Begriff und Bedeutung der Prospekthaftung
Die Prospekthaftung ist ein zentrales Haftungsinstitut des Kapitalmarktrechts und des Zivilrechts, das die Verantwortlichkeit für fehlerhafte, unvollständige oder irreführende Angaben in Prospekten regelt. Prospekte sind wesentliche Informationsquellen, die potenziellen Anlegern vor dem Erwerb von Wertpapieren, Unternehmensbeteiligungen oder anderen Finanzinstrumenten einen umfassenden Überblick über das jeweilige Anlageprojekt verschaffen sollen. Die Prospekthaftung dient dem Schutz der Anleger sowie der Wahrung des Vertrauens in die Funktionsfähigkeit und Integrität des Kapitalmarktes.
Rechtsgrundlagen der Prospekthaftung
Zivilrechtliche Prospekthaftung
Gesetzliche Prospekthaftung
Die gesetzliche Prospekthaftung ist im deutschen Recht insbesondere im Wertpapierprospektgesetz (WpPG), im Vermögensanlagengesetz (VermAnlG), in Teilen des Handelsgesetzbuchs (HGB), des Aktiengesetzes (AktG) sowie im Kapitalanlagegesetzbuch (KAGB) verankert. Diese Regelungen normieren, dass derjenige, der für die Erstellung, Veröffentlichung oder Billigung eines Prospekts verantwortlich ist, gegenüber dem Anleger zum Schadensersatz verpflichtet ist, wenn der Prospekt wesentliche unrichtige oder unvollständige Angaben enthält und hierdurch beim Erwerb des Finanzprodukts ein Vermögensschaden entsteht.
Wesentliche rechtliche Grundlagen sind:
- § 21 WpPG zur Prospekthaftung beim öffentlichen Angebot von Wertpapieren
- § 7 VermAnlG zur Prospekthaftung bei Vermögensanlagen
- §§ 44 ff. BörsG zur Prospekthaftung im Rahmen des Börsengesetzes
Die Haftung tritt unabhängig davon ein, ob den Verantwortlichen ein Verschulden trifft, solange eine objektive Unrichtigkeit, Unvollständigkeit oder Irreführung vorliegt (sog. Gefährdungshaftung).
Vertragliche und vorvertragliche Prospekthaftung
Neben der gesetzlichen Prospekthaftung bestehen vertragliche und vorvertragliche Anspruchsgrundlagen, beispielsweise aus den allgemeinen zivilrechtlichen Vorschriften der §§ 311, 280 ff. BGB (Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten) oder aus Beratungs- und Anlageverträgen. Hierbei handelt es sich um Ansprüche aus Verschulden bei Vertragsverhandlungen (culpa in contrahendo), insbesondere im Rahmen der Beratung durch Banken, Emittenten oder Vertriebsgesellschaften.
Deliktische und wettbewerbsrechtliche Prospekthaftung
Prospektverantwortliche können auch nach den Grundsätzen der unerlaubten Handlung (§§ 823 ff. BGB) in Anspruch genommen werden, insbesondere bei vorsätzlicher oder fahrlässiger Schädigung durch unrichtige Angaben im Prospekt. Ergänzend kommen wettbewerbsrechtliche Ansprüche in Betracht, etwa bei der Verletzung von Informationspflichten im Sinne des § 5 UWG (Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb).
Anwendungsbereich und Voraussetzungen
Persönlicher Anwendungsbereich
Haftbar sind regelmäßig Emittenten, Anbieter, deren Leitungsorgane (z. B. Vorstände und Geschäftsführer), Prospektveranlasser sowie im Einzelfall Prüfungsunternehmen, Banken und andere am Emissionsprozess beteiligte Parteien, soweit sie Einfluss auf die Gestaltung oder Veröffentlichung des Prospekts genommen haben.
Sachlicher Anwendungsbereich
Die Prospekthaftung erfasst Prospekte, die bei öffentlichen Angeboten von Wertpapieren, Vermögensanlagen oder Investmentanteilen an Anleger ausgegeben werden. Auch Nachträge und Nachtragsprospektpflichten fallen unter die Haftungsregeln. Die Haftung greift bei Veröffentlichung, wenn falsche, unvollständige oder irreführende Angaben enthalten sind.
