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Ortstermin

Begriff und Zweck des Ortstermins

Ein Ortstermin ist eine förmliche Besichtigung eines bestimmten Ortes oder Gegenstands im Rahmen eines Verfahrens. Ziel ist es, Tatsachen durch unmittelbare Wahrnehmung vor Ort festzustellen. Je nach Verfahren kann der Ortstermin der Beweiserhebung, der Klärung technischer Fragen, der Vorbereitung von Entscheidungen oder der Vollstreckung dienen. Typische Anlässe sind Bau- und Nachbarschaftsstreitigkeiten, Mängelprüfungen, Unfallrekonstruktionen, Lärm- oder Geruchsbelastungen sowie verwaltungsrechtliche Genehmigungs- und Aufsichtsangelegenheiten.

Arten von Ortsterminen

Gerichtlicher Ortstermin (Augenschein)

Gerichte können zur Sachaufklärung einen Augenschein einnehmen. Dabei wird der entscheidungsrelevante Zustand durch das Gericht unmittelbar festgestellt. Je nach Bedarf werden Fotografien, Skizzen, Messungen oder Proben erhoben. Die Wahrnehmungen fließen in die gerichtliche Beweiswürdigung ein. Ein gerichtlicher Ortstermin kann mit einer Anhörung verbunden werden, bleibt aber eine eigenständige Form der Tatsachenfeststellung.

Ortstermin mit Sachverständigen

Häufig werden sachverständige Gutachterinnen und Gutachter hinzugezogen, etwa in Bau-, Technik- oder Medizinfragen. Sie besichtigen den Ort, führen Messungen durch und erläutern ihre Feststellungen. Parteien können in der Regel anwesend sein, Fragen stellen und Einwendungen protokollieren lassen. Das anschließende Gutachten stützt sich maßgeblich auf die Wahrnehmungen beim Termin.

Verwaltungsrechtlicher Ortstermin

Verwaltungsbehörden führen Ortstermine durch, um Sachverhalte zu ermitteln, Auflagen zu überprüfen oder Gefahrenlagen zu beurteilen. Beteiligte werden regelmäßig angehört. Die Ergebnisse fließen in Verwaltungsentscheidungen ein, etwa bei Genehmigungen, Anordnungen oder Überwachungsmaßnahmen.

Vollstreckungsbezogener Ortstermin

Im Rahmen der Durchsetzung von Titeln können Vollstreckungsorgane einen Ortstermin durchführen, zum Beispiel zur Pfändung körperlicher Sachen oder zur Feststellung von Vermögensgegenständen. Zugang, Ablauf und Dokumentation richten sich nach den hierfür geltenden verfahrensrechtlichen Regeln.

Ablauf und Beteiligte

Einleitung und Ladung

Der Ortstermin wird angeordnet oder vereinbart und den Beteiligten mitgeteilt. Die Ladung enthält Zeit, Ort, Gegenstand sowie Hinweise zur Teilnahme. Bei gerichtlichen Terminen erfolgt die Ladung durch das Gericht; bei behördlichen Terminen durch die zuständige Stelle; bei gutachterlichen Terminen durch die bestellte sachverständige Person.

Durchführung

Zu Beginn werden Zweck, Umfang und Ablauf geklärt. Anschließend erfolgt die Besichtigung mit Demonstrationen, Messungen und Erläuterungen. Äußerungen der Beteiligten werden, soweit relevant, aufgenommen. Bei örtlichen Besonderheiten wie Lärm, Geruch, Lichtverhältnissen oder Verkehrsaufkommen kann die Terminierung an Tageszeit oder Wetterlage angepasst werden, um die Situation möglichst wirklichkeitsnah zu erfassen.

Dokumentation und Protokoll

Die Ergebnisse werden in einem Protokoll festgehalten. Möglich sind ergänzende Dokumentationen wie Fotos, Videos, Skizzen, Messprotokolle, Probenahmen oder Pläne. Die Unterlagen werden den Verfahrensakten zugeordnet. Beteiligte erhalten in der Regel Akteneinsicht nach den hierfür geltenden Vorschriften.

Rechtliche Einordnung und Beweiswert

Beweisfunktion

Der Ortstermin dient der unmittelbaren Tatsachenfeststellung. Die so gewonnenen Eindrücke sind besonders aussagekräftig, weil sie nicht nur vermittelt, sondern direkt wahrgenommen werden. Das Ergebnis unterliegt der freien Würdigung im jeweiligen Verfahren. Ein Ortstermin kann allein entscheidungserheblich sein oder andere Beweismittel wie Urkunden, Zeugenaussagen oder Gutachten ergänzen.

Rechte der Beteiligten

Parteien und Beteiligte haben regelmäßig das Recht, am Ortstermin teilzunehmen, sich zu äußern und Fragen an sachverständige Personen zu richten. Sie können Anträge zur Erweiterung des Besichtigungsumfangs stellen oder Einwendungen protokollieren lassen. In Sonderfällen können Anwesenheitsrechte eingeschränkt werden, etwa aus Gründen des Geheimschutzes, der Sicherheit oder zum Schutz Dritter.

Zutrittsrechte und Grenzen

Der Zugang zu Grundstücken, Gebäuden und betrieblichen Anlagen setzt grundsätzlich die Duldung oder eine entsprechende Anordnung voraus. Die Rechte der Eigentümer und Besitzenden sind zu beachten. Bei geschützten Bereichen (z. B. Wohnräume, Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse) gelten erhöhte Anforderungen. Zudem sind Arbeitsschutz, Brandschutz und sonstige Sicherheitsvorgaben einzuhalten.

