Legal Lexikon

Wiki»Legal Lexikon»Gesundheitsrecht»Palliativmedizin

Palliativmedizin


Begriff und Einordnung der Palliativmedizin

Die Palliativmedizin ist ein eigenständiges medizinisches Fachgebiet, das die ganzheitliche Betreuung von Patientinnen und Patienten mit fortgeschrittenen, nicht heilbaren Erkrankungen zum Ziel hat. Der Fokus liegt auf der Linderung von Schmerzen und anderen belastenden Symptomen sowie der Verbesserung der Lebensqualität für Betroffene und deren Angehörige. Palliativmedizin umfasst medizinische, pflegerische, psychologische, soziale und spirituelle Bedürfnisse. Im deutschen Recht ist die Palliativmedizin durch verschiedene gesetzliche Regelungen und Leitlinien eindeutig definiert.

Rechtliche Grundlagen der Palliativmedizin in Deutschland

Gesetzliche Verankerung

Sozialgesetzbuch V (SGB V)

Im Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) ist die Palliativversorgung explizit geregelt. Nach § 37b SGB V haben Versicherte mit einer nicht heilbaren, fortschreitenden und weit fortgeschrittenen Erkrankung mit begrenzter Lebenserwartung Anspruch auf spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV). Ziel ist es, den Verbleib der Betroffenen in ihrer häuslichen Umgebung zu ermöglichen und eine aktive Krankenhausbehandlung möglichst zu vermeiden.

Betreuungsrecht

Das Betreuungsrecht (§§ 1896 ff. Bürgerliches Gesetzbuch, BGB) erfasst die rechtlichen Beziehungen zwischen Patientinnen/Patienten, deren bevollmächtigten Vertretungen und Behandlungsverantwortlichen. Einwilligungsfähigkeit, Patientenverfügungen und Vorsorgevollmachten spielen hierbei eine zentrale Rolle. Insbesondere im Kontext der Palliativversorgung ist die Umsetzung des Patientenwillens entscheidend.

Patientenrechtegesetz

Mit dem Patientenrechtegesetz (§§ 630a ff. BGB), das 2013 in Kraft getreten ist, wurden die Rechte von Patientinnen und Patienten gestärkt. Die Maßnahmen der Palliativmedizin unterliegen dem Grundsatz der gemeinsamen Entscheidungsfindung (Shared Decision Making) und dem Recht auf Selbstbestimmung. Eine umfangreiche Beratung über Möglichkeiten, Grenzen und Alternativen palliativmedizinischer Maßnahmen ist gesetzlich vorgeschrieben.

Besondere Rechtsfragen der Palliativmedizin

Einwilligungsfähigkeit und Patientenverfügung

Im Rahmen der Palliativmedizin sind Fragen der Einwilligungsfähigkeit sowie der Bindung an Patientenverfügungen von zentraler Bedeutung. Nur einwilligungsfähige Personen können wirksam in eine Behandlung einwilligen oder diese ablehnen. Ist dies nicht mehr möglich, tritt eine Vertretung durch Bevollmächtigte (Vorsorgevollmacht, Betäubungsrecht) oder gerichtlich bestellte Betreuer ein. Gemäß § 1901a BGB ist der festgelegte Wille in der Patientenverfügung für Ärzte und Pflegende im Rahmen der Behandlung bindend.

Schmerztherapie und Betäubungsmittelrecht

Palliativmedizinische Maßnahmen umfassen häufig den Einsatz von hochwirksamen Schmerzmitteln, darunter auch Betäubungsmittel im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG). Die rechtssichere Verordnung und Anwendung ist durch das BtMG explizit geregelt und bedarf besonderer Sorgfalt, Dokumentation und Nachweisführung.

Behandlung am Lebensende und Abgrenzung zur Sterbehilfe

Behandlungsabbruch und Therapiezieländerung

Das Recht, einen Behandlungsabbruch oder eine Therapiezieländerung im Sinne der palliativen Versorgung vorzunehmen, ist gesetzlich verankert, sofern dies dem individuellen Patientenwillen entspricht oder keine Indikation zur kurativen Therapie mehr besteht. Rechtsgrundlagen hierfür sind insbesondere §§ 630d, 630e sowie §§ 1901a, 1904 BGB.

