Begriff und Grundlagen der ordnungsbehördlichen Maßnahmen
Ordnungsbehördliche Maßnahmen sind hoheitliche Handlungen von Ordnungsbehörden mit dem Ziel, die öffentliche Sicherheit und Ordnung aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen. Sie stellen ein wesentliches Instrumentarium des Ordnungsrechts dar und sind in Deutschland maßgeblich durch die Landesgesetze, insbesondere die jeweiligen Polizei- und Ordnungsgesetze der Länder, geregelt.
Die Maßnahmen reichen von präventiven Anordnungen bis hin zu sofort vollziehbaren Eingriffen und dienen der Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit, zu der insbesondere die Unversehrtheit des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit sowie der Schutz des Eigentums und anderer wesentlicher Rechtsgüter zählen.
Rechtsgrundlagen
Übersicht der Rechtsquellen
Die rechtliche Grundlage ordnungsbehördlicher Maßnahmen findet sich überwiegend im Polizei- und Ordnungsrecht der Länder (z.B. Polizei- und Ordnungsgesetz [POG], Gesetz über Aufbau und Befugnisse der Ordnungsbehörden [OBG] oder Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht – PolG). Auf Bundesebene existieren vergleichbare Regelungen etwa im Bundespolizeigesetz (BPolG) sowie im Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG). Kommunale Satzungen wie Gefahrenabwehrverordnungen ergänzen das rechtliche Gefüge.
Abgrenzung zum Polizeirecht
Ordnungsbehördliche Maßnahmen sind klar von polizeilichen Maßnahmen abzugrenzen: Während die Polizei insbesondere zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit im Rahmen des jeweiligen Polizeigesetzes zuständig ist, handelt es sich bei Ordnungsbehörden zumeist um kommunale Behörden, die für spezielle Aufgaben der Gefahrenabwehr, zum Beispiel im Bereich der öffentlichen Ordnung, verantwortlich zeichnen.
Arten ordnungsbehördlicher Maßnahmen
Allgemeinverfügungen
Eine häufige Form ordnungsbehördlicher Eingriffe stellen Allgemeinverfügungen dar. Dabei handelt es sich um Verwaltungsakte, die sich an einen offenen oder bestimmten Personenkreis richten und einen bestimmten Lebenssachverhalt regeln, beispielsweise das Verbot bestimmter Veranstaltungen, Ausgangsbeschränkungen oder Sperrungen öffentlicher Plätze.
Einzelanordnungen
Einzelanordnungen sind spezifische Maßnahmen, die sich an einzelne oder konkret bestimmbare Personen richten, wie etwa die Verpflichtung zur Entfernung illegal abgelagerter Abfälle, die Schließung eines Betriebs bei Gefahr im Verzug oder die Auferlegung von Schutzmaßnahmen bei Gesundheitsgefahren.
Sofortvollzug und Zwangsmittel
Bei Gefahr im Verzug kann die Behörde Maßnahmen durchsetzen, ohne eine vorherige Anhörung durchzuführen. Im Rahmen des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes können Zwangsmittel wie Zwangsgeld, Ersatzvornahme oder unmittelbarer Zwang eingesetzt werden, falls der Adressat der Maßnahme nicht freiwillig nachkommt.
Voraussetzungen ordnungsbehördlicher Maßnahmen
Gefahr oder Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung
Zentrale Voraussetzung für ordnungsbehördliche Maßnahmen ist das Vorliegen einer Gefahr oder Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung. Diese Begriffe umfassen sowohl tatsächliche als auch konkrete Gefahrenlagen, in denen erhebliche Beeinträchtigungen abgewendet werden müssen.
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
Ordnungsbehördliche Maßnahmen dürfen nur ergriffen werden, wenn sie erforderlich, geeignet und angemessen sind. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt, dass das gewählte Mittel zur Gefahrenabwehr geeignet ist und kein milderes, gleich effektives Mittel zur Verfügung steht.
Zuständigkeit und Ermessen
Die Zuständigkeit basiert auf dem jeweiligen Ordnungsrecht. Die Behörden haben bei der Auswahl geeigneter Maßnahmen ein gesetzlich eingeräumtes Ermessen, das jedoch durch rechtsstaatliche Grundsätze begrenzt wird. Ermessensfehler oder -missbrauch können Maßnahmen rechtswidrig machen.
Rechtsfolgen und Rechtsschutz
Durchsetzungsmaßnahmen und Sanktionen
Kommt der Adressat einer ordnungsbehördlichen Anordnung nicht nach, kann die Behörde die Maßnahme zwangsweise durchsetzen. Bei unrechtmäßigem Verhalten kommen auch Bußgelder oder Untersagungen in Betracht.
Rechtsbehelfe
Gegen ordnungsbehördliche Maßnahmen steht Rechtsbehelf der Anfechtungsklage oder des Widerspruchs zur Verfügung. In besonders eilbedürftigen Situationen kann zudem vorläufigen Rechtsschutz beim Verwaltungsgericht beantragt werden (z.B. Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 VwGO).
