Begriff und Einordnung
Der quasinegatorische Unterlassungsanspruch ist ein Abwehranspruch gegen rechtswidrige Beeinträchtigungen absolut geschützter Rechte, die nicht am Eigentum anknüpfen. Er überträgt die Logik des klassischen negatorischen Anspruchs, der typischerweise das Eigentum schützt, auf andere Rechtsgüter wie das allgemeine Persönlichkeitsrecht, den Namen oder den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. Ziel ist es, eine Beeinträchtigung zu stoppen und künftige gleichartige Eingriffe zu verhindern.
Abgrenzung zum negatorischen Unterlassungsanspruch
Während der negatorische Unterlassungsanspruch den Schutz des Eigentums vor Störungen zum Inhalt hat, greift der quasinegatorische Unterlassungsanspruch bei Beeinträchtigungen anderer, ebenfalls absolut geschützter Rechtspositionen. Beide Ansprüche funktionieren strukturell ähnlich: Sie sind auf Beseitigung bestehender Störungen und Unterlassung zukünftiger Störungen gerichtet und setzen kein Verschulden voraus.
Rechtsnatur und Funktion
Der Anspruch ist auf Abwehr ausgerichtet. Er dient der Wiederherstellung eines rechtmäßigen Zustands (Beseitigung) und dem Schutz vor Wiederholungen (Unterlassung). Er wirkt präventiv, indem er künftige Beeinträchtigungen durch eine Unterlassungspflicht ausschließt, und repressiv, indem er bereits bestehende Störungen beendet.
Voraussetzungen
Geschütztes Rechtsgut
Erforderlich ist die Beeinträchtigung eines absoluten Rechts. Typische Konstellationen betreffen:
- Allgemeines Persönlichkeitsrecht (z. B. unbefugte Bildveröffentlichungen, herabsetzende Berichte)
- Recht am Namen (z. B. unbefugte Namensnutzung)
- Eingerichteter und ausgeübter Gewerbebetrieb (z. B. gezielte Betriebsstörungen)
- Weitere absolute Rechte mit Ausschlussfunktion (z. B. Unternehmenskennzeichen)
Beeinträchtigung und Rechtswidrigkeit
Die Beeinträchtigung muss objektiv geeignet sein, das geschützte Recht zu verletzen. Sie ist rechtswidrig, wenn keine Rechtfertigung eingreift. Als Rechtfertigungsgründe kommen insbesondere Einwilligung oder überwiegende schutzwürdige Interessen anderer in Betracht; in Kommunikationssituationen erfolgt eine Güter- und Interessenabwägung.
Störereigenschaft
Anspruchsgegner ist der Störer. Unterschieden wird:
- Handlungsstörer: Verursacht die Beeinträchtigung durch eigenes Tun.
- Zustandsstörer: Hält eine Quelle der Störung vor oder beherrscht sie.
- Mitstörer: Leistet in zurechenbarer Weise einen Beitrag zur Beeinträchtigung, etwa durch organisatorische oder wirtschaftliche Unterstützung.
Ein persönliches Verschulden ist für den Unterlassungsanspruch nicht erforderlich. Die Verantwortlichkeit knüpft an die Zurechnung des Störungsbeitrags und an zumutbare Prüf- und Handlungspflichten an.
Wiederholungsgefahr oder Erstbegehungsgefahr
Für den Unterlassungsanspruch muss eine konkrete Gefahr künftiger Beeinträchtigungen bestehen. Sie wird bei bereits erfolgter Rechtsverletzung regelmäßig vermutet (Wiederholungsgefahr). Ohne vorangegangene Verletzung kann sie aus konkreten Ankündigungen oder unmittelbar bevorstehenden Maßnahmen folgen (Erstbegehungsgefahr). Die Gefahr entfällt nur durch Umstände, die eine Wiederholung zuverlässig ausschließen.
Rechtsfolgen
Unterlassung
Der Anspruch richtet sich auf Unterlassung der konkreten Beeinträchtigung und solcher wesensgleichen Handlungen, die die Gefahr einer Wiederholung begründen. Die Reichweite bemisst sich nach Art, Intensität und typischem Risiko des festgestellten Eingriffs.
Beseitigung
Neben der Unterlassung kann die Beseitigung fortdauernder Störungen verlangt werden. Dies umfasst etwa die Entfernung bereits veröffentlichter Inhalte oder die Abstellung einer Störungsquelle, soweit dies erforderlich und zumutbar ist.
Durchsetzung und Ordnungsmittel
Die Verpflichtung wird gerichtlich tituliert. Bei Zuwiderhandlungen können Ordnungsmittel angeordnet werden, um die Unterlassungspflicht effektiv durchzusetzen. In der Praxis werden Ansprüche häufig zunächst außergerichtlich geltend gemacht.
Prüfungsschema in der Übersicht
- Besteht ein absolutes, schutzwürdiges Recht des Anspruchstellers?
- Liegt eine Beeinträchtigung dieses Rechts vor?
- Ist die Beeinträchtigung rechtswidrig (keine Rechtfertigung, Abwägung der betroffenen Interessen)?
- Ist der Anspruchsgegner als Störer verantwortlich (Handlungs-, Zustands- oder Mitstörer)?
- Besteht Wiederholungs- oder Erstbegehungsgefahr?
