Begriff und Grundlagen des Offenen Verfahrens
Das offene Verfahren ist ein zentrales Vergabeverfahren im öffentlichen Auftragswesen und bezeichnet ein Standardverfahren, bei dem jegliche interessierte Unternehmen Angebote auf eine öffentliche Ausschreibung abgeben können. Es spielt insbesondere im europäischen Vergaberecht nach der Richtlinie 2014/24/EU sowie im deutschen Vergaberecht gemäß dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) und der Vergabeverordnung (VgV) eine herausgehobene Rolle. Die Transparenz und der Wettbewerb sind wesentliche Merkmale dieses Verfahrens, mit dem Ziel, die bestmögliche Beschaffung von Bau-, Liefer- oder Dienstleistungen durch öffentliche Auftraggeber zu gewährleisten.
Rechtsgrundlagen und Anwendungsbereich
Europarechtliche Grundlagen
Die rechtliche Basis für das offene Verfahren auf europäischer Ebene bildet die Richtlinie 2014/24/EU über die öffentliche Auftragsvergabe. Diese Norm schreibt vor, dass öffentliche Auftraggeber oberhalb bestimmter Schwellenwerte Vergabeverfahren nach transparenten, diskriminierungsfreien und wettbewerbsoffenen Grundsätzen wählen müssen. Das offene Verfahren ist dort als ein zentrales Instrument zur Realisierung dieser Vorgaben ausgestaltet.
Nationale Rechtsgrundlagen
In Deutschland regeln das GWB sowie die VgV die Anwendung des offenen Verfahrens. Öffentliche Auftraggeber sind ab dem Erreichen der EU-Schwellenwerte grundsätzlich verpflichtet, bei der Vergabe von Bau-, Liefer- oder Dienstleistungen das offene Verfahren als Regelverfahren anzuwenden. Abweichungen hiervon sind nur bei Vorliegen der gesetzlichen Ausnahmen zulässig.
Ablauf und Struktur des Offenen Verfahrens
Verfahrensbeginn und Bekanntmachung
Das offene Verfahren beginnt mit der öffentlichen Bekanntmachung der beabsichtigten Auftragsvergabe. Diese Bekanntmachung ist zwingend im Amtsblatt der Europäischen Union und ggf. in weiteren geeigneten Medien zu publizieren. Sie muss alle relevanten Informationen umfassen, darunter:
- Auftraggeber
- Leistungsbeschreibung
- Teilnahmekriterien und Zuschlagskriterien
- Fristen für die Angebotsabgabe
- Kommunikationswege
Angebotsphase
Im Unterschied zum Nichtoffenen oder Verhandlungsverfahren ist das offene Verfahren dadurch charakterisiert, dass sämtliche interessierten Unternehmen direkt und ohne vorherige Auswahlphase ein Angebot einreichen können. Der Zugang ist nicht beschränkt und erfolgt ohne vorheriges Teilnahmewettbewerb.
Ablauf in der Angebotsphase:
- Alle interessierten Unternehmen können unabhängig von einer Eignungsprüfung im Vorfeld ein Angebot abgeben.
- Die Angebotsfrist beträgt in der Regel mindestens 35 Kalendertage ab Veröffentlichung. Im Fall elektronischer Angebotsabgabe kann die Frist auf 30 Tage verkürzt werden.
Angebotsöffnung und Prüfung
Nach Ablauf der Angebotsfrist erfolgt die Öffnung und Dokumentation der eingegangenen Angebote. Der öffentliche Auftraggeber prüft die Angebote nach zwei zentralen Aspekten:
- Eignungsprüfung: Überprüfung der Unternehmen auf die geforderten Leistungsfähigkeiten und Zuverlässigkeit.
- Zuschlagsprüfung: Bewertung der Angebote anhand der zuvor in den Vergabeunterlagen veröffentlichten Zuschlagskriterien, beispielsweise dem wirtschaftlichsten Angebot.
Zuschlag und Abschluss
Der öffentliche Auftraggeber kann den Zuschlag nur auf das Angebot erteilen, das – nach formaler und materieller Prüfung – den festgelegten Zuschlagskriterien entspricht. Vor dem Zuschlag müssen Bieter, deren Angebote nicht berücksichtigt werden, über die Ablehnung ihres Angebots informiert werden (§ 134 GWB – sogenannte Informations- und Wartepflicht).
