Legal Lexikon

Pflegestufe 0


Begriff und rechtliche Einordnung der Pflegestufe 0

Die Pflegestufe 0 war eine in der Bundesrepublik Deutschland bis zum 31. Dezember 2016 geltende sozialrechtliche Bezeichnung, die Personen mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz ohne erheblichen allgemeinen Pflegebedarf umfasste. Die Pflegestufe 0 hatte keine gesetzliche Grundlage im Elften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) zur sozialen Pflegeversicherung, etablierte sich jedoch als Begriff und fortlaufende Leistungspraxis in Abgrenzung zu den normierten Pflegestufen 1 bis 3 (ab 2017: Pflegegrade 1 bis 5). Die Pflegestufe 0 spielte insbesondere für die Versorgung demenziell erkrankter Menschen und Pflegebedürftiger mit eingeschränkter Alltagskompetenz eine zentrale Rolle.

Historische Entwicklung und gesetzliche Rahmenbedingungen

Die gesetzliche Pflegeversicherung wurde 1995 eingeführt und unterteilte Pflegebedürftigkeit in drei Pflegestufen (§ 15 SGB XI, in der bis 2016 gültigen Fassung). In der Praxis zeigte sich, dass viele pflegebedürftige Personen – insbesondere mit Demenz, psychischen Erkrankungen oder geistigen Behinderungen – Unterstützungsbedarf hatten, ohne die Voraussetzungen der Pflegestufe 1 („erheblicher Pflegebedarf“) zu erfüllen.

Einführung des Begriffs durch untergesetzliche Regelungen

Die sogenannte „Pflegestufe 0″ erhielt erst mit dem Pflegeleistungs-Ergänzungsgesetz zum 1. Juli 2002 eine halb-formale Anerkennung. Das Gesetz sah erstmals in § 45b SGB XI Leistungen für Versicherte mit „erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz“ vor. Später wurde durch das Pflege-Weiterentwicklungsgesetz (2008) und das Pflegestärkungsgesetz (2015) dieser Personenkreis explizit in Leistungsansprüche eingebunden. Der Begriff „Pflegestufe 0″ blieb jedoch ein unscharfer Terminus, der keinen Eingang in den Gesetzeswortlaut fand, in der Alltagssprache aber zur Unterscheidung von den formal geregelten Pflegestufen genutzt wurde.

Tatbestandliche Voraussetzungen für die Pflegestufe 0

Die Einordnung in die Pflegestufe 0 erfolgte, sofern:

  • Kein Hilfebedarf in Grundpflege und hauswirtschaftlicher Versorgung im Umfang der Pflegestufe 1 vorlag,
  • zugleich aber eine „erhebliche Einschränkung der Alltagskompetenz“ (§ 45a SGB XI a.F.) bestand.

Dieser Status wurde insbesondere demenziell veränderten Menschen, psychisch Kranken und geistig behinderten Personen zugewiesen.

Definition: Erhebliche Einschränkung der Alltagskompetenz

Eine erhebliche Einschränkung der Alltagskompetenz lag gemäß § 45a Abs. 2 SGB XI a. F. dann vor, wenn aufgrund einer Krankheit oder Behinderung regelmäßig Hilfe erforderlich war bei

  • Bewältigung psychosozialer Problemlagen (etwa: Weglauftendenz, unkontrolliertes Verlassen der Wohnung, gestörtes Tag-/Nacht-Gefühl),
  • Verhaltensauffälligkeiten,
  • Orientierungslosigkeit,
  • erheblichen Kommunikationsproblemen.

Diese Voraussetzungen wurden im Einzelnen durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) oder andere Begutachtungsstellen überprüft.

Leistungsrechtliche Bedeutung der Pflegestufe 0

Obwohl keine Ansprüche auf die Leistungen der normierten Pflegestufen bestanden, sah die Rechtslage spezifische Ansprüche vor.

Zusätzliche Betreuungs- und Entlastungsleistungen (§ 45b SGB XI)

Für Versicherte mit dem Status „erheblich eingeschränkte Alltagskompetenz“ – also die sogenannte Pflegestufe 0 – waren seit 2002 zusätzliche Betreuungsleistungen vorgesehen. Deren Höhe wurde mehrfach angepasst und zuletzt in Form des „Entlastungsbetrags“ weitergeführt.

