Begriffsbestimmung und rechtliche Einordnung der Passivlegitimation
Die Passivlegitimation ist ein zentraler Begriff im deutschen Zivilprozessrecht und bezeichnet die rechtliche Anspruchsgegnerstellung einer Person oder eines Rechtssubjekts. Sie gibt Auskunft darüber, ob jemand im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens zu Recht als Beklagter in Anspruch genommen werden kann, weil er nach materiellem Recht der richtige Adressat des geltend gemachten Anspruchs ist. Die Passivlegitimation ist eng mit der Aktivlegitimation, also der Befugnis zur Geltendmachung eines Anspruchs, verbunden.
Abgrenzung der Passivlegitimation
Die Passivlegitimation unterscheidet sich von der Aktivlegitimation, die dem Kläger die Befugnis gibt, einen Anspruch gerichtlich durchzusetzen. Fehlt es an der Passivlegitimation, ist die Klage gegen den falschen Anspruchsgegner gerichtet und führt in der Regel zur Klageabweisung als unbegründet. Dagegen stellt die fehlende Aktivlegitimation die Klagebefugnis auf Klägerseite infrage.
Dogmatische Grundlagen der Passivlegitimation
Materiell-rechtliche und prozessuale Bedeutung
Die Passivlegitimation beruht im Wesentlichen auf materiell-rechtlichen Grundlagen, da sie davon abhängt, wer nach den maßgeblichen gesetzlichen Vorschriften Anspruchsverpflichteter ist. Dennoch kommt ihr im Prozessrecht wesentliche Bedeutung zu, da sie eine Prozessvoraussetzung für eine erfolgreiche Klage darstellt. Erst wenn der richtige Anspruchsgegner beklagt wird, kann über den Bestand des Anspruchs entschieden werden.
Prüfung der Passivlegitimation
Die Prüfung der Passivlegitimation erfolgt in zwei Stufen:
- Formelle Passivlegitimation: Es ist zu fragen, ob die beklagte Partei tatsächlich die im Klageantrag bezeichnete Person ist. Fehler in der Parteibezeichnung können ggf. durch die §§ 133, 157 BGB sowie durch eine Parteiberichtigung korrigiert werden.
- Materielle Passivlegitimation: Es muss beurteilt werden, ob die beklagte Partei nach materiellem Recht Anspruchsgegner ist. Dies betrifft in erster Linie die inhaltliche Anspruchslage und ist regelmäßig im Rahmen der Begründetheit der Klage zu prüfen.
Passivlegitimation bei unterschiedlichen Anspruchsgrundlagen
Passivlegitimation im Schuldrecht
Im Schuldrecht ist passivlegitimiert derjenige, der als Schuldner für die Erfüllung einer Forderung haftet. Beispielsweise haftet bei einem Kaufvertrag der Verkäufer für die Lieferung der Kaufsache, sodass bei Klage auf Nacherfüllung der Verkäufer passivlegitimiert ist.
Passivlegitimation im Deliktsrecht
Im Deliktsrecht ist derjenige passivlegitimiert, der die unerlaubte Handlung begangen hat und dem das Fehlverhalten rechtlich zugerechnet wird. Bei mehreren Tatbeteiligten (z. B. Mittäter, Teilnehmer) können grundsätzlich alle Beteiligten passivlegitimiert sein, sofern die Haftungsvoraussetzungen vorliegen.
Passivlegitimation im Familien- und Erbrecht
Im Familienrecht betrifft die Passivlegitimation beispielsweise Verfahren über Unterhaltsansprüche, bei denen der Unterhaltspflichtige passivlegitimiert ist. Im Erbrecht ist der Erbe passivlegitimiert, sofern gegen den Nachlass Ansprüche geltend gemacht werden.
Passivlegitimation im Gesellschaftsrecht
Im Gesellschaftsrecht kann sowohl die Gesellschaft selbst als auch, unter bestimmten Voraussetzungen, einzelne Gesellschafter passivlegitimiert sein, etwa bei Ansprüchen gegen eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) oder deren Gesellschafter.
Fehler bei der Passivlegitimation und ihre prozessualen Konsequenzen
Klage gegen den falschen Beklagten
Wird die Klage gegen einen nicht passivlegitimierten Beklagten erhoben, führt dies grundsätzlich zur Abweisung der Klage als unbegründet. Das Gericht prüft die Passivlegitimation bei der Beurteilung der Anspruchsgrundlage. Ein Wechsel des Beklagten ist grundsätzlich nicht möglich, es sei denn, es liegt nur ein Fehler in der Parteibezeichnung vor.
Parteiänderung und Parteiwechsel
Fehlt die Passivlegitimation, kann unter bestimmten Voraussetzungen ein Parteiwechsel gemäß § 263 ZPO durchgeführt werden. Voraussetzung ist, dass eine Einwilligung der Gegenseite oder eine Genehmigung des Gerichts vorliegt.
