Legal Lexikon

Wiki»Legal Lexikon»Vertragsrecht»Positives Interesse

Positives Interesse


Begriffserläuterung: Positives Interesse

Das positive Interesse ist ein zentraler Begriff im deutschen Zivilrecht und bezeichnet den Schadensersatzanspruch, der darauf abzielt, den Gläubiger so zu stellen, als wäre der Vertrag ordnungsgemäß erfüllt worden. Häufig wird das positive Interesse auch als „Erfüllungsinteresse“ bezeichnet und steht dem negativen Interesse (Vertrauensschaden) gegenüber.

Das positive Interesse spielt insbesondere im Schadensersatzrecht nach § 249 ff. BGB eine bedeutende Rolle, vor allem im Zusammenhang mit Leistungsstörungen bei Verträgen.


Grundlagen des Positiven Interesses

Definition und Abgrenzung

Das positive Interesse umfasst grundsätzlich alle Vermögensnachteile, die dem Gläubiger dadurch entstanden sind, dass der Schuldner den Vertrag nicht ordnungsgemäß erfüllt hat. Ziel des Schadensersatzes ist es, den Gläubiger so zu stellen, wie er stehen würde, wenn der Schuldner ordnungsgemäß geleistet hätte.

Im Gegensatz dazu wird beim negativen Interesse der Zustand hergestellt, der bestünde, wenn der Gläubiger vom Vertrag nie etwas erfahren oder auf den Vertragsschluss vertraut hätte, also der sogenannte „Vertrauensschaden“.

Rechtsgrundlagen

Die Ansprüche auf Ersatz des positiven Interesses finden sich insbesondere in den §§ 249 ff. BGB (Schadensersatz), aber auch in spezialgesetzlichen Regelungen, wie den Vorschriften über Haftung beim Rücktritt (§ 346 Abs. 4 BGB) oder im Kaufrecht (§§ 437 Nr. 3, 440, 280, 281 BGB).


Anwendungsbereiche des Positiven Interesses

Leistungsstörungen

Das positive Interesse wird häufig bei Leistungsstörungen relevant, insbesondere bei:

  • Unmöglichkeit (§ 275 BGB): Wird die geschuldete Leistung unmöglich, kann der Gläubiger Schadensersatz statt der Leistung verlangen und dadurch das positive Interesse geltend machen (§ 283 BGB).
  • Verzögerung der Leistung (§ 286 BGB): Kommt der Schuldner in Verzug, umfasst der Schadensersatzanspruch grundsätzlich auch das positive Interesse des Gläubigers (§ 280 Abs. 1, 2, § 286 BGB).
  • Schlechtleistung (Schadensersatz statt der Leistung): Auch bei mangelhafter Leistung kann der Gläubiger verlangen, so gestellt zu werden, wie er bei ordnungsgemäßer Vertragserfüllung gestanden hätte.

Vorvertragliche und nachvertragliche Fälle

Das positive Interesse kann bei schuldhafter Verletzung von vorvertraglichen oder nachvertraglichen Pflichten (culpa in contrahendo, §§ 280, 311 Abs. 2 BGB) durchgesetzt werden, sofern und soweit der Vertragsschluss nicht verweigert wurde und der Gläubiger im Falle der Einhaltung der Sorgfaltspflichten den Vertrag zu seinen Gunsten abgeschlossen hätte.

Rücktritt und Vertragsaufhebung

Nach einem Rücktritt vom Vertrag oder einer Vertragsaufhebung entstehen Ansprüche auf positiver Interessensbasis beispielsweise, wenn dem Rücktritt ein Verschulden des Schuldners zugrunde liegt (§ 346 Abs. 4 BGB).


