Begriff und Rechtsgrundlagen der Pflegekasse
Die Pflegekasse ist eine rechtsfähige Körperschaft des öffentlichen Rechts und bildet die zentrale Verwaltungseinrichtung im deutschen System der sozialen Pflegeversicherung. Sie wurde mit Inkrafttreten des Elften Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB XI) am 1. Januar 1995 eingerichtet und hat die Aufgabe, die Ansprüche und Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung zu verwalten und durchzusetzen. Die Pflegekassen sind eng mit den gesetzlichen Krankenkassen verbunden und unterliegen einer spezifischen gesetzlichen Regulierung.
Rechtliche Einordnung
Die Pflegekassen sind gemäß § 46 Abs. 1 SGB XI organisatorisch und verwaltungsmäßig bei den gesetzlichen Krankenkassen angesiedelt, jedoch rechtlich eigenständig. Träger der Pflegekasse ist jeweils die gesetzliche Krankenkasse. Damit bildet die Pflegekasse eine unselbstständige, aber eigenverantwortlich handelnde Abteilung innerhalb der jeweiligen Krankenkasse. Die Pflegekassen unterliegen der Aufsicht durch die für die gesetzliche Krankenversicherung zuständigen Behörden auf Landes- und Bundesebene.
Gesetzliche Grundlagen
Die maßgeblichen rechtlichen Vorschriften zur Organisation, Aufgabenstellung und Finanzierung der Pflegekassen finden sich im Elften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI). Die wichtigsten Regelungen enthalten insbesondere:
- § 46 SGB XI (Errichtung und Organisation der Pflegekassen)
- §§ 47 ff. SGB XI (Aufgaben der Pflegekassen)
- §§ 61 ff. SGB XI (Leistungen der Pflegeversicherung)
- § 69 SGB XI (Verhältnis zur privaten Pflege-Pflichtversicherung)
Darüber hinaus gelten für die Geschäftsführung der Pflegekasse, das Antragsverfahren, die Leistungsgewährung, das Widerspruchsverfahren sowie für Datenschutz und Schweigepflicht die Vorschriften des SGB I und SGB X ergänzend.
Aufgaben und Zuständigkeiten der Pflegekasse
Zentrale Aufgabenbereiche
Die Pflegekasse ist für die Durchführung der Aufgaben der sozialen Pflegeversicherung verantwortlich. Zu ihren Kernaufgaben zählen insbesondere:
- Bearbeitung und Bewilligung von Anträgen auf Leistungen der Pflegeversicherung
- Feststellung und Begutachtung des Pflegegrades in Zusammenarbeit mit dem Medizinischen Dienst (MD)
- Auszahlung von Geld- und Sachleistungen nach §§ 36 ff. SGB XI
- Beratung von Leistungsberechtigten sowie deren Angehörigen zu Fragen der Pflege und Pflegeleistungen gemäß § 7a SGB XI
- Wahrnehmung von Präventionsaufgaben und Mitwirkung bei Maßnahmen zur Verbesserung der Pflegesituation
Erwerb der Mitgliedschaft
Mitglieder der sozialen Pflegeversicherung sind alle Personen, die auch in der gesetzlichen Krankenversicherung pflicht- oder freiwillig versichert sind, sowie deren mitversicherte Familienangehörige, sofern kein Beitritt zu einer privaten Pflege-Pflichtversicherung besteht (§§ 20, 21 SGB XI). Die Mitgliedschaft in der Pflegekasse ist somit unmittelbar an die Krankenversicherung gekoppelt.
Zuständigkeit
Für die Verwaltung und Bewilligung von Pflegeleistungen ist die Pflegekasse der jeweiligen Krankenkasse zuständig, bei der der Antragsteller krankenversichert ist. Private Krankenversicherte treten der privaten Pflegepflichtversicherung bei; für diese sind die Bestimmungen des SGB XI nur eingeschränkt anwendbar.
Leistungen der Pflegekasse
Die Pflegekasse erbringt Leistungen zur Unterstützung der Pflegebedürftigen nach Maßgabe der gesetzlichen Regelungen im SGB XI. Die Leistungen gliedern sich in verschiedene Leistungsarten:
Sachleistungen
Pflegebedürftige erhalten Pflegesachleistungen für die häusliche Pflege durch ambulante Dienste oder professionelle Pflegekräfte (§ 36 SGB XI).
