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Prozessaufrechnung


Begriff und Grundlagen der Prozessaufrechnung

Die Prozessaufrechnung ist ein Begriff des Zivilprozessrechts und bezeichnet die Geltendmachung einer Gegenforderung im Rahmen eines bereits anhängigen gerichtlichen Verfahrens durch eine sogenannte Aufrechnungseinrede (§ 389 BGB i.V.m. § 145 ZPO). Sie unterscheidet sich von der außerprozessualen Aufrechnung, die bereits vor oder ohne einen laufenden Prozess erfolgt. Die Prozessaufrechnung stellt für Beklagte ein bedeutsames Verteidigungsmittel dar und hat sowohl prozessuale als auch materielle Rechtswirkungen.

Rechtliche Grundlagen

Materiellrechtliche Voraussetzungen der Aufrechnung

Im Zentrum der Prozessaufrechnung stehen die Voraussetzungen der materiellen Aufrechnung (§§ 387 ff. BGB). Grundsätzlich muss der Aufrechnende eine eigene Forderung (Gegenforderung) gegen die Klageforderung (Hauptforderung) besitzen. Nach § 387 BGB setzt eine Aufrechnung voraus, dass die Forderungen gleichartig sind sowie die Gegenforderung fällig und durchsetzbar ist.

Gleichartigkeit der Forderungen

Beide Forderungen müssen denselben Gegenstand betreffen, üblicherweise handelt es sich um Geldforderungen. Naturalleistungen sind nur dann aufrechenbar, wenn sie sich ihrer Art nach gleichen.

Durchsetzbarkeit und Fälligkeit

Die Gegenforderung muss zum Zeitpunkt der Aufrechnungseinrede durchsetzbar und fällig sein. Einrede- oder Einwendbarkeit vermindert oder verhindert die Möglichkeit der Prozessaufrechnung.

Besonderheiten im Prozessrecht

Die Prozessaufrechnung wird reguliert durch Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO), insbesondere § 145 ff. ZPO. Hiernach wird die Aufrechnung im laufenden Verfahren durch eine entsprechende Erklärung gegenüber dem Gericht geltend gemacht. Sie ist grundsätzlich bis zur letzten mündlichen Verhandlung erster Instanz möglich, sofern das Gericht keinen Ausschluss beschlossen hat.

Aufrechnungseinrede

Die Prozessaufrechnung erfolgt durch die sogenannte Aufrechnungseinrede. Diese ist ein Verteidigungsmittel und bewirkt, dass der Beklagte dem Klageanspruch im Ganzen oder teilweise den Bestand seiner eigenen Gegenforderung entgegenhält.

Wirkungen der Prozessaufrechnung

Materielle Rechtswirkungen

Mit der wirksamen Erklärung der Prozessaufrechnung tritt die materielle Wirkung der Aufrechnung wie im außerprozessualen Bereich ein. Das heißt, beide Forderungen erlöschen in Höhe des geringeren Betrages rückwirkend zu dem Zeitpunkt, in dem erstmals beide Forderungen aufrechenbar gewesen sind (§ 389 BGB).

Prozessuale Wirkungen

Prozessual handelt es sich bei der Aufrechnungseinrede um eine sogenannte selbstständige gegen den Prozessanspruch gerichtete Verteidigung. Das Gericht prüft im laufenden Verfahren sowohl das Bestehen der Hauptforderung als auch der Gegenforderung und die Aufrechnungsvoraussetzungen.

Eventualaufrechnung

Die Aufrechnungseinrede kann auch hilfsweise (eventualiter) erhoben werden. Dies ist etwa der Fall, wenn der Beklagte nur für den Fall, dass das Gericht den Klageanspruch bejaht, die Aufrechnung erklären will.

Behandlungsweise der Aufrechnung im Urteil

Im Urteil prüft das Gericht in der Regel zuerst die Klageforderung. Besteht diese und ist die Aufrechnung zulässig und begründet, spricht das Gericht die Klage insoweit ab, als der Anspruch durch Aufrechnung erloschen ist. Ist die Gegenforderung höher als die Klageforderung, bleibt der überschießende Teil der Gegenforderung unberücksichtigt, es sei denn, er wird im Wege der Widerklage geltend gemacht.

Unzulässigkeit der Prozessaufrechnung

Ausschlussgründe

Es gibt Fälle, in denen die Prozessaufrechnung unzulässig ist. Dazu zählen insbesondere:

  • Abtretungsverbote oder gesetzliche Aufrechnungsverbote (vgl. § 393 BGB)
  • Beschluss des Gerichts gemäß § 296 ZPO, nach welchem eine verspätete Aufrechnung ausgeschlossen werden kann
  • Bestimmte privilegierte Forderungen, z. B. Unterhaltsansprüche unterliegen besonderen gesetzlichen Beschränkungen

Verspätete Aufrechnung

Eine verspätet erklärte Aufrechnung kann vom Gericht zurückgewiesen werden, wenn sie den Fortgang des Verfahrens verzögern würde und keine ausreichende Entschuldigung für die Verspätung vorliegt (§ 296 ZPO).

