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Quasikontrakt


Definition und Begriff des Quasikontrakts

Der Quasikontrakt ist ein im Zivilrecht verwendeter Begriff, der Rechtsverhältnisse bezeichnet, die einem Vertrag ähneln, jedoch nicht auf einer tatsächlichen Willenseinigung der beteiligten Parteien beruhen. Quasikontrakte entstehen kraft Gesetzes kraft eines tatsächlichen Lebenssachverhalts, der nach allgemeiner Rechtsauffassung eine vergleichbare (ähnliche) Rechtsfolge wie ein Vertrag rechtfertigt. Im Mittelpunkt steht das Bedürfnis, bestimmte rechtliche Beziehungen und Ansprüche auszugleichen, obwohl kein klassisches Vertragsverhältnis zustande gekommen ist.

Historische Entwicklung des Quasikontrakts

Ursprung im römischen Recht

Die Figur des Quasikontrakts hat ihre Wurzeln im römischen Recht. Im Rahmen der klassischen Unterscheidung von „obligatio ex contractu“ (aus Vertrag) und „obligatio ex delicto“ (aus unerlaubter Handlung) traten weitere Tatbestände auf, in denen eine Verpflichtung ohne ausdrückliche Willenseinigung entstand. Diese wurden als „quasi ex contractu“ (gleichsam aus Vertrag) bezeichnet und dienten vor allem dazu, ungerechtfertigte Vermögensverschiebungen zu korrigieren.

Entwicklung im europäischen Rechtskreis

In den europäischen Rechtsordnungen, insbesondere im französischen und deutschen Recht, wurde der Quasikontrakt übernommen und weiterentwickelt. Während im französischen Code Civil (Art. 1371 ff. a.F.) der Begriff ausdrücklich verwendet wurde, war dies im deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) nicht der Fall. Hier finden sich die Gedanken des Quasikontrakts jedoch im Bereicherungsrecht und im Bereich der Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA) wieder.

Inhalt und Systematik des Quasikontrakts

Abgrenzung zum Vertrag und zur unerlaubten Handlung

Ein Quasikontrakt setzt – im Unterschied zum Vertrag – keine ausdrückliche oder konkludente Einigung voraus. Die durch Gesetz entstehende Verpflichtung unterscheidet sich auch von der Haftung aufgrund einer unerlaubten Handlung, da kein rechtswidriges Verhalten als Anknüpfungspunkt dient, sondern vielmehr die Korrektur einer faktisch entstandenen Situation im Vordergrund steht.

Typische Tatbestände von Quasikontrakten

Quasikontraktähnliche Konstrukte finden sich insbesondere in folgenden rechtlichen Instituten:

1. Geschäftsführung ohne Auftrag (GoA)

Nach § 677 ff. BGB entsteht eine Schuldbeziehung, wenn jemand ein Geschäft für einen anderen ohne dessen Auftrag oder sonstige Berechtigung besorgt und dabei berechtigt oder unberechtigt handelt. Die GoA ist paradigmatisch für einen deutschen Quasikontrakt: Es entsteht eine gesetzliche Bindung ähnlich wie bei einem Auftrag, ohne dass eine Einigung vorliegt.

2. Ungerechtfertigte Bereicherung

Das Bereicherungsrecht (§§ 812 ff. BGB) ordnet eine Rückgewährpflicht an, wenn jemand durch Leistung eines anderen oder in sonstiger Weise auf dessen Kosten etwas ohne Rechtsgrund erlangt hat. Die Bereicherungshaftung stellt kein Delikt und keinen Vertrag, sondern ebenfalls eine Quasikontrakt-Konstellation dar.

3. Herausgabeansprüche bei Fund und Verwahrung

Auch bei der Fund- und Verwahrungstätigkeit entstehen bestimmte Rechte und Pflichten ohne vorherige Einigung der Parteien, sondern kraft Gesetzes zum Schutz allgemeiner Interessen.

Internationaler Vergleich

Im angloamerikanischen Rechtssystem existiert ein vergleichbares Institut mit dem „quasi-contract“ oder den Ansprüchen aus „unjust enrichment“ und „restoration“. Hier wird ebenfalls anerkannt, dass dem Geschädigten oder Leistenden unter bestimmten Voraussetzungen Ersatzansprüche eingeräumt werden können, obwohl keine Vereinbarung getroffen wurde.

Rechtsfolgen und Anwendungsbereich der Quasikontrakte

Entstehung und Wirkung

Die Entstehung eines Quasikontrakts resultiert aus einer tatsächlichen, nicht vereinbarten Lebenssituation, in der das Gesetz zur Herstellung eines interessengerechten Ausgleichs verpflichtet. Die daraus resultierenden Rechte und Pflichten ähneln oftmals denjenigen, die aus einem vertraglichen Schuldverhältnis hergeleitet werden könnten.

