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Ohne-Rechnung-(OR-)Geschäft

Ohne-Rechnung-(OR-)Geschäft: Begriff, Bedeutung und Abgrenzung

Definition

Ein Ohne-Rechnung-(OR-)Geschäft bezeichnet eine entgeltliche Leistung oder Lieferung, bei der die Vertragsparteien bewusst darauf verzichten, eine ordnungsgemäße Rechnung zu erstellen oder offenzulegen. Ziel ist häufig, Abgaben zu vermeiden oder Umsätze zu verbergen. Typisch sind Barzahlungen mit Preisnachlass gegen den ausdrücklichen oder konkludenten Verzicht auf eine Rechnung. Das Phänomen tritt besonders bei handwerklichen Leistungen, Bau- und Reparaturarbeiten sowie sonstigen Dienstleistungen auf.

Abgrenzung zu anderen Konstellationen

  • Barzahlung ist nicht gleich OR-Geschäft: Barzahlung mit ordnungsgemäßer Rechnung ist zulässig.
  • Leistungen ohne gesonderten Umsatzsteuerausweis bei bestimmten Unternehmenskategorien können rechtmäßig sein, sofern eine ordnungsgemäße Rechnung ausgestellt wird und die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen.
  • Nachbarschaftshilfe oder Gefälligkeiten ohne Entgelt sind kein OR-Geschäft; bei verdeckten Entgelten oder regelmäßiger Tätigkeit kann jedoch eine entgeltliche Leistung vorliegen.
  • Privatverkäufe sind in der Regel nicht betroffen, solange keine gewerbliche Tätigkeit und keine Umgehung von Abgaben beabsichtigt ist.

Rechtliche Einordnung und Folgen

Zivilrechtliche Wirkung der OR-Abrede

Eine bewusste Vereinbarung, eine Leistung „ohne Rechnung“ zu erbringen, kann zur Unwirksamkeit des Vertrages führen. Betroffen sind insbesondere Fälle, in denen die Abrede auf die Umgehung gesetzlicher Abgaben abzielt. Die zivilrechtlichen Konsequenzen sind erheblich:

  • Vergütungsansprüche können entfallen, selbst wenn die Leistung erbracht wurde.
  • Gewährleistungs- und Mängelrechte können ausgeschlossen sein, weil der Vertrag insgesamt als nicht durchsetzbar behandelt wird.
  • Rückabwicklungen sind erschwert; bereits Geleistetes kann unter Umständen nicht zurückgefordert werden.
  • Beweisprobleme verschärfen sich, da schriftliche Dokumentation und Rechnungen fehlen.

Steuerrechtliche und abgabenbezogene Risiken

OR-Geschäfte sind mit erheblichen Risiken im Abgabenbereich verbunden. Je nach Ausgestaltung kommen insbesondere folgende Punkte in Betracht:

  • Nicht erklärter Umsatz kann zu Steuernachforderungen, Zinsen und Bußgeldern führen.
  • Der Auftraggeber kann sich der Beihilfe zu einer Abgabenverkürzung ausgesetzt sehen.
  • Ein Vorsteuerabzug ist ohne ordnungsgemäße Rechnung ausgeschlossen.
  • Bei Entdeckung können Prüfungen vergangener Zeiträume ausgeweitet werden.

Arbeits- und Sozialversicherungsrecht

Wo OR-Geschäfte mit illegaler Beschäftigung einhergehen, stehen Arbeitgeberpflichten zur Lohnabrechnung, Anmeldung und Beitragsabführung im Raum. Folgen können Nachzahlungen, Säumniszuschläge und Bußgelder sein. Für Beschäftigte besteht das Risiko fehlenden Versicherungsschutzes und mangelnder Absicherung im Krankheits- oder Unfallfall.

Ordnungs- und strafrechtliche Konsequenzen

OR-Geschäfte können ordnungswidrige oder strafbare Handlungen berühren. Je nach Fallkonstellation kommen Geldbußen, Geldstrafen und ergänzende Maßnahmen in Betracht. Auch der Versuch, die Abrede zu verschleiern, kann bei der Bewertung eine Rolle spielen.

Gewerbe-, Handwerks- und Vergaberecht

Im gewerblichen Bereich kann die Beteiligung an OR-Geschäften Zweifel an der Zuverlässigkeit begründen. Mögliche Folgen reichen von Verwarnungen bis zu gewerberechtlichen Maßnahmen. Im öffentlichen Beschaffungswesen kann die Teilnahme an OR-Geschäften den Ausschluss von Vergabeverfahren nach sich ziehen.

Versicherung, Haftung und Sicherheit

Versicherer schließen regelmäßig Schäden vom Schutz aus, die im Zusammenhang mit vorsätzlich rechtswidrigem Verhalten stehen. Bei OR-Geschäften kann dadurch die Haftpflichtdeckung gefährdet sein. Bei Bau- und Montageleistungen fehlt zudem die belastbare Dokumentation, die für die Risikobewertung und Schadensregulierung maßgeblich ist.

