Legal Lexikon

Wiki»Legal Lexikon»Gesundheitsrecht»Pflegebedürftige

Pflegebedürftige


Begriff und rechtlicher Rahmen von Pflegebedürftigen

Der Begriff „Pflegebedürftige“ besitzt im deutschen Sozialrecht eine zentrale Bedeutung und findet seine rechtliche Ausgestaltung insbesondere im Elften Buch des Sozialgesetzbuches (SGB XI) – der sozialen Pflegeversicherung. Pflegebedürftige gelten als Personen, die aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen dauerhaft einen erheblichen Bedarf an Pflege und Unterstützung in ihrem Alltag haben. Die Feststellung der Pflegebedürftigkeit ist maßgebliche Voraussetzung für Leistungen aus der gesetzlichen oder privaten Pflegeversicherung.


Rechtliche Definition gemäß SGB XI

Abgrenzung und gesetzliche Grundlage

Nach § 14 SGB XI liegt Pflegebedürftigkeit vor, wenn Personen gesundheitlich bedingte Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten aufweisen, weshalb sie Hilfe durch andere benötigen. Die Beeinträchtigungen müssen auf Dauer, voraussichtlich jedoch für mindestens sechs Monate bestehen. Damit grenzt das Gesetz kurzfristige Beeinträchtigungen klar aus dem Leistungsbereich der Pflegeversicherung aus.

Die Prüfung und Einstufung der Pflegebedürftigkeit erfolgt auf Basis des Begutachtungsinstruments nach § 15 SGB XI, das die individuellen Fähigkeiten und den Unterstützungsbedarf in sechs relevanten Lebensbereichen (Modulen) bewertet.

Feststellungsverfahren

Das Feststellungsverfahren beginnt mit der Antragstellung bei der zuständigen Pflegekasse. Nach Eingang des Antrags beauftragt die Pflegekasse den Medizinischen Dienst (bei gesetzlich Versicherten) oder andere Gutachterstellen (bei privat Versicherten), um ein Gutachten zur Feststellung des Pflegegrades zu erstellen. Das Gutachten bildet die Grundlage für die Zuerkennung des Pflegegrades und damit für den Leistungsanspruch.


Pflegegrade als Einstufungskriterien

Überblick und Systematik

Mit dem Pflegestärkungsgesetz II wurde ab dem 1. Januar 2017 das bisherige System der Pflegestufen durch das Pflegegradsystem ersetzt. Pflegebedürftige werden gemäß Grad der Beeinträchtigung in einen von fünf Pflegegraden eingestuft (§§ 15-17 SGB XI):

  • Pflegegrad 1: Geringe Beeinträchtigung der Selbstständigkeit
  • Pflegegrad 2: Erhebliche Beeinträchtigung der Selbstständigkeit
  • Pflegegrad 3: Schwere Beeinträchtigung der Selbstständigkeit
  • Pflegegrad 4: Schwerste Beeinträchtigung der Selbstständigkeit
  • Pflegegrad 5: Schwerste Beeinträchtigung der Selbstständigkeit mit besonderen Anforderungen an die pflegerische Versorgung

Die Einstufung richtet sich nach einem gewichteten Punktesystem, das die Bereiche Mobilität, kognitive und kommunikative Fähigkeiten, Verhaltensweisen und psychische Problemlagen, Selbstversorgung, Bewältigung von und selbstständiger Umgang mit krankheits- und therapiebedingten Anforderungen sowie Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte umfasst.

Sonderfall: Pflegebedürftige Kinder

Für Kinder und Jugendliche werden die oben genannten Module grundsätzlich auch herangezogen. Spezielle Regelungen berücksichtigen altersbedingte Entwicklungsunterschiede, sodass der individuelle Pflegebedarf altersgerecht ermittelt wird.


