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Ohne-Rechnung-(OR-)Geschäft


Begriff und allgemeine Definition des Ohne-Rechnung-(OR-)Geschäfts

Ein Ohne-Rechnung-(OR-)Geschäft bezeichnet im deutschen Sprachgebrauch eine wirtschaftliche Transaktion, bei der eine Leistung (etwa eine Handwerkerdienstleistung oder eine Warenlieferung) erbracht wird, ohne dass hierfür eine ordnungsgemäße Rechnung gestellt wird. Synonym werden Begriffe wie „Schwarzarbeit“, „Bargeschäft ohne Beleg“ oder „Leistung ohne Abführung von Steuern“ verwendet. Das Kernelement des Ohne-Rechnung-Geschäfts ist, dass eine oder mehrere Parteien bewusst gegen steuerliche, handelsrechtliche und sozialversicherungsrechtliche Pflichten verstoßen, indem sie die Transaktion nicht dokumentieren und keine Umsatzsteuer bzw. Einkommensteuer abführen.

Rechtliche Einordnung und Abgrenzung

Abgrenzung zur legalen Geschäftsabwicklung

Gesetzlich verpflichten sowohl das Handelsgesetzbuch (HGB) als auch die Abgabenordnung (AO) unternehmerische Akteure zur lückenlosen Dokumentation von Geschäftsvorfällen. Gemäß § 14 Umsatzsteuergesetz (UStG) ist die Ausstellung einer Rechnung bei Lieferung oder Leistung an einen anderen Unternehmer oder eine juristische Person zwingend. Das Unterlassen dieser Pflichten im Fall eines Ohne-Rechnung-Geschäfts stellt eine bewusste Umgehung steuerlicher und handelsrechtlicher Verpflichtungen dar und unterscheidet sich daher grundlegend von gesetzeskonformen Geschäftsvorfällen.

Typische Erscheinungsformen

Ohne-Rechnung-Geschäfte treten insbesondere im handwerklichen Sektor, im Baugewerbe, bei Reparaturleistungen oder bei der Lieferung von Waren im geringen Umfang auf. Häufig dient dabei die Vereinbarung „ohne Rechnung“ der Erlangung einer Kostenerleichterung durch Wegfall der Umsatzsteuer sowie der Reduzierung des zu versteuernden Gewinns, was zu einer Steuerverkürzung führt.

Steuerrechtliche Konsequenzen

Steuerhinterziehung gemäß § 370 AO

Wer eine Ware oder Dienstleistung erwirbt oder anbietet, ohne eine Rechnung zu stellen oder den Umsatz zu deklarieren, begeht in der Regel eine Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abgabenordnung. Hierbei werden Einkünfte vorsätzlich oder leichtfertig nicht, nicht vollständig oder nicht in der richtigen Art versteuert. Die Steuerhinterziehung ist mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bewehrt, in besonders schweren Fällen kann eine Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren verhängt werden.

Folgen für Unternehmer und Auftraggeber

Sowohl der leistende Unternehmer als auch der Auftraggeber können rechtlich belangt werden, sobald ein ohne Rechnung abgewickelter Vorgang nachweisbar wird. Neben steuerlichen Nachzahlungen können Bußgelder, Zinsen sowie der Verlust steuerlicher Vorzüge (zum Beispiel des Vorsteuerabzugs) die Folge sein.

Zivilrechtliche Auswirkungen

Nichtigkeit des Vertrages wegen Gesetzesverstoßes

Im Zivilrecht führt ein Ohne-Rechnung-Geschäft gemäß § 134 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot zur Nichtigkeit des Vertrages. Dies wurde durch die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) bestätigt. Daraus ergibt sich, dass aus solchen Verträgen keine zivilrechtlichen Ansprüche wie etwa Mängelgewährleistung, Zahlungsansprüche oder Schadensersatzansprüche hergeleitet werden können.

Relevante Urteile

Im Urteil vom 1. August 2013 (VII ZR 6/13) entschied der Bundesgerichtshof, dass ein Werkvertrag, bei dem die Parteien vereinbaren, keine Rechnung zu stellen und somit Steuern zu hinterziehen, gemäß § 134 BGB nichtig ist. Der Auftraggeber kann daher keine Gewährleistungsrechte geltend machen, der Unternehmer keine Restwerklohnansprüche.