Voraussetzungen der Haftung
Für die Inanspruchnahme nach Prospekthaftung müssen folgende Voraussetzungen kumulativ vorliegen:
- Öffentliche Emission oder Angebot eines Finanzinstruments
- Erstellung oder Billigung eines Prospekts
- Prospektmangel in Gestalt einer unrichtigen, unvollständigen oder irreführenden Angabe
- Kausalität zwischen Prospektmangel und Anlageentscheidung
- Eintritt eines Vermögensschadens beim Anleger
Umfang und Grenzen der Haftung
Zeitlicher Geltungsbereich und Verjährung
Der Haftungszeitraum beginnt mit der Veröffentlichung des Prospekts und endet regelmäßig mit dem Abschluss des öffentlichen Angebots beziehungsweise mit der Beendigung der Zeichnungsfrist. Die Ansprüche aus Prospekthaftung unterliegen speziellen, teils kurzen Verjährungsfristen. Nach § 21 Abs. 6 WpPG beträgt die Verjährungsfrist in der Regel sechs Monate ab Kenntnis des Anlegers von dem Prospektfehler, längstens jedoch binnen drei Jahren nach Veröffentlichung.
Beweislast und Haftungsausschluss
Grundsätzlich trägt der Anleger die Beweislast für das Vorliegen eines Prospektfehlers, dessen Kausalität für den Erwerb sowie den Entstehung und die Höhe des Schadens. In bestimmten Fällen erleichtern gesetzliche Vorschriften jedoch die Beweisführung, zum Beispiel durch Vermutungsregelungen. Ausnahmen oder Ausschlüsse der Haftung bestehen bei bloßen Meinungsäußerungen im Prospekt, sofern sie als solche gekennzeichnet sind, sowie bei nachgewiesenem Eigenverschulden des Anlegers.
Besonderheiten bei verschiedenen Anlageformen
Prospekthaftung bei Wertpapieren
Bei Wertpapieren, insbesondere im Rahmen von Aktienemissionen oder Anleihen, richtet sich die Prospekthaftung maßgeblich nach dem Wertpapierprospektgesetz. Für Börsengänge und Kapitalmaßnahmen bestehen darüber hinaus spezifische Anforderungen an die Richtigkeit und Vollständigkeit der Angaben.
Prospekthaftung bei Vermögensanlagen
Im Bereich der Vermögensanlagen (etwa geschlossene Fonds oder Direktinvestments) greifen die Regelungen des Vermögensanlagengesetzes. Der Kreis der Haftenden kann hier noch weiter gefasst sein, insbesondere durch die Zurechnung der Prospekterstellung an den Anbieter und Initiator des Produkts.
Prospekthaftung bei Investmentvermögen
Investmentvermögen unterliegt der Prospekthaftung nach dem Kapitalanlagegesetzbuch. Auch hier gelten umfassende Informations-, Transparenz- und Haftungsanforderungen, die Investmentgesellschaften, Kapitalverwaltungsgesellschaften und Verwahrstellen einhalten müssen.
Bedeutung für den Anlegerschutz
Die Prospekthaftung ist ein wesentliches Instrument des Anlegerschutzes. Sie zwingt Initiatoren und Anbieter von Finanzprodukten zur Sorgfalt bei der Erstellung von Prospekten und liefert Anlegern ein effektives Instrumentarium der Schadenskompensation im Falle prospektbedingter Vermögensverluste. Daneben fungiert sie als Vehikel der Markttransparenz und der Integrität des Finanzsystems.
Internationale Gesichtspunkte und Rechtsvergleich
Auch auf europäischer und internationaler Ebene bestehen Prospekthaftungsregime, etwa in Gestalt der Prospektrichtlinie (EU) 2017/1129. Diese regelt die Mindestanforderungen an die Prospekterstellung und die zivilrechtlichen Haftungsfolgen im Europäischen Wirtschaftsraum. Nationale Besonderheiten existieren insbesondere bei der Umsetzung in den Mitgliedsstaaten, was zu teils erheblichen Unterschieden im Haftungsumfang führen kann.
