Begriff und Grundlagen der Raumordnung
Die Raumordnung bezeichnet die gesamtstaatliche, vorausschauende und überörtliche Planung, Steuerung und Ordnung der räumlichen Entwicklung eines Gebiets. Sie schafft verbindliche Rahmenbedingungen zur nachhaltigen Entwicklung, Strukturierung und Nutzung des Raumes in einem übergreifenden Interessenausgleich zwischen verschiedenen Behörden und den Belangen öffentlicher sowie privater Akteure. Das zentrale Ziel der Raumordnung ist die harmonische Abstimmung unterschiedlicher Raumnutzungsansprüche, etwa aus Wirtschaft, Umwelt, Landwirtschaft, Verkehr oder Siedlungswesen.
Rechtliche Rahmenbedingungen der Raumordnung in Deutschland
Grundsatznormen und Gesetzliche Grundlagen
Die rechtlichen Grundlagen der Raumordnung in Deutschland sind in mehreren Ebenen und Normen verankert:
- Grundgesetz: Artikel 75 GG (alte Fassung) bzw. heute als konkurrierende Gesetzgebung gemäß Artikel 74 Absatz 1 Nummer 31 GG, der dem Bund die Gesetzgebungsbefugnis für die Raumordnung, den regionalen Strukturbericht und das Bodenrecht zuweist.
- Raumordnungsgesetz (ROG): Das Raumordnungsgesetz auf Bundesebene dient als zentrales Regelwerk für Grundsätze und Instrumente der Raumordnung. Es regelt Aufgaben, Grundsätze, Verfahren und Zuständigkeiten.
- Landesplanungsgesetze: Jedes Bundesland regelt die Konkretisierung und Ausgestaltung im jeweiligen Landesrecht.
- Weitere Regelungen: Kommunalrecht, Baugesetzbuch (BauGB, insbesondere in Bezug auf Bauleitplanung), Fachplanungsgesetze sowie das Europarecht.
System der Raumordnung
Die Raumordnung ist in Deutschland dreistufig aufgebaut:
1. Bundesraumordnung
Der Bund legt durch das Raumordnungsgesetz bundesweite Leitbilder, Grundsätze und Maßstäbe fest. Er koordiniert die Raumordnung auf Landes- und Regionalebene, erstattet dem Bundestag regelmäßig Berichte über die Entwicklung und unterstützt Planungen von überregionaler oder internationaler Bedeutung (z. B. transeuropäische Netze).
2. Landesraumordnung
Die Bundesländer setzen durch Landesplanungsgesetze die Raumordnungsziele des Bundes um und konkretisieren sie für das jeweilige Land. Dazu werden Landesentwicklungspläne oder Raumordnungspläne (in Stadtstaaten), die verbindliche Aussagen zu Siedlungsentwicklung, Infrastruktur, Natur- und Umweltschutz, sowie regionalwirtschaftliche Aspekte treffen, erstellt.
3. Regionale Raumordnungsplanung
Regionale Planungsträger, wie z. B. Regionalverbände oder Kommunale Zweckverbände, entwickeln Regionalpläne. Diese steuern die Entwicklung der Regionen im Rahmen der Ziele und Grundsätze der übergeordneten Raumordnungspläne.
Planungsebenen und Planarten
| Ebene | Plan |
|—————-|——————————————————————————————————|
| Bundesebene | Bundesraumordnungspläne (Themenbezogen), Raumordnungspolitische Leitbilder |
| Landesebene | Landesentwicklungsplan (LEP), Teilpläne |
| Regionalebene | Regionalplan, Regionaler Flächennutzungsplan |
| Gemeindeebene | Zwar keine Raumordnungspläne, aber Bauleitpläne (Flächennutzungsplan, Bebauungsplan) mit Bezug zur RO |
Rechtliche Funktionen und Ziele der Raumordnung
Ordnung, Steuerung und Koordination
Raumordnung erfüllt ordnende Funktionen, indem sie die Raumnutzungsansprüche ausgleicht und Prioritäten setzt. Sie wirkt steuernd durch die Festlegung von Vorrang-, Vorbehalts- und Eignungsgebieten, beispielsweise für Windenergie oder Hochwasserschutz. Koordinierende Aufgaben sind zentrale Voraussetzung zur Vermeidung von Nutzungskonflikten zwischen verschiedenen Akteuren.