Ausnahmen und Rückabwicklungen

Eine Rückabwicklung nach Bereicherungsrecht (§ 812 BGB) ist bei einem nichtigen OR-Geschäft regelmäßig ebenfalls ausgeschlossen. Ziel ist, Anreize zur Umgehung steuerlicher Pflichten zu vermeiden.

Arbeitsrecht und Sozialversicherungsrecht

Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung

Ohne-Rechnung-Geschäfte sind regelmäßig mit Verstößen gegen das Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz (SchwarzArbG) verbunden. Nach § 1 SchwarzArbG ist es verboten, Dienst- und Werkleistungen zu erbringen oder in Anspruch zu nehmen, wenn dabei steuerliche, sozialversicherungsrechtliche oder gewerberechtliche Pflichten verletzt werden. Für Arbeitnehmer entfällt durch die fehlende Anmeldung zur Sozialversicherung der Versicherungsschutz.

Mögliche Sanktionen

Die Nichtabgabe von Sozialversicherungsbeiträgen stellt eine Ordnungswidrigkeit oder sogar Straftat gemäß § 266a Strafgesetzbuch (StGB) dar. Sanktionen reichen von Bußgeldern bis zu Haftstrafen.

Bußgelder und strafrechtliche Folgen

Neben den bereits genannten Sanktionen der Steuerhinterziehung und der Nichtigkeit des Vertrages sieht das Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz für Beteiligte empfindliche Bußgelder vor. Mitunter droht bei gewerbsmäßigem Handeln die Eintragung in das Gewerbezentralregister und der Gewerbeuntersagung nach § 35 Gewerbeordnung.

Auswirkungen auf die Gewährleistung und den Verbraucherschutz

Verbraucher sind oftmals nicht ausreichend über die schwerwiegenden rechtlichen Folgen eines Ohne-Rechnung-Geschäfts informiert. Im Schadensfall oder bei Leistungsstörungen besteht kein Anspruch auf Nachbesserung, Rücktritt oder Schadensersatz. Das Fehlen eines schriftlichen Vertrages und einer Rechnung erschwert zudem die Beweisbarkeit des Vertragsinhalts.

Prävention und staatliche Bekämpfung

Betriebsprüfung und Steuerfahndung

Finanzbehörden führen gezielte Prüfungen durch, um solche Geschäfte aufzudecken. Steuerfahndung und Zoll arbeiten hierzu engmaschig mit Bauämtern und Sozialversicherungsträgern zusammen.

Gesetzgeberische Maßnahmen

Mit dem Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung stehen erweiterte Ermittlungsbefugnisse zur Verfügung. Zusätzlich existieren Meldepflichten für bargeldintensive Wirtschaftsbereiche.

Zusammenfassung und rechtliche Bewertung

Das Ohne-Rechnung-(OR-)Geschäft stellt eine unzulässige Umgehung steuer- und sozialrechtlicher Pflichten dar. Es ist zivilrechtlich nichtig und führt zu weitreichenden Nachteilen für alle Beteiligten, darunter Verlust des Rechtsschutzes, strafrechtliche Verfolgung und erhebliche wirtschaftliche Schäden. Die Rechtsordnung sieht zahlreiche Regelungen und Kontrollmechanismen zur Verhinderung und Sanktionierung derartiger Transaktionen vor.

Die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben zur Rechnungsstellung und Versteuerung bleibt ein zentrales Anliegen des deutschen Rechtsstaates zur Sicherstellung von Steuergerechtigkeit und sozialer Absicherung.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Konsequenzen drohen bei einem Ohne-Rechnung-(OR-)Geschäft?