Abgrenzung zur aktiven Sterbehilfe

Während palliativmedizinische Maßnahmen auf Symptomkontrolle und Lebensqualitätssteigerung ausgerichtet sind, ist die aktive, gezielte Lebensverkürzung nach deutschem Recht verboten (§ 216 StGB). Die sogenannte indirekte Sterbehilfe, also die Inkaufnahme einer Lebensverkürzung als Nebenwirkung einer notwendigen Schmerz- oder Symptombehandlung, ist hingegen zulässig, sofern das primäre Ziel die Leidenslinderung ist (Grundsatz der Doppelwirkung). Die Beihilfe zur Selbsttötung (assistierter Suizid) ist durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Februar 2020 und die aktuelle Gesetzeslage unter bestimmten Voraussetzungen legal, fällt aber nicht in den Kernbereich der Palliativmedizin.

Organisation der Palliativversorgung im Rechtsrahmen

Stationäre und ambulante Versorgungsformen

Das Gesetz unterscheidet zwischen allgemeiner und spezialisierter ambulanter Palliativversorgung sowie stationärer Versorgung. Der Rechtsrahmen verpflichtet Krankenhäuser (§ 39a Abs. 1 SGB V), stationäre Hospize (§ 39a Abs. 2 SGB V) und spezialisierte Palliativdienste, strukturierte Leistungen anzubieten. Für die ambulante Palliativversorgung regeln Kooperationsvereinbarungen und Versorgungsverträge die Zusammenarbeit mit Kranken- und Pflegekassen (§ 92 Abs. 1 SGB V, Rahmenvereinbarungen).

Dokumentationspflichten und Qualitätsanforderungen

Zahlreiche gesetzliche Vorgaben verpflichten zur ausführlichen Dokumentation sämtlicher palliativmedizinischer Maßnahmen (§ 630f BGB). Qualitätssicherungsmaßnahmen gemäß § 135a SGB V umfassen unter anderem Fortbildungspflichten, Einhaltung anerkannter Leitlinien und kontinuierliche Prozessüberprüfung.

Ethik und Datenschutz in der Palliativmedizin

Ethikkomitees und Beratungsstrukturen

Die Einbindung von Ethikkomitees ist bei komplexen ethisch-rechtlichen Fragestellungen, insbesondere bezüglich Behandlungsbegrenzungen oder -abbrüchen, in stationären Einrichtungen gesetzlich vorgesehen und gilt als Standard guter Praxis.

Datenschutz und Schweigepflicht

Im Rahmen der palliativmedizinischen Versorgung sind alle Beteiligten zur besonderen Wahrung des Datenschutzes und der ärztlichen Schweigepflicht gemäß § 203 StGB, dem Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) und der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) verpflichtet.

Zusammenfassung

Die Palliativmedizin ist im deutschen Recht umfassend geregelt. Sie orientiert sich an den Prinzipien der Patientenautonomie, der Linderung von Leid und dem Schutz der Menschenwürde. Die rechtlichen Rahmenbedingungen bestehen aus sozialrechtlichen Leistungsansprüchen, Regelungen zum Umgang mit Patientenverfügungen und Vorsorgevollmachten, seelsorgerischer und ethischer Begleitung sowie strengen Vorgaben für Dokumentation, Qualitätssicherung und Datenschutz. Die Palliativmedizin ist klar abzugrenzen von Maßnahmen der aktiven Sterbehilfe und steht unter dem besonderen Schutz von Recht und Gesetz.

Häufig gestellte Fragen

Wer entscheidet über palliativmedizinische Maßnahmen, wenn der Patient nicht mehr einwilligungsfähig ist?

