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Parteivorbringen


Begriff und Rechtsnatur des Parteivorbringens

Parteivorbringen ist ein zentraler Begriff im Zivilprozessrecht und bezeichnet sämtliche Tatsachen, Erklärungen und Anträge, die von den am Verfahren beteiligten Parteien dem Gericht zur Kenntnis gebracht werden. Das Vorbringen der Parteien ist für die gerichtliche Entscheidungsfindung maßgeblich, da das Gericht grundsätzlich an das Parteivorbringen gebunden ist (sog. Beibringungsgrundsatz oder Dispositionsmaxime). Das Parteivorbringen umfasst sowohl tatsächliche Behauptungen als auch rechtliche Wertungen, Anträge und Beweismittelangebote.


Inhalt und Abgrenzungen des Parteivorbringens

Materielles und Prozessuales Vorbringen

Das Parteivorbringen kann in materielles und prozessuales Vorbringen unterteilt werden:

  • Materielles Parteivorbringen betrifft die tatsächlichen Umstände des zur Entscheidung anstehenden Sachverhalts (z.B. Vertragsabschluss, Lieferung, Schaden).
  • Prozessuales Parteivorbringen betrifft prozessbestimmende Erklärungen, wie etwa Prozesshandlungen (Klageerhebung, Klagerücknahme, Anerkenntnis, Einreden und Einwendungen).

Abgrenzung zu anderen Begriffen

Nicht zum Parteivorbringen zählen das Parteigeständnis (§ 288 ZPO), schlichte Meinungsäußerungen, Rechtsausführungen ohne Tatsachenbehauptung, bloße Werturteile sowie unbegründete Behauptungen ins Blaue hinein. Das bloße Vorbringen von Beweisen (z.B. Benennung eines Zeugen) ist ebenfalls erst dann erheblich, wenn dies mit einer dazugehörigen Tatsachenbehauptung gekoppelt ist.


Bedeutung im Zivilprozess

Der Beibringungsgrundsatz

Das deutsche Zivilprozessrecht wird durch den Grundsatz der Parteimaxime geprägt: Die Parteien bestimmen, welcher Sachverhalt dem Gericht überhaupt zur Prüfung unterbreitet wird. Das Gericht darf grundsätzlich nur über das entscheiden, was zur Verhandlung steht (vgl. §§ 308, 322 ZPO).

Vortragspflicht und prozessuale Wahrheitspflicht

Jede Partei ist verpflichtet, die für sie günstigen Tatsachen vollständig und wahrheitsgemäß vorzutragen (§ 138 ZPO – Wahrheitspflicht und Erklärungsobliegenheit). Eine Verletzung dieser Pflichten kann prozessuale Nachteile, beispielsweise eine Präklusion, zur Folge haben.


Erfordernis der Substanziierung

Grundsatz der Substanziierung

Das Parteivorbringen muss so konkret und bestimmt sein, dass das Gericht und die Gegenseite erkennen können, worauf die Partei ihren Anspruch oder ihre Verteidigung stützt. Unsubstanziiertes Vorbringen – also pauschale oder allgemeine Behauptungen – bleibt im Prozess unbeachtet.

Anforderungen an die Substanziierung

Der Grad der erforderlichen Substanziierung richtet sich nach dem Kenntnisstand der Partei und nach dem Bestreiten der jeweils anderen Partei. Behauptungen „ins Blaue hinein“ und Ausforschungsanträge sind unzulässig. Der Vortrag muss nach Ort, Zeit und näheren Umständen so konkretisiert werden, dass der Gegner Stellung nehmen kann und das Gericht im Streitfall Beweis erheben kann.


Formen und Grenzen des Parteivorbringens

Schriftsätzlicher und mündlicher Vortrag

Das Parteivorbringen kann schriftlich (Schriftsätze) oder mündlich (im Termin zur mündlichen Verhandlung) erfolgen (§§ 129 ff., 128 ZPO). Nach mündlicher Verhandlung ist neuer Sachvortrag grundsätzlich ausgeschlossen, sofern sich nicht aus prozessualen Vorschriften (etwa § 296a ZPO) anderes ergibt.

Präklusion und Verspätungsfolgen

Wird erforderliches Parteivorbringen nicht rechtzeitig im Prozess eingebracht, kann dies nach Maßgabe der §§ 296 ff. ZPO ausgeschlossen („präkludiert“) werden. Verspätetes Vorbringen wird grundsätzlich nur berücksichtigt, wenn keine Verzögerung des Verfahrens zu erwarten ist oder die Verspätung genügend entschuldigt wird.


