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Rasterfahndung


Begriff und rechtliche Einordnung der Rasterfahndung

Die Rasterfahndung ist ein strafprozessuales Ermittlungsinstrument, das es den Strafverfolgungsbehörden ermöglicht, mittels automatisierter, massenhafter Datenabgleiche nach bestimmten Merkmalen nach Tatverdächtigen zu suchen. Dabei werden bestehende Datenbestände – meist personenbezogener Art – nach vorher festgelegten Kriterien durchsucht, um einzelne Personen oder Personengruppen zu identifizieren, die mit einem bestimmten Täterprofil übereinstimmen. Die Rasterfahndung stellt einen tiefgreifenden Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar und ist daher in der rechtlichen Praxis und Rechtsprechung umfassend geregelt und begrenzt.

Gesetzliche Grundlagen der Rasterfahndung in Deutschland

Strafprozessordnung (StPO)

Die rechtliche Grundlage für die Rasterfahndung findet sich in § 98a der Strafprozessordnung (StPO). Nach dieser Vorschrift dürfen personenbezogene Daten aus bereits vorhandenen Datenbeständen von Behörden, öffentlichen Stellen oder auch privaten Unternehmen zur Aufklärung einer Straftat von erheblicher Bedeutung abgerufen und automatisiert verglichen werden. Die Rasterfahndung darf jedoch nur bei einer „Straftat von erheblicher Bedeutung“ und unter strengen Voraussetzungen erfolgen.

Voraussetzungen gemäß § 98a StPO

  • Konkrete Gefahr: Die Maßnahme ist zulässig, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass eine Straftat von erheblicher Bedeutung begangen worden ist oder versucht werden soll.
  • Automatisierter Datenabgleich: Die Rasterfahndung setzt einen automatisierten Abgleich von Daten verschiedener Bestände nach bestimmten, zuvor festgelegten Parametern voraus.
  • Richtervorbehalt: Die Anordnung der Rasterfahndung bedarf in der Regel einer richterlichen Entscheidung, außer bei Gefahr im Verzug, in dessen Fall die Staatsanwaltschaft tätig werden kann. Die richterliche Entscheidung muss unverzüglich nachgeholt werden.

Polizeirechtliche Ermächtigungsnormen

Neben der strafprozessualen Rasterfahndung existieren polizeirechtliche Vorschriften auf Landesebene, die zur Gefahrenabwehr den Einsatz von Rasterfahndungsmaßnahmen ermöglichen, beispielsweise in den Polizeigesetzen der Länder. Die Anforderungen sind dabei regelmäßig an die bundesrechtlichen Vorgaben, insbesondere an das Grundgesetz, angepasst.

Verfassungsrechtliche Grenzen und Rechtsprechung

Recht auf informationelle Selbstbestimmung

Die Rasterfahndung greift als Massendatenerhebung tief in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) ein. Dieses Grundrecht schützt den Einzelnen davor, dass personenbezogene Daten unbegrenzt gesammelt, gespeichert, verarbeitet oder weitergegeben werden.

Bundesverfassungsgericht

Das Bundesverfassungsgericht hat die Voraussetzungen und den Einsatz der Rasterfahndung in mehreren Entscheidungen wesentlich mitgeprägt. Besonders bedeutsam ist das Urteil vom 4. April 2006 (1 BvR 518/02), in dem das Gericht die Rasterfahndung zur bloßen Gefahrenvorsorge (d.h. ohne konkreten Bezug zu einer Gefahrenlage oder Straftat) als nicht mit dem Grundgesetz vereinbar erklärt hat. Der Einsatz der Rasterfahndung bedarf demnach stets einer konkreten Gefahr bezüglich einer erheblichen Rechtsgutverletzung (wie zum Beispiel Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit).

Maßgaben des Bundesverfassungsgerichts:

  • Begrenzung auf schwere Straftaten: Erlaubt ist die Maßnahme nur bei Straftaten von erheblicher Bedeutung.
  • Konkrete Tatsachen: Es bedarf konkreter Anhaltspunkte für eine erhebliche Gefahr.
  • Verhältnis- und Zweckmäßigkeit: Die Rasterfahndung muss verhältnismäßig sein, d.h. die zu erwartende Aufklärung schwerer Straftaten muss im angemessenen Verhältnis zur Beeinträchtigung der Grundrechte stehen.
  • Richterliche Kontrolle: Eine richterliche Überprüfung ist grundsätzlich vorgeschrieben.

Ablauf und typische Anwendungsbereiche

Praktische Durchführung

Bei der Rasterfahndung werden im Regelfall die vorhandenen Datenbanken nach bestimmten Merkmalen durchsucht, die das Täterprofil beschreiben (z.B. Geschlecht, Alter, Wohnort, Staatsangehörigkeit, Beruf). Die so ausgewählten Datensätze werden anschließend weiter untersucht und bei Bedarf ausgewertet.