Beweislast und Dokumentation

Ohne Rechnung fehlen zentrale Nachweise zu Leistung, Umfang und Preis. Das erschwert die Durchsetzung von Ansprüchen, die Abwehr von Forderungen und die Klärung technischer Fragen. Kommunikationsverläufe, Zahlungsflüsse und Zeugen spielen dann eine größere Rolle, sind aber oft lückenhaft.

Typische Risikofelder im Alltag

Bau- und Handwerksleistungen im privaten Umfeld

Besonders häufig betreffen OR-Abreden Renovierungen, Umbauten, Montage- und Reparaturarbeiten. Mängel, Terminverzögerungen oder Folgeschäden sind in der Praxis schwer zu bereinigen, wenn vertragliche Grundlagen fehlen oder unwirksam sind.

Gewährleistung, Nachbesserung und Ersatz von Folgeschäden

Der Verlust von Mängelrechten ist ein zentrales Risiko. Ohne wirksame vertragliche Basis entfällt die rechtliche Grundlage für Nachbesserung, Minderung oder Schadensersatz. Streitigkeiten über Ursache, Verantwortlichkeit und Beseitigung von Mängeln nehmen zu.

Vergütung, Abschläge und Streit um den Werklohn

Wo Verträge wegen einer OR-Abrede nicht durchsetzbar sind, können Zahlungsansprüche wegfallen. Auch bereits geleistete Zahlungen lassen sich nicht ohne Weiteres zurückverlangen. Das führt zu Unsicherheiten für beide Seiten.

Verjährung und Aufbewahrung

Fehlende Rechnungen und Vertragsunterlagen erschweren die Fristenkontrolle und die Nachweisführung. Bei späteren Auseinandersetzungen fehlt häufig die Dokumentation, die für die sachliche Aufklärung entscheidend wäre.

Häufig gestellte Fragen (FAQ) zum Ohne-Rechnung-(OR-)Geschäft

Ist ein Bar-Geschäft ohne Rechnung automatisch ein OR-Geschäft?

Nein. Barzahlung ist zulässig. Ein OR-Geschäft liegt vor, wenn die Parteien bewusst auf eine ordnungsgemäße Rechnung verzichten, um Abgaben zu umgehen oder Umsätze zu verbergen. Barzahlung mit ordnungsgemäßer Rechnung ist davon nicht betroffen.

Können bei einem OR-Geschäft Mängelansprüche geltend gemacht werden?

In Konstellationen, in denen die OR-Abrede zur Unwirksamkeit des Vertrages führt, sind Mängelansprüche regelmäßig nicht durchsetzbar. Der Verlust von Gewährleistungsrechten gehört zu den typischen Risiken solcher Abreden.

Trägt eine Haftpflicht- oder Bauversicherung Schäden aus einem OR-Geschäft?

Versicherungen schließen Schäden aus, die mit vorsätzlichen Rechtsverstößen zusammenhängen. Bei OR-Geschäften kann dadurch der Versicherungsschutz entfallen. Ohne ordnungsgemäße Dokumentation ist zudem die Regulierung von Schäden erschwert.

Welche Risiken bestehen für Auftraggebende?

Auftraggebende setzen sich zivilrechtlichen, abgabenrechtlichen und ordnungsrechtlichen Risiken aus. Dazu gehören der Verlust von Mängelrechten, mögliche Beteiligung an Abgabenverstößen, Nachforderungen sowie Nachteile im Streitfall aufgrund fehlender Belege.

Welche Rolle spielt die Abrede „ohne Rechnung“ für die Wirksamkeit des Vertrages?

Eine bewusst vereinbarte Leistung ohne Rechnung mit dem Ziel der Abgabenumgehung kann zur Unwirksamkeit des Vertrages führen. Die Folge ist häufig der Wegfall von Vergütungs- und Gewährleistungsansprüchen auf beiden Seiten.

Kann eine Rechnung nachträglich ausgestellt werden, um ein OR-Geschäft zu „heilen“?

Eine nachträgliche Rechnung ändert an der rechtlichen Bewertung der ursprünglichen OR-Abrede nicht automatisch etwas. Entscheidend ist, ob die ursprüngliche Vereinbarung auf Umgehung von Pflichten gerichtet war und welche Rechtsfolgen daraus resultieren.

Wodurch unterscheidet sich Nachbarschaftshilfe vom OR-Geschäft?

Unentgeltliche, gelegentliche Gefälligkeiten sind keine OR-Geschäfte. Sobald jedoch ein Entgelt vereinbart wird oder eine regelmäßige, auf Einnahmen gerichtete Tätigkeit vorliegt, kann eine entgeltliche Leistung gegeben sein, bei der die ordnungsgemäße Abwicklung maßgeblich ist.

Welche Folgen hat ein OR-Geschäft im öffentlichen Auftragswesen?

Die Beteiligung an OR-Geschäften kann Zweifel an der Zuverlässigkeit begründen und zum Ausschluss von Vergabeverfahren führen. Zusätzlich drohen verwaltungs- und ordnungsrechtliche Maßnahmen.