Definition und rechtliche Einordnung von Pop-up-Radwegen
Pop-up-Radwege, im öffentlichen Straßenrecht auch als temporäre Radverkehrsanlagen bezeichnet, bezeichnen verkehrsrechtlich abgesicherte, kurzfristig eingerichtete Straßenverkehrsführungen für den Radverkehr. Sie dienen insbesondere der kurzfristigen Verbesserung der Radinfrastruktur im städtischen Raum, um die Verkehrssicherheit zu erhöhen und den Radverkehr zu fördern. Pop-up-Radwege wurden insbesondere während der COVID-19-Pandemie 2020 in mehreren deutschen Großstädten als schnelles Mittel zur Verkehrslenkung bekannt. Ihre Einrichtung, Nutzung und Rücknahme unterliegen umfangreichen straßenverkehrsrechtlichen und straßenrechtlichen Regelungen.
Aufbau und Merkmale von Pop-up-Radwegen
Temporärer Charakter
Pop-up-Radwege sind dadurch gekennzeichnet, dass sie nicht dauerhaft, sondern befristet eingerichtet werden. Die Installation erfolgt mittels Markierungen, Baustellenbaken, Schilderbrücken oder anderer mobiler Absperreinrichtungen. Sie dienen der sofortigen Anpassung des Straßenraums an sich verändernde Verkehrserfordernisse, beispielsweise infolge besonderer Gefahrenlagen oder gesellschaftlicher Entwicklungen.
Abgrenzung zu anderen Radwegarten
Im Gegensatz zu dauerhaften Radwegeinrichtungen nach den Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen (RASt) oder den Empfehlungen für Radverkehrsanlagen (ERA) sind Pop-up-Radwege typischerweise nicht Bestandteil langfristiger Verkehrsplanung, sondern Reaktion auf akuten Handlungsbedarf. Rechtlich sind sie demnach als vorübergehende Maßnahmen gemäß Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) zu qualifizieren.
Rechtliche Grundlagen und Voraussetzungen
Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) und Straßenrecht
§ 45 StVO – Verkehrsregelnde Anordnungen
Die zentrale Rechtsgrundlage zur Einrichtung von Pop-up-Radwegen ist § 45 StVO, insbesondere Absatz 1 und Absatz 9. Danach dürfen Straßenverkehrsbehörden die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der Sicherheit und Ordnung des Verkehrs beschränken oder verbieten, beziehungsweise den Verkehr umleiten. Auch vorübergehende Maßnahmen fallen unter diese Vorschrift.
- § 45 Abs. 1 StVO: Ermächtigt zur Anordnung aus Gründen der Sicherheit und Ordnung.
- § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO: Schränkt die Anordnung von Verkehrszeichen und -einrichtungen auf notwendige Fälle ein und nennt explizit den Schutz der schwächeren Verkehrsteilnehmer als Kriterium.
Landesstraßengesetze und kommunale Straßenrechtssatzungen
Zusätzlich zur StVO finden Landesstraßengesetze (z.B. Berliner Straßengesetz) Anwendung, soweit über die bloße Verkehrslenkung hinaus bauliche Veränderungen und Eingriffe in die Straßenkörper erfolgen. Die Zuständigkeit liegt regelmäßig bei den örtlichen Straßenbehörden, häufig vertreten durch das Tiefbauamt oder analog zuständige Verwaltungsbehörden.
Planungsrecht, Umweltrecht und Beteiligungsverfahren
Da Pop-up-Radwege in der Regel keine baulichen Anlagen im Sinne des Bauplanungsrechts darstellen, ist ein formelles Baugenehmigungsverfahren nicht erforderlich. Gleichwohl können bei längerer oder wiederholter Einrichtung Anforderungen aus dem Umweltrecht, insbesondere zur Lärm- und Luftreinhaltung, greifen. Auch ein Beteiligungsverfahren etwa der Polizei oder Interessenvertretungen (insb. Verkehrsverbände) ist oft vorgesehen.
