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Prozessverschleppung


Begriff und Bedeutung der Prozessverschleppung

Prozessverschleppung bezeichnet im deutschen Recht die bewusste oder grob fahrlässige Verzögerung eines gerichtlichen Verfahrens durch Verfahrensbeteiligte. Der Begriff findet insbesondere im Zivil-, Straf- und Verwaltungsprozess Anwendung und ist eng mit dem Prinzip des fairen und beschleunigten Verfahrens als Ausprägung des Justizgewährleistungsanspruchs verbunden. Prozessverschleppung gilt als rechtsmissbräuchliches Verhalten, das die Effektivität und Schnelligkeit der gerichtlichen Entscheidungsfindung beeinträchtigen kann.

Rechtsgrundlagen und Normierung

Zivilprozessordnung (ZPO)

Im Zivilprozess ist die Prozessverschleppung vorrangig durch verschiedene Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) erfasst. Nach § 242 BGB (Treu und Glauben) sowie § 296 ZPO (Verspätetes Vorbringen) und § 275 ff. ZPO (Beschleunigungsgebot) ist das rechtsmissbräuchliche Verhalten untersagt. Das Gericht ist befugt, verspätetes Vorbringen zurückzuweisen und großzügige Fristverlängerungen zu verweigern, um einer Verzögerung des Verfahrens entgegenzuwirken.

Strafprozessordnung (StPO)

Im Strafverfahren gelten vergleichbare Grundsätze nach der Strafprozessordnung (StPO). § 257a StPO und § 258 Abs. 2 letzter Satz StPO eröffnen die Möglichkeit, missbräuchliche Ausübung prozessualer Rechte zu unterbinden. Darüber hinaus achtet das Gericht auf die zügige Durchführung des Verfahrens gemäß dem Beschleunigungsgebot.

Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)

Auch im Verwaltungsprozess (§ 87a Abs. 3 VwGO) besteht die Möglichkeit, bei mutwilligem oder missbräuchlichem Prozessverhalten entsprechend einzugreifen, um das Verfahren nicht unnötig zu verzögern.

Erscheinungsformen und Motive

Die Verschleppung eines Prozesses kann vielfältige Erscheinungsformen haben, etwa durch wiederholte Antragstellung auf Fristverlängerung, missbräuchliche Ausübung prozessualer Rechte wie Befangenheitsanträge, wiederholte Beweisanträge in durchschaubarer Verzögerungsabsicht oder das Nichtwahrnehmen gerichtlicher Termine ohne ausreichende Entschuldigung.

Weitere typische Erscheinungsformen sind:

  • Unbegründete oder verspätete Beweisanträge
  • Wiederholte Ablehnung von Richtern oder Sachverständigen ohne substantielle Gründe
  • Übermäßige Ausschöpfung von Rechtsmitteln und Instanzen
  • Taktische Prozesshandlungen zur Hinauszögerung der Entscheidung

Die Motive für eine Prozessverschleppung können strategischer oder wirtschaftlicher Natur sein, etwa zur Erlangung eines Zeitgewinns, zur Verhinderung einer schnellen Vollstreckung oder zum Druckaufbau auf die Gegenseite.

Prozessualer Umgang mit Prozessverschleppung

Sanktionen und Gegenmaßnahmen

Die Gerichte verfügen über verschiedene Instrumente, um Prozessverschleppung zu begegnen und Missbrauch des Verfahrensrechts zu sanktionieren. Zu den wesentlichen Maßnahmen gehören:

Zurückweisung verspäteten Vorbringens

Gemäß § 296 ZPO, § 282 ZPO und entsprechenden Normen der StPO und VwGO besteht die Möglichkeit, neue Tatsachenvorträge oder Beweisanträge als verspätet zurückzuweisen, wenn sie zur Verzögerung des Verfahrens führen und keine ausreichende Entschuldigung vorliegt.

Ordnungsmittel

Das Gericht kann in gravierenden Fällen Ordnungsmittel verhängen, wenn Verfahrensbeteiligte durch ihr Verhalten den Ablauf erheblich stören oder bewusst verzögern (vgl. §§ 178 ff. GVG).

Kostenfolge

Verfahrensbeteiligten, die eine Prozessverschleppung zu verantworten haben, können die daraus resultierenden Kosten auferlegt oder versagt werden, sofern sich dies auf das Kostenrecht auswirkt (§ 91 ff. ZPO).

Ablehnung von Prozesshandlungen

Steht offensichtlich fest, dass ein Beweisantrag oder ein sonstiger Antrag allein zur Verschleppung des Verfahrens gestellt wird, kann das Gericht dessen Unzulässigkeit feststellen und entsprechende Ablehnungsbeschlüsse fassen. Dies gilt insbesondere bei wiederholten oder widersprüchlichen Anträgen.

Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren

Kommt es trotz gerichtlicher Kontrolle zu einem erheblich verzögerten Prozessverlauf, besteht seit dem Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (ÜGG) ein Entschädigungsanspruch (§ 198 GVG). Ziel ist es, Verfahrensbeteiligten wirksamen Rechtsschutz gegen unangemessene Verzögerungen zu gewährleisten.

Abgrenzung zur zulässigen Rechtsausübung

Prozessverschleppung ist von der zulässigen Ausschöpfung verfahrensrechtlicher Möglichkeiten abzugrenzen. Die geltenden Prozessordnungen sehen eine Vielzahl von Rechtspositionen und Rechtsmitteln vor, deren Ausübung grundsätzlich zulässig ist. Erst die missbräuchliche, insbesondere ausschließlich auf Verzögerung abzielende Nutzung dieser Rechte wird als rechtswidrige Prozessverschleppung eingeordnet.

Die Abgrenzung erfolgt anhand objektiver Kriterien, etwa durch Prüfung, ob das Verhalten zur Wahrnehmung berechtigter Interessen dient oder allein der Verfahrensverzögerung. Die Rechtsprechung misst dem subjektiven Element (Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit) große Bedeutung bei.

Bedeutung für das Justizwesen und Rechtsstaat

Die konsequente Ahndung und Verhinderung von Prozessverschleppungen ist für die Funktionsfähigkeit des gerichtlichen Rechtsschutzes von zentraler Bedeutung. Sie dient dem Schutz der Prozessökonmie, der effektiven Durchsetzung des materiellen Rechts und der allgemeinen Verfahrensbeschleunigung. Die Vermeidung rechtsmissbräuchlicher Verzögerungen ist zudem ein wesentlicher Bestandteil des Gebots effektiven Rechtsschutzes gemäß Artikel 19 Abs. 4 GG und der Europäischen Menschenrechtskonvention (Art. 6 EMRK).

Zusammenfassung

Prozessverschleppung stellt eine rechtswidrige, den effizienten Ablauf gerichtlicher Verfahren behindernde Verzögerungstaktik dar. Das deutsche Verfahrensrecht begegnet dieser Problematik mit einem engen Netz an Sanktions- und Gegenmaßnahmen, um das Ziel einer schnellen, fairen und sachgerechten Rechtsprechung zu gewährleisten. Die Verhinderung von Prozessverschleppungen trägt entscheidend zur Rechtsstaatlichkeit und zum Erhalt des Vertrauens in die Justiz bei.

Häufig gestellte Fragen

Welche prozessualen Mittel stehen den Parteien zur Verfügung, um einer Prozessverschleppung entgegenzuwirken?

Parteien können sich im Falle einer Prozessverschleppung verschiedener prozessualer Mittel bedienen. Zu den wichtigsten Werkzeugen zählt der sogenannte “Fristsetzungsantrag” gemäß § 198 GVG (Gerichtsverfassungsgesetz), mit dem Parteien eine Entscheidung der Justiz in angemessener Frist verlangen können. Darüber hinaus können sie mittels einer Verzögerungsrüge gemäß § 198 Abs. 3 GVG das Gericht auf eine aus ihrer Sicht unangemessene Verzögerung des Verfahrens formell hinweisen. Ebenso existieren spezifische Beweisanträge, Befangenheitsanträge sowie Erinnerungen und Beschwerden, um gezielt auf säumige Verfahrensbeteiligte oder Gerichte Einfluss zu nehmen. Bei fortgesetzter oder gravierender Verzögerung steht insbesondere die sogenannte “Entschädigungsklage wegen überlanger Verfahrensdauer” zur Verfügung, die einen finanziellen Ausgleich für die dadurch entstandene Unbill bietet.

Welche Rolle spielt das Gericht bei der Vermeidung von Prozessverschleppung?

Das Gericht ist nach § 139 ZPO (Zivilprozessordnung) verpflichtet, das Verfahren effizient, zügig und sachgerecht zu leiten. Dies erfolgt über die Steuerung des Prozessstoffs, die Terminierung, die Kontrolle der Einhaltung von Fristen und die Beanstandung etwaiger Verzögerungsversuche seitens der Parteien. Weiterhin kann das Gericht Maßnahmen nach § 227 ZPO ergreifen und eine beantragte Fristverlängerung nur bei Vorliegen erheblicher Gründe gewähren. Erkennen die Richter die Absicht, den Prozess zu verschleppen-etwa durch unnötige Beweisanträge, wiederholte Vertagungsanträge oder verzögerte Stellungnahmen-haben sie die Möglichkeit, solche Handlungen zurückzuweisen, Anträge nicht zuzulassen oder Versäumnisse zu protokollieren, was prozessuale Sanktionen nach sich ziehen kann.

