftmals besonders wichtig.