Sicherung übergeordneter Belange
Raumordnung dient der Sicherung gesamtstaatlicher Interessen, etwa dem Umweltschutz, Ressourcenschonung, sozialer Ausgewogenheit sowie wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit von Standorten und Regionen.
Nachhaltige Entwicklung
Ein zentrales Leitbild ist die nachhaltige Entwicklung unter besonderer Beachtung von ökonomischen, ökologischen und sozialen Zielen.
Rechtliche Instrumente der Raumordnung
Raumordnungspläne
Raumordnungspläne sind verbindliche Planungsinstrumente mit unterschiedlichem Bindungsgrad:
- Ziele der Raumordnung sind verbindlich für öffentliche Stellen und Planungsträger.
- Grundsätze der Raumordnung sind als Abwägungsdirektiven zu beachten.
- Festlegungen über Vorrang- und Vorbehaltsgebiete: Vorranggebiete sind Flächen, für die eine bestimmte Nutzung festgelegt und anderen Nutzungen vorangestellt wird; Vorbehaltsgebiete setzen Prioritäten zugunsten bestimmter Nutzungen im Rahmen der Abwägung.
Raumordnungsverfahren
Gemäß §§ 15 ff. ROG werden große Infrastrukturvorhaben (z. B. Autobahnen, Stromtrassen) einem Raumordnungsverfahren unterzogen. Ziel ist die raumverträgliche Abstimmung solcher Projekte mit den Festlegungen der Raumordnung.
Fachplanungen und Abweichungsverfahren
Fachplanungen (etwa für Verkehr, Energie oder Hochwasserschutz) sind an die Ziele und Grundsätze der Raumordnung gebunden. Ein Abweichungsverfahren kann beantragt werden, wenn im Einzelfall ein öffentliches Interesse an der Abweichung von einem Ziel der Raumordnung besteht (§ 6 Absatz 2 ROG).
Bindungswirkung und Durchsetzung von Raumordnung
Verbindlichkeit für Behörden und Dritte
- Öffentliche Planungsträger sind verpflichtet, die Ziele der Raumordnung zu beachten.
- Für sonstige Vorhabenträger entfaltet die Raumordnung mittelbare Wirkung, etwa über das Abwägungsgebot bei Baugenehmigungen.
- Für Private kann sich eine mittelbare Bindung aus den kommunalrechtlichen Vorgaben und Baurecht ergeben.
Rechtsschutz und Kontrollmöglichkeiten
Die Einhaltung raumordnerischer Vorgaben kann im Rahmen verwaltungsgerichtlicher Streitigkeiten überprüft werden. Gerichte prüfen, ob die Planung abwägungs-, verfahrens- und zweckgerecht erfolgt ist. Raumordnungspläne können unter besonderen Voraussetzungen auf formelle und materielle Fehler angegriffen werden.
Europäische und Internationale Bezüge der Raumordnung
Auf europäischer Ebene gibt es rechtliche und politische Grundlagen mit Einfluss auf die nationale Raumordnung, insbesondere durch die EU-Richtlinien (z. B. Vogelschutz, Flora-Fauna-Habitat) und Konzepte der Europäischen Raumentwicklungsperspektive (EUREK).
Internationale Abkommen, wie die Alpenkonvention oder die grenzüberschreitende Zusammenarbeit, bedingen ebenfalls Anpassungen der nationalen Raumordnung.
Abgrenzung zur Bauleitplanung
Während die Raumordnung die überörtlichen Ziele vorgibt und den Rahmen setzt, ist die Bauleitplanung (Flächennutzungsplan, Bebauungsplan) kommunale Aufgabe und unterliegt den raumordnerischen Vorgaben. Die Bauleitplanung konkretisiert und setzt die Ziele der Raumordnung auf Gemeindeebene um.
Literaturhinweise und Weblinks
- Raumordnungsgesetz (ROG), aktuelle Fassung
- Baugesetzbuch (BauGB)
- Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen: Offizielle Informationen zur Raumordnung
Dieser Artikel bietet einen umfassenden Überblick sowie eine detaillierte Darstellung der rechtlichen Rahmenbedingungen und Instrumente der Raumordnung in Deutschland, ihrer Funktionen, Umsetzungsmechanismen und Bezüge zu anderen Rechtsgebieten.
