Realakte im Verwaltungsrecht
Begriff und Abgrenzung
Der Begriff Realakte bezeichnet im deutschen Verwaltungsrecht eine bestimmte Kategorie hoheitlichen Handelns, die sich durch die rein tatsächliche Wirkung der behördlichen Maßnahme auszeichnet. Ein Realakt ist ein schlichtes Verwaltungshandeln, das weder auf einen rechtsgestaltenden noch auf einen unmittelbar rechtsverbindlichen Erfolg abzielt. Dadurch unterscheidet sich der Realakt insbesondere von Verwaltungsakten, die einen Regelungscharakter und unmittelbare Rechtswirkung gegenüber Außenstehenden entfalten.
Im Gegensatz zu Verwaltungsakten, öffentlich-rechtlichen Verträgen und Maßnahmen der Rechtsetzung, die stets auf die Herbeiführung einer konkreten Rechtsfolge ausgerichtet sind, liegt der Fokus von Realakten auf tatsächlichen Handlungen, die das Gemeinwohl fördern oder öffentlich-rechtliche Aufgaben erfüllen, ohne einen Rechtsstatus zu begründen, zu verändern oder aufzuheben.
Rechtliche Einordnung
Abgrenzung zu anderen Handlungsformen
Eine genaue Abgrenzung der Realakte ist im Verwaltungsrecht von zentraler Bedeutung, da hiervon die Anwendbarkeit rechtlicher Schutzmechanismen und Rechtsbehelfe abhängt.
- Verwaltungsakt: Verwaltungsakte kennzeichnen sich durch ihre Regelungswirkung (vgl. § 35 VwVfG). Realakte hingegen haben keinen Regelungscharakter, sondern realisieren faktische Maßnahmen.
- Rechtssatzsetzung: Erlass von Verordnungen oder Satzungen stellt keine Realakte dar, da hierbei gesetzlich verbindliche Regelungen geschaffen werden.
- Öffentlich-rechtlicher Vertrag: Verträge sind auf übereinstimmenden Willen mindestens zweier Parteien gerichtet, was Realakten fehlt.
Begriffliche Definition
Realakte sind hoheitliche, schlicht tatsächliche Handlungen der Verwaltung, die auf einen realen Erfolg im Sinne der Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe gerichtet sind, jedoch keine Regelung im Sinne des Verwaltungsverfahrensgesetzes beinhalten. Zu den Realakten zählen sowohl Tätigkeiten mit Außenwirkung (z. B. Verkehrsregelung durch Polizisten) als auch solche ohne Außenwirkung (z. B. interne Aktenvermerke).
Beispiele für Realakte
- Informationsmaßnahmen
- Staatlich organisierte Rettungseinsätze (z. B. der Feuerwehr)
- Durchführung einer Impfung durch das Gesundheitsamt
- Polizei leitet den Verkehr um
- reine Benutzungsgewährung bei gemeindlichen Einrichtungen ohne rechtliche Entscheidung
- tatsächliche Bauausführung (z. B. Straßenbauarbeiten)
- tatsächliche Auszahlungen staatlicher Leistungen ohne dazugehörigen Verwaltungsakt
Rechtsschutz bei Realakten
Primärer Rechtsschutz
Für den Rechtschutz gegen Realakte gelten im Grundsatz andere Regeln als beim Verwaltungsakt. Da bei Realakten keine formale Rechtsgestaltung vorliegt, ist ein Widerspruch nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz (§ 68 VwGO) in der Regel nicht vorgesehen. Allerdings steht Betroffenen der allgemeine Verwaltungsrechtsweg offen (vgl. § 40 VwGO).
Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch
Betroffene, die durch einen Realakt in ihren Rechten verletzt werden, können auf Unterlassung oder Beseitigung klagen. Klassischerweise eröffnet sich die Möglichkeit der allgemeinen Leistungsklage oder (bei bereits abgeschlossenen Realakten mit fortdauernder Beeinträchtigung) der Feststellungsklage (§ 43 VwGO). Vielfach werden sogenannte Folgenbeseitigungsansprüche geltend gemacht, wenn die tatsächliche Handlung fortwirkt.
Besonderheiten beim Polizeilichen Realakt
Insbesondere im Polizei- und Ordnungsrecht spielen Realakte eine bedeutende Rolle. Hierunter fallen polizeiliche Eingriffsmaßnahmen, wie das Unterbrechen der Stromversorgung, die Abführung von Störern aus einer Veranstaltung oder die Beschlagnahme von Sachen. Zum Rechtsschutz gegen solche Maßnahmen eröffnet sich häufig der einstweilige Rechtsschutz nach §§ 80, 80a, 123 VwGO.