Verfahren zur Einrichtung und zur Aufhebung
Anordnung durch Straßenverkehrsbehörden
Die Anordnung erfolgt formal durch straßenverkehrsrechtliche Verfügung in Form einer Allgemeinverfügung gemäß § 35 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) oder durch verkehrsrechtliche Anordnungen. Die Einrichtung ist häufig an ein Anhörungsverfahren und eine Begründungspflicht nach § 39 Absatz 1 und § 45 Absatz 9 Satz 1 StVO gebunden. Die Maßnahme muss verhältnismäßig, notwendig und geeignet sein.
Kennzeichnung und Ausstattung
Pop-up-Radwege müssen für den Straßenbenutzer klar und eindeutig gekennzeichnet sein. Dies erfolgt mittels Verkehrszeichen nach Anlage 3 und 4 zur StVO, insbesondere Zeichen 237 (Radweg), Zeichen 295 (Fahrstreifenbegrenzung) und ergänzenden Markierungen. Temporäre Markierungen müssen den Anforderungen aus § 41 StVO genügen und so ausgeführt sein, dass sie Verwechslungen mit dauerhaften Einrichtungen ausschließen.
Aufhebung und Rückbau
Die Aufhebung erfolgt ebenfalls durch Verfügung, entweder nach Ablauf des festgelegten Zeitraums oder bei Wegfall des öffentlichen Interesses. Rückbaumaßnahmen beinhalten die Entfernung aller temporären Verkehrszeichen und Markierungen. Die Rechtmäßigkeit der Aufhebung ist ggf. verwaltungsgerichtlich überprüfbar.
Rechtsschutz und gerichtliche Überprüfung
Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen
Pop-up-Radwege sind Verwaltungsakte im Sinne des § 35 VwVfG. Dritte (z.B. Anwohner, Gewerbetreibende, betroffene Verkehrsteilnehmer) können deren Einrichtung oder Aufhebung mittels Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage vor den Verwaltungsgerichten überprüfen lassen. Maßgebliche Rechtsgrundlagen sind die Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und die einschlägigen Vorschriften der StVO und der jeweiligen Landesgesetze.
Rechtsprechung zu Pop-up-Radwegen
Die Verwaltungsgerichte haben sich wiederholt mit der Rechtmäßigkeit von Pop-up-Radwegen auseinandergesetzt. Insbesondere die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin (VG Berlin, Urteil vom 14.09.2020, Az. VG 11 L 205/20) betonte die strikte Bindung an die Voraussetzungen des § 45 StVO und hob hervor, dass insbesondere das Kriterium der tatsächlichen Gefahrenlage genau zu prüfen sei. Ein Pop-up-Radweg darf nur angeordnet werden, wenn konkrete, auf Tatsachen gestützte Gefahren für die Sicherheit und Ordnung im Straßenverkehr bestehen und nicht lediglich eine abstrakte Gefährdungslage.
Besonderheiten Pop-up-Radwege während der COVID-19-Pandemie
Während der COVID-19-Pandemie wurden Pop-up-Radwege vorrangig mit dem Ziel eingerichtet, den gestiegenen Bedarf an sicherer Radverkehrsinfrastruktur zu decken und den öffentlichen Nahverkehr temporär zu entlasten. Dies erforderte eine besondere, an die pandemische Lage angepasste Auslegung der „dringenden Erfordernisse“ nach § 45 StVO, was zu einer erhöhten Zahl an Eilanordnungen und gerichtlichen Überprüfungen führte.
Abschließende rechtliche Würdigung und Ausblick
Pop-up-Radwege sind ein flexibles und rechtlich zulässiges Instrument im Verkehrsmanagement. Ihre Einrichtung setzt eine sorgfältige Prüfung der tatsächlichen Gefahrensituation voraus. Rechtlich sind sie streng an die Voraussetzungen der StVO und des einschlägigen Straßenrechts gebunden. Dauerhafte Lösungen verlangen eine Übertragung in Regelanlagen unter Beteiligung langfristiger Planungs-, Bau- und Beteiligungsverfahren. Die rechtliche Entwicklung und die fortschreitende Etablierung von Pop-up-Radwegen werden weiterhin Gegenstand von Gesetzgebung, Rechtsprechung und Fachliteratur bleiben.
