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Possessorische Ansprüche


Definition und Bedeutung der Possessorischen Ansprüche

Possessorische Ansprüche (vom lateinischen possessio = Besitz) sind ein zentrales Institut des Sachenrechts, die dem Schutz des Besitzes und der Störung desselben dienen. Sie gewähren dem Besitzer eines Gegenstandes – unabhängig von dessen Eigentümerstellung oder sonstigen Rechten – die Möglichkeit, sich gegen Eingriffe Dritter zur Wehr zu setzen. Ziel der possessorischen Ansprüche ist es, den tatsächlichen Besitzstand vor eigenmächtiger Veränderung zu bewahren und dadurch Rechtsfrieden und Schutz der öffentlichen Ordnung zu sichern.

Rechtsgrundlagen und Systematik der Possessorischen Ansprüche

Gesetzliche Regelungen

In Deutschland bilden die §§ 858 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) die zentrale Regelung für den Besitzschutz mittels possessorischer Ansprüche. Die Vorschriften treten neben den petitorischen Ansprüchen, welche auf das Eigentum oder andere dingliche Rechte gestützt werden.

§ 858 BGB – Besitzstörung und Besitzentziehung

Nach § 858 BGB liegt eine verbotene Eigenmacht vor, wenn jemand dem Besitzer den Besitz ohne dessen Willen entzieht oder in der Ausübung des Besitzes beeinträchtigt. Der Besitzschutz greift bereits bei der Störung, nicht nur bei der vollständigen Entziehung.

§ 859 BGB – Selbsthilfe des Besitzers

§ 859 BGB gewährt dem Besitzer ein eingeschränktes Selbsthilferecht, sich auf frischer Tat gegen Besitzstörungen zur Wehr zu setzen.

§ 861 BGB – Anspruch auf Wiedereinräumung des Besitzes

§ 861 BGB beschreibt den klassischen possessorischen Anspruch, die sogenannte Besitzkehr: Wird der Besitz durch verbotene Eigenmacht entzogen, kann der bisherige Besitzer dessen Wiedereinräumung verlangen.

§ 862 BGB – Anspruch auf Beseitigung und Unterlassung bei Störung

Gemäß § 862 BGB kann der durch Störung betroffene Besitzer die Beseitigung der Störung und künftige Unterlassung verlangen.

Abgrenzung zu Petitorischen Ansprüchen

Possessorische Ansprüche sind von den petitorischen Ansprüchen zu unterscheiden, die auf den Bestand eigentums- oder sonstiger Rechte gestützt werden (vgl. vindikatorischer und negatorischer Anspruch, etwa § 985 BGB, § 1004 BGB). Ihr vorrangiger Zweck ist der Schutz des tatsächlichen Besitzes, unabhängig vom materiellen Recht am Besitzobjekt.

Voraussetzungen für Possessorische Ansprüche

Besitzstellung

Grundvoraussetzung ist das tatsächliche Besitzverhältnis gemäß § 854 BGB. Auch der Besitzmittler, der den Besitz für einen anderen ausübt, kann grundsätzlich Besitzschutz beanspruchen.

Eingriff durch Verbotene Eigenmacht

Ein possessorischer Anspruch setzt eine Besitzstörung oder ‑entziehung durch eine unberechtigte, eigenmächtige Handlung voraus. Die verbotene Eigenmacht liegt vor, wenn der Besitzer seinem Besitz ganz oder teilweise ohne seinen Willen und ohne gesetzliche Rechtfertigung beraubt oder gestört wird.

Anspruchsgegner

Anspruchsgegner kann sowohl der Störer als auch derjenige sein, der von der Störung profitiert. Auch mittelbare Störungen sind umfasst, soweit sie auf eine Handlung des Störers zurückzuführen sind.

Kein Ausschlussgrund

Ansprüche sind ausgeschlossen, wenn der Besitzer selbst durch verbotene Eigenmacht Besitz erlangt hat (§ 863 BGB) oder wenn berechtigte Selbsthilfe vorliegt (§ 859 BGB).

Arten und Inhalt der Possessorischen Ansprüche

Anspruch auf Wiedereinräumung des Besitzes (§ 861 BGB)

Wird jemandem der Besitz durch verbotene Eigenmacht entzogen, kann nach § 861 BGB die Wiedereinräumung des ursprünglichen Besitzstandes verlangt werden. Hierbei handelt es sich um ein kurzfristiges Instrument des einstweiligen Besitzschutzes.

Frist: Der Anspruch ist innerhalb eines Jahres seit der Besitzentziehung geltend zu machen, ansonsten erlischt er gemäß § 864 Abs. 1 BGB.