Fazit
Die Prospekthaftung stellt einen grundlegenden Mechanismus des kapitalmarktrechtlichen Anleger- und Transparenzschutzes dar. Sie verpflichtet die Verantwortlichen eines Prospekts, sämtliche Informationen richtig, vollständig und nicht irreführend darzustellen. Anleger erhalten dadurch einen verlässlichen Rechtsrahmen, um sich im Fall von Fehlangaben wirksam gegen Vermögensschäden abzusichern. Die Prospekthaftung trägt damit maßgeblich zur Stabilität und Vertrauenswürdigkeit der Finanzmärkte bei.
Häufig gestellte Fragen
Wer haftet im Rahmen der Prospekthaftung?
Im Rahmen der Prospekthaftung haften grundsätzlich diejenigen Personen oder Institutionen, die für die Erstellung, Billigung oder Veröffentlichung des Verkaufsprospekts verantwortlich sind. Dies sind in der Regel der Emittent, die Geschäftsleiter, die Mitglieder des Aufsichtsrats, der Emissionsbank/Leadmanager sowie gegebenenfalls sonstige Dritte, die als sogenannte Garanten für Prospektangaben auftreten. Auch sogenannte verantwortliche Personen nach den spezialgesetzlichen Vorschriften (z.B. §§ 9, 13 Wertpapierprospektgesetz – WpPG) kommen als Haftungsadressaten in Betracht. Die Haftung erstreckt sich dabei nicht nur auf vorsätzliche, sondern unter bestimmten Voraussetzungen auch auf fahrlässige Falschangaben oder Auslassungen im Prospekt. Für bestimmte Prospektarten, etwa bei öffentlich angebotenen Vermögensanlagen, besteht zudem eine ausdrückliche Mithaftung Dritter, wie etwa der im Prospekt genannten Sachverständigen, sofern sich ihre Ausführungen als unrichtig oder unvollständig erweisen.
Welche Voraussetzungen müssen für eine Prospekthaftung erfüllt sein?
Für eine Haftung auf Grundlage der Prospekthaftung müssen verschiedene Voraussetzungen kumulativ vorliegen. Zunächst muss der Prospekt fehlerhaft sein, d.h. er enthält unzutreffende Angaben oder lässt wesentliche Informationen aus, so dass er ein falsches Bild über die mit dem Anlageobjekt verbundenen Risiken oder die wirtschaftliche Lage des Emittenten vermittelt. Weiterhin muss der Fehler für den Anlageentschluss des Erwerbers kausal sein: Der Anleger muss nachweisen können, dass er bei Kenntnis der wahren Sachlage von einem Erwerb der Anlage abgesehen hätte. Außerdem muss der Erwerb während der Prospektgültigkeit und zum Zwecke der Kapitalanlage erfolgt sein. In vielen Fällen ist zusätzlich ein Verschulden der verantwortlichen Personen erforderlich, wobei in manchen gesetzlichen Konstellationen eine Haftung sogar bei einfacher Fahrlässigkeit eingreifen kann. Schließlich müssen die etwaigen Ersatzansprüche innerhalb der gesetzlichen Fristen geltend gemacht werden.
Welche Ansprüche stehen dem geschädigten Anleger bei Prospekthaftung zu?
Dem geschädigten Anleger stehen bei Vorliegen einer Prospekthaftung in der Regel Schadensersatzansprüche zu. Diese richten sich darauf, den Anleger so zu stellen, als hätte er das Anlagegeschäft nie abgeschlossen („Differenzhypothese“). Im Regelfall kann der Anleger verlangen, von sämtlichen Zahlungspflichten aus dem Geschäft befreit und gezahlte Beträge samt Agio zurückerstattet zu bekommen, abzüglich etwaiger bereits erhaltener Zahlungen oder Vorteile. Unter bestimmten Umständen kann zusätzlich ein Anspruch auf Erstattung etwaiger mit der Anlage verbundenen Aufwendungen bestehen. Die genaue Anspruchsgrundlage und der Umfang des Ersatzes ergeben sich dabei aus spezialgesetzlichen Regelungen, wie dem Wertpapierprospektgesetz (WpPG), dem Vermögensanlagegesetz (VermAnlG) oder aus allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen, wie der culpa in contrahendo (§ 311 Abs. 2 BGB).