Leistungsansprüche von Pflegebedürftigen

Leistungen nach SGB XI

Pflegebedürftige haben Anspruch auf verschiedene Leistungen der sozialen oder privaten Pflegeversicherung. Der Umfang richtet sich nach dem festgestellten Pflegegrad. Zu den wichtigsten Leistungen zählen:

  • Pflegegeld: Monatliche Geldleistung für pflegebedürftige Personen, die zu Hause informell, zumeist von Angehörigen, gepflegt werden (§ 37 SGB XI).
  • Pflegesachleistungen: Professionelle ambulante Pflegedienste, die häusliche Versorgung übernehmen (§ 36 SGB XI).
  • Kombinationsleistungen: Kombination von Pflegegeld und Pflegesachleistung.
  • Stationäre Pflegeleistungen: Kostenübernahme für die Pflege in vollstationären Einrichtungen (§ 43 SGB XI).
  • Teilstationäre Pflege und Kurzzeitpflege: Entlastungsangebote, z. B. Tages- und Nachtpflege (§ 41 SGB XI), Kurzzeitpflege (§ 42 SGB XI).
  • Entlastungsbetrag: Zusätzliche monatliche Unterstützung für alltagsunterstützende Maßnahmen (§ 45b SGB XI).

Weitere Ansprüche

Darüber hinaus bestehen ergänzende Ansprüche, wie Pflegehilfsmittel, Zuschüsse für Maßnahmen zur Verbesserung des individuellen Wohnumfelds (§ 40 SGB XI) sowie Beratungs- und Unterstützungsangebote.


Rechte und Pflichten Pflegebedürftiger

Mitwirkungspflichten

Pflegebedürftige und ihre Angehörigen müssen zur Feststellung des Pflegegrades erforderliche Angaben wahrheitsgemäß machen und bei der Begutachtung mitwirken. Änderungen im Zustand oder im Pflegebedarf sind der Pflegekasse unverzüglich mitzuteilen.

Wahl- und Steuerungsrechte

Pflegebedürftige besitzen ein umfassendes Wahlrecht hinsichtlich Art, Form und Umfang der in Anspruch genommenen Leistungen. Sie haben Anspruch auf individuelle Beratung und können Leistungsanbieter frei wählen.


Pflegebedürftige im internationalen Recht

Im internationalen Vergleich sind ähnliche sozialrechtliche Konstruktionen und Definitionen in den Sozialsystemen vieler Staaten zu finden. Jedoch unterscheiden sich die konkreten Zugangs- und Leistungsbedingungen teils erheblich von den deutschen Regelungen.


Sozialdatenschutz und Persönlichkeitsrechte

Die Feststellung und Versorgung Pflegebedürftiger unterliegt strengen datenschutzrechtlichen Vorgaben. Gesundheitsdaten und andere personenbezogene Informationen werden vertraulich behandelt und dürfen nur an befugte Stellen weitergegeben werden. Der Schutz der Individualrechte und die Sicherstellung der selbstbestimmten Lebensführung Pflegebedürftiger sind zentrale Leitgedanken des deutschen Sozialrechts.


Literatur und rechtliche Entwicklung

Die rechtliche Behandlung Pflegebedürftiger ist stetigen Veränderungen unterworfen. Insbesondere die Reformen durch die Pflegestärkungsgesetze in den vergangenen Jahren haben die Voraussetzungen, Leistungsansprüche und das Verständnis von Pflegebedürftigkeit umfassend verändert.


Zusammenfassung

Pflegebedürftige sind im deutschen Sozialrecht klar definiert und geschützt. Ihre Ansprüche und Rechte sind detailliert gesetzlich geregelt – insbesondere im SGB XI. Die Einstufung in verschiedene Pflegegrade, die damit verbundenen Leistungsansprüche und die umfassenden Steuerungs- und Mitwirkungsrechte der Betroffenen stehen im Zentrum der gesetzlichen Regelungen. Ziel ist eine bedarfsgerechte, selbstbestimmte und würdige pflegerische Versorgung.

Häufig gestellte Fragen

Welche Voraussetzungen müssen für die Anerkennung der Pflegebedürftigkeit nach dem SGB XI erfüllt sein?