Anspruch auf Beseitigung und Unterlassung (§ 862 BGB)

Bei bloßer Störung des Besitzes, ohne vollständige Entziehung, steht dem Besitzer das Recht zu, die Beseitigung der Störung sowie künftige Unterlassung geltend zu machen.

Auch für diesen Anspruch gilt die einjährige Ausschlussfrist (§ 864 Abs. 1 BGB).

Selbsthilferechte (§ 859 BGB)

In besonderen Situationen räumt § 859 BGB dem Besitzer die Möglichkeit ein, auf frischer Tat den Besitz gegen Störer selbst zu verteidigen, um eine sofortige Wiederherstellung des Besitzstandes zu ermöglichen. Diese Maßnahmen sind allerdings streng begrenzt und müssen angemessen sowie im Rahmen des Erforderlichen bleiben.

Bedeutung in der Praxis und Durchsetzung

Vorrang des Besitzschutzes

Possessorische Ansprüche sollen verhindern, dass Rechtsfragen eigenmächtig durch Gewalt oder Selbstjustiz geklärt werden. Sie haben Vorrang vor einer rechtlichen Klärung über Eigentum, insbesondere in Eilverfahren. Der tatsächliche Besitz genießt somit schnellen und effektiven rechtlichen Schutz.

Verfahren

Im Rahmen zivilgerichtlicher Verfahren können possessorische Ansprüche im Wege einstweiliger Anordnungen durchgesetzt werden. Das beschleunigte Verfahren garantiert einen kurzfristigen Rechtsschutz, um den Besitzstand zu sichern.

Verhältnis zu polizeirechtlichen Normen

Neben den zivilrechtlichen Vorschriften existieren öffentlich-rechtliche Regelungen, etwa in Landpolizeigesetzen, die den Schutz des Besitzes ergänzen.

Ausschluss und Erlöschen der Possessorischen Ansprüche

Possessorische Ansprüche bestehen zeitlich begrenzt. Nach § 864 Abs. 1 BGB erlöschen sie, sofern ihre Geltendmachung nicht binnen eines Jahres erfolgt. Außerdem sind die Ansprüche ausgeschlossen, wenn der bisherige Besitzer selbst durch verbotene Eigenmacht in den Besitz gelangt ist oder der Anspruch aus anderen Gründen (z. B. legaler Besitzübergang) entfällt.

Bedeutung im internationalen Recht

Auch im internationalen Kontext existieren vergleichbare Besitzschutzmechanismen. In fast allen zivilrechtlich geprägten Rechtsordnungen sind possessorische Ansprüche als grundlegendes Institut zum Schutz des Besitzes etabliert, wenn auch mit unterschiedlichen Ausgestaltungen und Fristen.

Zusammenfassung

Possessorische Ansprüche sind ein elementarer Bestandteil des Sachenrechts mit zentraler Bedeutung für den sofortigen und effektiven Schutz des bestehenden Besitzstandes. Sie stellen sicher, dass Besitzverhältnisse nicht durch eigenmächtige Handlungen gestört werden und garantieren damit Rechtssicherheit und soziale Ordnung. Die klare gesetzliche Regelung, schnelle Durchsetzbarkeit und enge Fristen machen sie zu einem besonders effektiven Instrument im deutschen Rechtssystem zum Schutze des Besitzes.

Häufig gestellte Fragen

Wann besteht ein possessorischer Anspruch und welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein?

Possessorische Ansprüche setzen voraus, dass der Anspruchsteller zum Zeitpunkt der Besitzstörung oder Besitzentziehung unmittelbaren Eigen- oder Fremdbesitz an einer Sache hatte und dieser Besitz durch verbotene Eigenmacht (§ 858 BGB) gestört oder entzogen wurde. Die Anspruchsgrundlage ergibt sich aus den §§ 861, 862 BGB (Besitzkehr und Besitzschutz). Dabei ist nicht entscheidend, ob dem Besitz ein Recht zugrunde liegt; der Schutz ist rein besitzbezogen und unabhängig von etwaigen dinglichen oder schuldrechtlichen Rechten. Es muss eine tatsächliche Sachherrschaft bestehen, die Ausübung des Besitzes darf nicht durch bloßes Dulden erfolgen, sondern muss eigenmächtig ausgeübt werden. Die Störung oder Entziehung des Besitzes muss rechtswidrig erfolgen, wobei eine eigene, aktuelle Gewaltanwendung ausreichend ist. Schließlich sind für die Geltendmachung die gesetzlichen Fristen zwingend zu beachten (z. B. Sechsmonatsfrist nach § 861 Abs. 2 BGB).