Leistungsumfang:

  • Zunächst monatlich bis zu 104 Euro, später 208 Euro (erhöhter Betrag) für Betreuungs- und Entlastungsleistungen.
  • Verwendbar für niederschwellige Betreuungsangebote, Angebote zur Unterstützung im Alltag oder Kurzeitpflege.

Leistungen der Pflegeversicherung bei Pflegestufe 0

Pflegebedürftige der Pflegestufe 0 konnten, sofern die Voraussetzungen der erheblichen Einschränkung der Alltagskompetenz nachgewiesen wurden, folgende Leistungen erhalten:

  • Entlastungsbetrag gemäß § 45b SGB XI,
  • Pflegehilfsmittel (§ 40 SGB XI), wohnumfeldverbessernde Maßnahmen,
  • Zuschüsse zur Tages- und Nachtpflege, Verhinderungs- und Kurzzeitpflege (§§ 39, 42 SGB XI),
  • Teilweise Übernahme von Kosten für zusätzliche Betreuungsangebote.

Nicht gewährt wurden:

  • Pflegegeld (§ 37 SGB XI) und Pflegesachleistungen (§ 36 SGB XI).

Sonderfälle

Kombinationen mit anderen Leistungen (z.B. ambulante Pflegedienste) waren im speziell geregelten Umfang zulässig.

Bedeutung für Angehörige und Wegfall seit 2017

Mit dem Inkrafttreten des Zweiten Pflegestärkungsgesetzes (PSG II) am 1. Januar 2017 erfolgte die grundlegende Umstellung von Pflegestufen auf Pflegegrade. Dabei wurde die Pflegestufe 0 einschließlich ihrer leistungsrechtlichen Besonderheiten abgeschafft.

Übergangsregelung

Pflegebedürftige mit „Pflegestufe 0″ wurden zum 1. Januar 2017 automatisch in Pflegegrad 2 (bei erheblicher Einschränkung der Alltagskompetenz) eingestuft und erhielten damit einen schnelleren und umfangreicheren Zugang zu Leistungsarten der Pflegeversicherung. Die bis dahin geltenden Unterscheidungen zwischen Grundpflege, hauswirtschaftlicher Versorgung und Alltagskompetenz entfielen zugunsten eines umfassenderen Pflegegrad-Systems (§ 140 SGB XI).

Kritik und rechtspolitische Bewertung

Die Pflegestufe 0 hat in der sozialrechtlichen Praxis maßgeblich zur Verbesserung der Situation demenziell und psychisch Erkrankter beigetragen. Sie wird jedoch sowohl in Fachkreisen als auch in der Rechtsprechung stets als „Übergangsbehelf“ bewertet, da sie wichtige Leistungsansprüche ausschließlich an die Alltagskompetenz koppelte und nicht an den tatsächlichen Pflegebedarf. Die rechtliche Unsicherheit und teilweise fehlende Transparenz bei der Einstufung wurde immer wieder kritisch gesehen.

Literatur und weiterführende Vorschriften

  • Sozialgesetzbuch XI (Pflegeversicherung), insbesondere §§ 14, 15, 45a, 45b, 140 SGB XI in den jeweiligen Fassungen bis 2017
  • Pflegeleistungs-Ergänzungsgesetz 2002
  • Pflege-Weiterentwicklungsgesetz 2008
  • Zweites Pflegestärkungsgesetz (PSG II) 2017

Zusammenfassung

Die Pflegestufe 0 bezeichnete bis 2017 eine besondere Statusgruppe innerhalb der sozialen Pflegeversicherung, die keinen offiziellen gesetzlichen Niederschlag fand, sich jedoch aus untergesetzlicher Praxis und nachträglicher Leistungsregelung entwickelte. Sie betraf insbesondere Menschen mit Demenz und vergleichbaren Einschränkungen, die zwar erheblichen Unterstützungsbedarf im Alltag, aber keinen erheblichen Pflegebedarf nach den klassischen Pflegestufen aufwiesen. Mit der Systemumstellung auf Pflegegrade ist die Kategorie Pflegestufe 0 entfallen und in einem umfassenderen Bewertungssystem aufgegangen.