Verhältnis zu anderen prozessualen Gestaltungsmitteln

Abgrenzung zur Widerklage

Im Gegensatz zur Prozessaufrechnung wird in einer Widerklage eine eigene Forderung im Wege eines Gegenantrags geltend gemacht, während durch die Aufrechnung nicht die Verurteilung des Gegners zur Leistung, sondern die Abweisung (teilweise oder vollständig) der Klage herbeigeführt werden soll.

Verhältnis zur Klageerwiderung

Die Prozessaufrechnung kann in der Klageerwiderung erfolgen, ist aber keine Voraussetzung. Sie kann grundsätzlich bis zur letzten mündlichen Verhandlung erster Instanz noch erklärt werden.

Internationale und europarechtliche Aspekte

Die Prozessaufrechnung ist auch im internationalen Zivilverfahrensrecht sowie unter europarechtlichen Gesichtspunkten von Bedeutung. Bei grenzüberschreitenden Sachverhalten richtet sich die Zulässigkeit und Wirkung der Prozessaufrechnung nach dem jeweils anwendbaren Verfahrens- und materiellen Recht. Im europäischen Mahnverfahren und in der Brüssel Ia-Verordnung finden sich dazu spezielle Vorschriften.

Literatur und Rechtsprechung

Die rechtlichen Grundlagen und Entwicklungen zur Prozessaufrechnung sind maßgeblich durch höchstrichterliche Rechtsprechung, insbesondere des Bundesgerichtshofs, geprägt. Kommentarliteratur zu BGB und ZPO behandelt die Materie umfassend, wobei insbesonders die prozessualen Bedingungen der Aufrechnung regelmäßig Gegenstand wissenschaftlicher Diskussion sind.


Zusammenfassung:
Die Prozessaufrechnung ist ein zentrales Instrument zur Geltendmachung von Gegenforderungen im Zivilprozess. Sie erfordert neben den materiellrechtlichen auch prozessuale Voraussetzungen und unterliegt bestimmten Beschränkungen. Ihre sachgerechte Anwendung und prozessuale Behandlung sind maßgeblich für eine effiziente Abwicklung streitiger Verfahren, insbesondere im Hinblick auf das Ziel der Verfahrensbeschleunigung und die Vermeidung unnötiger Doppelverfahren.

Häufig gestellte Fragen

Welche formalen Anforderungen gelten für eine Prozessaufrechnung?

Im deutschen Zivilprozessrecht ist für die Zulässigkeit einer Prozessaufrechnung gemäß § 388 BGB i.V.m. § 33 ZPO erforderlich, dass die Aufrechnung ausdrücklich und unmissverständlich erklärt wird. Dies kann sowohl schriftsätzlich, also im Rahmen eines vorbereitenden Schriftsatzes, als auch zu Protokoll in mündlicher Verhandlung erfolgen. Das Aufrechnungsbegehren muss erkennen lassen, gegen welche Klageforderung und mit welcher Gegenforderung aufgerechnet wird. Es müssen also sowohl die Hauptforderung als auch die Gegenforderung sowie ihre jeweiligen Beträge oder zumindest Berechnungsgrundlagen konkret bezeichnet werden. Bloße Allgemeinbehauptungen oder pauschale Aufrechnungsankündigungen genügen nicht. Zudem empfiehlt es sich, auch die Tatsachen zur Entstehung und Durchsetzbarkeit der Gegenforderung substantiiert darzulegen, um eine Präklusion nach § 296 ZPO zu vermeiden, falls das Gericht die Aufrechnung für verspätet gehalten sollte oder die Gegenforderung bestritten wird.

Bis zu welchem Zeitpunkt kann die Aufrechnung im Prozess noch erklärt werden?

Die Erklärung der Prozessaufrechnung ist grundsätzlich bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz zulässig. Nach § 296 Abs. 1 ZPO kann eine verspätete Aufrechnung jedoch vom Gericht zurückgewiesen werden, wenn sie den Rechtsstreit verzögern würde und ein früherer Vortrag möglich gewesen wäre. In der Berufungsinstanz gilt nach § 533 ZPO, dass die Aufrechnung dann zugelassen werden kann, wenn sie entweder bereits in erster Instanz vorgetragen wurde oder das Berufungsgericht sie als sachdienlich ansieht und auf unstreitigem oder festgestelltem Tatsachenmaterial beurteilen kann. Nachträgliche Aufrechnungserklärungen nach Ablauf der mündlichen Verhandlung können nur noch im Wege einer Wiederaufnahme des Verfahrens Berücksichtigung finden.

