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Prozessführungsbefugnis


Begriff und Bedeutung der Prozessführungsbefugnis

Die Prozessführungsbefugnis ist ein zentrales Rechtsinstitut im deutschen Zivil- und Verfahrensrecht. Sie bestimmt, wer berechtigt ist, ein prozessuales Recht im eigenen Namen vor Gericht geltend zu machen, unabhängig davon, wem der geltend gemachte materielle Anspruch zusteht. Bei der Prozessführungsbefugnis handelt es sich um eine Voraussetzung dafür, dass ein Kläger oder Beklagter einen Prozess führen darf. Sie ist von der Parteifähigkeit und Postulationsfähigkeit zu unterscheiden und bildet eine der zentralen Prozessvoraussetzungen.

Abgrenzung zu verwandten Begriffen

Unterschied zur Aktivlegitimation und Passivlegitimation

Die Prozessführungsbefugnis ist strikt zu unterscheiden von der materiellen Berechtigung (Aktivlegitimation) und der „materiellen Verpflichtetheit” (Passivlegitimation). Während die Aktiv- und Passivlegitimation eine Frage der Begründetheit einer Klage betreffen und sich darauf beziehen, ob die materiell-rechtliche Berechtigung bzw. Verpflichtung beim Kläger oder Beklagten liegt, handelt es sich bei der Prozessführungsbefugnis um eine Frage der Zulässigkeit der Klage. Sie ist von Amts wegen in jeder Lage des Verfahrens zu prüfen.

Funktion und Rechtsfolgen der Prozessführungsbefugnis

Voraussetzungen und Prüfung

Die Prozessführungsbefugnis liegt in der Regel beim Inhaber des materiellen Rechts. Es gibt jedoch Ausnahmen, in denen ein Dritter ein Recht im eigenen Namen für einen anderen geltend machen kann. Liegt keine Prozessführungsbefugnis vor, ist die Klage als unzulässig abzuweisen. Diese Voraussetzung wird von den Gerichten bereits in der Zulässigkeitsprüfung einer Klage geprüft.

Gesetzliche Regelungen

Kernvorschriften zur Prozessführungsbefugnis finden sich im deutschen Zivilprozessrecht allerdings nicht explizit kodifiziert. Vielmehr ist die Prozessführungsbefugnis ein von der Rechtsprechung und Literatur entwickeltes Institut, das seinen Rechtsgrund im Aufbau des Prozessrechts insgesamt hat und in verschiedenen Vorschriften, wie den §§ 50 ff. ZPO (Zivilprozessordnung) sowie etwa im Verwaltungsprozessrecht (z. B. § 42 Abs. 2 VwGO) oder im Arbeitsgerichtsprozess (z. B. § 2 Abs. 2 ArbGG), angeklungen wird.

Arten der Prozessführungsbefugnis

Originäre Prozessführungsbefugnis

Regelmäßig ist die originäre Prozessführungsbefugnis gegeben, wenn der Kläger sein eigenes Recht im eigenen Namen geltend macht. Hier besteht kein Zweifel an der Befugnis.

Prozessführungsbefugnis durch gesetzliche oder rechtsgeschäftliche Übertragung

In bestimmten Fällen lässt das Gesetz zu, dass Rechte durch Dritte in eigenem Namen geltend gemacht werden. Zu den bekanntesten Fällen zählen:

Prozessstandschaft

  • Gesetzliche Prozessstandschaft: Hier sieht das Gesetz ausdrücklich vor, dass jemand ein fremdes Recht im eigenen Namen einklagt, zum Beispiel der Insolvenzverwalter (§ 80 InsO), der Mieter bei Geltendmachung von Mängelrechten, die an den Vermieter abgetreten wurden oder der Verein gemäß § 8 UWG im Lauterkeitsrecht.
  • Gewillkürte Prozessstandschaft: Diese liegt vor, wenn der Inhaber eines Rechts einem Dritten – durch eine besondere Ermächtigung – gestattet, das ihm zustehende Recht im eigenen Namen geltend zu machen.

Parteifähigkeit und Postulationsfähigkeit als Abgrenzung

Die Prozessführungsbefugnis ist von Parteifähigkeit (Fähigkeit, in einem Prozess Partei zu sein, § 50 ZPO), und Postulationsfähigkeit (Befugnis, Prozesshandlungen vorzunehmen) abzugrenzen. Die Prozessführungsbefugnis betrifft die rechtliche Vertretung eines Rechts im Parteiinteresse und betrifft die Zulässigkeit der Klage, nicht deren Begründetheit.