Geldleistungen
Alternativ kann ein Pflegegeld für selbst beschaffte Pflegehilfen (z. B. durch Angehörige) gewährt werden (§ 37 SGB XI).
Kombinationsleistungen
Kombiniert werden können Sach- und Geldleistungen nach Wahl der Versicherten (§ 38 SGB XI).
Leistungen bei Pflegegrad 1 bis 5
Der Leistungsumfang richtet sich nach dem durch den MD festgestellten Pflegegrad (§§ 14, 15 SGB XI), von Unterstützung bei der Alltagsbewältigung bis hin zur umfangreichen vollstationären Pflege.
Weitere Leistungen
Zu den weiteren gesetzlichen Leistungen der Pflegekassen gehören:
- Leistungen für Kurzzeitpflege (§ 42 SGB XI)
- Leistungen für Verhinderungspflege (§ 39 SGB XI)
- Pflegehilfsmittel und wohnumfeldverbessernde Maßnahmen (§§ 40, 40a SGB XI)
- Zusätzliche Betreuungs- und Entlastungsleistungen (§ 45b SGB XI)
- Pflegeberatung für Angehörige und Pflegebedürftige (§ 7a SGB XI)
- Soziale Absicherung der Pflegepersonen sowie Leistungen zur Prävention und Rehabilitation
Finanzierung und Beiträge
Die Finanzierung der Pflegekassen erfolgt primär durch Beiträge der Versicherten und der Arbeitgeber. Bei Kindern und Jugendlichen tragen allein die Arbeitgeber die Beiträge. Der Beitragssatz wird gemäß § 55 SGB XI gesetzlich festgelegt und kann durch den Gesetzgeber angepasst werden. Die Beiträge zur Pflegeversicherung werden auf die beitragspflichtigen Einnahmen der Versicherten bis zur Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Krankenversicherung erhoben.
Bei beitragsfreier Familienversicherung übernimmt die Pflegekasse der gesetzlichen Krankenversicherung die Beiträge entsprechend der gesetzlichen Vorgaben.
Umlagefinanzierung und Solidarsystem
Die Pflegekasse operiert nach dem Umlageverfahren: Die laufenden Beiträge der Versicherten werden zur Finanzierung der aktuell anfallenden Leistungsansprüche in der Pflegeversicherung verwendet. Die Pflegeversicherung ist als Teilleistungssystem ausgestaltet, d. h. in der Regel werden nicht sämtliche Pflegekosten abgedeckt, sondern nur ein Zuschuss gewährt.
Verwaltung, Organisation und Aufsicht
Pflegekassen sind organisatorisch als unselbstständige, aber rechtlich eigenverantwortliche Einrichtungen bei den gesetzlichen Krankenkassen eingerichtet (§ 46 SGB XI). Sie verfügen über einen eigenen Vorstand, der über die Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der Geschäftsführung wacht. Die Pflegekassen unterliegen der staatlichen Aufsicht, insbesondere durch das Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS) und die entsprechenden Landesbehörden.
Rechtsweg und Widerspruchsverfahren
Gegen Bescheide der Pflegekasse steht den Betroffenen der Widerspruchsweg und im Falle der Zurückweisung des Widerspruchs der Klageweg vor den Sozialgerichten offen. Das Verfahren richtet sich nach dem Sozialverwaltungsverfahren und Sozialgerichtsgesetz.
Verhältnis zu weiteren Leistungsträgern
Die Pflegekassen arbeiten im Rahmen ihrer Aufgabe eng mit den übrigen Sozialleistungsträgern zusammen, insbesondere mit den Trägern der gesetzlichen Krankenversicherung, Rentenversicherung und Unfallversicherung. Die enge Verzahnung mit dem MD stellt die korrekte Feststellung der Pflegebedürftigkeit sicher.
Im Fall von Leistungsübergängen, beispielsweise bei parallelen Ansprüchen gegen die Krankenversicherung, sind die Vorschriften des § 13 SGB XI einschlägig (Grundsatz der Vorrangigkeit und Nachrangigkeit der Leistungspflicht). Die Details regelt der Gesetzgeber durch umfangreiche Vorschriften zu Leistungskoordination und -abgrenzung.