Grenzen ordnungsbehördlicher Maßnahmen
Verfassungsrechtliche Schranken
Ordnungsbehördliche Maßnahmen unterliegen den Vorgaben des Grundgesetzes, insbesondere den Grundrechten wie dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht, dem Recht auf Eigentum und der Versammlungsfreiheit. Eingriffe müssen stets mit diesen Rechten vereinbar und durch hinreichende gesetzliche Grundlagen gedeckt sein.
Vorrang und Allgemeinverfügung anderer Behörden
Liegt die Hauptzuständigkeit bei einer anderen spezialgesetzlich geregelten Sonderbehörde oder besteht ein vorrangiges bundesrechtliches Regime, tritt die ordnungsbehördliche Zuständigkeit zurück (z.B. Seuchenrecht, Immissionsschutzrecht).
Praxisbeispiele und typische Anwendungsfelder
Zu den klassischen Anwendungsgebieten ordnungsbehördlicher Maßnahmen zählen unter anderem:
- Lärmschutzregelungen und Verhinderung von Ruhestörungen
- Schutz vor Gefahren durch Tiere oder bauliche Anlagen
- Anordnungen im Zusammenhang mit besonderen Ereignissen (z.B. Großveranstaltungen, Demonstrationen)
- Maßnahmen zur Gefahrenabwehr im Gesundheitsschutz (z.B. Infektionsschutzmaßnahmen)
Zusammenfassung
Ordnungsbehördliche Maßnahmen sind ein zentrales Steuerungsinstrument zur Sicherung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Sie unterliegen einem vielschichtigen rechtlichen Rahmen aus bundes- und landesrechtlichen Normen, müssen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen und sind an enge verfahrensrechtliche Vorgaben gebunden. Der effektive gerichtliche Rechtsschutz wahrt zugleich die Grundrechte der betroffenen Personen und gewährleistet die Kontrolle staatlicher Eingriffe.
Quellen:
- Bundes- und Landespolizeigesetze
- Gesetz über Aufbau und Befugnisse der Ordnungsbehörden (OBG)
- Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG)
- Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)
- Bundesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung
Häufig gestellte Fragen
Welche rechtlichen Voraussetzungen müssen für den Erlass ordnungsbehördlicher Maßnahmen vorliegen?
Für den Erlass ordnungsbehördlicher Maßnahmen sind verschiedene rechtliche Voraussetzungen maßgeblich. Zunächst bedarf es einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage, da Verwaltungshandeln in Deutschland dem Vorbehalt des Gesetzes unterliegt. Diese Ermächtigungsgrundlagen finden sich regelmäßig in den Polizeigesetzen der Länder oder im Ordnungsbehördengesetz. Voraussetzung ist das Vorliegen einer konkreten Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung. Die Behörde muss prüfen, ob die Maßnahme geeignet, erforderlich und angemessen (verhältnismäßig) ist. Hierbei darf die Maßnahme nicht intensiver sein, als zur Abwehr der Gefahr notwendig. Zusätzlich ist zu beachten, dass regelmäßig der sogenannte Störerbegriff gilt, wonach primär derjenige in Anspruch genommen wird, der die Gefahr verursacht oder zu verantworten hat. Sonderregelungen bestehen bei sogenannten Nichtstörern oder Zweckveranlassern. Insbesondere bei Eingriffsmaßnahmen ist überdies das Verwaltungsverfahren gemäß Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) zu beachten, beispielsweise durch Anhörung des Betroffenen gemäß § 28 VwVfG. Abschließend wird bei der Anordnung ordnungsbehördlicher Maßnahmen die Beachtung der Grundrechte, insbesondere des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und der Achtung der Menschenwürde, sorgfältig abgewogen.
Wie erfolgt die Auswahl des richtigen Adressaten einer ordnungsbehördlichen Maßnahme?
Die Auswahl des Adressaten, auch Adressatenauswahl genannt, erfolgt überwiegend unter Anwendung des Störerprinzips. Gemäß diesem Prinzip richtet sich eine Maßnahme in aller Regel gegen denjenigen, der die Gefahr verursacht hat (Verhaltensstörer) oder gegen denjenigen, von dessen Sache die Gefahr ausgeht (Zustandsstörer). Besteht Unsicherheit, kann die Behörde eine Ermittlungspflicht treffen, bevor eine Maßnahme auf einen bestimmten Adressaten ausgerichtet wird. Nur ausnahmsweise sind auch Unbeteiligte (Nichtstörer bzw. Nichtstörererwägungen) heranziehbar, etwa wenn eine unmittelbare Gefahr vorliegt, die nur so abgewendet werden kann und der tatsächliche Störer nicht rechtzeitig oder zuverlässig ermittelt werden kann. Die gerichtliche Kontrolle ist hier besonders streng, um eine umfassende Wahrung der Rechte Betroffener sicherzustellen. Im Fall mehrerer möglicher Adressaten besteht ein Auswahlermessen, das nach sachlichen Kriterien auszuüben ist.