Wenn ein Patient nicht mehr einwilligungsfähig ist, kommt dem rechtlichen Vertreter eine zentrale Rolle zu. Dies kann durch eine Patientenverfügung, eine Vorsorgevollmacht oder (falls diese fehlen) durch eine gerichtlich bestellte Betreuung geregelt sein. Liegt eine Patientenverfügung vor, sind darin festgehaltene Wünsche zu palliativmedizinischen Maßnahmen für Ärzte verbindlich, sofern die beschriebene Situation tatsächlich eingetreten ist. Eine Vorsorgevollmacht ermächtigt eine festgelegte Person, stellvertretend für den Patienten zu entscheiden; sie muss sich jedoch an den mutmaßlichen Willen des Patienten halten, der sich aus dessen schriftlichen Verfügung, früheren mündlichen Aussagen, ethischen Wertvorstellungen und religiösen Überzeugungen ableiten lässt. Gibt es weder Patientenverfügung noch Vorsorgevollmacht, bestimmt das zuständige Betreuungsgericht einen Betreuer mit dem Aufgabenkreis „Gesundheitsfürsorge“. Ärztliche Maßnahmen, insbesondere solche mit erheblicher Tragweite (z.B. Behandlungsbegrenzung oder -abbruch bei lebenserhaltenden Maßnahmen), dürfen nur mit dessen Zustimmung erfolgen. In allen Fällen ist gemäß § 1901a BGB zu prüfen, ob der mutmaßlicher Wille des Patienten eindeutig und aktuell ist. Ärzte sind gesetzlich verpflichtet, die Wünsche oder den mutmaßlichen Willen des Patienten zu respektieren und umzusetzen.

Welche gesetzlichen Grundlagen regeln die palliativmedizinische Versorgung in Deutschland?

Die rechtlichen Rahmenbedingungen der Palliativmedizin ergeben sich im Wesentlichen aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB), dem Strafgesetzbuch (StGB), dem Betreuungsrecht sowie spezifischen Bestimmungen im Sozialgesetzbuch (SGB V und XI). Zentrale Bedeutung hat § 630d BGB (informierte Einwilligung), § 1901a BGB (Patientenverfügung), §§ 217-218 StGB (Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung und das Tötungsdelikt), und das Patientenrechtegesetz. Darüber hinaus ist die spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV) seit 2007 im SGB V (§ 37b) ausdrücklich geregelt. Die Kostenübernahme, Anforderungen an Einrichtungen und Versorgungsleistungen sind ebenfalls im SGB V sowie im Rahmenvertrag zur SAPV festgelegt. Das Betreuungsrecht regelt ferner die Rechte und Pflichten von Bevollmächtigten und Betreuern bezüglich medizinischer Maßnahmen. Das Thema Sterbehilfe ist ebenfalls durch die Rechtsprechung (z.B. Urteil des Bundesverfassungsgerichts 2020 zum § 217 StGB) wesentlich geprägt.

Welche rechtlichen Anforderungen gelten für eine Patientenverfügung im Kontext palliativer Maßnahmen?

Eine Patientenverfügung muss schriftlich verfasst und vom Verfasser eigenhändig unterschrieben oder notariell beurkundet sein (§ 1901a Abs. 1 BGB). Sie muss konkret und hinreichend bestimmt die gewünschten oder abgelehnten medizinischen Maßnahmen, auch im Hinblick auf Palliativmedizin (z.B. Schmerzbehandlung, künstliche Ernährung, Beatmung), für eine künftige Situation, in der die Einwilligungsfähigkeit fehlt, beschreiben. Die Verfügung kann jederzeit formlos widerrufen werden. Ärzte und rechtliche Vertreter sind an die Verfügung gebunden, sofern die in ihr beschriebene medizinische Behandlungssituation tatsächlich eingetreten ist. Es besteht keine Pflicht zur Eintragung, jedoch empfiehlt sich eine Aufbewahrung am leicht zugänglichen Ort. Die Patientenverfügung kann durch ein Beratungsgespräch (z.B. beim Hausarzt, Notar oder einer Beratungsstelle) vorbereitet und mit weiteren Dokumenten (Vorsorgevollmacht, Betreuungsverfügung) kombiniert werden.

Ist die aktive Sterbehilfe oder der ärztlich assistierte Suizid im Rahmen der Palliativmedizin erlaubt?