Voraussetzungen und Grenzen von Realakten
Rechtsgrundlage
Auch für den Erlass von Realakten bedarf es generell einer gesetzlichen Grundlage. Dies folgt aus dem Grundsatz des Gesetzesvorbehalts und dem Grundrechtsschutz der Bürger. Zulässig ist die Maßnahme deshalb nur dann, wenn eine Ermächtigung zum tatsächlichen Handeln besteht.
Verhältnismäßigkeit und Grundrechte
Da Realakte – ebenso wie Verwaltungsakte – in Grundrechte eingreifen können, unterliegen sie dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (Geeignetheit, Erforderlichkeit, Angemessenheit). Die Behörden sind verpflichtet, ihre tatsächlichen Maßnahmen schonend und unter Beachtung der Rechte der Betroffenen auszuüben.
Bedeutung und Funktion
Die Realakte stellen eine bedeutsame Kategorie des Verwaltungshandelns dar und ermöglichen ein flexibles, zeitnahes Reagieren der Verwaltung auf tatsächliche Umstände. Sie sind insbesondere dort von praktischer Relevanz, wo einer schnellen, unbürokratischen Umsetzung der behördlichen Aufgaben Vorrang eingeräumt wird.
Realakte in der Verwaltungspraxis
Im Alltagsbetrieb der Verwaltung überwiegen Realakte zahlenmäßig deutlich gegenüber Verwaltungsakten: Etwa die Schneeräumung durch städtische Räumdienste, die Pflege von Grünanlagen oder die Erteilung unverbindlicher Auskünfte an Bürgerinnen und Bürger.
Literatur und Rechtsprechung
Die rechtliche Behandlung von Realakten ist regelmäßig Gegenstand von Kommentierungen und gerichtlichen Entscheidungen, insbesondere zur Frage des Rechtsschutzes und der Abgrenzung zu anderen Handlungsformen. Leitentscheidungen sind beispielsweise das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. Mai 1974 (BVerwGE 45, 51) sowie die Erläuterungen in den gängigen Kommentaren zum Verwaltungsverfahrensgesetz und zur Verwaltungsgerichtsordnung.
Zusammenfassung
Der Begriff des Realakts ist im Verwaltungsrecht von großer praktischer und rechtlicher Bedeutung. Er bezeichnet ein Verwaltungshandeln ohne Regelungswirkung, das dennoch erheblich in Rechte eingreifen kann. Rechtsschutz gegen Realakte ist möglich – wenn auch unter abweichenden Voraussetzungen im Vergleich zu Verwaltungsakten. Für eine rechtmäßige Durchführung von Realakten ist die Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit sowie das Vorliegen einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage unerlässlich.
Siehe auch:
- Verwaltungsakt
- Öffentlich-rechtlicher Vertrag
- Rechtsschutz im Verwaltungsrecht
- Polizeilicher Realakt
Weiterführende Literatur:
- Bonk/Kallerhoff, Verwaltungsverfahrensgesetz, Kommentar
- Kopp/Ramsauer, Kommentar zum Verwaltungsverfahrensgesetz
- Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung
Weblinks:
- Bundesverwaltungsgericht: Rechtsprechung zu Realakten
- Bundesministerium des Innern: Information zum Verwaltungshandeln
- Wissenschaftliche Beiträge zum Thema Realakte im öffentlichen Recht
Häufig gestellte Fragen
Wie unterscheiden sich Realakte von Verwaltungsakten im Verwaltungsrecht?
Im Verwaltungsrecht stellen Realakte tatsächliche Handlungen der Verwaltung dar, die unmittelbare tatsächliche Wirkungen auf die Umwelt oder auf Personen entfalten, jedoch keinen Regelungscharakter besitzen. Anders als der Verwaltungsakt, der einen verbindlichen, nach außen gerichteten Verwaltungswillen mit Rechtswirkung enthält, fehlt dem Realakt die äußere rechtliche Regelung. Der Verwaltungsakt ist typischerweise auf die Begründung, Änderung, Aufhebung oder Feststellung eines (konkreten) Rechtsverhältnisses gerichtet, während Realakte „nur“ auf ein tatsächliches Tun, Dulden oder Unterlassen abzielen, ohne dass dabei eine unmittelbare Rechtsfolge verfügt wird. Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass die Unterscheidung insbesondere für die Anfechtbarkeit sowie für Rechtsschutzmöglichkeiten (zum Beispiel Voraussetzungen für die Anfechtungsklage/Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes) von Bedeutung ist.
Welche typischen Beispiele für Realakte gibt es im Verwaltungsrecht?