Vertraulichkeit und Datenschutz

Bei der Anfertigung und Speicherung von Fotos, Videos, Tonaufnahmen oder Messdaten sind Persönlichkeitsrechte und Datenschutz zu beachten. Es gilt der Grundsatz der Datensparsamkeit. Aufzeichnungen müssen dem Verfahrenszweck dienen und sicher verwahrt werden. Nicht benötigte Daten sind zu löschen, sobald der Zweck erreicht ist und keine Aufbewahrungspflichten entgegenstehen.

Kosten und Organisation

Kostenarten und Kostentragung

Kosten können entstehen durch An- und Abreise, Zeitaufwand, Entschädigungen, Gebühren sowie Honorare für sachverständige Personen und ggf. Dolmetschende. Vorleistungen können erforderlich sein, wenn eine Partei die Beweiserhebung angeregt hat. Die endgültige Verteilung richtet sich nach dem Ausgang des Verfahrens oder besonderen Kostenregelungen in Verwaltungsangelegenheiten.

Terminwahl und Rahmenbedingungen

Für die Aussagekraft kann der Zeitpunkt bedeutsam sein, etwa bei Beleuchtung, Verkehr, Lärm oder Witterung. Bei großflächigen Anlagen oder schwer zugänglichen Orten sind Vorab-Abstimmungen zu Sicherheits- und Zugangsfragen üblich. Maßnahmen zur Schonung des Orts, zur Sicherung von Spuren und zur Vermeidung von Betriebsstörungen sind möglich.

Besondere Konstellationen

Beweissicherung bei Gefahr im Verzug

Wenn sich Zustände schnell verändern oder drohen, verloren zu gehen, kann eine vorgezogene Beweissicherung durch einen zeitnahen Ortstermin angezeigt sein. Dies dient der Erhaltung flüchtiger Beweise, etwa bei Feuchtigkeitsschäden, Baumaßnahmen oder temporären Emissionen.

Rekonstruktion von Situationen

Zur Nachbildung eines Ereignisses (z. B. Sichtverhältnisse bei Unfällen, Schallausbreitung, Ablauf technischer Prozesse) kann der Ortstermin mit Versuchen, Messreihen oder Simulationen verbunden werden. Reproduzierbarkeit und Nachvollziehbarkeit spielen dabei eine wesentliche Rolle.

Digitale oder hybride Ortstermine

Unter bestimmten Voraussetzungen sind digitale Zuschaltungen oder bildübertragene Besichtigungen möglich. Sie können Reiseaufwand verringern, ersetzen jedoch die unmittelbare Wahrnehmung nur eingeschränkt. Die Integrität der Aufnahmen, eine stabile Übertragung und der Schutz vertraulicher Informationen sind zu gewährleisten.

Abgrenzungen und Begriffsvarianten

Der Ausdruck „Ortstermin“ wird teils synonym zu „Ortsbesichtigung“ verwendet. Der „Augenschein“ bezeichnet die unmittelbare Wahrnehmung als Form der Beweiserhebung. In technischen Kontexten ist der „Begehungstermin“ gebräuchlich, der organisatorisch ähnlich abläuft, aber nicht zwingend Teil eines förmlichen Verfahrens sein muss.

Häufig gestellte Fragen zum Ortstermin

Was ist ein Ortstermin?

Ein Ortstermin ist eine förmliche Besichtigung im Rahmen eines Verfahrens, bei der ein Ort oder Gegenstand unmittelbar in Augenschein genommen wird, um entscheidungsrelevante Tatsachen festzustellen.

Wer nimmt an einem Ortstermin teil?

Teilnehmen können die entscheidende Stelle (Gericht oder Behörde), Beteiligte des Verfahrens, sachverständige Personen, ggf. Dolmetschende und weitere erforderliche Mitwirkende, etwa zur Dokumentation oder Sicherheit.

Ist die Teilnahme an einem Ortstermin verpflichtend?

Eine Teilnahme kann verpflichtend sein, wenn eine Ladung ordnungsgemäß erfolgt oder eine Duldungspflicht besteht. Ausnahmen sind möglich, etwa bei gesundheitlichen Gründen oder schutzwürdigen Geheimhaltungsinteressen.

Wie wird ein Ortstermin dokumentiert?

Die Dokumentation erfolgt durch ein Protokoll und kann ergänzend Fotografien, Videos, Skizzen, Messprotokolle oder Proben umfassen. Die Unterlagen werden den Akten zugeordnet und sind Grundlage der weiteren Bewertung.

Welche Kosten entstehen bei einem Ortstermin?

Es können Reise- und Zeitaufwände, Gebühren, Entschädigungen sowie Honorare für sachverständige Personen anfallen. Wer die Kosten trägt, bestimmt sich nach dem jeweiligen Verfahren und dem Ausgang der Sache.

Darf ein Ortstermin ohne Zustimmung auf Privatgrund stattfinden?

Der Zutritt zu Privatgrund setzt grundsätzlich eine Duldung oder eine entsprechende Anordnung voraus. Besondere Schutzstandards gelten für Wohnräume und für Bereiche mit Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen.

Welchen Beweiswert hat ein Ortstermin?

Die Ergebnisse eines Ortstermins haben hohes Gewicht, da sie auf unmittelbarer Wahrnehmung beruhen. Sie werden zusammen mit anderen Beweismitteln gewürdigt und können für die Entscheidung ausschlaggebend sein.