Ist Prozessverschleppung strafbar oder ordnungswidrig?

Eine gezielte Prozessverschleppung durch Parteien oder ihre Vertreter ist in Deutschland grundsätzlich nicht ausdrücklich strafbewehrt, sofern sie sich innerhalb der prozessualen Regeln bewegt. Unzulässig ist jedoch eine grob missbräuchliche Ausnutzung der prozessrechtlichen Möglichkeiten, etwa im Rahmen des § 226 ZPO (Verbot der rechtsmissbräuchlichen Ausnutzung prozessualer Rechte). Ein solches Verhalten kann nicht nur prozessuale Nachteile, sondern auch Kostenfolgen nach sich ziehen. In schweren Fällen, z.B. bei arglistigem Verhalten, können zudem berufsrechtliche Konsequenzen für die Rechtsanwälte (§ 43 BRAO), Schadenersatzpflichten wegen Amtspflichtverletzung (§ 839 BGB) oder bei Täuschungshandlungen strafrechtliche Ermittlungen drohen.

Welche prozessualen Sanktionen können bei Missbrauch des Prozessrechts verhängt werden?

Bei Missbrauch prozessualer Rechte zur Verzögerung des Verfahrens kann das Gericht unterschiedliche Sanktionen verhängen. Zu diesen zählen unter anderem die Verwerfung verspäteter Schriftsätze (§ 296 ZPO), Ablehnung von Beweisanträgen (§ 244 Abs. 2 StPO im Strafverfahren), gerichtliche Ordnungsmaßnahmen sowie die Auferlegung von Mehrkosten gemäß § 96 ZPO. Des Weiteren kann im Extremfall das Prozessgericht eine Missbrauchsgebühr auferlegen oder Partei- bzw. Anwaltskosten dem säumigen Beteiligten auferlegen (§ 104 ZPO). Die Maßnahmen dienen dem prozessualen Beschleunigungsgebot und sollen § 242 BGB (Treu und Glauben) Geltung verschaffen.

Wie kann sich eine Partei gegen die bewusste Verzögerung durch die Gegenseite zur Wehr setzen?

Wird eine zielgerichtete Verzögerung durch die Gegenseite vermutet, stehen der betroffenen Partei insbesondere das Stellen der Verzögerungsrüge, das Erwirken einer Fristsetzung, der Antrag auf Entscheidung trotz Säumnis der anderen Partei sowie das Anregen eines Beschleunigungsbeschlusses offen. Darüber hinaus ist es möglich, auf augenfällige Verzögerungstaktiken explizit in Schriftsätzen hinzuweisen. Im Mischverfahren kann die Partei eine sogenannte Beschleunigungsanordnung nach § 32 Abs. 1 StPO beantragen. Auch die Geltendmachung eines materiellen Anspruchs auf Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer kommt infrage, sofern alle anderen (prozeduralen) Möglichkeiten ausgeschöpft wurden.

Welche Folgen hat eine festgestellte Prozessverschleppung für die betroffene Partei?

Kommt ein Gericht zur Feststellung, dass ein Verfahren in unangemessener Weise verschleppt wurde, kann der betroffenen Partei eine Entschädigung nach § 198 Abs. 2 GVG zugesprochen werden. Diese umfasst Ersatz für immaterielle Nachteile-wie seelische Belastung und Ungewissheit-und unter bestimmten Voraussetzungen auch für materielle Schäden. Die Höhe der Entschädigung orientiert sich an der Schwere und Dauer der Verzögerung und ist gesetzlich geregelt. Zudem können durch die Prozessverschleppung aufgelaufene Mehrkosten von der verursachenden Partei getragen werden. Eine gerichtliche Feststellung der Überlänge wirkt darüber hinaus teilweise prozessbeschleunigend für das weitere Verfahren.

Gibt es besondere Verfahrensarten oder Instanzen, die für Prozessverschleppung besonders anfällig sind?

Erfahrungswerte und Studien zeigen, dass umfangreiche Zivilprozesse, Baurechtsstreitigkeiten, Verfahren mit komplexer Beweislage sowie sozial- und verwaltungsgerichtliche Verfahren in Deutschland häufiger von Prozessverschleppung betroffen sind. Besonders in Instanzen mit hoher Auslastung und begrenzten personellen Ressourcen-z.B. Land- und Oberlandesgerichte-treten zeitliche Verzögerungen vermehrt auf. Auch führen häufige Wechsel der Richterbank, das Fehlen von spezialisierten Kammern sowie gestreckte mehrinstanzliche Verfahren zu erhöhter Anfälligkeit. Präventiv wirken dem etwa spezielle Kammern für komplexe Materien oder Konzentrationsregelungen entgegen.