Legal Lexikon

Praxisgebühr


Begriff und rechtliche Einordnung der Praxisgebühr

Die Praxisgebühr war eine gesetzlich geregelte Zuzahlung, die in Deutschland im Rahmen der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) von 2004 bis 2012 erhoben wurde. Sie stellte eine finanzielle Beteiligung der Versicherten an den Kosten ambulanter ärztlicher Behandlungen dar. Rechtsgrundlage bildete insbesondere § 28 Abs. 4 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) in der bis zum 31. Dezember 2012 geltenden Fassung.

Historischer Hintergrund

Die Praxisgebühr wurde im Zuge der Gesundheitsreform 2004 (Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung, GMG) eingeführt. Ziel war es, Patienten zu einem bewussteren Besuch von Arztpraxen zu motivieren, Mehrfachkonsultationen zu vermeiden und somit Kosten zu senken. Die Regelung war Bestandteil umfassender Maßnahmen zur Stabilisierung der GKV-Finanzen.

Gesetzliche Grundlage und Implementierung

Einführung und Höhe der Gebühr

Die Erhebung der Praxisgebühr war verbindlich für gesetzlich Versicherte ab dem vollendeten 18. Lebensjahr bei Inanspruchnahme ambulanter ärztlicher oder zahnärztlicher Behandlung. Die Höhe der Praxisgebühr war bundesweit einheitlich auf 10 Euro je Kalendervierteljahr festgelegt. Erhoben wurde die Gebühr bei dem in einem Quartal zuerst in Anspruch genommenen Arzt oder Zahnarzt. Nach Entrichtung der Gebühr entfielen erneute Zahlungsverpflichtungen für weitere Arztbesuche desselben Fachgebiets im selben Quartal.

Ausnahmen und Befreiungen

Von der Praxisgebühr waren verschiedene Gruppen ausgenommen:

  • Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren
  • Schwangere im Rahmen der Mutterschaftsvorsorge
  • Patienten mit chronischen Erkrankungen im Rahmen definierter Disease-Management-Programme (DMP)
  • Vorsorgeuntersuchungen und präventive Maßnahmen gemäß den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA)

Zusätzlich bestand nach § 62 SGB V die Möglichkeit einer Belastungsgrenze, wonach Versicherte von weiteren Zuzahlungen – einschließlich der Praxisgebühr – befreit wurden, sofern die zumutbare finanzielle Eigenbelastung überschritten wurde. Die Belastungsgrenze lag bei 2 % der jährlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt, für chronisch Kranke bei 1 %.

Erhebungsverfahren und Abrechnung

Die Praxisgebühr wurde direkt beim ersten Arztkontakt eines Quartals in der betreffenden Praxis entrichtet. Die weiterleitende Abrechnung mit den Krankenkassen erfolgte über das Kassenabrechnungssystem. Zahlungsnachweise waren für Überweisungen zu anderen Fachärzten innerhalb desselben Quartals vorzulegen, um eine erneute Gebührenerhebung zu vermeiden.

Rechtliche Kontroverse und Kritik

Die Praxisgebühr war Gegenstand zahlreicher rechts- und sozialpolitischer Debatten:

Vereinbarkeit mit dem Solidarprinzip

Kritiker monierten, die Praxisgebühr laufe dem Solidaritätsprinzip der gesetzlichen Krankenversicherung zuwider, da sie insbesondere Versicherte mit geringen eigenen Einkommen oder chronischen Erkrankungen finanziell zusätzlich belastete.

Verwaltungsaufwand und Bürokratie

Auch der erhebliche bürokratische Aufwand für Praxen und Krankenkassen wurde kritisiert. Dies bezog sich vor allem auf die Überprüfung der Befreiungstatbestände und die Dokumentation der Zahlungen.