Im behördlichen Alltag treten Realakte häufig auf. Typische Beispiele sind etwa Maßnahmen der Gefahrenabwehr durch die Polizei wie die Ingewahrsamnahme oder Durchsuchung einer Person ohne begleitenden Verwaltungsakt, die tatsächliche Auszahlung von Leistungen (etwa Subventionen) oder die schlichte Informationsvergabe an Bürger. Auch der Verwaltungsvollzug, wie das Abschleppen eines rechtswidrig geparkten Fahrzeugs, zählt als Realakt, sofern kein vorheriger vollstreckbarer Verwaltungsakt vorliegt. Eine weitere relevante Erscheinungsform sind Verwaltungspraktiken wie die Veröffentlichung von Warnungen oder Empfehlungen, die keine regelnde Außenwirkung aufweisen.
Welche Bedeutung hat das Rechtsstaatsprinzip im Zusammenhang mit Realakten?
Das Rechtsstaatsprinzip gebietet, dass auch tatsächliches Verwaltungshandeln, also Realakte, nicht willkürlich erfolgen darf. Die Verwaltung ist verpflichtet, auch im Rahmen von Realakten die gesetzlichen Grundlagen zu beachten und das Übermaßverbot einzuhalten. Dies bedeutet, dass selbst rein faktische Handlungen verhältnismäßig gestaltet und auf eine rechtliche Grundlage gestützt werden müssen, sofern sie in Rechte der Betroffenen eingreifen. Außerdem hat der Bürger einen Anspruch auf effektiven Rechtsschutz gemäß Art. 19 Abs. 4 GG, sodass auch Realakte unter bestimmten Voraussetzungen gerichtlich überprüfbar sein müssen.
Wie kann sich ein Betroffener rechtlich gegen einen Realakt der Verwaltung zur Wehr setzen?
Anders als beim Verwaltungsakt, gegen den in der Regel die Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage eröffnet ist, ist gegen Realakte die allgemeine Leistungsklage, eine Feststellungsklage oder – bei drohenden oder fortdauernden Beeinträchtigungen – die Unterlassungs- bzw. Beseitigungsklage einschlägig. Der Rechtsschutz richtet sich also primär nach dem Prozessrecht der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Liegt ein erledigter Realakt vor, kommt eine Fortsetzungsfeststellungsklage in Betracht. Praktisch bedeutet dies für den Rechtsweg, dass der Betroffene substantiiert darlegen muss, durch die schlichte Maßnahme in seinen Rechten verletzt worden zu sein, und sodann einen gerichtlichen Unterlassungs- oder Folgenbeseitigungsanspruch geltend machen kann.
Welche Anforderungen bestehen an die Rechtmäßigkeit von Realakten?
Die Rechtmäßigkeit eines Realakts setzt voraus, dass sowohl eine entsprechende Ermächtigungsgrundlage vorhanden ist (Vorbehalt des Gesetzes), als auch das Handeln der Verwaltung dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügt. Dies umfasst die Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit der Maßnahme. Unbefugte oder übermäßige Eingriffe sind rechtswidrig und können zu Amtshaftungsansprüchen führen. Zu beachten ist, dass das Gebot der Bestimmtheit bei Realakten anders als beim Verwaltungsakt weniger streng ist, da kein regelnder Verwaltungsakt vorliegt, dennoch muss der Betroffene erkennen können, dass und wie in seine Rechte eingegriffen wird.
Gibt es eine Anhörungspflicht vor der Vornahme von Realakten?
Die Anhörungspflicht ist in § 28 VwVfG geregelt, sie gilt jedoch grundsätzlich nur für Verwaltungsakte. Bei Realakten besteht keine generelle Pflicht zur Anhörung des Betroffenen vor Durchführung der Maßnahme. Allerdings kann sich eine entsprechende Verfahrenspflicht aus Spezialgesetzen oder dem Grundsatz des fairen Verfahrens, insbesondere bei erheblichen Grundrechtseingriffen, ergeben. In solchen Fällen ist die Anhörung des Betroffenen vor der Vornahme eines Realakts erforderlich, es sei denn, Gefahr im Verzug liegt vor oder die Anhörung ist aus tatsächlichen Gründen nicht möglich.
Wie ist das Verhältnis zwischen Realakt, schlichtem Verwaltungshandeln und öffentlich-rechtlichem Vertrag?
Der Realakt ist eine Unterkategorie des sogenannten schlichten Verwaltungshandelns, das alle behördlichen Handlungen umfasst, die keinen Verwaltungsakt darstellen und auch kein Verwaltungsprivatrechtsverhältnis (wie etwa einen öffentlich-rechtlichen Vertrag) begründen. Während der Verwaltungsakt eine hoheitliche Maßnahme mit Regelungswirkung ist, der öffentlich-rechtliche Vertrag eine einvernehmliche rechtliche Bindung zwischen Bürger und Verwaltung darstellt, ist der Realakt rein tatsächlich geprägt. Die Einordnung ist regelmäßig für die Wahl der richtigen Klageart und die Bestimmung des anwendbaren Rechts maßgeblich.