Berechnung und Umfang des Positiven Interesses

Umfang des Schadens

Der Umfang des zu ersetzenden Schadens richtet sich nach dem hypothetischen Erfüllungsfall. Zum positiven Interesse gehören insbesondere:

  • Gewinn, der durch ordnungsgemäße Vertragserfüllung erzielt worden wäre
  • Aufwendungen im Hinblick auf die Vertragserfüllung
  • Kosten und Investitionen, die durch Nicht- oder Schlechterfüllung nutzlos geworden sind
  • Folgeschäden, die bei korrekter Vertragserfüllung nicht eingetreten wären

Grenzen des Schadensersatzes

Die Ersatzpflicht ist begrenzt durch Grundsätze wie:

  • Schadensminderungspflicht (§ 254 BGB)
  • Kausalität und Zurechenbarkeit
  • Verschuldensanforderungen (insbesondere bei §§ 280 ff. BGB)
  • Vorhersehbarkeit des Schadens (insbesondere im Kaufrecht, § 309 Nr. 7 BGB)

Die Höhe des Schadens ist vom Gläubiger nachzuweisen, jedoch sind Erleichterungen zugelassen, etwa durch Schätzungen (§ 287 ZPO).


Positives Interesse im Vergleich zum Negativen Interesse

Während das positive Interesse auf die Erfüllung des Vertrages und den daraus resultierenden wirtschaftlichen Vorteil abstellt, sichert das negative Interesse dem Geschädigten Ersatz für sein Vertrauen auf das Bestehen des Vertrages oder die Angaben des Vertragspartners.

Bei Rückgängigmachung von Verträgen, Anfechtung oder Rücktritt ist zu unterscheiden, ob Ersatz des positiven oder negativen Interesses verlangt werden kann. Oft ist nur das negative Interesse ersatzfähig, etwa bei Anfechtung (§ 122 BGB), während bei Leistungsstörungen häufig das positive Interesse beansprucht werden kann.


Beispiele aus der Rechtsprechung

Schadensersatz bei Nichterfüllung

Kauft A von B ein Auto, das B nicht liefern kann, so kann A als Ersatz das positive Interesse verlangen, etwa den Mehrpreis für ein vergleichbares Fahrzeug, das er anderweitig beschaffen muss.

Schadensersatz bei Kündigung

Bei vorzeitiger und unberechtigter Kündigung eines Dienstvertrages kann der Berechtigte, dessen Vertragspartner kündigte, das entgangene Entgelt als positives Interesse geltend machen, abzüglich ersparter Aufwendungen oder anderweitig erzielten Erwerbs.


Literatur und weiterführende Links

  • §§ 249 ff. BGB (Bürgerliches Gesetzbuch)
  • Palandt, BGB-Kommentar, § 249 ff.
  • Medicus/Lorenz, Schuldrecht I, Allgemeiner Teil
  • Grüneberg, Schuldrecht BT I (5. Aufl.)
  • BGH-Entscheidungen zum Schadensersatzrecht

Zusammenfassung

Das positive Interesse regelt den Anspruch des Geschädigten, so entschädigt zu werden, als ob der Vertrag ordnungsgemäß erfüllt worden wäre. Es umfasst sämtliche Schäden, die aus der Nichterfüllung resultieren und ist ein grundlegendes Konzept im deutschen Vertrags- und Schadensersatzrecht. Die Abgrenzung zum negativen Interesse ist für die Beurteilung der Ersatzfähigkeit einzelner Schadenspositionen unerlässlich und hat praktische Bedeutung bei der Rechtsdurchsetzung im Fall von Leistungsstörungen.

Häufig gestellte Fragen

Wann kommt das positive Interesse im deutschen Zivilrecht zur Anwendung?