Um Pflegeleistungen aus der sozialen Pflegeversicherung nach dem Elften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) beanspruchen zu können, müssen bestimmte rechtliche Voraussetzungen vorliegen. Zunächst muss eine Pflegebedürftigkeit gemäß § 14 SGB XI vorliegen, wonach eine Person gesundheitlich bedingte Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten aufweist und deshalb regelmäßig, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, in erheblichem Maße der Hilfe bedarf. Die Bedürftigkeit wird in einem sogenannten Begutachtungsverfahren durch den Medizinischen Dienst (bei gesetzlich Versicherten) oder MEDICPROOF (bei privat Versicherten) festgestellt. Hierbei werden sechs Module geprüft, die unter anderem Mobilität, kognitive und kommunikative Fähigkeiten, Verhaltensweisen und psychische Problemlagen, Selbstversorgung sowie die Bewältigung von und der eigenständige Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen umfassen. Die daraus resultierende Punktzahl entscheidet über die Einstufung in einen der fünf Pflegegrade, die das Ausmaß der Pflegebedürftigkeit widerspiegeln. Neben der medizinischen Voraussetzung ist auch ein Antrag auf Leistungen bei der jeweiligen Pflegekasse erforderlich; ohne Antrag erfolgt keine Leistungsgewährung.

Wie erfolgt die Einstufung in einen Pflegegrad und welche rechtlichen Regeln gelten dabei?

Die Einstufung in einen Pflegegrad erfolgt auf Antrag des Pflegebedürftigen oder seines gesetzlichen Vertreters. Nach Eingang des Antrags bei der zuständigen Pflegekasse wird ein Gutachten in Auftrag gegeben. Grundlage hierfür ist das bundesweit einheitliche Begutachtungsinstrument (NBA – Neues Begutachtungsassessment). Die Begutachtung verfolgt objektive und rechtlich vorgegebene Kriterien, wobei sechs Lebensbereiche modular bewertet werden. Der gesamte Prozess ist in den §§ 15 ff. SGB XI detailliert geregelt. Die Einstufung erfolgt nach einem Punktesystem, das von 0 bis 100 reicht. Wird eine Mindestpunktzahl erreicht, erfolgt die Einteilung in Pflegegrad 1 bis 5. Gegen die Entscheidung der Pflegekasse kann innerhalb von vier Wochen Widerspruch eingelegt werden, falls der Antragsteller mit der Einstufung oder Ablehnung nicht einverstanden ist. Die Pflegekassen sind gesetzlich verpflichtet, den Bescheid inklusive der Rechtsgrundlagen zuzustellen und eine umfassende Begründung beizufügen.

Welche Ansprüche auf Pflegeleistungen bestehen nach Feststellung der Pflegebedürftigkeit?

Nach Feststellung der Pflegebedürftigkeit stehen nach dem SGB XI verschiedene Ansprüche auf Pflegeleistungen zu. Anspruchsberechtig sind gemäß § 33 SGB XI sowohl Geld- (Pflegegeld) als auch Sachleistungen (Pflegesachleistungen), die abhängig vom Pflegegrad unterschiedlich ausfallen. Hinzu kommen zusätzliche Leistungen wie Pflegehilfsmittel, Maßnahmen zur Verbesserung des Wohnumfeldes, Verhinderungspflege, Kurzzeitpflege, Leistungen zur sozialen Sicherung der Pflegeperson sowie Entlastungsbeträge gemäß § 45b SGB XI. Daneben können Pflegebedürftige, soweit ambulante Pflege nicht ausreicht, Leistungen für teilstationäre oder vollstationäre Pflege beanspruchen. Die genaue Anspruchshöhe und der Leistungsumfang ergeben sich aus dem festgestellten Pflegegrad und sind im Gesetz präzise festgelegt. Jede Ablehnung oder Kürzung von Leistungen bedarf eines schriftlichen Bescheids mit Rechtsmittelbelehrung.

Welche Rechte haben Pflegebedürftige im Verfahren vor den Pflegekassen?