Häufig gestellte Fragen

Wer hatte Anspruch auf Leistungen der „Pflegestufe 0″ im deutschen Pflegerecht?

Leistungen im Rahmen der sogenannten „Pflegestufe 0″ wurden Personen gewährt, die nach der bis 2016 geltenden Rechtslage der Sozialen Pflegeversicherung (§§ 14, 15 SGB XI) einen Hilfebedarf unterhalb der Voraussetzungen für die Pflegestufe I aufwiesen, jedoch einen erheblichen allgemeinen Betreuungsbedarf nach § 45a SGB XI hatten. Dies betraf in der Praxis vor allem Menschen mit eingeschränkter Alltagskompetenz, insbesondere bei demenziellen Erkrankungen oder psychischen Beeinträchtigungen. Formal gab es die Pflegestufe 0 nicht als eigenständige Stufe im Gesetz, sondern war eine faktische Erweiterung der Leistungsberechtigung für Betroffene mit besonderem Betreuungsbedarf, jedoch ohne die erforderliche Grundpflegezeit, die für Pflegestufe I notwendig gewesen wäre. Anspruchsberechtigte mussten im Vorfeld durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) oder einen entsprechenden Gutachter eine erheblich eingeschränkte Alltagskompetenz festgestellt bekommen. Die Leistungen umfassten insbesondere niedrigschwellige Betreuungs- und Entlastungsangebote, aber zum Teil auch bestimmte Sach- und Geldleistungen, wie sie für den Bereich der Pflege vorgesehen waren.

Welche Leistungen standen bei „Pflegestufe 0″ gesetzlich zur Verfügung?

Die rechtlichen Grundlagen der Leistungsgewährung für Menschen mit „Pflegestufe 0″ waren in den §§ 45b und 123 SGB XI geregelt. Im Mittelpunkt standen zunächst die so genannten zusätzlichen Betreuungs- und Entlastungsleistungen, etwa in Form von niederschwelligen Betreuungsangeboten und hauswirtschaftlichen Hilfen. Die Höhe der monatlichen Leistungen variierte und lag je nach dem festgestellten Betreuungsbedarf bei bis zu 104 Euro beziehungsweise 208 Euro (Erhöhung ab 2015). Zusätzlich hatten Anspruchsberechtigte ab dem 1. Januar 2013 im Rahmen des Pflegeneuausrichtungsgesetzes (PNG) auch Zugang zu bestimmten pflegerischen Leistungen, darunter begrenzte Pflegesachleistungen (etwa für ambulante Pflegedienste) und eine anteilige Übernahme von Kosten der Tages- und Nachtpflege, der Kurzzeitpflege und Verhinderungspflege. Die gesetzliche Grundlage hierfür wurde mit der Einführung des Pflege-Neuausrichtungsgesetzes im Jahr 2012 geschaffen, das vor allem pflegebedürftige Menschen mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz förderte, unabhängig vom Umfang des Grundpflegebedarfs.

Wie erfolgte die Feststellung der „eingeschränkten Alltagskompetenz“ als Voraussetzung für die Pflegestufe 0?

Die Feststellung der erheblich eingeschränkten Alltagskompetenz als Voraussetzung für die Leistungen an Personen mit „Pflegestufe 0″ wurde gemäß § 45a SGB XI vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) bzw. einem entsprechenden Gutachter der Privatversicherung getroffen. Die Begutachtung erfolgte auf Basis eines gesetzlich definierten Kriterienkatalogs, der insbesondere Defizite in den Bereichen Gedächtnis, Orientierungsvermögen, demenzerkrankungsspezifisches Verhalten und sozialer Interaktion erfasste. Es wurde geprüft, ob und in welchem Umfang Betroffene Hilfestellung bei der Bewältigung alltäglicher Aufgaben benötigen, etwa beim Anziehen, bei der Einnahme von Mahlzeiten, der Orientierung im Tagesablauf, sowie beim Umgang mit Risiken für sich oder andere. Die Einschränkungen mussten dauerhaft und regelmäßig auftreten, um die Voraussetzung für die Bewilligung von Leistungen nach „Pflegestufe 0″ zu erfüllen. Die Begutachtungsergebnisse wurden anschließend durch die Pflegekasse überprüft und der Leistungsanspruch offiziell festgestellt.