Weiterführende Literatur und Rechtsprechung
- Verwaltungsgericht Berlin, Urteil vom 14.09.2020, Az. VG 11 L 205/20
- Straßenverkehrs-Ordnung (StVO)
- Empfehlungen für Radverkehrsanlagen (ERA)
- Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen (RASt)
- Berliner Straßengesetz (StrG Bln)
- Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG)
- Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)
Häufig gestellte Fragen
Welche rechtlichen Grundlagen gelten für die Anordnung von Pop-up-Radwegen?
Die Anordnung von Pop-up-Radwegen basiert in Deutschland primär auf dem Straßenverkehrsrecht, insbesondere auf dem Straßenverkehrsgesetz (StVG) und der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO). Entscheidende Vorschrift ist § 45 StVO, der Sonderregelungen zur „Sicherheit oder Ordnung“ regelt, unter denen Verkehrsbehörden temporär oder dauerhaft Verkehrsanordnungen zum Schutz schwächerer Verkehrsteilnehmer wie Radfahrer treffen können. Die Behörden müssen bei der Anordnung insbesondere die Erforderlichkeit, Angemessenheit sowie Verhältnismäßigkeit der Maßnahme nachweisen, was auf einer Gefahrenprognose oder aktuellen verkehrlichen Erfordernissen beruhen sollte. Die Entscheidung über Pop-up-Radwege ist in aller Regel als Einzelfallentscheidung anzusehen und setzt eine konkrete Gefährdungslage oder eine dringende Notwendigkeit voraus. Ferner sind die Vorgaben zur Beschilderung und Markierung gemäß Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO zu beachten. Auch die Straßenbaulastträger (z.B. Kommunen) sind im Rahmen der Zuständigkeit eingebunden, etwa bei temporären baulichen Veränderungen.
Welche Rechte haben betroffene Anlieger oder Geschäftsleute gegenüber Pop-up-Radwegen?
Die Rechte betroffener Anlieger, insbesondere Grundstücksbesitzer, Geschäftsinhaber oder Lieferanten, ergeben sich vor allem aus dem allgemeinen Verwaltungsrecht und dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs (§ 28 VwVfG), sofern sie in ihren Rechten wesentlich beeinträchtigt werden. Wird eine Erreichbarkeit, Lieferzufahrt oder Nutzbarkeit eines Grundstücks erheblich eingeschränkt, kann gegen die Anordnung der Pop-up-Radwege mit Widerspruch (§ 68 VwGO) und gegebenenfalls mit einer Anfechtungsklage vorgegangen werden. Voraussetzung ist eine sogenannte Klagebefugnis, d.h. eine mögliche eigene Rechtsverletzung. Die Verwaltungsgerichte prüfen sodann, ob die Behördenentscheidung rechtskonform – insbesondere im Lichte der Erforderlichkeit, Verhältnismäßigkeit und dem öffentlich-rechtlichen Ausgleich privater Interessen – erfolgt ist. Grundsätzlich ist die Behörde verpflichtet, die Belange der Betroffenen im Rahmen der Abwägung angemessen zu berücksichtigen.
Wie lange dürfen Pop-up-Radwege rechtlich bestehen bleiben?
Die Rechtmäßigkeit von Pop-up-Radwegen ist an deren temporären Charakter gebunden. Sie werden häufig im Zusammenhang mit kurzfristigen Gefahrenlagen (z.B. Corona-Pandemie) oder Verkehrsversuchen eingerichtet. Rechtlich zulässig ist ihre Anordnung grundsätzlich nur für den Zeitraum, in dem die besondere Gefahrenlage oder der Versuchsanlass fortbesteht. Nach § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO ist eine dauerhafte Einrichtung baulicher oder markierter Radwege im Regelfall unzulässig, wenn keine dauerhafte, besondere Gefahrenlage nachgewiesen werden kann. Somit müssen Pop-up-Radwege regelmäßig evaluiert und bei Wegfall der rechtlichen Voraussetzungen aufgehoben werden. Soll die Maßnahme verstetigt werden, ist ein separates, reguläres straßenverkehrsrechtliches Verfahren durchzuführen.
