Begriff und Funktion der Ratingagentur
Eine Ratingagentur ist ein Unternehmen, das die Bonität von Staaten, Unternehmen, Finanzprodukten und anderen Schuldnern anhand von festgelegten Kriterien bewertet. Ziel ist es, die Wahrscheinlichkeit der Erfüllung vertraglicher Zahlungsverpflichtungen einzuschätzen und potenziellen Investoren sowie dem Kapitalmarkt Informationen über das Ausfallrisiko zu liefern. Das Ergebnis eines Ratingprozesses wird als „Rating“ bezeichnet und in Form von Buchstaben- oder Zahlenskalen publiziert.
Rechtliche Grundlagen und Aufsicht über Ratingagenturen
Europäische Union
In der Europäischen Union sind Ratingagenturen nach der Verordnung (EG) Nr. 1060/2009 über Ratingagenturen (Ratingagentur-Verordnung oder CRA-Verordnung) reguliert. Diese bildet den rechtlichen Rahmen für die Zulassung, Überwachung und Tätigkeit von Ratingagenturen innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR).
Registrierung und Überwachung
Ratingagenturen benötigen gemäß Artikel 14 der Ratingagentur-Verordnung eine Zulassung (Registrierung) durch die europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA). Nur registrierte bzw. zertifizierte Agenturen dürfen Ratings erteilen, die von Finanzmarktteilnehmenden für aufsichtsrechtliche Zwecke genutzt werden. Die ESMA ist für die laufende Überwachung und Prüfung verantwortlich und kann bei Verstößen Sanktionen verhängen.
Unabhängigkeit und Interessenkonflikte
Die Verordnung verpflichtet Agenturen zu strengen Vorgaben hinsichtlich Unabhängigkeit und dem Management von Interessenkonflikten. Beispielsweise ist es ihnen untersagt, Dienstleistungen anzubieten, die die Objektivität der Ratings beeinflussen könnten, oder enge geschäftliche Verflechtungen mit den bewerteten Unternehmen einzugehen (Artikel 6 ff. der Verordnung).
Transparenz und Offenlegungspflichten
Ratingagenturen müssen gemäß Artikel 10 ff. umfangreiche Offenlegungspflichten erfüllen. Dazu zählen u.a. die Veröffentlichung der angewandten Methoden, Modelle und Annahmen sowie die Transparenz zu Änderungen ihrer Bewertungsmodelle. Ferner müssen vergangene Ratings, einschließlich fehlerhafter Einschätzungen, statistisch ausgewertet und veröffentlicht werden.
Deutschland
Im deutschen Recht existieren keine eigenständigen nationalen Vorschriften, die über die Regelungen der EU-Verordnung hinausgehen. Zuständig für die Überwachung wesentlicher Einhaltungen der Verordnung ist die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), die dabei eng mit der ESMA zusammenarbeitet.
Internationales Recht
Auch außerhalb Europas werden Ratingagenturen überwacht. In den USA ist die Securities and Exchange Commission (SEC) für die Beaufsichtigung systemrelevanter Ratingagenturen nach dem Credit Rating Agency Reform Act von 2006 zuständig. Internationale Standards setzen zudem Gremien wie die International Organization of Securities Commissions (IOSCO).
Rechtliche Bedeutung und Auswirkungen von Ratings
Bedeutung für Finanzmarktregulierung
Ratings sind in vielfältigen Gesetzen und Verordnungen (z.B. Basel III, Solvency II) als Grundlage für bankaufsichtliche und sonstige aufsichtsrechtliche Anforderungen vorgesehen. Sie bestimmen z.B. die Eigenkapitalunterlegung für Kreditrisiken oder erlauben bestimmte Investitionen erst ab festgelegten Bonitätsstufen.
Haftung von Ratingagenturen
Ratingagenturen können zivilrechtlich für fehlerhafte Ratings haftbar gemacht werden. Die Rechtsprechung legt hierbei jedoch hohe Voraussetzungen an die Darlegung und Nachweisbarkeit von Sorgfaltspflichtverletzungen und deren Kausalität für einen entstandenen Schaden. In der EU wurden über die Verordnung (EU) Nr. 462/2013 explizit Haftungsregelungen eingeführt, um geschädigten Investoren Klagen auf Ersatz von Schäden zu ermöglichen, sofern vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt wurde.
Datenschutz und Umgang mit sensiblen Informationen
Die Agenturen sind verpflichtet, die Vertraulichkeit der ihnen zugänglichen Informationen zu wahren und personenbezogene Daten unter Beachtung der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) und weiterer einschlägiger Regelungen zu verarbeiten, insbesondere wenn sie im Rahmen des Ratingprozesses Zugang zu internen Unternehmensinformationen erhalten.
Typen und Anwendungsbereiche von Ratingagenturen
Emittentenratings vs. Emissionsratings
- Emittentenratings bewerten die allgemeine Kreditwürdigkeit eines Unternehmens, Staates oder einer Institution.