Welche Arten possessorischer Ansprüche gibt es im deutschen Recht?

Im deutschen Recht werden primär zwei Arten possessorischer Ansprüche unterschieden: der Anspruch auf Wiedereinräumung des Besitzes gemäß § 861 BGB und der Anspruch auf Beseitigung bzw. Unterlassung weiterer Besitzstörungen gemäß § 862 BGB. Der Wiedereinräumungsanspruch greift, wenn der Besitz vollständig entzogen wurde, während der Besitzschutzanspruch im Rahmen des § 862 BGB bei bloßen Besitzstörungen zur Anwendung kommt. Beide Ansprüche zeichnen sich dadurch aus, dass sie rein auf die tatsächliche Sachherrschaft und nicht auf ein Recht zum Besitz abstellen, wobei auch der sogenannte mittelbare Besitz geschützt ist.

Wer ist zur Geltendmachung possessorischer Ansprüche berechtigt?

Zur Geltendmachung possessorischer Ansprüche berechtigt ist grundsätzlich jeder unmittelbare oder mittelbare Besitzer einer Sache, unabhängig davon, ob der Besitz rechtmäßig, unrechtmäßig, gutgläubig oder bösgläubig erworben wurde. Auch der Eigenbesitzer, der nicht Eigentümer der Sache ist, kann sich gegen Besitzstörungen oder -entziehungen zur Wehr setzen, wobei selbst der Besitzdiener einen abgeleiteten, beschränkten Besitzschutz genießen kann. Ein besonderes Recht zum Besitz (z.B. als Eigentümer oder Mieter) ist keine Voraussetzung; vielmehr genügt der tatsächliche Besitz.

Welche Ausschlussgründe existieren bei possessorischen Ansprüchen?

Ausschlussgründe für possessorische Ansprüche sind insbesondere das Vorliegen eines besseren Besitzrechts des Störers (§ 861 Abs. 2 BGB), die fehlende aktuelle Besitzbeeinträchtigung oder das Verstreichen der gesetzlichen Sechsmonatsfrist ab Besitzverlust (§ 861 Abs. 2 und § 864 Abs. 1 BGB). Darüber hinaus entfällt der Anspruch, wenn der Besitzer seine Rechte freiwillig oder stillschweigend aufgegeben oder einer Besitzstörung oder -entziehung ausdrücklich zugestimmt hat. Schließlich sind Besitzschutzansprüche bei schweren Rechtsmissbräuchen oder Verstößen gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) ausgeschlossen.

Wie verhalten sich possessorische zu petitorischen Ansprüchen?

Possessorische Ansprüche regeln lediglich die Frage, wer zum Zeitpunkt der Besitzstörung oder -entziehung tatsächliche Sachherrschaft über die Sache ausübte. Petitorische Ansprüche dagegen setzen ein Recht zum Besitz oder Eigentum voraus, etwa aus Kauf, Mietvertrag oder als Eigentümer. Im Verfahren auf Besitzschutz (§§ 861, 862 BGB) spielt die Eigentumslage – also das Bestehen eines besseren Rechts zum Besitz – grundsätzlich erst in nachfolgenden petitorischen Verfahren eine Rolle. Das bedeutet, selbst der unberechtigte Besitzer kann sich zunächst gegen Besitzverletzungen wehren, um den Rechtsfrieden zu sichern, bis in einem gesonderten Verfahren die eigentlichen Rechtsverhältnisse (z. B. Eigentumsverhältnisse) geklärt werden.

Wie erfolgt die Durchsetzung possessorischer Ansprüche in der Praxis?

Die Durchsetzung possessorischer Ansprüche erfolgt primär im Wege der Klage auf Wiedereinräumung des Besitzes (Besitzkehrklage) oder auf Unterlassung weiterer Besitzstörungen (Besitzschutzklage) vor den ordentlichen Gerichten. Das Verfahren ist grundsätzlich beschleunigt, da eine schnelle Klärung des Status Quo für die Konfliktbefriedung notwendig ist. Im Regelfall ist die Darlegung und der Nachweis des Besitzes sowie der Störung bzw. Entziehung durch den Kläger erforderlich, während dem Beklagten der Einwand eines besseren Besitzrechts zur Verfügung steht. Die Entscheidung des Gerichts erfolgt in aller Regel vorläufig, sodass keine abschließende Klärung der Eigentumsfrage erfolgt. Im Fall akuter Besitzstörungen können auch einstweilige Verfügungen oder ordnungsbehördliche Maßnahmen zum Schutz des Besitzers beantragt werden.