Welche rechtlichen Änderungen gab es bei „Pflegestufe 0″ durch die Reformen der Pflegeversicherung?

Mit dem Inkrafttreten des Zweiten Pflegestärkungsgesetzes (PSG II) zum 1. Januar 2017 wurde das bisherige Stufensystem der Pflegegrade grundlegend reformiert. Die bis dahin bestehenden Pflegestufen, einschließlich der Leistungen für Menschen mit „Pflegestufe 0″, wurden durch das neue System der Pflegegrade abgelöst. Statt einer Unterscheidung nach Zeitaufwand der körperlichen Grundpflege stand ab 2017 das Maß der Selbständigkeit und die individuelle Beeinträchtigung der Selbstversorgung im Mittelpunkt (Neues Begutachtungsassessment, NBA). Menschen, die zuvor als „Pflegestufe 0″ eingestuft waren, wurden rechtlich automatisch in den Pflegegrad 2 oder 3 überführt, abhängig vom Umfang der Beeinträchtigung ihrer Alltagskompetenz. Seither existiert der Begriff und der rechtliche Status der „Pflegestufe 0″ nicht mehr, auch die Leistungsarten und Leistungsbeträge wurden neu strukturiert. Das neue Recht sorgt für eine bessere Vergleichbarkeit, eine gerechtere Einordnung und für einen umfassenderen Berücksichtigung kognitiver und psychischer Beeinträchtigungen.

Konnte gegen die Ablehnung von Leistungen bei „Pflegestufe 0″ rechtlich vorgegangen werden?

Ja, wie bei allen Entscheidungen der Pflegekassen bestand auch hinsichtlich der Leistungserbringung für Menschen mit Betreuungsbedarf nach „Pflegestufe 0″ ein Rechtsweg. Wurde die Anerkennung der eingeschränkten Alltagskompetenz abgelehnt oder fiel die Beurteilung der Pflegebedürftigkeit zu niedrig aus, konnte innerhalb eines Monats nach Zugang des Bescheids Widerspruch bei der zuständigen Pflegekasse eingelegt werden (§ 84 SGB XI i.V.m. §§ 78 ff. SGG). Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens wurde das Gutachten des Medizinischen Dienstes erneut geprüft und – falls erforderlich – ein Zweitgutachten angefordert. Wurde dem Widerspruch ebenfalls nicht stattgegeben, bestand die Möglichkeit einer Klage vor dem zuständigen Sozialgericht. Der Rechtsweg war damit für betroffene Versicherte und ihre Angehörigen vollständig gewährleistet. Zudem konnten sich Betroffene im Widerspruchs- oder Klageverfahren kostenlos von Sozialverbänden oder Patientenberatungen vertreten und beraten lassen.

Welche Bedeutung hatte die Pflegestufe 0 im Rahmen der privaten Pflegeversicherung?

Auch in der privaten Pflegepflichtversicherung, die nach den maßgeblichen Bestimmungen des SGB XI bzw. nach dem Pflegepflichtversicherungsgesetz (PPV) organisiert ist, wurden die Leistungen für Menschen mit erheblichem Betreuungsbedarf ohne Pflegestufe analog zur gesetzlichen Pflegeversicherung geregelt. Die Begutachtung erfolgte oftmals durch den Medizinischen Dienst der Privaten Krankenversicherung (Medicproof). Allerdings bestanden in Einzelfällen, je nach Versicherungsbedingungen und Tarifgestaltung, deutliche Unterschiede hinsichtlich Leistungsumfang und Antragsverfahren. Entscheidend war juristisch, ob die Versicherungsbedingungen die Übertragung der gesetzlichen Möglichkeiten (Pflegestufe 0) ausdrücklich vorsahen. Die Umsetzung der Übergangsregelungen zum neuen Pflegegrad-System (ab 2017) erfolgte jedoch sowohl in der sozialen als auch in der privaten Pflegepflichtversicherung nach identischen Grundsätzen. Rechtsstreitigkeiten zu Umfang oder Ablehnung der Leistungen wurden ebenfalls nach sozialrechtlichen Prinzipien bearbeitet, mit der Möglichkeit von Widerspruch und Klage.