Verfassungsrechtliche Aspekte

Vereinzelt wurden verfassungsrechtliche Bedenken geäußert, da die Gebühr trotz Pflichtversicherung erhoben wurde. Allerdings schloss das Bundesverfassungsgericht einen Verstoß gegen das Sozialstaatsprinzip aus, da soziale Härtefälle durch die Belastungsgrenze bereits abgefedert waren (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 7. April 2006, Az. 1 BvR 1562/05).

Abschaffung der Praxisgebühr

Gesetzgeberisches Verfahren zur Abschaffung

Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung 2012 wurde die Abschaffung der Praxisgebühr als parteiübergreifende Maßnahme vereinbart. Das Gesetz zur Änderung krankenversicherungsrechtlicher und anderer Vorschriften (KVRÄndG) trat am 1. Januar 2013 in Kraft. Damit entfiel die Verpflichtung zur Zahlung der Praxisgebühr vollständig.

Auswirkungen und Bewertung

Mit Wegfall der Praxisgebühr entfielen entsprechende bürokratische Aufwände. Untersuchungen zur Steuerungswirkung kamen zu dem Ergebnis, dass keine signifikanten Veränderungen im Inanspruchnahmeverhalten erkennbar waren. Insbesondere chronisch Kranke und sozial Schwächere profitierten direkt von der Maßnahme.

Zusammenfassung und aktuelle Rechtslage

Die Praxisgebühr war ein zentrales Element der Kostendämpfungspolitik im deutschen Gesundheitswesen zwischen 2004 und 2012. Ihre rechtliche Ausgestaltung unterlag gesetzlichen Vorgaben des SGB V, ergänzenden Richtlinien sowie umfangreichen Ausnahmeregelungen. Nach ihrer Abschaffung zum 1. Januar 2013 existiert die Praxisgebühr nicht mehr. Der Begriff bleibt jedoch von Bedeutung im Kontext sozialrechtlicher Entwicklungen und Diskussionen zur Ausgestaltung von Eigenbeteiligungen innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung.


Siehe auch:

  • Zuzahlung (Sozialrecht)
  • Gesetzliche Krankenversicherung
  • Disease-Management-Programm
  • Gesundheitsreform 2004

Literatur und Quellen:

  • Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V)
  • Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GMG), BGBl. I 2003, S. 2190
  • Gesetz zur Änderung krankenversicherungsrechtlicher und anderer Vorschriften (KVRÄndG), BGBl. I 2012, S. 2425
  • Bundesverfassungsgericht, Az. 1 BvR 1562/05

Weblinks:

Häufig gestellte Fragen

Müssen gesetzlich Versicherte heute noch eine Praxisgebühr bei Arztbesuchen bezahlen?

Seit dem 1. Januar 2013 ist die Praxisgebühr für Arztbesuche in Deutschland abgeschafft. Gesetzlich Versicherte müssen somit keine Gebühr mehr zahlen, wenn sie eine Arztpraxis aufsuchen. Ursprünglich wurde die Praxisgebühr im Jahr 2004 eingeführt und betrug zehn Euro pro Quartal bei dem ersten Arztbesuch. Sie sollte die Eigenverantwortung der Versicherten stärken und unnötige Arztbesuche vermeiden. Aufgrund massiver Kritik, eines gestiegenen Verwaltungsaufwands und da die erhoffte Steuerungswirkung weitgehend ausblieb, wurde die Gebühr jedoch durch das Gesetz zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung 2012 abgeschafft. Seither gibt es für Arztbesuche, zahnärztliche Konsultationen und Überweisungen keine Praxisgebühr mehr.

Können Krankenkassen rückwirkend die Praxisgebühr einfordern?

