Begriff und rechtliche Einordnung von Pflegekindern
Der Begriff Pflegekind bezeichnet im deutschen Recht ein minderjähriges Kind, das zeitweise oder auf Dauer außerhalb seiner Herkunftsfamilie in einer anderen Familie – der sogenannten Pflegefamilie – lebt und dort erzogen und betreut wird. Die Aufnahme und Betreuung von Pflegekindern erfolgt in der Regel auf Grundlage von gesetzlichen Vorgaben und dient oft dem Wohl des Kindes, insbesondere dann, wenn das Verbleiben im Herkunftshaushalt mit einer Gefährdung des Kindeswohls verbunden ist oder Eltern zeitweise oder dauerhaft außerstande sind, ihr Kind selbst zu erziehen und zu versorgen.
Gemäß § 33 Sozialgesetzbuch Achtes Buch (SGB VIII) wird die Erziehung in einer Pflegefamilie als Vollzeitpflege bezeichnet und stellt eine Form der Hilfen zur Erziehung dar.
Rechtliche Grundlagen der Pflegekindschaft
Gesetzliche Regelungen nach SGB VIII
Die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Aufnahme und Betreuung von Pflegekindern sind im SGB VIII verankert. Insbesondere § 33 SGB VIII regelt die Vollzeitpflege, während weitere Paragraphen Einzelregelungen zu Unterbringung, Beteiligung, Hilfeplanverfahren und Rückführung enthalten.
Pflichten und Zuständigkeiten des Jugendamtes
Das Jugendamt ist die zentrale Stelle für die Auswahl, Qualifikation und Vermittlung von Pflegekindern und Pflegefamilien. Es überwacht die Unterbringung, erstellt gemeinsam mit den Beteiligten einen Hilfeplan (§ 36 SGB VIII) und ist in regelmäßigen Abständen zur Prüfung des Kindeswohls verpflichtet. Die Entscheidung über eine mögliche Rückkehr in die Herkunftsfamilie oder die Fortsetzung der Pflege erfolgt regelmäßig unter Beteiligung aller Betroffenen.
Formen der Pflegeverhältnisse
Pflegeverhältnisse werden unterschieden in:
- Bereitschaftspflege: Kurzzeitpflege in akuten Krisensituationen
- Kurzzeitpflege: Vorübergehende Unterbringung, zum Beispiel zur Entlastung der Herkunftseltern
- Dauerpflege: Langfristige, oftmals auf Jahre angelegte Betreuung
Die jeweilige Form hat unterschiedliche rechtliche Auswirkungen auf das Sorgerecht, die Verpflichtungen der Pflegepersonen sowie die Perspektiven für die Rückkehr oder Verselbständigung des Pflegekindes.
Sorgerechtliche Aspekte bei Pflegekindern
Elterliche Sorge im Pflegeverhältnis
Grundsätzlich behalten die leiblichen Eltern auch nach Aufnahme in eine Pflegefamilie das Sorgerecht, sofern dieses nicht durch familiengerichtliche Entscheidung entzogen oder auf das Jugendamt als Vormund übertragen wird (§ 1666, § 1666a Bürgerliches Gesetzbuch – BGB). Pflegeeltern übernehmen jedoch im Rahmen des sogenannten Alltagssorgerechts alle alltäglichen Entscheidungen, die das Wohl des Kindes betreffen (§ 1688 BGB).
Die Entscheidungskompetenz der Pflegepersonen umfasst unter anderem die Organisation des täglichen Ablaufs, medizinische Notfallentscheidungen sowie die Freizeitgestaltung. Für erhebliche Entscheidungen (z. B. Namensänderung, dauerhafte Aufenthaltsänderung, medizinische Eingriffe von erheblicher Bedeutung) ist allerdings weiterhin die Zustimmung der sorgeberechtigten Eltern oder des Vormunds erforderlich.
Vormundschaft und Pflegschaft
In besonderen Fällen, etwa wenn das Sorgerecht vollständig entzogen wurde, bestellt das Familiengericht einen Vormund oder Pfleger (§§ 1773-1881 BGB). Der Vormund übernimmt dann die umfassende rechtliche Vertretung des Pflegekindes.