Pflegebedürftige und ihre gesetzlichen Vertreter haben im Verwaltungsverfahren vor den Pflegekassen umfangreiche Rechte. Zunächst besteht das Recht auf Antragstellung sowie das Recht auf rechtliches Gehör. Die Pflegekasse ist verpflichtet, über den Antrag zügig (in der Regel innerhalb von 25 Arbeitstagen) zu entscheiden und einen schriftlichen, mit Rechtsbehelfsbelehrung versehenen Bescheid auszustellen. Alle für die Entscheidung relevanten Unterlagen und Gutachten müssen dem Versicherten oder seinem Vertreter auf Wunsch zugänglich gemacht werden. Im Falle einer Ablehnung oder unzureichenden Einstufung kann innerhalb der im Bescheid genannten Frist Widerspruch eingelegt werden; im Falle des Widerspruchsverfahrens muss die Kasse die Entscheidung nochmals unter nochmaliger Einbeziehung aller relevanten Informationen prüfen. Darüber hinaus besteht das Recht auf Akteneinsicht (§ 25 SGB X).

Wie können sich Pflegebedürftige gegen eine aus ihrer Sicht falsche Pflegegrad-Einstufung wehren?

Pflegebedürftige können gegen eine aus ihrer Sicht falsche Einstufung zunächst Widerspruch einlegen. Der Widerspruch ist schriftlich oder zur Niederschrift bei der Pflegekasse einzulegen, und zwar innerhalb eines Monats nach Zugang des Bescheids. Es empfiehlt sich, konkrete Einwände zu formulieren und gegebenenfalls ergänzende ärztliche oder pflegerische Unterlagen beizufügen. Nach Eingang des Widerspruchs muss die Pflegekasse das Verfahren erneut prüfen, in der Regel erfolgt dann eine erneute Begutachtung durch einen anderen Gutachter des Medizinischen Dienstes. Sollte die Pflegekasse auch nach dem Widerspruch bei ihrer Entscheidung bleiben, kann beim zuständigen Sozialgericht Klage erhoben werden, für die kein Anwaltszwang besteht und die Gerichtskostenfreiheit besteht. Die Klage ist binnen eines Monats nach Zugang des Widerspruchsbescheids zu erheben.

Wer entscheidet über die Zuerkennung oder Ablehnung eines Pflegegrades und welche Rolle spielt der Medizinische Dienst?

Die Entscheidung trifft grundsätzlich die Pflegekasse auf Grundlage der sozialrechtlichen Bestimmungen. Für die fachliche Beurteilung des Pflegegrades wird ein Gutachten durch den Medizinischen Dienst (bei GKV-Versicherten) oder von MEDICPROOF (bei PKV-Versicherten) eingeholt. Der Gutachter des Medizinischen Dienstes besucht den Antragsteller in der Regel zu Hause und führt eine persönliche Begutachtung durch. Das schriftliche Gutachten enthält eine detaillierte Bewertung und eine Empfehlung für die Einstufung. Die Pflegekasse ist in der Regel an diese Empfehlung gebunden, es besteht aber ein Restermessen. Die Pflegekasse erlässt auf Basis des Gutachtens und der gesetzlichen Vorgaben den Einstufungsbescheid. Sollte die Einschätzung des Medizinischen Dienstes vom Antragsteller bestritten werden, stehen die genannten Rechtsmittel offen.

Welche rechtlichen Rahmenbedingungen gelten für ausländische Pflegekräfte in Haushalten Pflegebedürftiger?

Immer mehr Haushalte in Deutschland beschäftigen ausländische Pflegekräfte, meist aus osteuropäischen EU-Staaten. Rechtlich maßgeblich sind hier die Bestimmungen des Arbeitnehmerentsendegesetzes, EU-Richtlinien zur Arbeitnehmerfreizügigkeit sowie das Mindestlohngesetz. Beschäftigungen im Rahmen des sogenannten „24-Stunden-Pflegemodells“ müssen so organisiert werden, dass sowohl Arbeitszeitgesetz (ArbZG) als auch Mindestlohnregelungen eingehalten werden. Die Beschäftigung kann entweder als Direktanstellung oder über eine Entsendung durch ein ausländisches Unternehmen erfolgen. Rechtlich problematisch sind sogenannte Scheinselbständigkeit und Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz. Im Streitfall sind sowohl die deutschen Arbeitsgerichte als auch Zollbehörden für die Prüfung von Missständen zuständig. Zudem sind Pflegebedürftige beziehungsweise deren Angehörige verpflichtet, die Melde- und Abgabepflichten im Rahmen des Sozialversicherungsrechts zu beachten.