Reformen und aktuelle Entwicklungen
Aufgrund des demografischen Wandels und der steigenden Bedeutung der Pflegeversicherung wurden die Aufgaben und Organisationsstrukturen der Pflegekassen durch zahlreiche Reformgesetze (z. B. Pflegestärkungsgesetze I-III, Digitale Pflegeanwendungen) und Richtlinien weiterentwickelt. Schwerpunkte liegen auf einer verbesserten Pflegeratsberatung, Digitalisierung der Antragsbearbeitung, Stärkung der Prävention sowie effizienten Leistungssteuerung.
Zusammenfassung
Die Pflegekasse ist eine zentrale Einrichtung der sozialen Pflegeversicherung in Deutschland, deren rechtlicher Rahmen detailliert im SGB XI geregelt ist. Sie ist für die Verwaltung und die sachgerechte Durchführung der Pflegeversicherungsleistungen zuständig. Innerhalb einer gesetzlichen Krankenkasse bildet sie eine eigenständige, jedoch unselbstständige Organisationseinheit mit umfangreichen gesetzlichen Aufgaben im Bereich der sozialen Sicherung. Die Pflegekassen sind ein wesentlicher Baustein im System der sozialen Sicherung und tragen maßgeblich zur Versorgung von Pflegebedürftigen und deren Angehörigen in Deutschland bei.
Häufig gestellte Fragen
Wer hat laut Sozialgesetzbuch Anspruch auf Leistungen der Pflegekasse?
Anspruch auf Leistungen der Pflegekasse haben gemäß § 33 SGB XI grundsätzlich alle Personen, die in der sozialen Pflegeversicherung pflichtversichert oder freiwillig versichert sind. Voraussetzung ist, dass die versicherte Person mindestens sechs Monate innerhalb der letzten zehn Jahre vor Antragstellung in der Pflegeversicherung versichert war (Vorversicherungszeit). Ein Anspruch entsteht dann, wenn eine Pflegebedürftigkeit nach den gesetzlich festgelegten Pflegegraden 1 bis 5 (§§ 14, 15 SGB XI) vorliegt; diese muss auf Dauer, voraussichtlich also für mindestens sechs Monate bestehen, und wird durch den Medizinischen Dienst (bei gesetzlich Versicherten) oder durch andere Gutachterinstitutionen feststellt. Leistungsansprüche gelten auch für Kinder, sofern sie die Voraussetzungen erfüllen und entsprechend bei der Pflegekasse gemeldet sind. Anspruchsberechtigt sind ebenfalls bestimmte Personengruppen, etwa Menschen mit Behinderungen oder Demenzerkrankungen, wenn sie die Voraussetzungen erfüllen.
Wie läuft das Begutachtungsverfahren durch den Medizinischen Dienst rechtlich ab?
Das Begutachtungsverfahren basiert rechtlich auf den §§ 18 und 18a SGB XI. Nach Antragstellung durch die versicherte Person bestellt die Pflegekasse den Medizinischen Dienst (MD) oder einen unabhängigen Gutachter, um die Pflegebedürftigkeit festzustellen. Die Begutachtung findet in der Regel im häuslichen Umfeld der antragstellenden Person statt, kann aber auch stationär erfolgen. Der Gutachter orientiert sich an sechs gesetzlich vorgegebenen Modulen (Selbstversorgung, Mobilität, kognitive Fähigkeiten etc.). Die Ergebnisse werden ausführlich dokumentiert und der Pflegekasse zeitnah übermittelt. Das Ergebnis ist für die Pflegekasse bindend; sie erlässt dann einen Bescheid mit Feststellung des Pflegegrades. Die Gutachten stehen der versicherten Person zur Einsichtnahme zu. Bei Unstimmigkeiten besteht die Möglichkeit, Widerspruch gegen den Bescheid einzulegen.
Welche rechtlichen Pflichten treffen die Pflegekasse im Zusammenhang mit der Antragsbearbeitung?
Die Pflegekassen sind gemäß § 17 SGB I (Sozialgesetzbuch Allgemeiner Teil) und § 18 SGB XI verpflichtet, Anträge auf Pflegeleistungen unverzüglich zu bearbeiten. Sie müssen innerhalb von 25 Arbeitstagen nach Antragseingang über den Leistungsantrag entscheiden (§ 18 Abs. 3a SGB XI). Verzögert sich die Begutachtung oder Bescheidung schuldhaft, hat der Versicherte unter bestimmten Bedingungen Anspruch auf eine pauschale Entschädigung in Höhe von 70 Euro pro Woche über die gesetzliche Frist hinaus. Zudem sind die Pflegekassen gesetzlich verpflichtet, die Versicherten umfassend zu beraten, über Möglichkeiten und Anspruchsvoraussetzungen aufzuklären und sie bei der Antragstellung zu unterstützen (§ 7 SGB XI, § 14 SGB XI).