Beispiele aus der Praxis

Ein bekanntes Beispiel für die Anwendung der Rasterfahndung ist die Fahndung nach den mutmaßlichen Mitgliedern der „Rote Armee Fraktion“ (RAF) in den 1970er Jahren. Auch nach den Anschlägen am 11. September 2001 kam die Rasterfahndung in Deutschland zum Einsatz, um sogenannte „Schläfer“ durch Auswertung von Meldedatenbanken, Hochschulen und Arbeitsämtern zu identifizieren.

Abgrenzung zu anderen Ermittlungsinstrumenten

Die Rasterfahndung ist von ähnlichen Maßnahmen, wie der gezielten Überwachung von Einzelpersonen, der Vorratsdatenspeicherung oder klassischen Fahndungsmethoden, abzugrenzen. Sie unterscheidet sich insbesondere durch die massenhafte und automatisierte Auswertung von personenbezogenen Daten ohne konkreten Verdacht gegen einzelne Personen.

Datenschutzrechtliche Regelungen und Löschungspflichten

Datenschutzrechtliche Bestimmungen

Die Maßnahme unterliegt strengen datenschutzrechtlichen Vorgaben. Erhobene Daten, die sich als nicht relevant für das Ermittlungsverfahren erweisen, sind unverzüglich zu löschen. Die Speicherung und Verarbeitung sensibler personenbezogener Daten ist zu begründen und auf das notwendige Maß zu beschränken.

Rechtsschutzmöglichkeiten

Betroffene Personen können sich durch Anrufung der Gerichte gegen die Durchsuchung und Verarbeitung ihrer Daten zur Wehr setzen. Zudem besteht ein Auskunftsanspruch über gespeicherte Daten nach den jeweiligen Datenschutzgesetzen.

Kritik und gesellschaftliche Debatte

Die Rasterfahndung steht unter ständiger gesellschaftlicher und politischer Diskussion. Kritisiert werden insbesondere die weitreichenden Grundrechtseingriffe, der Generalverdacht gegen große Bevölkerungsgruppen sowie die Gefahr der Stigmatisierung Unbeteiligter. Befürworter heben die Effektivität bei der Aufklärung von schwersten Straftaten hervor.

Internationale Rechtslage und Vergleich

Auch in anderen Rechtsordnungen, etwa in der Schweiz oder Österreich, ist die Rasterfahndung bekannt, wenngleich die Voraussetzungen und gesetzlichen Regelungen abweichen können. Besonders in liberalen Rechtsstaaten bestehen hohe Hürden für die Zulässigkeit dieser Ermittlungsmaßnahme.

Zusammenfassung

Die Rasterfahndung ist ein bedeutendes, jedoch grundrechtlich sensibles Ermittlungsinstrument, das ausschließlich zur Verfolgung schwerer Straftaten und unter strengen rechtlichen Maßgaben eingesetzt werden darf. Das deutsche Recht räumt dabei dem Schutz personenbezogener Daten und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz einen besonders hohen Stellenwert ein. Die Maßnahme bleibt damit eine Ausnahme in der polizeilichen und strafprozessualen Praxis und unterliegt ständiger rechtlicher Kontrolle und gesellschaftlicher Diskussion.

Häufig gestellte Fragen

Unter welchen rechtlichen Voraussetzungen ist eine Rasterfahndung in Deutschland zulässig?

Die rechtlichen Voraussetzungen für eine Rasterfahndung in Deutschland sind in § 98a der Strafprozessordnung (StPO) geregelt. Eine Rasterfahndung darf nur angeordnet werden, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass eine Straftat von erheblicher Bedeutung begangen worden ist oder unmittelbar bevorsteht. Außerdem muss die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise erheblich weniger Erfolg versprechend oder wesentlich erschwert sein. Es gilt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit: Der Eingriff in die Grundrechte der Betroffenen, insbesondere das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gemäß Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 Grundgesetz (GG), muss verhältnismäßig zum angestrebten Zweck sein. Zuständig für die Anordnung ist grundsätzlich das Gericht, nur in Fällen von Gefahr im Verzug kann die Staatsanwaltschaft oder die Polizei die Maßnahme anordnen, die gerichtliche Bestätigung ist dann jedoch unverzüglich nachzuholen.

Welche Daten dürfen im Rahmen der Rasterfahndung erhoben und verarbeitet werden?

Bei der Rasterfahndung dürfen ausschließlich bestimmte personenbezogene Daten von einer Vielzahl unverdächtiger Personen erhoben und verarbeitet werden, um unter ihnen Verdächtige zu identifizieren. Typischerweise handelt es sich um sogenannte „Rastermerkmale“ wie Alter, Geschlecht, Wohnort, Beruf, Familienstand, Nutzungsdaten von Kommunikationsmitteln oder Bankverbindungen. Dabei müssen die erhobenen Daten einen konkreten Bezug zur gesuchten Personengruppe und zum Fahndungszweck haben. Die Datenerhebung erstreckt sich nur auf Daten, die für den konkreten Fahndungszweck erforderlich sind – eine umfassende Vorratserhebung ist unzulässig. Die Verarbeitung und Nutzung der Daten unterliegen zudem den strengen Vorgaben des Datenschutzrechts und dürfen nur so lange erfolgen, wie sie für die Fahndung notwendig sind.