- Emissionsratings beziehen sich auf einzelne Finanzinstrumente wie Anleihen und strukturierte Wertpapiere.
Staatliche und Private Ratingagenturen
Der Markt für Ratingagenturen ist überwiegend privatwirtschaftlich organisiert. Zu den weltweit bedeutendsten Akteuren zählen Standard & Poor’s, Moody’s Investors Service und Fitch Ratings. Es existieren vereinzelt öffentlich-rechtliche Agenturen, wie etwa die Creditreform Rating AG in Deutschland, die neben privatwirtschaftlichen Akteuren agieren.
Kritische Aspekte und Reformbestrebungen
Konzentration und Wettbewerb
Die hohe Marktkonzentration bei wenigen Anbietern wird regelmäßig kritisiert und als potenziell problematisch hinsichtlich von Marktmacht und Meinungsvielfalt angesehen. Rechtliche Maßnahmen zielen darauf ab, Wettbewerb und Transparenz zu fördern.
Systemrisiken und Moral Hazard
Falsche oder fehlerhafte Ratings können zu Fehlallokationen von Kapital, systemischen Risiken und Vertrauensverlusten am Finanzmarkt führen. Regulatorisch wird diesem Risiko mit Compliancepflichten, verschärften Haftungsregelungen und Transparenzanforderungen begegnet.
Literatur und weiterführende Rechtsquellen
- Verordnung (EG) Nr. 1060/2009 über Ratingagenturen (CRA-Verordnung)
- Verordnung (EU) Nr. 462/2013 zur Änderung der CRA-Verordnung
- Basel-III-Rahmenwerk, Solvency II
- Securities and Exchange Commission (SEC), Credit Rating Agency Reform Act (USA)
Dieser Beitrag bietet einen umfassenden Überblick über den rechtlichen Rahmen und die Bedeutung von Ratingagenturen, beleuchtet deren Rolle im internationalen Finanzsystem und erläutert die zentralen Haftungs- und Regulierungsfragen.
Häufig gestellte Fragen
Welche gesetzlichen Anforderungen gelten in der Europäischen Union für die Registrierung und Beaufsichtigung von Ratingagenturen?
Im rechtlichen Kontext unterliegen Ratingagenturen in der Europäischen Union seit Inkrafttreten der Verordnung (EG) Nr. 1060/2009 über Ratingagenturen einer strengen Regulierung durch die EU. Nach dieser Verordnung müssen Ratingagenturen, die in der EU tätig sein wollen, von der European Securities and Markets Authority (ESMA) registriert werden. Die Registrierung ist an eine Vielzahl an Voraussetzungen geknüpft: Die Agentur muss insbesondere organisatorische Anforderungen, Vorgaben zur Unabhängigkeit, Interessenkonfliktregelungen sowie Transparenz- und Offenlegungspflichten erfüllen. Nach erfolgreicher Registrierung wird die Agentur laufend durch die ESMA beaufsichtigt. Diese kann u. a. Vor-Ort-Prüfungen durchführen, Auskünfte verlangen und bei Verstößen Sanktionen bis hin zum Entzug der Registrierung verhängen. Ziel der gesetzlichen Anforderungen ist es, ein hohes Maß an Integrität, Unabhängigkeit und Transparenz bei der Vergabe von Ratings sicherzustellen sowie die ordnungsgemäße Funktionsweise der Finanzmärkte zu wahren.
Unterliegen Ratingagenturen einer besonderen Haftung für fehlerhafte Ratings nach europäischem Recht?
Ratingagenturen haften grundsätzlich im Rahmen der allgemeinen zivilrechtlichen Vorschriften, beispielsweise nach dem Deliktsrecht. Die EU-Ratingagenturverordnung legt aber zusätzlich fest, dass Anleger und Emittenten Ansprüche auf Schadenersatz gegen Ratingagenturen geltend machen können, wenn diesen nachweislich ein Schaden durch grob fahrlässig oder vorsätzlich erstellte unrichtige Ratings entstanden ist. Die Beweislast liegt hier beim Kläger. Die Haftung gilt jedoch nicht unbegrenzt, sondern bezieht sich auf die Verletzung spezifischer, durch die Verordnung festgelegter Pflichten, wie etwa die Pflicht zur Verhinderung von Interessenkonflikten, zur sorgfältigen Bewertung und zur unabhängigen Meinungsbildung. Nationale Gerichte sind für Klagen zuständig, wobei die besonderen Regelungen der Verordnung ergänzend zu bestehenden nationalen Haftungsvorschriften angewendet werden.
Inwieweit müssen Ratingagenturen ihre Bewertungsmodelle und -methoden im Rahmen der rechtlichen Vorschriften offenlegen?
