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Prozessarten

Prozessarten: Begriff, Systematik und Bedeutung

Der Begriff „Prozessarten“ bezeichnet die unterschiedlichen Formen gerichtlicher Verfahren, mit denen staatliche Gerichte Rechtsstreitigkeiten klären, staatliches Handeln überprüfen oder staatliche Sanktionen verhängen. Prozessarten strukturieren, wie ein Verfahren abläuft, welche Rollen die Beteiligten einnehmen, welche Beweise erhoben werden, welche Entscheidungen möglich sind und welche Rechtsmittel zur Verfügung stehen. Die Einordnung in eine bestimmte Prozessart bestimmt damit wesentliche Spielregeln des Verfahrens.

Abgrenzung zu Klagearten und Verfahrensformen

Prozessarten unterscheiden sich von Klagearten und konkreten Verfahrensformen. Klagearten (z. B. Leistungs-, Feststellungs-, Gestaltungsklage) beschreiben die Art des Rechtsschutzbegehrens. Verfahrensformen (z. B. mündliche Verhandlung, schriftliches Verfahren, Eilverfahren) betreffen den Ablauf. Die Prozessart ordnet die gesamte Verfolgung eines Anspruchs oder eines staatlichen Anliegens einem Gerichtszweig mit eigenen Grundsätzen zu.

Gerichtsbarkeiten und ihre zentralen Prozessarten

Ordentliche Gerichtsbarkeit

Zivilprozess

Der Zivilprozess dient der Entscheidung privatrechtlicher Streitigkeiten zwischen natürlichen oder juristischen Personen. Er ist im Regelfall parteibetrieben: Die Parteien bestimmen Streitgegenstand und Beweisanträge. Das Gericht prüft auf Grundlage des Vortrags und der angebotenen Beweise. Ergebnis ist ein Urteil oder Beschluss, das Ansprüche feststellt, zuspricht oder abweist.

Strafprozess

Der Strafprozess klärt den Vorwurf einer Straftat. Ermittlungsbehörden und Gericht verfolgen Straftaten von Amts wegen. Das Verfahren ist stärker staatlich geprägt, mit eigenen Regeln zur Beweisaufnahme, zum Schutz von Beschuldigtenrechten und zur Wahrheitsfindung. Es kann mit Freispruch, Verurteilung oder Einstellung enden.

Besondere Gerichtsbarkeiten

Verwaltungsprozess

Der Verwaltungsprozess überprüft Handeln der öffentlichen Verwaltung. Das Gericht stellt maßgeblich selbst die entscheidungserheblichen Tatsachen fest (Amtsermittlung). Typisch sind Anfechtungs- und Verpflichtungsbegehren sowie besondere Normenkontrollverfahren.

Arbeitsgerichtsprozess

Der Arbeitsgerichtsprozess betrifft vor allem Streitigkeiten aus Arbeitsverhältnissen. Ehrenamtliche Richterinnen und Richter aus Arbeitnehmerschaft und Arbeitgeberseite wirken mit. Das Verfahren verbindet Elemente der gütlichen Einigung mit streitiger Entscheidung.

Sozialgerichtsprozess

Der Sozialgerichtsprozess behandelt Ansprüche aus der sozialen Sicherung (z. B. Leistungen, Beiträge). Das Gericht ermittelt den Sachverhalt von Amts wegen und berücksichtigt die Besonderheiten des sozialen Leistungsrechts.

Finanzgerichtsprozess

Der Finanzgerichtsprozess kontrolliert Steuerbescheide und andere Entscheidungen der Finanzverwaltung. Er ist auf die Überprüfung hoheitlicher Abgaben ausgerichtet und folgt eigenständigen Verfahrensregeln.

Verfassungsgerichtliches Verfahren

Verfahrensarten vor Verfassungsgerichten prüfen die Vereinbarkeit von Hoheitsakten und Normen mit Verfassungsrecht. Sie besitzen besondere Zugangsvoraussetzungen und Wirkungen, etwa abstrakte und konkrete Normenkontrolle oder Verfassungsbeschwerde.

Typen und Abläufe innerhalb von Prozessarten

Erkenntnisverfahren und Vollstreckung

Erkenntnisverfahren dienen der Klärung, ob ein Anspruch besteht oder ein Hoheitsakt rechtmäßig ist. Die Vollstreckung setzt eine Entscheidung durch, beispielsweise die Beitreibung von Geldforderungen oder die Durchsetzung von Handlungen. Beide Bereiche sind verknüpft, folgen aber unterschiedlichen Regeln.

Ordentliches Verfahren und Eilverfahren

Ordentliche Verfahren klären den Streitstoff umfassend. Eilverfahren verschaffen vorläufigen Rechtsschutz, wenn ohne schnelle Entscheidung Nachteile drohen. Typisch sind einstweilige Anordnungen und Verfügungen, deren Wirkungen vorläufig sind und später durch die Entscheidung im Hauptsacheverfahren bestätigt oder ersetzt werden.