Rechte und Pflichten der Pflegeeltern
Vertragliche Beziehungen
Die Aufnahme eines Kindes in Pflege basiert auf einer öffentlich-rechtlichen Vereinbarung mit dem Jugendamt. Die Pflegeeltern verpflichten sich, für das Überlassen, Wohlergehen und die Förderung des Kindes zu sorgen. Sie sind zur Mitwirkung am Hilfeplanprozess, zur Zusammenarbeit mit Herkunftseltern und Jugendamt sowie zur Förderung der Rückkehr in die Herkunftsfamilie verpflichtet, sofern dies möglich, zumutbar und dem Kindeswohl dienlich ist.
Anspruch auf Leistungen
Pflegeeltern erhalten gemäß § 39 SGB VIII Pflegegeld zur Abdeckung der entstehenden Kosten und ihrer Erziehungsleistung. Darüber hinaus bestehen Ansprüche auf Beratung, Unterstützung und Fortbildung (§ 37 SGB VIII).
Rechtliche Stellung und Beteiligung des Pflegekindes
Beteiligungsrechte des Pflegekindes
Das Pflegekind ist nach Maßgabe seines Alters und seiner Entwicklung an allen das Pflegeverhältnis betreffenden Entscheidungen zu beteiligen (§ 8 SGB VIII). Insbesondere beim Hilfeplanverfahren und im Rahmen der Prüfung des weiteren Verbleibs im Pflegeverhältnis hat das Pflegekind ein Recht auf Anhörung und Mitbestimmung.
Umgangsrecht
Leiblichen Eltern und weiteren engen Bezugspersonen steht, sofern das Kindeswohl nicht entgegensteht, ein Recht auf Umgang mit dem Pflegekind zu (§ 1684 BGB). Das Jugendamt hat darauf hinzuwirken, dass der Kontakt erhalten bleibt, soweit dies dem Wohl des Kindes dient.
Beendigung des Pflegeverhältnisses und Rückführung
Auflösung bzw. Abbruch der Pflege
Ein Pflegeverhältnis kann beendet werden, wenn die Rückführung in die Herkunftsfamilie aus pädagogischer, entwicklungspsychologischer und rechtlicher Sicht möglich und angezeigt erscheint. Die Kündigung eines Pflegeverhältnisses ist auch durch die Pflegeeltern selbst oder durch das Jugendamt – in jedem Fall jedoch unter den Voraussetzungen des Kindeswohls – möglich.
Adoption als Sonderfall
In Ausnahmefällen kann die Aufnahme des Pflegekindes in die Pflegefamilie in eine Adoption münden. Hierfür sind die strengen Voraussetzungen der Adoption gemäß §§ 1741 ff. BGB zu erfüllen. Eine Adoption setzt in der Regel die Einwilligung der leiblichen Eltern oder gerichtliche Ersetzung derselben sowie eine besondere Eignung des Adoptionsbewerbers voraus.
Datenschutz und Schweigepflicht
Pflegeeltern unterliegen der Schweigepflicht bezüglich aller persönlichen Informationen zum Pflegekind und dessen Herkunftsfamilie nach § 65 SGB VIII sowie dem Gesetz über den Datenschutz und die Schweigepflicht in der Jugendhilfe.
Internationales Pflegekindschaftsrecht
In grenzüberschreitenden Fällen, etwa wenn eine ausländische Staatsangehörigkeit oder Wohnsitzverlagerungen betroffen sind, gelten ergänzend EU-rechtliche und internationale Übereinkommen (wie das Haager Übereinkommen über den Schutz von Kindern und die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der internationalen Adoption). Zuständigkeiten und Verfahren orientieren sich hierbei an den jeweiligen Kollisionsnormen des FamFG (Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit) sowie einschlägigen internationalen Abkommen.
Fazit
Pflegekinder nehmen im deutschen Recht eine besonders geschützte und genau geregelte Stellung ein. Das Ziel ist stets das Wohl des Kindes unter Berücksichtigung seiner Rechte und der Rechte der Herkunftsfamilie sowie der Pflegeeltern. Die gesetzlichen Bestimmungen gewährleisten den Schutz, die Förderung und die rechtssichere Unterbringung von Pflegekindern und bilden einen komplexen Rahmen, der regelmäßig einer individuellen Prüfung und Abstimmung bedarf.