Ein Ohne-Rechnung-(OR-)Geschäft, bei dem also bewusst keine Rechnung ausgestellt wird, um Steuern oder Sozialabgaben zu hinterziehen, stellt in Deutschland eine Ordnungswidrigkeit oder sogar eine Straftat dar. Handelt es sich um eine vorsätzliche Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abgabenordnung (AO), drohen Freiheitsstrafen von bis zu fünf Jahren oder Geldstrafen, in besonders schweren Fällen sogar bis zu zehn Jahren Freiheitsentzug. Auch der Versuch ist bereits strafbar. Zusätzlich kann ein Verstoß gegen die Pflicht zur Abführung von Sozialbeiträgen nach § 266a Strafgesetzbuch (StGB) vorliegen, was zusätzliche strafrechtliche Konsequenzen nach sich zieht. Parallel bestehen rückwirkende steuerrechtliche Pflichten, z.B. die Nachzahlung der geschuldeten Umsatz- und Einkommenssteuer sowie entsprechende Verzugszinsen. Bußgelder, gewerberechtliche Konsequenzen wie der Verlust der Zuverlässigkeit und im Extremfall der Ausschluss von öffentlichen Aufträgen sind möglich. Letztlich besteht auch für beide Parteien, also für Auftraggeber und Auftragnehmer, ein strafbares Verhalten, da beide einem Schema zustimmen, das das Gemeinwesen schädigt.

Ist ein OR-Geschäft zivilrechtlich überhaupt gültig und durchsetzbar?

OR-Geschäfte, die ausschließlich zum Zweck der Steuerhinterziehung oder Sozialversicherungsbetrug abgeschlossen werden, sind gemäß § 134 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) nichtig, da sie gegen ein gesetzliches Verbot (§ 134 BGB in Verbindung mit Abgabenordnung und Sozialgesetzbuch) verstoßen. Daraus folgt, dass etwaige vertragliche Ansprüche wie Zahlungsansprüche oder Gewährleistungsrechte aus solchen Verträgen vor deutschen Gerichten im Regelfall nicht durchgesetzt werden können. Weder der Auftragnehmer noch der Auftraggeber kann wirksam den jeweils vereinbarten Anspruch auf Erbringung oder Bezahlung der Leistung vor Gericht geltend machen, zudem können vorgerichtliche Einigungen problematisch sein, da beide Parteien sich der Beihilfe zur Steuerstraftat schuldig machen. Die Nichtigkeit bezieht sich auf den gesamten Vertrag, sofern der Gesetzesverstoß Hauptzweck des Vertrags ist.

Wer ist strafrechtlich verantwortlich bei einem OR-Geschäft?

Strafrechtlich verantwortlich sind grundsätzlich sowohl derjenige, der die Leistung erbringt (z.B. Handwerker oder Dienstleister), als auch der Auftraggeber, der bewusst keine Rechnung verlangt. Die Verantwortung entsteht durch das bilaterale Einvernehmen zum Gesetzesverstoß. Zudem kann eine Strafbarkeit nicht nur für Haupttäter, sondern auch für Anstifter oder Gehilfen nach § 26, § 27 StGB bestehen; dies gilt insbesondere, wenn jemand zur Durchführung des OR-Geschäfts anstiftet oder dessen Durchführung aktiv unterstützt. Gesellschaftsrechtlich trägt darüber hinaus der Geschäftsführer oder Inhaber eines Unternehmens die Verantwortung und kann im Falle organisatorischer Mängel für fremdverschuldete OR-Geschäfte haftbar gemacht werden (§ 14 OWiG, § 130 OWiG). Damit sind der persönliche, strafrechtliche und gesellschaftsrechtliche Verantwortungsbereich zu differenzieren und weitreichend.

Können Bußgelder oder Strafen auch rückwirkend verhängt werden?

Ja, sowohl finanz- als auch strafrechtliche Verfolgung von OR-Geschäften ist rückwirkend möglich. Die Verjährungsfristen betragen z.B. bei Steuerhinterziehung nach § 376 AO mindestens fünf Jahre, in besonders schweren Fällen zehn Jahre. Innerhalb dieser Frist können Strafverfolgung und Steuernachforderungen erfolgen. Die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens bzw. die Feststellung eines OR-Geschäfts durch Finanzbehörden oder Zoll kann zu einer vollständigen Überprüfung der zurückliegenden Geschäftstätigkeit führen, wobei alle entsprechenden Rechtsfolgen – Geldbußen, Steuerbescheide, Strafverfahren – auch noch Jahre nach dem eigentlichen OR-Geschäft ausgesprochen werden können. Entdeckte Steuerhinterziehungen oder Beitragsvorenthaltungen werden dann mit Aufschlägen (Säumniszuschläge, Zinsen) nachberechnet. Eine nachträgliche Selbstanzeige (§ 371 AO) kann unter engen Voraussetzungen Straffreiheit bewirken, erfordert aber eine umfassende, freiwillige Offenlegung aller relevanten Vorgänge.