Mündliche und schriftliche Verfahrensgestaltung

Regelmäßig findet eine mündliche Verhandlung statt, in der das Gericht mit den Beteiligten den Streitstoff erörtert und Beweise erhebt. In bestimmten Konstellationen ist ein schriftliches Verfahren möglich, bei dem das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheidet.

Einzel- und Kollegialbesetzung

Je nach Instanz und Materie entscheiden Einzelrichter oder Spruchkörper mit mehreren Mitgliedern. In einigen Prozessarten wirken ehrenamtliche Richterinnen und Richter mit, etwa in Arbeitssachen oder Strafsachen (Schöffen).

Klage- und Antragsarten im Überblick

Leistungsklage

Zielt auf die Verurteilung zu einem Tun, Dulden oder Unterlassen, häufig auf Zahlung oder Herausgabe. Sie ist klassisch im Zivilprozess, kommt aber auch in anderen Gerichtsbarkeiten vor.

Feststellungsklage

Klärt das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses oder Rechts. Sie schafft Rechtssicherheit, wenn eine Leistungsentscheidung (noch) nicht angezeigt ist.

Gestaltungsklage

Gestaltet ein Rechtsverhältnis unmittelbar durch Urteil um, etwa Auflösung, Anfechtung oder Änderung eines Zustands. Gestaltungsklagen sind auf eine rechtsändernde Entscheidung gerichtet.

Anfechtungs- und Verpflichtungsbegehren

Im öffentlichen Recht stehen häufig die Aufhebung eines Verwaltungsakts (Anfechtung) oder die Verpflichtung der Behörde zum Erlass eines begehrten Verwaltungsakts im Mittelpunkt. Ergänzend gibt es Normenkontrolle und weitere spezielle Antragsarten.

Grundprinzipien der Prozessarten

Dispositionsmaxime und Beibringungsgrundsatz

Im Zivilprozess bestimmen die Parteien grundsätzlich Streitgegenstand, Antrag und Beweismittel. Das Gericht bleibt an den Parteivortrag gebunden und entscheidet hierüber.

Offizialprinzip und Legalitätsprinzip

Im Strafprozess führen staatliche Stellen das Verfahren eigenständig, von der Ermittlung bis zur Entscheidung. Der Schutz von Beschuldigtenrechten und die umfassende Sachaufklärung prägen den Ablauf.

Amtsermittlungsgrundsatz

In Verwaltungs-, Sozial- und Finanzprozessen ermittelt das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen. Es ist nicht auf die Beweisanträge der Beteiligten beschränkt und kann eigene Ermittlungen anstellen.

Öffentlichkeit und Mündlichkeit

Verhandlungen sind regelmäßig öffentlich. Ausnahmen bestehen zum Schutz besonderer Interessen, beispielsweise bei Persönlichkeits- oder Sicherheitsbelangen. Die Mündlichkeit gewährleistet Transparenz und Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme.

Rechtliches Gehör und faires Verfahren

Alle Beteiligten erhalten Gelegenheit, sich zu äußern, Anträge zu stellen und Beweisanträge zu unterbreiten. Das Gericht berücksichtigt Vorbringen und Beweise und begründet seine Entscheidung.

Instanzenzug und Rechtsmittel

Erste und weitere Instanzen

Verfahren beginnen in der Regel in der ersten Instanz. Gegen Entscheidungen stehen je nach Prozessart und Streitwert Rechtsmittel offen, die eine Überprüfung in höherer Instanz ermöglichen. Oberste Gerichtshöfe wahren die Einheitlichkeit der Rechtsprechung.

Berufung, Revision, Beschwerde

Die Berufung überprüft regelmäßig Tatsachen und Recht. Die Revision konzentriert sich auf Rechtsfragen. Die Beschwerde richtet sich gegen Beschlüsse und bestimmte prozessuale Maßnahmen. Zulassung und Umfang der Prüfung sind je nach Prozessart unterschiedlich.

Bindungswirkung

Entscheidungen entfalten Bindungswirkung für die Beteiligten und wirken in bestimmten Fällen auch darüber hinaus. Rechtskraft begrenzt erneute Verfahren über denselben Streitstoff.

Beteiligte und Rollen im Verfahren

Die Bezeichnungen variieren: Im Zivilprozess stehen sich Kläger und Beklagter gegenüber, im Strafprozess treten Staatsanwaltschaft und Angeklagter auf, im Verwaltungsverfahren spricht man von Kläger und Beklagter Behörde, im Sozialverfahren von Kläger und Beklagter Leistungsträger. Daneben gibt es Nebenbeteiligte, Beigeladene, Nebenklage, Zeugen und Sachverständige. Das Gericht leitet das Verfahren, wahrt die Verfahrensordnung und entscheidet.

Kosten und Kostenverteilung

Gebühren und Auslagen

Verfahrenskosten setzen sich aus Gerichtsgebühren und Auslagen zusammen, etwa für Zustellungen, Sachverständige und Zeugen. In manchen Verfahren fallen Vorschüsse an.