Nein, nach aktueller Rechtslage können Krankenkassen die Praxisgebühr für Zeiträume nach dem 1. Januar 2013 nicht mehr einfordern. Forderungen aus der Zeit vor der Abschaffung bleiben jedoch grundsätzlich bestehen, sofern diese nicht verjährt sind. Nach § 195 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) beträgt die regelmäßige Verjährungsfrist für solche Zahlungsforderungen drei Jahre ab dem Ende des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist. Ist die Forderung bereits verjährt, kann die Praxisgebühr nicht mehr rechtlich durchgesetzt werden. Offene Praxisgebühren aus der Zeit vor 2013 können, sofern sie noch nicht verjährt sind, allerdings weiterhin von den gesetzlichen Krankenkassen geltend gemacht werden.

Wie verhält es sich mit der Praxisgebühr bei privat Krankenversicherten?

Die Rechtslage zur Praxisgebühr betrifft ausschließlich gesetzlich Krankenversicherte. Privat Krankenversicherte waren und sind vom System der Praxisgebühr nicht betroffen. Sie rechnen ihre Arztbesuche weiterhin nach den vertraglichen Regelungen ihrer privaten Krankenversicherung im Sinne des § 192 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) direkt mit dem Arzt ab. Dort ist die Kostenerstattung vertraglich, nicht gesetzlich geregelt. Es existiert keine spezielle Praxisgebühr im System der Privatversicherungen.

Welche rechtlichen Auswirkungen hatte die Abschaffung der Praxisgebühr auf laufende Behandlungsfälle?

Mit Abschaffung der Praxisgebühr zum 1. Januar 2013 entfiel jede Zahlungsverpflichtung, die auf dieser Gebühr beruhte, ab diesem Zeitpunkt. Dies gilt auch für laufende Behandlungsfälle, die sich von 2012 in das Jahr 2013 fortsetzten. Für Behandlungen, die ab dem Stichtag erfolgten, darf von gesetzlich Versicherten keine Praxisgebühr mehr verlangt werden. Für Behandlungen vor dem Stichtag bleibt die ursprüngliche Rechtslage maßgeblich.

Gibt es Ausnahmen, in denen eine vergleichbare Gebühr oder Zuzahlung rechtlich zulässig ist?

Mit der Abschaffung der Praxisgebühr entfallen Zuzahlungen in Form dieser Gebühr beim Arztbesuch. Andere Zuzahlungen, wie sie etwa bei Medikamenten, Heilmitteln, Krankenhausaufenthalten oder Fahrkosten gemäß § 61 SGB V geregelt sind, bleiben davon unberührt. Diese Zuzahlungen sind durch gesonderte gesetzliche Regelungen normiert und betreffen nicht den Bereich der ambulanten ärztlichen Behandlung, wie es bei der Praxisgebühr der Fall war.

Wer kontrolliert die rechtliche Einhaltung des Wegfalls der Praxisgebühr?

Die Einhaltung der aktuellen Rechtslage bezüglich der Praxisgebühr obliegt den gesetzlichen Krankenversicherungen, den kassenärztlichen Vereinigungen sowie den Ärzten selbst. Beanstandungen oder rechtswidrige Forderungen können von Versicherten an die entsprechende Krankenkasse, die jeweilige Kassenärztliche Vereinigung oder im Streitfall an die Sozialgerichte gemäß §§ 51 ff. Sozialgerichtsgesetz (SGG) herangetragen werden. Die Überprüfung erfolgt somit im Rahmen der jeweiligen Zuständigkeiten durch die Selbstverwaltung und durch gerichtliche Kontrolle.

Kann eine Praxis eigenmächtig weiterhin Praxisgebühren verlangen?

Der eigenmächtige Einzug einer Praxisgebühr durch einen Vertragsarzt oder eine Vertragsärztin gegenüber gesetzlich versicherten Patienten ist rechtlich unzulässig und stellt einen Verstoß gegen das Vertragsarztrecht dar. Derartige unberechtigte Forderungen können – im Falle der fortgesetzten Praxis – disziplinarrechtliche und ggf. auch zivilrechtliche Folgen nach sich ziehen. Betroffene Patienten sollten sich in solchen Fällen an ihre Krankenkasse oder die Kassenärztliche Vereinigung wenden.