- Rechtsfolge: Unterlassung und ggf. Beseitigung, Umfang nach Art der Beeinträchtigung.
Typische Anwendungsfelder
Persönlichkeitsrecht
Unzulässige Bildveröffentlichungen, identifizierende Berichte, Eingriffe in die Privatsphäre oder Entstellungen der Ehre können abgewehrt werden. Der Anspruch dient der schnellen Unterbindung und der Entfernung bereits verbreiteter Inhalte, wenn die Abwägung zugunsten der betroffenen Person ausfällt.
Name und Kennzeichen
Die unbefugte Verwendung eines Namens oder einer unterscheidungskräftigen Bezeichnung kann untersagt werden, wenn hierdurch eine Zuordnungsverwirrung oder sonstige Beeinträchtigung entsteht.
Eingerichteter und ausgeübter Gewerbebetrieb
Gezielte Störungen eines Betriebs, etwa Blockaden oder systematische Beeinträchtigungen von Funktionsabläufen, können unterbunden werden. Maßgeblich ist, dass der Eingriff betriebsbezogen ist und die geschützte Organisations- und Funktionssphäre betrifft.
Digitale Kontexte und Mitverantwortung
Bei Online-Plattformen, Host-Providern oder Forenbetreibern kann eine Mitverantwortung in Betracht kommen, wenn zumutbare Prüf- und Handlungspflichten nach Kenntniserlangung verletzt werden. Die Zurechnung richtet sich nach Einflussmöglichkeiten, Organisationspflichten und dem konkreten Beitrag zur Störung.
Besonderheiten
Abgrenzung zu verschuldensabhängigen Ansprüchen
Der quasinegatorische Unterlassungsanspruch ist auf Abwehr gerichtet und setzt kein Verschulden voraus. Schadensersatz- und Geldentschädigungsansprüche verfolgen einen Ausgleichszweck und erfordern grundsätzlich Verschulden; beide Anspruchsarten können nebeneinander bestehen.
Beweislast und Darlegung
Die betroffene Person hat Beeinträchtigung und Zurechnung darzulegen. Nach einer festgestellten Verletzung wird die Wiederholungsgefahr typischerweise vermutet. Für Rechtfertigungen ist der Anspruchsgegner darlegungs- und beweisnah.
Zeitliche Aspekte
Der Unterlassungsanspruch knüpft an die fortbestehende Gefahr weiterer Beeinträchtigungen an. Solange diese Gefahr nicht verlässlich entfällt, bleibt der Anspruch aktuell. Beseitigungsansprüche unterliegen eigenständigen zeitlichen Grenzen, die sich nach den Umständen des Einzelfalls richten.
Verhältnis zu spezialgesetzlichen Ansprüchen
In vielen Bereichen bestehen eigenständige Unterlassungsansprüche. Der quasinegatorische Anspruch tritt daneben oder füllt Lücken, wenn das geschützte Recht betroffen ist und keine speziellere Regelung greift.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Was bedeutet „quasinegatorischer Unterlassungsanspruch“ in einfachen Worten?
Es handelt sich um einen Abwehranspruch, mit dem rechtswidrige Eingriffe in bestimmte, besonders geschützte Rechte – etwa Persönlichkeit, Name oder Betrieb – gestoppt und für die Zukunft verboten werden können.
Worin unterscheidet sich der quasinegatorische vom negatorischen Anspruch?
Der negatorische Anspruch schützt das Eigentum vor Störungen. Der quasinegatorische Anspruch überträgt diesen Schutzmechanismus auf andere absolute Rechte, die kein Eigentum sind.
Ist für den Unterlassungsanspruch Verschulden erforderlich?
Nein. Entscheidend ist die rechtswidrige Beeinträchtigung und die Zurechnung zum Anspruchsgegner als Störer. Verschulden ist für den Unterlassungsanspruch nicht erforderlich.
Wer kann als Störer in Anspruch genommen werden?
Verantwortlich ist, wer die Störung verursacht oder beherrscht (Handlungs- oder Zustandsstörer) oder in zurechenbarer Weise dazu beiträgt (Mitstörer), etwa durch Organisation, Kontrolle oder Förderung.
Welche Rolle spielt die Wiederholungsgefahr?
Sie ist zentrale Voraussetzung des Unterlassungsanspruchs. Nach einer festgestellten Verletzung wird sie in der Regel angenommen; ohne Vorfall muss eine unmittelbar drohende Beeinträchtigung konkret absehbar sein.
Welche Rechtsfolgen sind möglich?
Angeordnet werden können Unterlassung und, soweit erforderlich, Beseitigung fortdauernder Störungen. Bei Zuwiderhandlung können gerichtliche Ordnungsmittel zur Durchsetzung der Unterlassungspflicht festgesetzt werden.
Gilt der Anspruch auch im Internet?
Ja. Eingriffe in geschützte Rechte können auch online abgewehrt werden. Mitverantwortung kann bestehen, wenn zumutbare Prüf- und Handlungspflichten nach konkreter Kenntnis nicht erfüllt werden.
Besteht der Anspruch neben Schadensersatz?
Ja. Der Unterlassungsanspruch dient der Abwehr, während Schadensersatz den Ausgleich von Folgen betrifft. Beide Ansprüche können nebeneinander bestehen, erfüllen aber unterschiedliche Zwecke.