Charakteristika und Zweck des Offenen Verfahrens
Das offene Verfahren erfüllt insbesondere die Prinzipien der Transparenz, Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung. Es fördert den Wettbewerb und eröffnet auch kleinen und mittleren Unternehmen die Möglichkeit der Teilnahme an öffentlichen Ausschreibungen. Der direkte Zugang zu Angeboten ohne vorausgehenden Teilnahmewettbewerb gewährleistet eine möglichst breite Marktansprache.
Vorteile und Nachteile des Offenen Verfahrens
Vorteile
- Maximaler Wettbewerb: Durch uneingeschränkte Teilnahme wird der Wettbewerb bestmöglich gefördert.
- Transparenz: Klare und öffentliche Kommunikation der Anforderungen ermöglicht eine faire Vergabe.
- Einfache Durchführung: Für Auftraggeber standardisiertes Verfahren mit definierten Schritten.
Nachteile
- Hoher Verwaltungsaufwand: Große Anzahl an Angeboten können den Auswertungsaufwand erheblich erhöhen.
- Risiko unqualifizierter Angebote: Keine Vorselektion führt zu potenziellen Angeboten von Unternehmen ohne erforderliche Leistungsfähigkeit.
Abgrenzung zu anderen Vergabeverfahren
Nichtoffenes Verfahren
Im nichtoffenen Verfahren erfolgt eine vorherige Auswahl der Teilnehmenden durch einen vorgeschalteten Teilnahmewettbewerb. Nur ausgewählte Bewerber werden zur Angebotsabgabe aufgefordert.
Verhandlungsverfahren
Beim Verhandlungsverfahren können mit den Bietern nach der Angebotsabgabe noch Vertragsdetails verhandelt werden, was im offenen Verfahren grundsätzlich ausgeschlossen ist.
Innovative und weitere Verfahren
Das offene Verfahren grenzt sich zudem von weiteren – speziellen oder innovationsfördernden – Vergabeverfahren wie etwa dem wettbewerblichen Dialog oder der Innovationspartnerschaft ab, bei welchen individuelle Besonderheiten in der Kommunikation und Angebotsauswahl bestehen.
Praktische Bedeutung und Praxisbeispiele
In der Praxis ist das offene Verfahren vor allem bei umfangreichen Bauaufträgen, Lieferleistungen auf breitem Markt oder standardisierbaren Dienstleistungen die bevorzugte Vergabeart von Bund, Ländern und Gemeinden. Öffentliche Ausschreibungen im Verkehrs-, Beschaffungs- oder Schulbaubereich finden häufig im offenen Verfahren statt.
Rechtsschutz und Nachprüfung
Bieter haben die Möglichkeit, bei vermeintlichen Verstößen gegen die Vorschriften des offenen Verfahrens Nachprüfungsverfahren vor den Vergabekammern anzustrengen. Dies betrifft insbesondere Fälle von Verstößen gegen Transparenzgebot, Gleichbehandlung oder fehlerhafte Wertung der Angebote.
Zusammenfassung
Das offene Verfahren ist das grundlegende und standardisierte Vergabeverfahren im öffentlichen Auftragswesen, das durch weitgehende Offenheit für alle Marktteilnehmer und ein hohes Maß an Transparenz geprägt ist. Es ist durch umfangreiche rechtliche Normen auf nationaler und europäischer Ebene geregelt und stellt sicher, dass das öffentliche Auftragswesen nach klaren, objektiven und überprüfbaren Grundsätzen durchgeführt wird.
Literaturverzeichnisse, weiterführende Quellen und rechtliche Normtexte zum Thema offenes Verfahren finden sich insbesondere in den europäischen Richtlinien zur öffentlichen Auftragsvergabe, dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (§§ 97 ff. GWB) und der Vergabeverordnung (VgV).
Häufig gestellte Fragen
Welche Fristen gelten im offenen Verfahren nach deutschem Vergaberecht?
Im offenen Verfahren sind die Fristen für die Abgabe von Angeboten streng geregelt, um Chancengleichheit und Transparenz sicherzustellen. Nach § 15 VgV (Vergabeverordnung) beträgt die Mindestfrist für den Eingang der Angebote grundsätzlich 35 Kalendertage ab dem Tag der Absendung der Bekanntmachung. Die Frist kann jedoch unter bestimmten Voraussetzungen verkürzt werden, beispielsweise wenn eine elektronische Angebotsabgabe vollständig zugelassen ist – dann kann die Frist auf mindestens 30 Tage reduziert werden. Bei Dringlichkeit kann die Frist noch weiter auf mindestens 15 Tage gekürzt werden, sofern und soweit diese Eile sachlich begründet und dokumentiert wurde. Die genauen Fristen müssen EU-weit ausgeschriebenen Vergaben entsprechen, insbesondere bei unterschwelligen Vergaben greifen nationale Regelungen des UVgO. Die Einhaltung dieser Fristen ist vergaberechtlich zwingend und Verstöße führen regelmäßig zur Aufhebung oder Anfechtung des gesamten Vergabeverfahrens.