Häufig gestellte Fragen
Wer trägt die elterliche Sorge für ein Pflegekind?
Die elterliche Sorge für ein Pflegekind bleibt grundsätzlich bei den leiblichen Eltern, es sei denn, das Familiengericht entzieht ihnen diese ganz oder teilweise nach § 1666 BGB (Gefährdung des Kindeswohls). In der Praxis bedeutet dies, dass wichtige Entscheidungen – beispielsweise die Wahl der Schule, Operationen, Aufenthaltsbestimmung oder Fragen zur Religion – weiterhin nur von den Sorgeberechtigten getroffen werden dürfen. Pflegeeltern erhalten in der Regel ein sogenanntes „Pflegeelternrecht“, das ihnen das Recht gibt, Entscheidungen des täglichen Lebens für das Pflegekind zu treffen (§ 1688 BGB). Sollten darüber hinausgehende Regelungskompetenzen notwendig sein, kann das Gericht das Sorgerecht teilen oder temporär auf das Jugendamt (Inobhutnahme) oder einen Vormund übertragen. Das Jugendamt wirkt häufig unterstützend und nimmt eine beratende Funktion ein, ist aber kein gesetzlicher Vertreter des Kindes, solange nicht eine entsprechende gerichtliche Entscheidung vorliegt.
Welche rechtlichen Voraussetzungen müssen für die Aufnahme eines Pflegekindes erfüllt sein?
Die Aufnahme eines Pflegekindes erfordert die positive Eignungsfeststellung der Pflegepersonen durch das Jugendamt nach §§ 44, 45 SGB VIII. Bewerber werden hierbei auf ihre persönliche, gesundheitliche und wirtschaftliche Eignung geprüft. Ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis und eine ärztliche Unbedenklichkeitsbescheinigung sind obligatorisch. Eine besondere Qualifikation ist nicht zwingend notwendig, allerdings wird die Teilnahme an speziellen Vorbereitungskursen und Seminaren empfohlen und häufig vorausgesetzt. Die Zusammenarbeit mit dem Jugendamt ist verpflichtend, ebenso wie die Bereitschaft, den Kontakt zur Herkunftsfamilie des Kindes zu gewährleisten, sofern dies zum Wohl des Kindes angebracht ist.
Welche Rechte und Pflichten haben Pflegeeltern aus juristischer Perspektive?
Pflegeeltern besitzen das Recht zur Vertretung des Kindes im Rahmen der Alltagsverrichtung, also bei Angelegenheiten des täglichen Lebens (§ 1688 BGB). Größere und grundsätzliche Angelegenheiten (wie z.B. medizinische Eingriffe, Schulwahl, Passantrag) obliegen weiterhin den leiblichen Sorgeberechtigten oder dem bestellten Vormund. Pflegeeltern sind gesetzlich verpflichtet, das Kindeswohl zu achten, für eine förderliche Erziehung, Pflege und Versorgung zu sorgen und die Kontakte zu den leiblichen Eltern sowie anderen wichtigen Bezugspersonen zu ermöglichen, sofern dies gerichtlich nicht anders bestimmt ist. Sie sind ferner auskunftspflichtig gegenüber dem Jugendamt und zur Dokumentation und Mitteilung relevanter Vorkommnisse verpflichtet.
Wie lange ist ein Pflegeverhältnis rechtlich abgesichert und unter welchen Bedingungen kann es beendet werden?
Ein Pflegeverhältnis ist rechtlich regelmäßig als Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII ausgestaltet und wird durch einen entsprechenden Hilfeplan fixiert. Die Dauer ist individuell und wird im Rahmen der Hilfeplanung regelmäßig überprüft; eine starre zeitliche Begrenzung besteht nicht. Eine Beendigung kann von den Sorgeberechtigten, dem Jugendamt oder den Pflegeeltern unter Wahrung einer angemessenen Frist (meist vier Wochen) initiiert werden. Das Pflegeverhältnis kann auch beendet werden, wenn eine Gefährdung des Kindeswohls festgestellt wird, wichtige Gründe seitens der Pflegeeltern vorliegen oder das Familiengericht entsprechend entscheidet. Ein dauerhaftes Pflegeverhältnis kann durch Adoption, Rückführung in die Herkunftsfamilie oder Bestellung eines Vormundes enden.