Beispiele für Ansprüche aus Quasikontrakten

  • Anspruch auf Aufwendungsersatz nach erfolgter Geschäftsführung ohne Auftrag
  • Herausgabeanspruch bei ungerechtfertigter Bereicherung
  • Vergütungsanspruch des Finders eines verlorenen Gegenstandes

Grenzen und Ausschlussgründe

Ein Quasikontrakt entsteht grundsätzlich nur, wenn kein wirksamer Vertrag oder eine Deliktshaftung greift. Sind bereits andere Schuldverhältnisse einschlägig, tritt der Quasikontrakt zurück. Zudem müssen die Voraussetzungen der jeweiligen gesetzlichen Regelung im Einzelfall beachtet werden, insbesondere der Schutz des Empfängers, die Freiwilligkeit der Handlung oder das Vorliegen eines Rechtsgrundes für die Vermögensverschiebung.

Bedeutung und praktische Relevanz

Funktion im Zivilrecht

Die Funktion des Quasikontrakts besteht vorrangig darin, Lücken im Vertragsrecht zu schließen und eine gerechte Interessenverteilung herzustellen, wenn das Gesetz keinen spezifischen Vertragstyp vorsieht, aber dennoch ein Ausgleich geboten ist. Quasikontrakte verhindern, dass ein Beteiligter auf Kosten eines anderen ohne legitimen Grund Vorteile zieht oder dass Durchsetzung von Ansprüchen an der fehlenden Vereinbarung scheitert.

Aktuelle Ausprägungen

Die praktische Bedeutung von Quasikontrakten findet sich oft im Zusammenhang mit irrtümlichen Zahlungen, Ersatz von Aufwendungen für fremde Angelegenheiten oder der Rückforderung nicht geschuldeter Leistungen.

Zusammenfassung

Der Quasikontrakt bezeichnet eine gesetzlich angeordnete Rechtsbeziehung, die eine ausgleichende Wirkung zwischen den Parteien entfaltet, obwohl keine vertragliche oder deliktische Grundlage vorliegt. Er bildet damit einen wichtigen Bestandteil des Schuldrechts und gewährleistet faire und sachgerechte Lösungen in atypischen Fallkonstellationen, insbesondere bei Geschäftsführung ohne Auftrag oder ungerechtfertigter Bereicherung. Das Konzept sichert einen Interessenausgleich in Fällen, in denen die klassische Vertragsdogmatik nicht greift, und besitzt daher hohe praktische und rechtssystematische Bedeutung.

Häufig gestellte Fragen

Wann kommt ein Quasikontrakt nach deutschem Recht typischerweise zur Anwendung?

Ein Quasikontrakt findet im deutschen Recht Anwendung, wenn zwischen den Parteien kein wirksamer Vertrag besteht, aber dennoch eine rechtlich geregelte Verpflichtung zur Leistung entsteht. Dies ist typischerweise in Situationen der sogenannten „Leistungskondiktion“ der Fall, etwa wenn jemand eine Zahlung oder sonstige Leistung irrtümlich erbringt (§ 812 Absatz 1 Satz 1 BGB, „etwas ohne rechtlichen Grund erlangt“). Beispiele sind Doppelzahlungen, Irrtümer über das Bestehen eines Vertrags oder die Erfüllung einer vermeintlichen Pflicht. Auch in Fällen der „Geschäftsführung ohne Auftrag“ (§§ 677 ff. BGB) kann ein Quasikontrakt entstehen, wenn eine Person für eine andere ein Geschäft besorgt, ohne dazu beauftragt zu sein, durch deren Handeln aber ein rechtlicher Ausgleichsanspruch entsteht. Der Hintergrund ist, dass das Gesetz in bestimmten Fallgruppen eine Vertragsähnlichkeit fingiert, um unbillige Bereicherungen oder ungerechtfertigte Vermögensverschiebungen zu verhindern.

Welche Rechtsfolgen ergeben sich aus einem Quasikontrakt?

Die Rechtsfolgen eines Quasikontrakts bestehen vor allem darin, dass ähnliche Rechte und Pflichten wie aus einem Vertrag entstehen, obwohl formal kein Vertrag abgeschlossen wurde. Der wichtigste Anspruch ist im Bereicherungsrecht (§§ 812 ff. BGB) verankert: Der Empfänger einer ungerechtfertigten Leistung muss diese herausgeben oder, falls das nicht möglich ist, Wertersatz leisten. Im Rahmen der Geschäftsführung ohne Auftrag entstehen Anspruchsgrundlagen auf Aufwendungsersatz oder Schadensersatz – und umgekehrt bestehen auch Pflichten der übernommenen Sorgfalt und Mitteilung gegenüber dem Geschäftsherrn. Entscheidend ist, dass Quasikontrakte eine Rechtsgrundlage für Ansprüche schaffen, die andernfalls mangels vertraglicher Beziehung nicht bestünden.

Wie unterscheidet sich ein Quasikontrakt von einem echten Vertrag?