Das positive Interesse findet im deutschen Zivilrecht insbesondere dann Anwendung, wenn ein Vertragspartner im Zuge von Vertragsverhandlungen eine rechtlich schützenswerte Erwartungshaltung entwickelt, die durch ein vertragswidriges Verhalten der Gegenseite enttäuscht wird. Es spielt vor allem in den Konstellationen der culpa in contrahendo (§§ 280, 311 BGB), bei Anfechtung (§ 122 BGB), bei Rücktritt, und bei Fällen des Schadensersatzes statt der Leistung eine zentrale Rolle. Maßgeblich ist, dass das Vertrauen auf den Bestand oder das Zustandekommen eines Vertrages geschützt wird, welcher tatsächlich hätte zustande kommen oder erfüllt werden müssen. Das positive Interesse ist immer dann maßgeblich, wenn der Geschädigte so zu stellen ist, wie er stünde, wenn der Vertrag ordnungsgemäß durchgeführt worden wäre (Erfüllungsinteresse). Die praktische Relevanz ergibt sich etwa dann, wenn ein Vertragspartner durch das Verhalten des anderen Aufwendungen tätigt oder Rechtspositionen aufgibt, in berechtigter Erwartung eines gültigen und vollzogenen Vertrags.

Wie unterscheidet sich das positive Interesse vom negativen Interesse im deutschen Recht?

Das positive Interesse (Erfüllungsinteresse) unterscheidet sich grundlegend vom negativen Interesse (Vertrauensschaden). Das positive Interesse zielt darauf ab, dem Geschädigten den Nutzen zu verschaffen, den er bei ordnungsgemäßer Vertragserfüllung erhalten hätte. Hierbei werden insbesondere entgangener Gewinn und bereits getätigte Aufwendungen ersetzt, soweit sie im Zusammenhang mit der Vertragserfüllung stehen. Demgegenüber ersetzt das negative Interesse Schäden, die daraus resultieren, dass der Geschädigte auf das Zustandekommen beziehungsweise die Wirksamkeit des Vertrages vertraut hat. Dazu gehören etwa Aufwendungen, die im Vertrauen auf den Vertragsschluss gemacht wurden sowie Schäden aus entgangenen Alternativgeschäften. Im Ergebnis ist der Schadensersatz beim positiven Interesse in der Regel höher, da der Geschädigte nicht nur so gestellt wird, als hätte er nicht vertraut, sondern als ob der Vertrag ordnungsgemäß durchgeführt worden wäre.

In welchen gesetzlichen Regelungen findet sich der Anspruch auf Ersatz des positiven Interesses?

Ansprüche aus dem positiven Interesse finden sich an unterschiedlichen Stellen im BGB (Bürgerliches Gesetzbuch). Zentrale Norm ist § 280 Absatz 1 BGB, der allgemeinen Schadensersatz wegen Pflichtverletzung regelt, sowie § 280 Absatz 3 i. V. m. § 281 BGB, der Schadensersatz statt der Leistung bei Nichterfüllung vorsieht. Auch bei der Anfechtung nach § 122 BGB wird das positive Interesse ersetzt, sofern ein Dritter in berechtigtem Vertrauen auf die Wirksamkeit der angefochtenen Erklärung Dispositionen getroffen hat. Weitere relevante Vorschriften finden sich beispielsweise in §§ 437 Nr. 3, 440, 280, 281, 283, 311a BGB (Mängelrechten beim Kaufrecht), sowie im Deliktsrecht, sofern das Vertrauensinteresse zu ersetzen ist. Im Prozessrecht sowie im Handelsrecht können ebenfalls Regelungen zum positiven Interesse zum Tragen kommen.

Welche Voraussetzungen müssen für den Ersatz des positiven Interesses erfüllt sein?