Bindung an die Passivlegitimation im Prozess
Die Passivlegitimation ist ein Teil der materiellen Begründetheit der Klage. Sie ist nicht als Prozessvoraussetzung zu behandeln, sondern betrifft die inhaltliche Anspruchslage. Daher führt die Feststellung fehlender Passivlegitimation nicht zur Klageabweisung als unzulässig, sondern als unbegründet.
Passivlegitimation bei besonderen Verfahrensarten
Passivlegitimation im Mahnverfahren
Auch im Mahnverfahren ist ausschließlich der richtige Anspruchsgegner, also der passivlegitimierte Schuldner, zu bezeichnen. Wird der Mahnbescheid gegen eine falsche Person beantragt und erlassen, kann dies die spätere Vollstreckung verhindern.
Passivlegitimation bei Sammelklagen und Verbandsklagen
In Verfahren mit mehreren Anspruchsgegnern, wie etwa bei Verbandsklagen, ist zu prüfen, ob die in Anspruch genommene Partei tatsächlich passivlegitimiert ist. Insbesondere bei der Geltendmachung von Verbraucher- oder Umweltansprüchen kann die Passivlegitimation auf Unternehmen oder Behörden entfallen.
Passivlegitimation in der Praxis
Die richtige Bestimmung der passivlegitimierten Partei ist in der Praxis von erheblicher Bedeutung, insbesondere in den Fällen der Beteiligung mehrerer möglicher Anspruchsgegner (z. B. bei Gesellschaften, Firmenkonstruktionen, Mitverursachern oder bei Rechtsnachfolge). Fehler in der Passivlegitimation können zu erheblichen prozessualen Verzögerungen, Kosten und Nachteilen führen.
Übersicht über die wichtigsten Aspekte der Passivlegitimation
| Rechtsbereich | Typischer Passivlegitimierter |
|———————-|——————————————————-|
| Schuldrecht | Schuldner, Vertragspartner |
| Deliktsrecht | Verursacher der unerlaubten Handlung |
| Familienrecht | Unterhaltspflichtiger |
| Erbrecht | Erbe oder Gesamthandsgemeinschaft |
| Gesellschaftsrecht | Gesellschaft, einzelne Gesellschafter ggf. persönlich |
| Öffentliches Recht | Behörde, Träger der Verwaltung |
Literaturhinweise und Weblinks
- Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), aktuelle Auflage, Einleitung und Kommentierung zu Anspruchsgrundlagen
- Zöller, Zivilprozessordnung (ZPO), aktuelle Auflage, § 263 ZPO und Einleitung
- Müller, Die Passivlegitimation im Zivilprozess, NJW 2018, S. 1456 ff.
- BGH, Urteil vom 29. Januar 2004 – III ZR 209/03
Die Passivlegitimation ist eine essentielle Voraussetzung jeder zivilrechtlichen Anspruchsdurchsetzung. Eine genaue Prüfung der Anspruchsgegnerstellung gewährleistet, dass nur der tatsächlich Verpflichtete in Anspruch genommen wird und vereinfacht die effiziente Durchsetzung privater Rechte.
Häufig gestellte Fragen
Wer trägt die Passivlegitimation in einem Zivilprozess und wie wird sie ermittelt?
Die Passivlegitimation im Zivilprozess obliegt der Person oder Partei, gegen die sich der geltend gemachte Anspruch richtet. Es handelt sich dabei um diejenige, die nach dem Vorbringen des Klägers Verpflichteter des streitgegenständlichen Rechtsverhältnisses ist. Die Ermittlung der Passivlegitimation erfolgt primär anhand des materiellen Rechts. Maßgeblich ist, ob nach dem zugrunde liegenden Anspruch (§ 194 BGB ff., § 812 BGB ff., Deliktsrecht usw.) die in Anspruch genommene Person tatsächlich die Verpflichtete ist. Die gerichtliche Prüfung der Passivlegitimation vollzieht sich regelmäßig nach dem Beibringungsgrundsatz: Gericht und Parteien prüfen, ob die Beklagte Partei der richtige Gegner des geltend gemachten Anspruchs ist. Fehlt die Passivlegitimation, ist die Klage gegen den falschen Beklagten gerichtet und daher als unbegründet abzuweisen, wobei das Verfahren materiell-rechtliche und prozessuale Aspekte der Anspruchsberechtigung mit einbezieht.
Kann das Fehlen der Passivlegitimation zum Prozessverlust führen?
Ja, wenn die Passivlegitimation fehlt, führt das in aller Regel zum vollständigen Prozessverlust für den Kläger. Das Gericht prüft im Rahmen der Anspruchsprüfung zunächst, ob der Gegner der richtige Anspruchsgegner ist. Ist dies nicht der Fall, etwa weil der geltend gemachte Anspruch tatsächlich gegen eine andere juristische oder natürliche Person besteht, wird die Klage unbegründet abgewiesen. Das Fehlen der Passivlegitimation betrifft also nicht die Zulässigkeit der Klage, sondern deren Begründetheit. Eine Heilung ist grundsätzlich nicht möglich, außer es kommt zu einer Klageänderung bzw. Parteierweiterung im zulässigen Rahmen der Zivilprozessordnung nach § 263 ff. ZPO.