Gibt es Ausnahmen, bei denen ein OR-Geschäft legal wäre?

Aus rechtlicher Sicht bestehen für OR-Geschäfte keine Ausnahmen, sofern das Fehlen der Rechnung mit dem bewussten Ziel erfolgt, steuerrechtliche oder sozialversicherungsrechtliche Verpflichtungen zu umgehen. Jede auf ein OR-Geschäft ausgelegte Vereinbarung, bei der die gesetzlichen Pflichten zur Rechnungsstellung nach § 14 UStG, zur steuerlichen Erklärung oder zur Abführung von Sozialabgaben verletzt werden, ist rechtswidrig. Dies gilt unabhängig von der Höhe des Betrags, vom Anlass oder dem Verhältnis zwischen den Parteien. Auch sogenannte „Gefälligkeiten“ im Freundes- oder Familienkreis können unter Umständen als OR-Geschäft gewertet werden, sobald sie einen für beide Seiten erkennbaren geschäftlichen Charakter aufweisen und steuerlich relevant werden.

Wie ermitteln Behörden OR-Geschäfte und welche Beweismittel werden verwendet?

Behörden, insbesondere Finanzämter, Prüfungsdienste und der Zoll, greifen auf diverse Mittel zur Ermittlung von OR-Geschäften zurück. Klassische Methoden sind Betriebsprüfungen, die Auswertung ungewöhnlicher Bargeldbewegungen, Kassenprüfungen oder die Analyse von Diskrepanzen zwischen erklärten Umsätzen und betrieblichen Aufwendungen. Hinweise aus der Bevölkerung oder durch Wettbewerber (anonyme Anzeigen) sowie die Auswertung von Unterlagen bei Kontrollmaßnahmen können ebenfalls zur Aufdeckung beitragen. Als Beweismittel dienen neben Zeugen (z.B. Handwerkern oder Nachbarn) auch elektronische Daten, Aktennotizen, E-Mail- oder SMS-Verkehr, Bankauszüge, Fotos von Bau- oder Handwerksarbeiten, sowie Positivlisten von Einkaufsmaterialien und Werkzeugeinsätzen. Auch eine Selbstanzeige oder Aussagen von Mitbeteiligten spielen eine zentrale Rolle in der Beweisführung. Das Finanzamt hat weitgehende Ermittlungs- und Prüfungsbefugnisse (§§ 193 ff. AO).

Welche Rolle spielt die Mitwirkungspflicht der Beteiligten im Ermittlungsverfahren?

Sowohl Auftraggeber als auch Auftragnehmer sind verpflichtet, im Rahmen eines behördlichen Ermittlungsverfahrens umfassend Auskunft zu erteilen, Unterlagen bereitzustellen und auf Nachfrage Einsicht in buchhalterische und steuerliche Unterlagen zu gewähren (§ 200 AO). Die Verweigerung oder Verhinderung der Mitwirkung kann als Ordnungswidrigkeit oder sogar als strafbare Handlung gewertet werden (z.B. falsche eidesstattliche Versicherung, Urkundenfälschung, § 267 StGB, oder Strafvereitelung, § 258 StGB). Wer im Rahmen der eigenen Steuer- und Mitwirkungspflicht wahrheitswidrige Angaben macht oder relevante Dokumente zurückhält, setzt sich zusätzlichen Sanktionen aus. Allerdings besteht ein Aussageverweigerungsrecht, soweit die Selbstauskunft zur eigenen Belastung führen würde (sog. Nemo-tenetur-Grundsatz). Hier empfiehlt sich die rechtliche Beratung durch einen Anwalt.