Parteivorbringen und gerichtliche Entscheidungsfindung

Bindung des Gerichts

Das Gericht ist an das Parteivorbringen gebunden, soweit die Entscheidungsgrundlage aufgrund des Vorbringens der Parteien gebildet wird (Dispositionsmaxime). Das Gericht darf dem Verfahren keine anderen Tatsachen zugrunde legen, als die Parteien vorgebracht haben, es sei denn, es handelt sich um allgemeinkundige Umstände oder Sachverhalte, die offenkundig sind (§ 291 ZPO) oder vom Amtsermittlungsgrundsatz erfasst werden (etwa im Familienrecht).

Wahrunterstellung und Nichtbestreiten

Bestreitet eine Partei das gegnerische Vorbringen nicht ausreichend, gilt es als zugestanden (§ 138 Abs. 3 ZPO). Unterbleibt der Vortrag entscheidungserheblicher Tatsachen, kann das dazu führen, dass das Gericht das Begehren als nicht hinreichend substantiiert und damit als unbegründet abweist.


Parteivorbringen im Verhältnis zu materieller Wahrheit

Im Zivilprozess gilt das Prinzip der formellen Wahrheit. Das Gericht entscheidet nicht darüber, wie sich ein Sachverhalt „tatsächlich“ zugetragen hat, sondern wie er nach dem übereinstimmenden oder streitigen Parteivorbringen feststeht und nach geführtem Beweis bewertet werden kann. Die Wahrheitspflicht (§ 138 ZPO) hat hierbei die Funktion, Manipulationen und unwahre Behauptungen im Rechtsstreit zu vermeiden.


Besondere Aspekte in anderen Verfahrensarten

Parteivorbringen im Strafprozess

Im Strafprozess kommt den Erklärungen der Beteiligten eine andere Rolle zu. Hier besteht kein allgemeiner Beibringungsgrundsatz, sondern der Ermittlungsgrundsatz gilt.

Parteivorbringen in Familiensachen und anderen Verfahren

In bestimmten Verfahren (z.B. Kindeswohlverfahren, Betreuungsverfahren) gilt ein weitergehender Amtsermittlungsgrundsatz, der das Gericht berechtigt und verpflichtet, von sich aus Sachverhaltsermittlungen vorzunehmen.


Bedeutung für die Rechtsmittelinstanzen

In Berufungs- und Revisionsverfahren spielt das frühere (erstinstanzliche) Parteivorbringen eine zentrale Rolle, da neuer Sachvortrag in vielen Fällen nur eingeschränkt zulässig ist (Präklusionsvorschriften, § 531 ZPO).


Rechtsquellen

  • §§ 138, 253, 297, 296 ff. ZPO. (Zivilprozessordnung)
  • § 291 ZPO (Offenkundigkeit)
  • Weitere prozessrechtliche Vorschriften je nach Rechtsstreit und Verfahren

Literaturhinweise

  • Thomas/Putzo, ZPO
  • Zöller, Zivilprozessordnung
  • Musielak/Voit, Zivilprozessordnung

Zusammenfassung

Das Parteivorbringen ist eine wesentliche Grundlage für jedes Zivilverfahren. Es umfasst alle Tatsachen und Erklärungen, die Parteien dem Gericht übermitteln und welche die Entscheidungsfindung maßgeblich beeinflussen. Der sachgerechte und vollständige Vortrag ist unabdingbar für eine erfolgreiche Rechtsverfolgung oder -verteidigung. Nicht rechtzeitig oder unsachgemäß vorgebrachte Tatsachen können präkludiert werden und zum vollständigen Unterliegen einer Partei führen.

Häufig gestellte Fragen

Welche Rolle spielt das Parteivorbringen im Zivilprozess?

Das Parteivorbringen nimmt im Zivilprozess eine zentrale Stellung ein, da das Gericht grundsätzlich an den Vortrag und die Anträge der Parteien gebunden ist (Beibringungsgrundsatz). Parteien sind verpflichtet, sämtliche für sie günstigen Tatsachen, rechtlichen Argumente und Beweismittel von sich aus in den Prozess einzubringen. Das Gericht darf nur auf den Tatsachenvortrag der Parteien zurückgreifen, es recherchiert Tatsachen grundsätzlich nicht von Amts wegen (Ausnahme: Amtsermittlungsgrundsatz, z.B. im Familienrecht). Das Parteivorbringen bestimmt somit Gegenstand, Umfang und Inhalt des gerichtlichen Erkenntnisverfahrens. Fehlerhaftes, verspätetes oder unvollständiges Vorbringen kann dazu führen, dass Vortrag und damit zusammenhängende Ansprüche oder Verteidigungsmittel unberücksichtigt bleiben.

Welche Anforderungen bestehen an die Substantiierung des Parteivorbringens?