Kostengrundentscheidung und Streitwert

Am Ende entscheidet das Gericht, wer die Kosten trägt. Im Zivilprozess trägt regelmäßig die unterliegende Partei die Kosten, mit anteiliger Verteilung bei teilweisem Obsiegen. Der Streitwert beeinflusst die Höhe der Gebühren.

Unterstützung bei Kosten

In gesetzlich vorgesehenen Fällen kann staatliche Unterstützung für Verfahrenskosten gewährt werden. Voraussetzungen und Umfang sind je nach Gerichtszweig unterschiedlich.

Digitalisierung und besondere Verfahrenswege

Mahnverfahren

Das Mahnverfahren ermöglicht die vereinfachte Titulierung unbestrittener Geldforderungen. Es ist standardisiert und vielfach elektronisch organisiert und kann in ein streitiges Verfahren übergehen, wenn Widerspruch erhoben wird.

Schiedsverfahren und Schlichtung

Schiedsverfahren sind private Streitbeilegungsverfahren mit eigener Verfahrensordnung und Schiedsspruch. Schlichtungs- und Güteverfahren ergänzen die staatlichen Verfahren, ersetzen sie aber nicht zwangsläufig.

Online-Verhandlung und elektronische Akte

Elektronische Aktenführung, digitale Einreichung von Schriftsätzen und Videoverhandlungen gewinnen an Bedeutung. Sie verändern Abläufe, nicht jedoch die grundlegenden Rechte und Pflichten im Verfahren.

Internationale Bezüge

Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen

Ausländische Entscheidungen können unter bestimmten Voraussetzungen anerkannt und inländisch vollstreckt werden. Dabei spielen internationale Abkommen und europäische Regelungen eine Rolle.

Grenzüberschreitende Standardverfahren

Für grenzüberschreitende Forderungen bestehen vereinheitlichte Verfahren, etwa besondere Mahn- oder Bagatellverfahren innerhalb der Europäischen Union. Sie erleichtern die Durchsetzung im Binnenmarkt.

Häufig gestellte Fragen (FAQ) zu Prozessarten

Was bedeutet der Begriff „Prozessarten“ konkret?

Prozessarten sind die grundlegenden Typen gerichtlicher Verfahren, die festlegen, nach welchen Regeln ein Rechtsstreit geführt, aufgeklärt und entschieden wird. Sie bestimmen Zuständigkeit, Verfahrensprinzipien, Beweisregeln und die verfügbaren Rechtsmittel.

Worin unterscheiden sich Zivil-, Straf- und Verwaltungsprozess?

Der Zivilprozess klärt private Ansprüche zwischen Parteien, der Strafprozess befasst sich mit dem Vorwurf einer Straftat und der Verwaltungsprozess überprüft staatliches Handeln gegenüber Bürgerinnen, Bürgern oder Unternehmen. Dadurch variieren Leitung des Verfahrens, Beweisaufnahme, Beteiligtenrollen und Rechtsfolgen.

Was ist der Unterschied zwischen Erkenntnisverfahren und Vollstreckung?

Im Erkenntnisverfahren prüft das Gericht, ob ein Anspruch besteht oder ein Hoheitsakt rechtmäßig ist, und trifft eine Entscheidung. Die Vollstreckung setzt diese Entscheidung anschließend durch, etwa durch Zahlung, Herausgabe oder andere Maßnahmen.

Was zählt zu Eilverfahren und wozu dienen sie?

Eilverfahren umfassen vorläufige Maßnahmen wie einstweilige Verfügungen oder Anordnungen. Sie sichern Rechte und verhindern Nachteile, bis im Hauptsacheverfahren eine abschließende Entscheidung ergeht.

Welche Klagearten gibt es typischerweise?

Zu den zentralen Klagearten zählen Leistungsklage, Feststellungsklage und Gestaltungsklage. Im öffentlichen Recht treten Anfechtungs- und Verpflichtungsbegehren sowie besondere Normenkontrollverfahren hinzu.

Wie funktioniert der Instanzenzug?

Ein Verfahren beginnt in der ersten Instanz. Gegen die Entscheidung können je nach Voraussetzungen Rechtsmittel wie Berufung oder Revision eingelegt werden, die eine Überprüfung durch ein höheres Gericht ermöglichen.

Wer trägt die Kosten eines Verfahrens?

Die Kostenverteilung richtet sich nach der gerichtlichen Kostengrundentscheidung. Häufig gilt, dass die unterliegende Seite die Kosten trägt; bei teilweisem Obsiegen kann eine Quotelung erfolgen.

Was bedeutet öffentliche oder nichtöffentliche Verhandlung?

Verhandlungen sind grundsätzlich öffentlich, damit Transparenz gewährleistet ist. Ausnahmen bestehen, wenn schutzwürdige Interessen, etwa Persönlichkeitsrechte oder Sicherheitsbelange, eine nichtöffentliche Verhandlung erfordern.