Typische Fälle fehlender oder besonderer Prozessführungsbefugnis

Fehlende Prozessführungsbefugnis

Fehlt die Prozessführungsbefugnis, ist die Klage unzulässig. Typische Ursachen sind:

  • Geltendmachung eines fremden Rechts ohne Prozessstandschaft
  • Unerlaubte Rechtsdienstleistung durch Dritte (Verstoß gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz – RDG)

Besondere Formen der Prozessführungsbefugnis

  • Verbandsklagen: Umwelt- und Verbraucherschutzverbände sind zur klageweisen Durchsetzung fremder Interessen zugelassen (z. B. nach dem Unterlassungsklagengesetz).
  • Insolvenzverwalter und Nachlasspfleger: Diese Akteure handeln im Namen und auf Rechnung einer Insolvenz- oder Nachlassmasse kraft Gesetzes.

Prozessführungsbefugnis im Verwaltungs- und Arbeitsrecht

Verwaltungsprozessrecht

Im Verwaltungsprozessrecht regelt § 42 Abs. 2 VwGO die sogenannte subjektive Klagebefugnis, die der Prozessführungsbefugnis entspricht. Hier muss der Kläger geltend machen, in eigenen Rechten verletzt zu sein.

Arbeitsgerichtsverfahren

Im Arbeitsrecht ergibt sich die Prozessführungsbefugnis insbesondere aus dem bestehenden Arbeitsverhältnis und den kollektiven Regelungen, aber auch zugunsten von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden bei bestimmten kollektivrechtlichen Streitigkeiten.

Fehlende Prozessführungsbefugnis und Rechtsfolgen

Fehlt die Prozessführungsbefugnis, ist die Klage nach § 103 ZPO unzulässig. Die fehlende Prozessführungsbefugnis kann in jeder Instanz und in jedem Verfahrensabschnitt von Amts wegen beachtet werden. Eine wirksame Heilung kann nur durch nachträgliche Übertragung der Prozessführungsbefugnis unter Einhaltung der formellen Vorgaben erfolgen.

Bedeutung in der Praxis und abschließende Würdigung

Die Prozessführungsbefugnis gewährleistet, dass Prozesse nur von denjenigen geführt werden, die vom Gesetz berechtigt und legitimiert sind. Sie verhindert unbefugte Klagen und stellt sicher, dass nur berechtigte Personen Rechtsverletzungen gerichtlich verfolgen können. Die Klärung der Prozessführungsbefugnis ist bei jeder Klageerhebung von zentraler Bedeutung für die Vermeidung prozessualer Fehler und für die rechtsstaatliche Struktur des Prozessrechts.


Weiterführende Literatur und Hinweise:

  • Thomas/Putzo, Zivilprozessordnung
  • Münchener Kommentar zur ZPO
  • Musielak/Voit, ZPO
  • Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO
  • Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) – Kommentierungen
  • Gesetz über die Umweltverträglichkeit von Klagen (UmwRG)
  • UWG-Kommentar

Die hier dargestellten Informationsinhalte bieten eine umfassende Übersicht über die Prozessführungsbefugnis, deren Bedeutung, rechtliche Grundlagen sowie die jeweiligen speziellen Ausprägungen im Zivil-, Arbeits- und Verwaltungsprozessrecht.

Häufig gestellte Fragen

Wer kann in Zivilprozessen Prozessführungsbefugnis besitzen?

Die Prozessführungsbefugnis in Zivilprozessen steht grundsätzlich der Person zu, deren Recht im Prozess geltend gemacht wird, das heißt dem materiell Berechtigten. Diese ist in der Regel identisch mit der Klagepartei (dem Kläger oder Beklagten) im Verfahren. Abweichungen hiervon sind jedoch in bestimmten Konstellationen möglich: So können gesetzliche Vertreter (etwa Eltern für ihre minderjährigen Kinder oder Betreuer für betreute Personen), Insolvenzverwalter, Testamentsvollstrecker oder Nachlassverwalter die Prozessführungsbefugnis für den Berechtigten wahrnehmen. Außerdem ist die Prozessführungsbefugnis im Wege der gesetzlichen oder gewillkürten Prozessstandschaft übertragbar, sodass in besonderen Situationen auch Personen, die nicht selbst Inhaber des materiellen Rechts sind, dieses fremde Recht im eigenen Namen gerichtlich durchsetzen oder abwehren dürfen. Voraussetzung für eine solche sogenannte Prozessstandschaft ist regelmäßig ein schutzwürdiges rechtliches Interesse des Prozessstandschafters an der Rechtsverfolgung bzw. Rechtsverteidigung. Fehlt die Prozessführungsbefugnis, führt dies zur unzulässigen Klage.

Kann die Prozessführungsbefugnis durch vertragliche Vereinbarung übertragen werden?

Ja, die Prozessführungsbefugnis kann im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft durch vertragliche Vereinbarung auf einen Dritten übertragen werden. Hierbei ermächtigt der Inhaber des materiellen Rechts – etwa durch Vollmacht – eine andere Person, seine Rechte im eigenen Namen gerichtlich geltend zu machen oder zu verteidigen. Voraussetzung ist jedoch, dass der Prozessstandschafter ein eigenes schutzwürdiges Interesse an der Prozessführung hat. Ein solches Interesse ist beispielsweise bei Zessionaren, Inkassounternehmen oder in „Verwalterklagen” denkbar, wo etwa ein Vermieter im Namen der Eigentümergemeinschaft klagt. Die bloße Erlaubnis reicht nicht aus; eine gerichtliche Prozessvertretung und Prozessstandschaft müssen sorgfältig voneinander unterschieden werden.