Welche rechtliche Stellung hat ein Pflegekind im Hinblick auf Unterhalt und Erbrecht?
Pflegekinder haben keinen gesetzlichen Erbanspruch gegenüber ihren Pflegeeltern. Erbrechtliche Ansprüche bestehen ausschließlich gegenüber den leiblichen Eltern, es sei denn, das Pflegekind wird adoptiert. Für den Unterhalt sind grundsätzlich weiterhin die leiblichen Eltern verantwortlich (§ 1601 BGB). Pflegeeltern erhalten Pflegegeld als Aufwendungsersatz gemäß den landesrechtlichen Vorschriften und Richtlinien, das jedoch nicht den Charakter von Unterhalt hat. Wenn die leiblichen Eltern nicht oder nur teilweise leisten können, kann das Jugendamt im Rahmen von Unterhaltsvorschussregelungen tätig werden.
Sind Pflegekinder rechtlich wie vollwertige Familienmitglieder der Pflegefamilie zu behandeln?
Aus juristischer Sicht haben Pflegekinder einen Sonderstatus: Sie werden im Rahmen des Pflegeverhältnisses in den Haushalt aufgenommen und genießen einen weitgehenden Schutzraum im Sinne des Kinder- und Jugendhilferechts. Gleichwohl erlangen sie durch das Pflegeverhältnis weder automatisch den Status eines leiblichen Kindes noch die damit verbundenen Rechte – etwa im Erbrecht, im Namensrecht oder beim Familienstand. Eine rechtliche Gleichstellung mit leiblichen Kindern entsteht erst durch eine Adoption gemäß §§ 1741 ff. BGB. Im Alltag jedoch sind sie, losgelöst von juristischen Einschränkungen, im Sinne des Kindeswohls und der Nichtdiskriminierung zu behandeln.
Welche rechtlichen Regelungen gelten bei Rückkehr eines Pflegekindes in die Herkunftsfamilie?
Die Rückkehr eines Pflegekindes in die Herkunftsfamilie (sogenannte Rückführung) wird rechtlich streng geprüft und ist nur unter Wahrung des Kindeswohls möglich. Maßgeblich ist der Hilfeplan gemäß § 36 SGB VIII sowie die Beurteilung der Erziehungsbedingungen bei den leiblichen Eltern. Liegen keine Gründe mehr vor, die einer Rückführung entgegenstehen, und ist das Wohl des Kindes dort gewahrt, kann das Jugendamt die Herausgabe verlangen. Pflegeeltern können Widerspruch einlegen und gerichtliche Klärung beantragen, das Familiengericht entscheidet dann abschließend unter strikter Beachtung des Kindeswohls nach §§ 1666, 1632 BGB.
Welche Mitwirkungs- und Anhörungsrechte haben Pflegeeltern gegenüber Behörden und Gerichten?
Pflegeeltern haben nach § 37 Abs. 2 SGB VIII ein gesetzlich festgelegtes Recht auf Beratung sowie auf Beteiligung im Hilfeplanverfahren. Sie sind vor allen wesentlichen Entscheidungen, die das Pflegeverhältnis oder das Kind selbst betreffen, anzuhören. Vor Gericht können sie als Verfahrensbeteiligte (§ 162 Abs. 2 FamFG) eigenständig Anträge stellen und sich zu den Belangen des Pflegekindes äußern. Ihre Rechte sind jedoch im Verhältnis zu denen der Sorgeberechtigten nachrangig und ihnen steht generell kein eigenes Sorgerecht zu. In bestimmten Konstellationen, etwa bei gravierenden Kindeswohlgefährdungen, kann ihnen das Familiengericht jedoch ein befristetes Recht zur Aufenthaltsbestimmung zusprechen.