Wie lange kann Prospekthaftung geltend gemacht werden?
Die Verjährungsfristen für Ansprüche aus Prospekthaftung sind gesetzlich unterschiedlich geregelt und hängen von der jeweiligen Anspruchsgrundlage ab. Nach § 21 WpPG beispielsweise verjähren Schadensersatzansprüche gegen die Verantwortlichen grundsätzlich drei Jahre nachdem der Anleger von den Umständen, die den Anspruch begründen, Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen, spätestens jedoch zehn Jahre nach dem öffentlichen Angebot oder dem Börsenzulassungsantrag des Wertpapiers. Bei anderen Prospekten, wie etwa nach dem Vermögensanlagengesetz, gilt seit 2012 eine Verjährungsfrist von zwei Jahren ab Erwerb der Vermögensanlage, unabhängig von der Kenntnis oder grob fahrlässigen Unkenntnis des Anlegers. Die Einhaltung der Fristen ist zwingend, andernfalls können Ansprüche nicht mehr durchgesetzt werden.
Inwieweit unterscheidet sich die Haftung bei Wertpapierprospekten von der Haftung bei Vermögensanlagenprospekten?
Die Haftung bei Wertpapierprospekten wird insbesondere durch das Wertpapierprospektgesetz (WpPG) bestimmt, während die Haftung bei Prospekten zu Vermögensanlagen (z.B. geschlossene Fonds, Genussscheine, Nachrangdarlehen) im Vermögensanlagengesetz (VermAnlG) geregelt ist. Beide gesetzlichen Regelungen setzen fehlerhafte, irreführende oder unvollständige Prospektinformationen voraus, unterscheiden sich jedoch im Detail: So sieht das WpPG häufig eine strengere und umfassendere Haftung, insbesondere hinsichtlich der Personenkreise und Anspruchsvoraussetzungen, vor. Zudem gibt es Unterschiede in den Verjährungsfristen, im Verschuldensmaßstab sowie in einzelnen Anspruchsvoraussetzungen (z.B. Art der Erwerber, Umfang der Offenbarungspflichten). In jedem Fall bedarf es einer genauen Prüfung, unter welches Regime der konkrete Anlageprospekt fällt, um die jeweils anwendbaren Haftungsregelungen korrekt zu bestimmen.
Welche prozesstaktischen Besonderheiten bestehen bei der Durchsetzung der Prospekthaftung?
Bei Prozessen im Zusammenhang mit Prospekthaftung bestehen verschiedene Besonderheiten. Zunächst trägt der geschädigte Anleger die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines Prospektfehlers sowie die Kausalität zwischen Prospektfehler und Anlageentscheidung. In der Rechtsprechung wurden jedoch zugunsten der Anleger Beweiserleichterungen entwickelt, etwa durch die sogenannte „Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens“: Es wird vermutet, dass der Anleger bei ordnungsgemäßem Prospekt vom Erwerb der Anlage abgesehen hätte. Auf Seiten der Beklagten wird häufig versucht, durch Einwendungen wie Verjährungseintritt oder mangelnde Kausalität die Ansprüche abzuwehren. Zudem sind oftmals mehrere Beklagte beteiligt, was die Prozessführung komplex macht; Teilanerkenntnisse, Streitverkündung oder die Forderung nach Gesamtschuldnerausgleich können das Verfahren zusätzlich erschweren. Schließlich spielt die genaue Analyse des Prospekts und der Offenlegungspflichten eine zentrale Rolle, sodass regelmäßig sachverständige Gutachten eingeholt werden.