Müssen Pop-up-Radwege barrierefrei gestaltet sein?
Auch temporäre Radverkehrsanlagen wie Pop-up-Radwege unterliegen der Pflicht zur Barrierefreiheit, soweit dies im Rahmen der zumutbaren Möglichkeiten besteht. Grundlagen hierfür sind § 8 Abs. 2 SGB IX und die einschlägigen technischen Regelwerke (vor allem die „Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen (RASt06)“ und die „Empfehlungen für Radverkehrsanlagen (ERA)“). Die Belange mobilitätseingeschränkter Personen, etwa an Querungsstellen oder Haltestellen, müssen daher schon bei der Anordnung mitberücksichtigt werden. Verstöße können als Fehler der Planung bzw. Anordnung rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen, insbesondere im Hinblick auf Gleichstellung und die UN-Behindertenrechtskonvention.
Welche Anforderungen gelten an die Beschilderung und Markierung?
Für Pop-up-Radwege gelten die allgemeinen Vorschriften der StVO zur Verkehrszeichengebung und zur Straßenmarkierung. § 39 ff. StVO und die jeweilige Anlage 2 regeln, welche Verkehrszeichen und Markierungen wie anzubringen sind, um Verkehrsteilnehmer eindeutig und unmissverständlich zu leiten. Pop-up-Radwege werden meist temporär durch gelbe Markierungen und Verkehrszeichen 237, 240 oder 241 (gemäß StVO) kenntlich gemacht. Eine unklare oder widersprüchliche Beschilderung kann zur Rechtswidrigkeit der Maßnahme führen und haftungsrechtliche Konsequenzen für die Straßenverkehrsbehörde haben.
Können Pop-up-Radwege mit optisch wahrnehmbaren baulichen Elementen gesichert werden?
Die rechtliche Zulässigkeit temporärer baulicher Sicherungen (z.B. mobile Leitbaken, Absperrgitter oder Poller) bestimmt sich nach den allgemeinen Vorschriften zur Verkehrssicherungspflicht. Die eingesetzten Elemente müssen den Bestimmungen der „Richtlinien für die Sicherung von Arbeitsstellen an Straßen (RSA 21)“ entsprechen und dürfen keine zusätzlichen Gefährdungen für Verkehrsteilnehmer (insbesondere für Rollstuhlfahrer, Sehbehinderte, Kinder) verursachen. Sie dürfen ausschließlich zur Absicherung der Verkehrssicherheit und nur so lange wie zur Zweckerreichung notwendig, zum Einsatz kommen. Nicht regelkonforme Sicherungen oder unsachgemäßer Einsatz können zu Amtshaftungsansprüchen führen.
Welche Rolle spielen Umwelt- und Lärmschutzvorschriften bei der Einrichtung von Pop-up-Radwegen?
Pop-up-Radwege können nach deutschem Recht unter bestimmten Umständen umwelt- und lärmschutzrechtlich relevant sein, etwa wenn durch Umleitung des Kfz-Verkehrs oder Verlagerung von Verkehr neue Belastungen für Anwohner entstehen. Behörden müssen daher im Rahmen der Entscheidung auch relevante Vorschriften aus dem Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) sowie ggf. die örtlichen Lärmschutzsatzungen beachten. Eine entsprechende Umweltverträglichkeitsprüfung ist im Regelfall bei lediglich temporären Maßnahmen nicht nötig, wohl aber die Prüfung der Auswirkungen auf Anwohner bei dauerhafter Überführung der Maßnahme. Vor allem im Hinblick auf den Schutz ruhiger Gebiete und des Wohnumfelds kann hier eine Abwägung erforderlich werden.