Welche rechtlichen Möglichkeiten bestehen bei Ablehnung eines Antrags durch die Pflegekasse?
Bei Ablehnung eines Antrags auf Leistungen der Pflegekasse, die stets mit einer schriftlichen Begründung und einer Rechtsbehelfsbelehrung zu versehen ist (gemäß §§ 33, 35 SGB X), steht dem Versicherten der Rechtsweg offen. Innerhalb eines Monats nach Zugang des ablehnenden Bescheids kann schriftlich Widerspruch bei der Pflegekasse eingelegt werden (§ 84 SGG). Die Kasse ist verpflichtet, den Widerspruch umfassend zu prüfen. Bleibt sie bei ihrer Entscheidung, ergeht ein schriftlicher Widerspruchsbescheid. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb eines Monats Klage beim zuständigen Sozialgericht eingereicht werden (§ 87 SGG). Während des Verfahrens haben Betroffene Anspruch auf Beratungshilfe und, falls erforderlich, auch auf Prozesskostenhilfe.
Wie erfolgt die rechtliche Zuordnung der Leistungsarten und deren Auszahlung?
Die Pflegekasse unterscheidet nach den Vorgaben des SGB XI mehrere Arten von Leistungen: Pflegegeld, Pflegesachleistung, Kombinationsleistung, Leistungen zur Kurzzeitpflege, Verhinderungspflege und weitere (§§ 36-45d SGB XI). Die Zuordnung richtet sich nach dem Bedarf der versicherten Person sowie deren Antragstellung. Die Auszahlung erfolgt bei Pflegegeld monatlich im Voraus an die Anspruchsberechtigten. Sachleistungen hingegen werden durch die Pflegekasse direkt mit anerkannten Pflegediensten abgerechnet. Bei Kombinationsleistungen wird das Pflegegeld anteilig gezahlt, abhängig vom Umfang der in Anspruch genommenen Sachleistungen. Die Pflegekassen sind verpflichtet, alle Leistungen transparent und nachvollziehbar abzurechnen und dem Versicherten auf Antrag Auskunft über die erbrachten und abgerechneten Leistungen zu erteilen.
Welche Mitwirkungspflichten haben Versicherte gegenüber der Pflegekasse?
Versicherte sind nach §§ 60-65 SGB I verpflichtet, bei der Feststellung der Pflegebedürftigkeit und bei der Leistungsgewährung aktiv mitzuwirken. Dazu gehört insbesondere die vollständige und wahrheitsgemäße Angabe der erforderlichen Informationen im Antrag, das Ermöglichen von Begutachtungen sowie die rechtzeitige Information der Pflegekasse über Änderungen der Verhältnisse (z. B. Besserung des Gesundheitszustands, Heimaufnahme oder Tod). Kommen die Versicherten ihrer Mitwirkungspflicht nicht nach, kann die Pflegekasse die Leistung ganz oder teilweise entziehen oder versagen (§ 66 SGB I). Die Pflegekasse muss allerdings zuvor auf die Folgen mangelnder Mitwirkung hinweisen und eine angemessene Frist setzen.
Was regelt das Widerspruchsverfahren in der Pflegeversicherung?
Das Widerspruchsverfahren in der Pflegeversicherung richtet sich nach den §§ 83 ff. SGG sowie nach den allgemeinen Verwaltungsverfahrensregeln der §§ 68-74 VwGO (Verwaltungsgerichtsordnung). Nach Zugang eines Verwaltungsakts der Pflegekasse (z. B. Bewilligungs- oder Ablehnungsbescheid) können Betroffene form- und fristgerecht Widerspruch einlegen. Die Kasse prüft dann alle Angaben erneut und bezieht ggf. weitere Gutachten ein. Während des Widerspruchsverfahrens bleibt die Auszahlung bereits bewilligter Leistungen davon unberührt, sofern der Widerspruch keine aufschiebende Wirkung hat. Das Verfahren soll eine rechtsstaatliche Überprüfung und Korrektur von Fehlentscheidungen innerhalb der Verwaltung sicherstellen, bevor der Weg zu den Sozialgerichten offensteht.