Welche Rolle spielt die Prozessführungsbefugnis bei der Klagezulässigkeit?

Die Prozessführungsbefugnis ist eine unbedingte Zulässigkeitsvoraussetzung jeder Klage und muss während des gesamten Prozesses bestehen. Besteht diese Befugnis nicht, fehlt es an der Prozessführungsbefugnis und somit ist die Klage unzulässig, was das Gericht von Amts wegen prüfen muss. Anders als die Aktiv- oder Passivlegitimation, die die materielle Anspruchsberechtigung betrifft und im Rahmen der Begründetheit geprüft wird, betrifft die Prozessführungsbefugnis ausschließlich die Frage, ob der Kläger (bzw. Beklagte) nach der Prozessordnung berechtigt ist, über das betreffende materielle Recht einen Prozess zu führen.

Inwiefern unterscheidet sich die Prozessführungsbefugnis von der Prozessvertretung?

Die Prozessführungsbefugnis und die Prozessvertretung sind streng zu unterscheiden. Die Prozessführungsbefugnis betrifft das Recht, ein bestimmtes Recht in eigenem Namen gerichtlich geltend zu machen, unabhängig davon, ob man dabei durch einen Anwalt oder sonstigen Vertreter handelt. Die Prozessvertretung bezieht sich dagegen darauf, ob und inwieweit der Betroffene (Kläger oder Beklagter) sich im Prozess durch Dritte, insbesondere Rechtsanwälte oder gesetzliche Vertreter, vertreten lassen kann. Während die Prozessführungsbefugnis eine Zulässigkeitsvoraussetzung darstellt, ist die Prozessvertretung lediglich eine Frage der Durchführung des Prozesses.

Welche relevanten Unterschiede gibt es zwischen gesetzlicher und gewillkürter Prozessstandschaft im Hinblick auf die Prozessführungsbefugnis?

Die gesetzliche Prozessstandschaft ist durch Gesetz ausdrücklich vorgesehen und verpflichtet oder berechtigt bestimmte Personen zur Prozessführung für fremde Rechte im eigenen Namen, etwa im Fall des Insolvenzverwalters (§ 80 InsO), des Nachlassverwalters (§§ 1984 ff. BGB) oder Eltern für ihre minderjährigen Kinder (§ 1629 BGB). Die gewillkürte Prozessstandschaft hingegen beruht auf einer Ermächtigung durch den materiell Berechtigten und setzt, wie bereits erwähnt, grundsätzlich ein eigenes schutzwürdiges Interesse des Prozessstandschafters voraus. Bei Fehlen dieses Interesses oder der Ermächtigung scheitert die Prozessführungsbefugnis in Fällen der gewillkürten Prozessstandschaft, was zur Unzulässigkeit der Klage führt. Die gesetzliche Prozessstandschaft dagegen bedarf keiner zusätzlichen Begründung, sofern das betreffende Gesetz die Prozessführungsbefugnis bestimmt.

Welche rechtlichen Folgen hat das Fehlen der Prozessführungsbefugnis?

Fehlt dem Kläger die Prozessführungsbefugnis, ist die Klage unzulässig und wird durch Prozessurteil abgewiesen. Das Gericht prüft diese Voraussetzung von Amts wegen, unabhängig von einer etwaigen Rüge der Gegenseite. Die Unzulässigkeit der Klage hat zur Folge, dass eine Sachentscheidung gar nicht ergeht. Eine Nachholung der Prozessführungsbefugnis während des anhängigen Prozesses ist grundsätzlich möglich, etwa durch spätere Geltendmachung der Ermächtigung. Fehlt die Befugnis jedoch auch bei Schluss der mündlichen Verhandlung, bleibt es bei der Unzulässigkeit.

Gibt es Sondernormen zur Prozessführungsbefugnis im deutschen Zivilprozessrecht?

Ja, das deutsche Zivilprozessrecht kennt mehrere Sondernormen zur Prozessführungsbefugnis, beispielsweise in § 51 ZPO (Parteifähigkeit), den Vorschriften zur gesetzlichen Prozessstandschaft (z.B. §§ 80 InsO, 1629 BGB) und einzelnen materiellen Gesetzen, die Sammelklagen oder Verbandsklagen regeln (z.B. Unterlassungsklagen von Verbraucherschutzverbänden nach § 8 UWG oder § 4 UKlaG). In diesen Sondersituationen kann bestimmten Organisationen oder Personen die Prozessführungsbefugnis für Rechte Dritter ausdrücklich eingeräumt werden. Die Prüfung, ob solche Sondervorschriften einschlägig sind, ist für die effiziente und zulässige Prozessführung von maßgeblicher Bedeutung.