Welche rechtlichen Wirkungen entfaltet die Prozessaufrechnung?

Durch die erfolgreiche Erklärung der Aufrechnung im Prozess tritt die sogenannte „aufschiebende Einwendung” in Kraft, wobei die gegenseitigen Forderungen bis zur Höhe des geringeren Betrags einander zum Zeitpunkt der letzten erforderlichen Willenserklärung (meist der Aufrechnungserklärung, § 389 BGB) aufheben. Im Prozess hat dies zur Folge, dass das Gericht, sofern die Aufrechnung durchgreift, die Klage in dem Umfang, in dem die Forderungen sich decken, abweisen muss. Die Gegenforderung des Beklagten wird als sogenannte Gegenforderung in die Prozessökonomie aufgenommen, eine gesonderte Verurteilung des Klägers zur Leistung ist indes nicht möglich. Falls die Forderung des Beklagten die Klageforderung übersteigt, bleibt der Überschuss der Gegenforderung einem etwaigen weiteren Verfahren vorbehalten.

Kann das Gericht die Aufrechnung von Amts wegen berücksichtigen?

Das Gericht darf eine Aufrechnung im Zivilprozess nicht von Amts wegen (also ohne entsprechenden Antrag oder Hinweis einer Partei) berücksichtigen. Die Aufrechnung ist gemäß § 139 ZPO eine „Einwendung”, die ausdrücklich von einer Partei, meist der beklagten Partei, geltend gemacht werden muss. Wenn Anhaltspunkte für das Bestehen einer Gegenforderung bestehen, aber keine förmliche Aufrechnung erklärt wurde, kann allenfalls ein richterlicher Hinweis angebracht sein. Ohne Prozessaufrechnung bleibt es bei der Entscheidung allein über die Klageforderung.

Welche prozessualen Risiken bestehen bei einer unzulässigen oder unbegründeten Aufrechnung?

Die Geltendmachung einer unzulässigen oder unbegründeten Prozessaufrechnung kann für die aufrechnende Partei erhebliche prozessuale Nachteile mit sich bringen. Einerseits kann eine verspätete oder unspezifische Aufrechnung nach § 296 ZPO zurückgewiesen werden, was faktisch einem Verlust des Einwands im laufenden Verfahren gleichkommt. Andererseits trägt die Partei, die die Aufrechnung erklärt, die Darlegungs- und Beweislast für das Bestehen und die Durchsetzbarkeit der Gegenforderung. Wird die Gegenforderung bestritten oder ist sie nicht fällig, kann das Gericht die Aufrechnung zurückweisen oder sogar einen sogenannten Vorbehaltsurteil nach § 302 ZPO erlassen, soweit noch Unsicherheiten über die Gegenforderung bestehen.

In welchen Fällen führt die Prozessaufrechnung zu einer Entscheidung über die Gegenforderung?

Grundsätzlich entscheidet das Gericht im Rahmen der Prozessaufrechnung lediglich inzident über das Bestehen der Gegenforderung, und auch nur, soweit sie mit der Klageforderung verrechnet werden kann. Ein vollstreckbarer Titel zu Gunsten des Beklagten wird dabei jedoch nicht erteilt; eine Verurteilung des Klägers zur Zahlung eines etwaigen Überschusses der Gegenforderung erfolgt nicht. Eine Ausnahme bildet das sogenannte Eventualaufrechnungswiderklage, bei der über die Gegenforderung unabhängig vom Klagebestand entschieden wird. Zur Sicherung von etwaigen Rückforderungsrechten ist in manchen Fällen ein Vorbehaltsurteil nach § 302 ZPO möglich.

Was sind die besonderen Anforderungen an die Darlegung der Gegenforderung in der Prozessaufrechnung?

Bei der Prozessaufrechnung sind die Anforderungen an die Substantiierung der vorgetragenen Gegenforderung hoch. Der Beklagte muss schlüssig darlegen, woraus sich seine Forderung ergibt, sodass das Gericht deren Bestehen, Fälligkeit und Durchsetzbarkeit prüfen kann. Dies umfasst die Nennung von Vertragspartnern, Vertragsschluss, Leistungsumfang, Erfüllungszeitpunkt, etwaigen Mängelrügen oder Rücktrittserklärungen sowie die Berechnung des genauen Betrags. Werden Zinsen oder Nebenforderungen aufgerechnet, sind auch diese betragsmäßig und rechtlich zu begründen. Das Gericht prüft die Aufrechnung nur im Umfang und auf der Tatsachengrundlage, die der Vortrag der Parteien bietet.