Häufig gestellte Fragen
Wer ist nach deutschem Recht für die Aufstellung von Raumordnungsplänen zuständig?
Die Zuständigkeit für die Aufstellung von Raumordnungsplänen richtet sich in Deutschland nach dem föderalen Aufbau des Landes. Gemäß dem Raumordnungsgesetz (ROG) teilen sich Bund, Länder und regionale Planungsträger die Aufgaben. Der Bund setzt mit dem Bundesraumordnungsplan übergeordnete Ziele, insbesondere für bundesweite Entwicklungen (z. B. Infrastruktur), während die konkrete planerische Steuerung in den Händen der Länder liegt. Jedes Bundesland ist verpflichtet, ein eigenes Landesentwicklungsprogramm oder Landesentwicklungsplan aufzustellen, das die großräumigen Vorgaben für die nachgeordneten Ebenen enthält. Unterhalb der Landesebene erstellen regionale Planungsträger, häufig Zweckverbände oder Kommunen, sogenannte Regionalpläne, die als verbindliche Leitbilder für die räumliche Entwicklung innerhalb ihrer Zuständigkeit fungieren. Städte und Gemeinden sind schließlich für die Bauleitplanung (Flächennutzungs- und Bebauungspläne) verantwortlich, legen aber keine eigenen Raumordnungspläne im Sinne des ROG fest, sondern richten diese auf die Vorgaben der höheren Planungsebenen aus. Die rechtliche Grundlage, Verfahrensregelungen und Beteiligungspflichten sind neben dem ROG auch in den jeweiligen Landesplanungsgesetzen geregelt.
Welche rechtliche Bindungswirkung haben Ziele der Raumordnung?
Ziele der Raumordnung besitzen eine strikte rechtliche Bindungswirkung für die nachfolgenden raumbezogenen Planungen und Verwaltungsentscheidungen. Nach § 4 Raumordnungsgesetz (ROG) sind diese Ziele verbindlich zu beachten („Zielbindung“). Das bedeutet, dass insbesondere die Bauleitplanung der Kommunen, aber auch fachplanerische Maßnahmen auf Landes- und Bundesebene, diese Ziele weder unbeachtet lassen noch abweichen dürfen. Abweichungen sind nur im Rahmen eines formalisierten Zielabweichungsverfahrens möglich, welches meist hohe Hürden aufweist und die Zustimmung der planaufstellenden Behörde erfordert. Anders verhält es sich mit sogenannten Grundsätzen der Raumordnung, die lediglich beachtenswerte Leitlinien sind und im Rahmen einer Abwägung berücksichtigt werden müssen, jedoch keine unmittelbare rechtsverbindliche Wirkung entfalten.
Inwiefern sind Privatpersonen durch Vorgaben der Raumordnung rechtlich betroffen?
Privatpersonen sind grundsätzlich keine direkten Adressaten der Raumordnung, sondern diese richtet sich vorrangig an öffentliche Planungsträger. Allerdings wirkt die Raumordnung mittelbar auf Privatpersonen ein, insbesondere durch die Steuerung städtebaulicher Entwicklungen oder die Festlegung von Flächennutzungen. Die Vorgaben der Raumordnungspläne fließen in die Bauleitplanung der Kommunen ein, die wiederum Grundlage für die Erteilung von Baugenehmigungen und Nutzungsänderungen ist. Dementsprechend kann eine durch Raumordnung festgelegte Nutzung (z. B. Vorranggebiet für Windenergie, Siedlungsbeschränkungsfläche, Schutzgebiet) dazu führen, dass private Bauwünsche entweder erleichtert, erschwert oder ganz verhindert werden. Im Rahmen der Beteiligungsverfahren bei der Aufstellung von Raumordnungsplänen können Privatpersonen Stellungnahmen abgeben, ein unmittelbarer Rechtsanspruch auf Umsetzung eigener Interessen besteht jedoch nicht.
Wie ist das Verhältnis zwischen Raumordnung und Fachplanung rechtlich geregelt?