Wie werden die Rechte der Betroffenen im Rahmen der Rasterfahndung gewahrt?

Auch bei der Rasterfahndung muss der Schutz der Grundrechte der betroffenen Personen gewährleistet werden. Dazu gehört insbesondere das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Die Betroffenen sind zumeist nicht persönlich verdächtig, weshalb der Gesetzgeber hohe Voraussetzungen an die Anordnung und Durchführung der Maßnahme stellt. Die Einhaltung der Zweckbindung, die Begrenzung auf das erforderliche Maß und die Sicherstellung der Löschung aller nicht weiter benötigten Daten nach Abschluss der Fahndung dienen dem Rechtsschutz der Betroffenen. Zudem besteht grundsätzlich ein nachträgliches Benachrichtigungsrecht, sofern dies den Ermittlungszweck nicht mehr gefährdet. Gegen unrechtmäßige Maßnahmen bestehen Rechtsschutzmöglichkeiten, insbesondere durch Anrufung der Gerichte und Datenschutzaufsichtsbehörden.

Welche Rolle spielt der Richtervorbehalt bei der Anordnung einer Rasterfahndung?

Der Richtervorbehalt ist eine zentrale rechtliche Kontrolle bei der Anordnung einer Rasterfahndung. Nach § 98a Abs. 2 StPO darf die Maßnahme grundsätzlich nur durch einen mit Gründen versehenen richterlichen Beschluss angeordnet werden. Dies gewährleistet eine unabhängige Prüfung der rechtlichen Voraussetzungen, der Wahrung der Verhältnismäßigkeit und der Grundrechte der Betroffenen vor Durchführung der Maßnahme. Nur bei „Gefahr im Verzug“ darf eine andere staatliche Stelle, etwa die Staatsanwaltschaft, tätig werden, muss aber die richterliche Entscheidung unverzüglich nachholen. Dies dient der Effektivität rechtsstaatlicher Kontrolle und minimiert Missbrauchsgefahren.

Wie erfolgt die Kontrolle und Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer Rasterfahndung?

Die Kontrolle und Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Rasterfahndungsmaßnahmen obliegt mehreren Instanzen. Primär prüft das zuständige Gericht bei der Anordnung die rechtlichen Voraussetzungen, die Erforderlichkeit und die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme. Nach Durchführung kann die Rechtmäßigkeit im Rahmen von Beschwerden und Verfahren vor den Gerichten überprüft werden, etwa durch betroffene Einzelpersonen. Zudem nehmen Datenschutzbeauftragte auf Landes- und Bundesebene Kontrollfunktionen wahr. Sie können Ermittlungsakten einsehen, prüfen, ob Datenschutzstandards eingehalten wurden, und Verstöße beanstanden. Letztlich kann auch das Bundesverfassungsgericht angerufen werden, wenn eine Grundrechtsverletzung geltend gemacht wird.

Welche Beschränkungen gibt es bezüglich der Verwendung der erhobenen Daten?

Die im Rahmen einer Rasterfahndung erhobenen Daten dürfen ausschließlich für den konkreten und gesetzlich zulässigen Fahndungszweck verwendet werden. Eine Weitergabe, Verknüpfung oder Nutzung zu anderen Zwecken ist untersagt und kann straf- oder dienstrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Nach Abschluss der Maßnahme – spätestens jedoch, wenn sich herausstellt, dass die zu einer Person erhobenen Daten für Zwecke des Verfahrens nicht mehr benötigt werden – sind diese in der Regel unverzüglich zu löschen. Dies folgt aus dem Grundsatz der Zweckbindung und den Vorgaben des Datenschutzrechts. Die Einhaltung wird regelmäßig durch Datenschutzaufsichtsbehörden überprüft.

Gibt es eine Informations- oder Benachrichtigungspflicht gegenüber den Betroffenen?

Ja, grundsätzlich besteht nach § 101 StPO eine Benachrichtigungspflicht gegenüber den Betroffenen. Diese Information erfolgt jedoch regelmäßig erst nach Abschluss der Maßnahme, um den Fahndungserfolg nicht zu gefährden. Ausnahmen von der Benachrichtigungspflicht kommen in Betracht, wenn überwiegende staatliche Interessen, wie die Sicherheit des Ermittlungsverfahrens oder der Schutz Dritter, dies erfordern. Die Betroffenen erhalten dann im Nachgang Informationen darüber, welche Daten erhoben und wie sie verwendet wurden. Bei unrechtmäßiger Datenerhebung besteht zudem die Möglichkeit, die Löschung der Daten zu verlangen und gegebenenfalls Schadensersatzansprüche geltend zu machen.