Welche Rolle spielt die Passivlegitimation in besonderen Verfahrensarten, wie der Feststellungsklage oder der Leistungsklage?
In besonderen Verfahrensarten wie der Feststellungsklage (§ 256 ZPO) oder der Leistungsklage ist die Passivlegitimation ebenso strikt zu prüfen wie bei der normalen Klage auf Herausgabe, Zahlung oder Unterlassung. Im Fall der Leistungsklage muss die beklagte Partei zur Leistung verpflichtet sein; bei der Feststellungsklage muss das streitige Rechtsverhältnis gerade zwischen den Parteien bestehen. Die Passivlegitimation ist daher immer an das jeweilige materielle Recht geknüpft, auf das sich das zu klärende Rechtsverhältnis stützt. Kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass der verklagte Gegner nicht passivlegitimiert ist, etwa, weil er nicht Anspruchsgegner ist oder das Rechtsverhältnis zu einem Dritten besteht, bleibt die Klage erfolglos.
Wie ist die Passivlegitimation bei mehreren Streitgenossen zu beurteilen (Streitgenossenschaft)?
Bei einer Streitgenossenschaft (§§ 59, 60 ZPO) ist die Frage der Passivlegitimation für jeden einzelnen Streitgenossen gesondert zu prüfen. In der Praxis bedeutet das, dass in der Klageschrift und auch im weiteren Verfahren substantiiert dargelegt werden muss, warum jeder der in Anspruch genommenen Streitgenossen aus dem jeweiligen streitgegenständlichen Anspruch verpflichtete Partei sein soll. Das ist insbesondere bei der notwendigen Streitgenossenschaft (z.B. bei Gesamtschuldnern nach §§ 421 ff. BGB) bedeutsam. Fehlt die Passivlegitimation bei einem Streitgenossen, wird die Klage gegen diesen als unbegründet abgewiesen; gegen die passivlegitimierten Streitgenossen kann sie hingegen Erfolg haben.
Gibt es eine Möglichkeit, mangelnde Passivlegitimation im laufenden Verfahren zu heilen?
Grundsätzlich kann mangelnde Passivlegitimation nicht unmittelbar geheilt werden. Die Passivlegitimation ist eine Frage der materiellen Anspruchsberechtigung und nicht der Prozessführung. Allerdings lässt das deutsche Zivilprozessrecht unter bestimmten Voraussetzungen die Klageänderung (§ 263 ZPO) zu. Der Kläger kann also im laufenden Verfahren die Partei ersetzen oder weitere Parteien hinzunehmen, sofern die Voraussetzungen der Klageänderung (Sachdienlichkeit, Einwilligung der Gegenpartei oder Ersetzung durch das Gericht) vorliegen. Andernfalls muss der Kläger bei Klageabweisung wegen fehlender Passivlegitimation ein neues Verfahren gegen den tatsächlich passivlegitimierten Gegner anstrengen.
Welche Pflichten treffen die Parteien hinsichtlich der Darlegung und Substantiierung der Passivlegitimation im Prozess?
Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der Passivlegitimation obliegt grundsätzlich dem Kläger. Dieser muss im Rahmen seiner Antragstellung und der Klagschrift Tatsachen vortragen, die die Mitgliedschaft des Beklagten im in Rede stehenden Rechtsverhältnis substantiieren, etwa durch Vorlage von Verträgen, Beweisangeboten oder sonstigen Nachweisen. Der Beklagte kann sich aktiv damit verteidigen, dass er nicht der richtige Anspruchsgegner sei, etwa weil der strittige Sachverhalt ein anderes Rechtsverhältnis oder eine andere Person betrifft. Im Zweifel prüft das Gericht die Parteistellung von Amts wegen, insbesondere da Urteile materiell gegen die falsche Partei keine Rechtswirkungen entfalten.
Welche Bedeutung hat die Passivlegitimation im Rahmen der Zwangsvollstreckung?
Auch in der Zwangsvollstreckung spielt die Passivlegitimation eine zentrale Rolle. Wird ein vollstreckbarer Titel gegen eine nicht zu verpflichtende, also nicht passivlegitimierte Partei erwirkt, ist die Zwangsvollstreckung nicht möglich, da kein materieller Anspruch besteht. Darüber hinaus können der Schuldner (Beklagte) oder Dritte mit qualifizierten Rechtsmitteln (Vollstreckungsabwehrklage, Drittwiderspruchsklage nach § 771 und § 767 ZPO) gegen die Vollstreckungsmaßnahmen vorgehen, wenn die materiellen Voraussetzungen, insbesondere die Passivlegitimation, fehlen. Das zeigt, dass die richtige Parteistellung bereits frühestmöglich präzise zu bestimmen ist, um spätere Probleme im Vollstreckungsverfahren zu vermeiden.