Gemäß der EU-Ratingagenturverordnung sind Ratingagenturen dazu verpflichtet, detaillierte Angaben zu ihren Bewertungsmodellen, -methoden und zu den darin verwendeten Annahmen zu machen. Diese Transparenz soll sicherstellen, dass die Nutzer von Ratings – insbesondere Investoren und Emittenten – die Grundlagen der vergebenen Bonitätsbewertungen nachvollziehen können. Die Offenlegungspflichten sehen vor, dass wesentliche Änderungen der Bewertungskriterien sowie die spezifischen Entscheidungsprozesse zeitnah veröffentlicht werden müssen. Die ESMA überwacht, ob die Agenturen diesen Offenlegungspflichten nachkommen. Allerdings schützt das Recht auch das Geschäftsgeheimnis und proprietäre Methoden, was bedeutet, dass nur ein gewisser Detaillierungsgrad nach außen kommuniziert werden muss.
Welche Regelungen gibt es hinsichtlich des Umgangs mit Interessenkonflikten bei Ratingagenturen?
Ratingagenturen sind gesetzlich verpflichtet, wirksame organisatorische und administrative Maßnahmen zu ergreifen, um tatsächliche oder potenzielle Interessenkonflikte zu identifizieren, zu verhindern und offenzulegen. Die EU-Ratingagenturverordnung verlangt, dass alle Beteiligten bei der Erstellung von Ratings – eingeschlossen Analysten und Geschäftsführung – strikten Verhaltenskodizes unterliegen, die einen unabhängigen und objektiven Bewertungsprozess gewährleisten sollen. Auch müssen Ratings sowie jegliche Vergütungen oder finanzielle Beziehungen zwischen der Ratingagentur und dem bewerteten Unternehmen möglichst transparent gemacht werden. Bestimmte Praktiken, wie die gleichzeitige Beratungstätigkeit für bewertete Unternehmen, sind ausdrücklich untersagt oder strengen Beschränkungen unterworfen, um die Integrität der Ratings zu sichern.
Gibt es gesetzliche Vorschriften zur Berufsausübung, Qualifikation und Unabhängigkeit der Mitarbeiter von Ratingagenturen?
Ja, die einschlägigen rechtlichen Vorschriften, insbesondere die genannten EU-Richtlinien und -Verordnungen, sehen spezifische Anforderungen an die Berufsausübung und Qualifikation des Personals von Ratingagenturen vor. Analysten und Management müssen über angemessene Qualifikationen und Fachkenntnisse verfügen, um die Komplexität der zu bewertenden Finanzinstrumente oder Emittenten zu verstehen und sachgerecht zu bewerten. Es müssen Verfahren zur regelmäßigen Weiterbildung implementiert sein. Darüber hinaus werden Mindeststandards an die Unabhängigkeit gestellt: Mitarbeiter dürfen keine finanziellen oder persönlichen Interessen an den zu bewertenden Unternehmen unterhalten, insbesondere dürfen sie keine Wertpapiere dieser Unternehmen besitzen oder Transaktionen tätigen, die zu Interessenkonflikten führen könnten. Diese Vorgaben werden durch Compliance-Programme und interne Kontrollmechanismen flankiert.
Was schreibt das Recht zum Zugang von Ratingagenturen zu Unternehmensinformationen vor?
Im rechtlichen Kontext sind Ratingagenturen in der Regel auf öffentlich verfügbare Informationen für ihre Analysen angewiesen. Es besteht keine allgemeine gesetzliche Pflicht für Emittenten, Ratingagenturen Zugang zu internen, vertraulichen oder nicht veröffentlichten Informationen zu gewähren. Nur im Rahmen spezifischer Vertragsbeziehungen oder auf freiwilliger Basis kann ein vertiefter Informationsaustausch stattfinden. Allerdings schreiben die aufsichtsrechtlichen Regeln vor, dass, wenn Agenturen interne Informationen erhalten, damit sorgsam und nach den Prinzipien des Datenschutzes sowie der Vertraulichkeit umgegangen werden muss. Zudem besteht die Anforderung an die Emittenten, nach der Veröffentlichung eines Ratings mögliche Fehler in den Bewertungsgrundlagen aktiv an die Agentur zu melden.
Wie werden rechtliche Vorgaben zur Aktualisierung und Überwachung von Ratings umgesetzt?
Die europäischen Rechtsvorschriften verpflichten Ratingagenturen, alle von ihnen veröffentlichten Ratings laufend zu überwachen und diese bei Vorliegen neuer relevanter Informationen zeitnah zu aktualisieren. Dieser Überwachungsprozess muss nachweislich dokumentiert und von qualifiziertem Personal durchgeführt werden. Ratingagenturen sind verpflichtet, sowohl die Überwachungsergebnisse als auch wesentliche Änderungen der Ratings und deren Gründe an die ESMA und die Öffentlichkeit zu kommunizieren. Die Nichtbeachtung dieser Pflichten kann zur Verhängung empfindlicher Sanktionen durch die Aufsichtsbehörde führen. Die Überwachung und Aktualisierung verlangt ein effektives internes Kontrollsystem, das regelmäßig durch externe Prüfungen validiert wird.