Die aktive Sterbehilfe, also die gezielte Tötung auf Verlangen durch einen Dritten (z.B. durch ärztliche Gabe einer tödlichen Substanz), ist nach § 216 StGB in Deutschland verboten und strafbar. Dagegen ist die passive Sterbehilfe, also der Verzicht auf lebensverlängernde Maßnahmen, wenn dies dem Patientenwillen entspricht, rechtlich zulässig. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Februar 2020 ist das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (§ 217 StGB) verfassungswidrig und somit aufgehoben, weshalb der ärztlich assistierte Suizid in Deutschland nicht pauschal strafbar ist, solange er auf dem freiverantwortlichen Wunsch des Patienten beruht. Ärzte dürfen unter bestimmten engen Voraussetzungen Beihilfe leisten, sind dazu aber rechtlich und berufsethisch nicht verpflichtet. Die ärztliche Berufsordnung vieler Bundesländer untersagt jedoch weiterhin die ärztliche Suizidassistenz, sodass hier ein Spannungsfeld zwischen Berufsrecht und Strafrecht besteht.

Welche Haftungsrisiken bestehen für Ärzte bei palliativmedizinischen Maßnahmen?

Ärzte tragen ein erhebliches Haftungsrisiko, wenn sie gegen den Patientenwillen handeln, eine mangelhafte Aufklärung vornehmen oder notwendige Dokumentationen unterlassen. Führen sie palliativmedizinische Maßnahmen ohne wirksame Einwilligung durch oder ignorieren eine vorliegende Patientenverfügung, kann dies zivilrechtliche (z.B. Schadensersatz, Schmerzensgeld) und strafrechtliche (z.B. Körperverletzung, Totschlag) Konsequenzen haben. Andererseits besteht keine Haftung, wenn auf lebenserhaltende Maßnahmen verzichtet oder diese eingestellt werden, sofern dies dem dokumentierten oder mutmaßlichen Patientenwillen entspricht. Die Einhaltung dokumentierter Willenserklärungen sowie eine sorgfältige, fortlaufend dokumentierte, interdisziplinäre Abstimmung mit Angehörigen und Betreuern sind zur Risikoabwehr unerlässlich.

Welche Rolle spielen Angehörige bei der Entscheidungsfindung über palliativmedizinische Maßnahmen rechtlich?

Angehörige haben grundsätzlich kein eigenständiges Entscheidungsrecht, es sei denn, sie sind durch eine Vorsorgevollmacht hierzu ausdrücklich befugt. Fehlt eine solche, können sie jedoch zur Ermittlung des mutmaßlichen Patientenwillens beitragen, indem sie frühere Äußerungen, Wertvorstellungen und Wünsche des Patienten darlegen. Diese Aussagen müssen von Ärzten und, falls vorhanden, dem Betreuer oder Bevollmächtigten im Entscheidungsprozess berücksichtigt werden. Die Entscheidung bleibt jedoch rechtlich beim bevollmächtigten Vertreter, gerichtlich bestellten Betreuer oder (bei Einwilligungsfähigkeit) beim Patienten selbst. Angehörige können gegen medizinische Maßnahmen vorgehen, wenn sie nachweislich bevollmächtigt sind oder eine gerichtliche Betreuung innehaben.

Welche Dokumentationspflichten bestehen bei palliativen Behandlungsentscheidungen?

Im Rahmen der Palliativmedizin besteht eine umfassende Dokumentationspflicht nach § 630f BGB. Alle Entscheidungsprozesse – insbesondere zu Beginn, Änderung oder Beendigung einer Therapie – müssen sorgfältig und lückenlos dokumentiert werden. Das gilt für die Aufklärungsgespräche, die Feststellung der Einwilligungsfähigkeit, das Vorliegen und die Prüfung von Patientenverfügungen sowie die Einbeziehung von Bevollmächtigten oder Betreuern. Auch die Kommunikation mit Angehörigen sowie Zeitpunkt, Inhalt und Umfang palliativmedizinischer Maßnahmen sind zu protokollieren. Diese Dokumentation dient nicht nur der Patientenversorgung, sondern ist bei rechtlichen Auseinandersetzungen zentraler Beweis für die Einhaltung medizinrechtlicher und berufsrechtlicher Vorgaben.