Welche Rechtsmittel stehen gegen ordnungsbehördliche Maßnahmen zur Verfügung?
Gegen ordnungsbehördliche Maßnahmen können sich Betroffene mit verschiedenen Rechtsmitteln zur Wehr setzen. Grundsätzlich ist zunächst der Widerspruch das statthafte Rechtsmittel, soweit er im jeweiligen Landesrecht oder Spezialgesetz nicht ausgeschlossen ist. Der Widerspruch hat regelmäßig aufschiebende Wirkung, außer in Fällen, in denen die Behörde die sofortige Vollziehung angeordnet hat. Wird dem Widerspruch nicht abgeholfen, folgt die Möglichkeit der Klage vor dem Verwaltungsgericht (§ 42 VwGO), häufig als Anfechtungsklage oder (bei bereits vollzogenen Maßnahmen) als Fortsetzungsfeststellungsklage. Neben dem Hauptsachverfahren können auch einstweilige Rechtsschutzinstrumente, wie der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 VwGO, genutzt werden, um schnelle gerichtliche Entscheidungen zu erreichen. Darüber hinaus ist, abhängig vom Einzelfall, gegebenenfalls die Verfassungsbeschwerde möglich, sofern Grundrechte betroffen sind und der Rechtsweg erschöpft ist.
Wann ist eine ordnungsbehördliche Maßnahme verhältnismäßig?
Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit ist ein zentrales rechtsstaatliches Gebot für jede ordnungsbehördliche Maßnahme. Eine Maßnahme ist verhältnismäßig, wenn sie erstens einen legitimen Zweck verfolgt (Zweckmäßigkeit), zweitens geeignet ist, diesen Zweck zu erreichen, drittens erforderlich ist (es darf kein milderes, gleich wirksames Mittel geben) und viertens angemessen ist, also der Eingriff nicht außer Verhältnis zum beabsichtigten Erfolg steht (Angemessenheit). Die Behörde hat daher alle milderen Mittel zu prüfen und ihre Auswahl sorgfältig zu begründen. Insbesondere bei hoheitsrechtlichen Eingriffen wie Zwangsmaßnahmen, Bußgeldern oder präventiven Verboten wird die Verhältnismäßigkeit sorgfältig im Rahmen der Einzelfallprüfung abgewogen. Änderungen der tatsächlichen Umstände können eine Neubewertung der Verhältnismäßigkeit erforderlich machen.
Welche Bedeutung kommt dem Ermessen bei ordnungsbehördlichen Maßnahmen zu?
Das behördliche Ermessen spielt bei der Entscheidung über das Ob und das Wie ordnungsbehördlicher Maßnahmen eine zentrale Rolle. Das Gesetz spricht regelmäßig von „kann“-Formulierungen und eröffnet der Behörde damit Handlungs- oder Auswahlermessen. Das Entschließungsermessen betrifft die Frage, ob die Behörde einschreitet, das Auswahlermessen, welche konkreten Maßnahmen gegenüber wem getroffen werden. Allerdings ist dieses Ermessen an rechtliche Grenzen gebunden: Die Behörde darf nicht willkürlich handeln, sondern muss die Grundsätze des Verwaltungshandelns und die Interessen des Betroffenen berücksichtigen. Im Streitfall findet eine gerichtliche Überprüfung auf Ermessensfehler statt, beispielsweise, wenn die Behörde das ihr eingeräumte Ermessen gar nicht ausübt (Ermessensnichtgebrauch), sich von sachfremden Erwägungen leiten lässt (Ermessensfehlgebrauch) oder gesetzliche Grenzen überschreitet (Ermessensüberschreitung).
Welche Rolle spielt die Anhörung des Betroffenen bei ordnungsbehördlichen Maßnahmen?
Die Anhörung des Betroffenen vor Erlass einer ordnungsbehördlichen Maßnahme ist ein wesentlicher Bestandteil des Verwaltungsverfahrens und dient dem rechtlichen Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG sowie § 28 VwVfG. Vor einer belastenden Maßnahme muss der Betroffene grundsätzlich die Möglichkeit erhalten, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Die Behörde hat die Anhörung ordnungsgemäß durchzuführen und zur Kenntnis gebrachte Argumente in die Entscheidungsfindung miteinzubeziehen. Ausnahmen vom Anhörungserfordernis sind nur in engen rechtlichen Grenzen möglich, etwa bei Gefahr in Verzug oder offensichtlich erfolgloser Anhörung. Wird die Anhörung unterlassen, kann dies zur Rechtswidrigkeit der Maßnahme führen, wobei ausnahmsweise unbeachtlich, wenn sie nachgeholt wird und der Verfahrensfehler damit geheilt werden kann.