Das Parteivorbringen muss hinreichend substantiiert sein, damit das Gericht sowie die Gegenseite erkennen können, welche Tatsachen behauptet und auf welche rechtlich relevanten Sachverhalte sich das Vorbringen bezieht. Pauschale, vage oder rein wertende Behauptungen genügen nicht. Das Vorbringen muss so konkret und detailliert abgefasst sein, dass die Gegenseite in der Lage ist, dazu Stellung zu nehmen und gegebenenfalls Gegenbeweise anzutreten. Darüber hinaus muss es das Gericht in die Lage versetzen, über den behaupteten Sachverhalt entscheiden zu können. Die Substantiierungspflicht betrifft sowohl die Tatsachenbehauptungen als auch die geeigneten Beweisantritte.

In welchem Verfahrensstadium ist Parteivorbringen zulässig?

Grundsätzlich ist das Parteivorbringen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung zulässig. Nach diesem Zeitpunkt eingereichte Tatsachen oder Beweismittel sind verspätet und werden nur unter bestimmten Umständen vom Gericht zugelassen. Die Zivilprozessordnung (ZPO) sieht hierzu strenge Regeln vor. Insbesondere §§ 296, 282 ZPO formulieren Vorgaben zur Prozessförderungspflicht und zur Präklusion verspäteten Vorbringens. Das Gericht kann oder muss verspätetes Vorbringen zurückweisen, wenn dessen Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde oder der Gegner nicht hinreichend Gelegenheit zur Stellungnahme hatte.

Was gilt für das Bestreiten des Parteivorbringens durch die Gegenseite?

Das Bestreiten des Parteivorbringens ist ein zentrales Verteidigungsmittel im Zivilprozess. Die Gegenseite muss sich mit dem Vorbringen der Partei auseinandersetzen und kann dieses entweder zugestehen, bestreiten oder mit eigenen Tatsachen entgegentreten. Das Bestreiten muss grundsätzlich substantiiert erfolgen, also konkret darlegen, inwieweit und weswegen der Vortrag bestritten wird. Einfaches oder unsubstantiiertes Bestreiten ist insbesondere dann unzulässig oder unbeachtlich, wenn die bestrittenen Tatsachen in der eigenen Sphäre der Partei liegen und ihr daher eine nähere Darlegung zumutbar ist (sogenannte sekundäre Darlegungslast).

Kann Parteivorbringen nachträglich korrigiert oder ergänzt werden?

Nachträgliche Korrekturen oder Ergänzungen des Parteivorbringens sind grundsätzlich bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung zulässig. Liegt allerdings bereits Verspätung im Sinne der ZPO vor, ist zu prüfen, ob das Gericht das neue Vorbringen noch zulassen darf oder muss. Hierbei spielen Gesichtspunkte wie zumutbare Sorgfaltspflichten, etwaige Verzögerungen des Verfahrens und die Rechte der Gegnerpartei eine Rolle. Willkürlich nachgeschobener oder später ergänzter Vortrag kann ausgeschlossen werden, wenn dieser die Prozessförderungspflicht verletzt oder den Gegner benachteiligt. Teilweise kann es auch notwendig sein, einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu stellen, wenn das Versäumnis unverschuldet war.

Welche Folgen hat unzureichendes oder fehlendes Parteivorbringen?

Ein unzureichendes oder fehlendes Parteivorbringen führt dazu, dass das Gericht den entsprechenden Sachverhalt als nicht existent ansieht und im Zweifel zuungunsten der beweisbelasteten Partei entscheidet. In Prozessen mit Striktem Beibringungsgrundsatz ist die Partei für ihr Vorbringen selbst verantwortlich. Sie trägt das Risiko, dass unzureichende Darstellungen oder fehlende Tatsachenbehauptungen nicht berücksichtigt werden, was zur Klageabweisung oder zum Unterliegen im Prozess führen kann. Das Gericht ist nicht verpflichtet, die Parteien auf Lücken oder Unvollständigkeiten im Vortrag hinzuweisen (Untersuchungsgrundsatz gilt nicht).

Wann besteht eine sekundäre Darlegungslast und wie wirkt sich diese auf das Parteivorbringen aus?

Die sekundäre Darlegungslast trifft eine Partei dann, wenn der Gegner sämtliche Voraussetzungen seines Anspruchs dargelegt und eine Tatsache behauptet hat, die typischerweise in den Verantwortungsbereich der anderen Partei fällt. In diesem Fall muss die betroffene Partei im Rahmen des Zumutbaren näher zum Sachverhalt vortragen, da ansonsten prozessual von der Richtigkeit der Behauptung des Gegners auszugehen ist. Die sekundäre Darlegungslast soll verhindern, dass eine Partei durch bloßes Bestreiten oder Schweigen Sachvortrag abwehren kann, der ihrerseits leicht zugänglich oder überprüfbar ist. Insbesondere im Bereich von vertraglichen Beziehungen, Miet- oder Arbeitsverhältnissen spielt dieser Aspekt eine bedeutende Rolle.