Ein Quasikontrakt unterscheidet sich vom echten Vertrag in seinem Zustandekommen. Während für einen Vertrag zwei übereinstimmende Willenserklärungen (Angebot und Annahme) notwendig sind, entsteht ein Quasikontrakt durch das Gesetz. Dies geschieht unabhängig davon, ob ein bewusster Konsens zwischen den Beteiligten vorliegt. Im Ergebnis simulieren Quasikontrakte jedoch bestimmte Rechtsfolgen des Vertrags, etwa Ansprüche auf Rückgabe einer erlangten Leistung oder auf Ersatz von Aufwendungen, damit kein ungerechtfertigter Vorteil entsteht. Das ist insbesondere dann relevant, wenn die klassische vertragliche Anspruchsgrundlage fehlt, aber dennoch nach den Prinzipien von Treu und Glauben eine Rückabwicklung erfolgen muss.

Welche Anspruchsgrundlagen werden regelmäßig den Quasikontrakten zugeordnet?

Zu den häufigsten Anspruchsgrundlagen, die qua Gesetz einem Quasikontrakt zugeordnet werden, zählen insbesondere die §§ 812 ff. BGB (Bereicherungsrecht) und die §§ 677 ff. BGB (Geschäftsführung ohne Auftrag). Im Schuldrecht historische Bedeutung hat ferner die sog. „culpa in contrahendo“ (c.i.c.), also die Haftung für Schäden aufgrund vorvertraglicher Pflichtverletzung, welche inzwischen jedoch überwiegend unter § 311 Abs. 2, 3 BGB geregelt wird. Die vorgenannten Normen stellen typisierte Fälle dar, in denen ohne vertragliche Bindung dennoch eine Ersatz- oder Rückgabeanspruch entsteht, um die materielle Gerechtigkeit im Einzelfall sicherzustellen.

Gibt es besondere Ausschlüsse oder Einschränkungen bei quasivertraglichen Ansprüchen?

Ja, das Gesetz sieht verschiedene Ausschlüsse und Einschränkungen quasivertraglicher Ansprüche vor. So ist zum Beispiel eine Rückabwicklung ausgeschlossen, wenn der Empfänger rechtlich zum Behalten der Leistung berechtigt war (etwa aufgrund eines bestehenden Rechtsgrundes). Auch wenn der Leistende die Leistung bewusst ohne Rechtsgrund und in Kenntnis dessen erbringt („Leistung auf eigene Gefahr“), kann die Kondiktion ausgeschlossen sein. Die Vorschriften zur Geschäftsführung ohne Auftrag schließen Ansprüche unter bestimmten Voraussetzungen, etwa wenn die Übernahme des Geschäfts ausdrücklich abgelehnt wurde oder gegen den erklärten Willen des Geschäftsherrn erfolgt. Zudem können in Teilbereichen spezifische Ausschlussgründe greifen, wie sie zum Beispiel im Zusammenhang mit der Eigentumsherausgabe (§ 816 BGB) bestehen.

Inwiefern bestehen Besonderheiten bei Quasikontrakten im internationalen Rechtsverkehr?

Im internationalen Rechtsverkehr sind die quasivertraglichen Ansprüche in besonderer Weise konfliktanfällig, weil die rechtlichen Voraussetzungen und Folgen von Land zu Land unterschiedlich ausgestaltet sein können. Nach dem deutschen Internationalen Privatrecht (IPR) ist insbesondere zu prüfen, welches Recht auf quasivertragliche Ansprüche (wie Bereicherungsrecht oder GoA) Anwendung findet. Die Rom II-Verordnung (in der EU) bestimmt beispielsweise für außervertragliche Schuldverhältnisse das anwendbare Recht – dabei spielen Anknüpfungspunkte wie der Ort der Bereicherung oder der Ort der Leistung eine Rolle. Für die internationale Durchsetzung kann es zudem maßgeblich sein, ob analoge Institute im ausländischen Recht überhaupt anerkannt werden, was insbesondere außerhalb der kontinentaleuropäischen Rechtssysteme (z.B. im Common Law Area) nicht selbstverständlich ist.

Können auch juristische Personen quasivertraglich verpflichtet werden?

Ja, auch juristische Personen wie Gesellschaften, Vereine oder Körperschaften können durch das Handeln Dritter quasivertraglich verpflichtet werden, etwa wenn ihnen irrtümlich Zahlungen zugehen (Bereicherungsrecht) oder ein Geschäftsführer ohne Auftrag Maßnahmen zur Wahrung ihrer Interessen trifft (GoA). Entscheidend ist jeweils das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen, unabhängig von der zivilrechtlichen Handlungsfähigkeit des Empfängers. Die Rechtsfolgen für juristische Personen entsprechen dabei grundsätzlich denen für natürliche Personen, wobei interne Organisationsregeln zu beachten sein können, etwa im Hinblick auf die Vertretungsbefugnisse.