Das Verhältnis zwischen Raumordnung und Fachplanung (z. B. für Verkehr, Energie oder Naturschutz) ist im Raumordnungsgesetz (ROG) klar bestimmt. Fachplanungen müssen die Ziele der Raumordnung zwingend beachten, was als „raumordnerische Bindungswirkung“ bezeichnet wird. Das bedeutet, dass Vorhaben wie der Bau einer Bundesstraße, Stromtrassen oder großflächige Schutzgebiete mit den raumordnerischen Vorgaben abgeglichen werden müssen. Sofern eine Fachplanung mit den Zielen der Raumordnung nicht vereinbar ist, kann sie grundsätzlich nicht genehmigt werden (Grundsatz der Zielbindung nach § 4 Abs. 1 ROG), es sei denn, es wurde ein Zielabweichungsverfahren erfolgreich abgeschlossen. Um Konflikte frühzeitig zu erkennen und zu vermeiden, wird das sogenannte Raumordnungsverfahren durchgeführt, das die Abstimmung und Umweltverträglichkeitsprüfung einschließt und somit einen verbindlichen Prüfrahmen bildet, bevor es zu einer Fachplanung oder Realisierung kommt.
Welche Verfahrensschritte schreibt das Recht für die Aufstellung von Raumordnungsplänen vor?
Die rechtlichen Anforderungen an das Aufstellungsverfahren von Raumordnungsplänen ergeben sich aus dem Raumordnungsgesetz und den Landesplanungsgesetzen. Kernelemente des Verfahrens sind die frühzeitige Beteiligung von Öffentlichkeit und Behörden, die Umweltprüfung und die Abwägung aller relevanten Belange. Das Verfahren gliedert sich in der Regel wie folgt: Zunächst erfolgt eine vorbereitende Phase mit der Erarbeitung von Vorentwürfen. Anschließend werden Träger öffentlicher Belange (Behörden und Interessenvertretungen) sowie die Öffentlichkeit beteiligt, meist im Rahmen einer Offenlegung. Während dieser Beteiligungsphase können Anregungen und Bedenken eingereicht werden, die in einer förmlichen Abwägung geprüft werden müssen. Ergänzend dazu ist die strategische Umweltprüfung (SUP) verpflichtend, in deren Rahmen die voraussichtlichen Umweltauswirkungen des Plans umfassend bewertet werden. Abschließend beschließen die zuständigen Gremien (Landtag, Regionalversammlung o. ä.) den endgültigen Raumordnungsplan, der dann bekanntgemacht und meistens auch veröffentlicht wird. Gegen den verabschiedeten Raumordnungsplan ist die Anfechtung vor Gericht in Form einer Normenkontrollklage möglich, wobei die Klagebefugnis auf bestimmte Klägerkreise (z. B. betroffene Kommunen) beschränkt ist.
Welche Rolle spielt die Umweltprüfung im Rahmen der Raumordnung?
Die Umweltprüfung ist ein zentrales Element des Raumordnungsplanungsverfahrens und rechtlich in § 9 Abs. 4 ROG sowie im Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG) verankert. Sie dient der frühzeitigen und umfassenden Ermittlung, Beschreibung und Bewertung der voraussichtlichen erheblichen Umweltauswirkungen, die durch die Festlegungen im Raumordnungsplan ausgelöst werden können. Die strategische Umweltprüfung (SUP) bezieht sich auf die gesamte Planungsebene und ist integraler Bestandteil jedes Raumordnungsplan-Verfahrens. Hierbei werden unterschiedliche Umweltmedien wie Boden, Wasser, Luft, Flora und Fauna sowie das Klima einbezogen. Die Ergebnisse der Umweltprüfung müssen in die Abwägung der Planaufstellung einfließen und sind im Umweltbericht zum Plan darzulegen. Die Öffentlichkeit wird dabei verpflichtet, Einsicht zu nehmen und ihre Stellungnahme abzugeben. Rechtlich gesehen stellt die ordnungsgemäße Durchführung der Umweltprüfung eine Wirksamkeitsvoraussetzung für den betroffenen Raumordnungsplan dar, sodass Fehler in diesem Bereich die Anfechtbarkeit nach sich ziehen können.