Für die Geltendmachung des positiven Interesses müssen verschiedene Voraussetzungen kumulativ vorliegen: Erstens muss eine Pflichtverletzung vorliegen, typischerweise aus einem schuldrechtlichen Vertragsverhältnis oder aus Vertragsverhandlungen (Schuldverhältnis im weiteren Sinne nach § 311 BGB). Zweitens muss der Geschädigte einen kausalen Schaden erlitten haben, und drittens muss der Schuldner die Pflichtverletzung zu vertreten haben (Verschulden, sofern nicht ausnahmsweise eine verschuldensunabhängige Haftung eingreift). Überdies ist Kausalität zwischen Pflichtverletzung und konkret nachweisbarem Schaden erforderlich. Bei der Berechnung des positiven Interesses ist schließlich zu beachten, dass der Geschädigte so zu stellen ist, wie er stünde, wenn der Vertrag wie vereinbart zustande gekommen und erfüllt worden wäre. Etwaige Mitverschulden (§ 254 BGB) oder Anrechnung ersparter Aufwendungen werden bei der Schadensberechnung berücksichtigt.

Welche Schadenspositionen umfasst das positive Interesse im Regelfall?

Im Rahmen des positiven Interesses können grundsätzlich sämtliche Vermögenseinbußen ersetzt werden, die daraus resultieren, dass der Vertrag nicht ordnungsgemäß erfüllt oder nicht wie erwartet zustande kommt. Dazu zählen der entgangene Gewinn, bereits getätigte Aufwendungen (Investitionen, Material- und Personalkosten), Kosten für Ersatzbeschaffungen, Zinsen für in Erwartung der Durchführung des Vertrages aufgenommene Kredite sowie Ansprüche aus Preis- oder Kursdifferenzen (z. B. beim Kauf von Wertpapieren oder Waren). Im Einzelfall können auch mittelbare Schäden, sofern sie adäquat kausal auf die Vertragsverletzung zurückzuführen sind, erstattungsfähig sein. Nicht umfasst sind indes immaterielle Schäden (Schmerzensgeld), sofern diese nicht ausdrücklich im Gesetz vorgesehen sind.

Ist das positive Interesse auch bei Rücktritt oder Kündigung einschlägig?

Ja, beim Rücktritt vom Vertrag (§§ 323, 346 BGB) und bei Kündigung eines Dauerschuldverhältnisses ist das positive Interesse grundsätzlich einschlägig, wobei der Umfang jedoch gesetzlich begrenzt sein kann. Der Gläubiger kann unter bestimmten Voraussetzungen Schadensersatz statt der Leistung verlangen und so sein positives Interesse geltend machen. Allerdings tritt an die Stelle der Vertragserfüllung häufig die Rückabwicklung der gegenseitigen Leistungen (sog. Rückgewährschuldverhältnis), sodass gegebenenfalls nur noch das negative Interesse beansprucht werden kann. Die berechtigte außerordentliche Kündigung oder der begründete Rücktritt führen meist zum Erlöschen des Erfüllungsinteresses und begründen nur noch Ansprüche auf das negative Interesse, es sei denn, es handelt sich um Schadensersatz statt der Leistung gemäß §§ 281 ff. BGB.

Wie wird das positive Interesse im deutschen Prozessrecht geltend gemacht und nachgewiesen?

Im Zivilprozess obliegt es dem Anspruchsteller, seinen Schaden nach den Maßgaben des positiven Interesses substantiiert darzulegen und nachzuweisen. Dies bedeutet, er muss konkret darstellen, in welchem Umfang ihm durch die Nichterfüllung des Vertrages ein finanzieller Nachteil entstanden ist, als ob der Vertrag ordnungsgemäß erbracht worden wäre. Die Höhe des Schadens muss grundsätzlich beziffert werden (konkrete Schadensberechnung), wobei nach § 287 ZPO dem Gericht gewisse Schätzungsspielräume zustehen, wenn der geschädigte Kläger die Schadenshöhe nicht exakt nachweisen kann, aber die Entstehung und den Umfang plausibel macht. Entscheidend ist die Darlegung aller anspruchsbegründenden Tatsachen und die genaue Berechnung der eingetretenen Vermögensverschiebung. Im Streitfall trägt der Anspruchsteller die Darlegungs- und Beweislast für sämtliche Voraussetzungen seines Anspruchs.