Welche Anforderungen bestehen an die Gestaltung und Veröffentlichung der Vergabebekanntmachung?
Im Rahmen des offenen Verfahrens müssen die Auftraggeber die Vergabebekanntmachung so gestalten, dass sie präzise, transparent und diskriminierungsfrei ist. Die Bekanntmachung muss alle für den Wettbewerb relevanten Informationen enthalten, damit interessierte Unternehmen sich umfassend und gleichberechtigt beteiligen können. Rechtlich verpflichtet § 37 VgV die Vergabestelle zur Veröffentlichung wesentlicher Inhalte wie Leistungsbeschreibung, Zuschlagskriterien, etwaige Eignungsanforderungen sowie Fristen zur Angebotsabgabe. Die Veröffentlichung erfolgt in der Regel im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union (TED) und zusätzlich zumeist in nationalen Vergabeportalen. Formelle und inhaltliche Fehler in der Bekanntmachung, etwa unklare Anforderungen oder fehlende Angaben, können zu Nachprüfungsverfahren führen und zur Unwirksamkeit des Verfahrens führen.
Wie erfolgt die Angebotswertung im offenen Verfahren, und welche rechtlichen Vorgaben müssen beachtet werden?
Die Angebotswertung erfolgt nach den im Vergabeverfahren bekannt gemachten Kriterien. Das Vergaberecht schreibt Transparenz und Nachvollziehbarkeit der Wertung zwingend vor. Maßgeblich ist, dass sämtliche Zuschlagskriterien bereits in den Ausschreibungsunterlagen genannt und beschrieben sein müssen (§ 127 GWB; § 58 VgV). Die Wertung erfolgt in einem förmlichen Verfahren, welches dokumentiert und prüfbar zu erfolgen hat, sodass nachträgliche Veränderungen ausgeschlossen und die Entscheidung jederzeit überprüfbar ist. Zugelassen sind sämtliche Zuschlagskriterien, die einen Bezug zum Auftragsgegenstand haben. Die Angebotswertung muss diskriminierungsfrei erfolgen, und sämtliche Bieter müssen gleich behandelt werden. Bei Abweichungen hiervon können Unternehmen Nachprüfungsverfahren einleiten.
Welche Rechte haben Bieter bei vermuteten Rechtsverstößen im laufenden Verfahren?
Bieter, die einen Vergaberechtsverstoß vermuten, haben gemäß § 160 GWB das Recht, einen Nachprüfungsantrag bei der zuständigen Vergabekammer zu stellen. Dies ist grundsätzlich möglich, wenn sie zuvor den Vergabeverstoß gegenüber der Vergabestelle gerügt haben und dieser von der Vergabestelle nicht abgeholfen wurde. Im offenen Verfahren gelten die gleichen Voraussetzungen für Nachprüfungsverfahren wie in anderen Vergabeverfahren: Bieter müssen plausibel darlegen, dass ihnen durch die behaupteten Rechtsverletzungen ein Schaden entstanden ist oder droht. Nach Abschluss des Vergabeverfahrens – typischerweise nach Zuschlagserteilung – sind Rechtsschutzmöglichkeiten deutlich eingeschränkt; daher kommt dem rechtzeitigen Handeln große Bedeutung zu.
Wie wird die Vertraulichkeit der Angebote sichergestellt?
Das Vergaberecht verpflichtet die Vergabestellen im offenen Verfahren zur Wahrung der Vertraulichkeit sämtlicher Bieterinformationen und Angebotsunterlagen (§ 5 VgV). Die Angebote werden erst nach Ablauf der Angebotsfrist geöffnet und dürfen bis dahin von keinem Dritten eingesehen werden. Das Verfahren sieht vor, dass zweckdienliche Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden, um Manipulation und Kenntnisse über konkurrierende Angebote auszuschließen – sei es bei der elektronischen Angebotsabgabe oder bei physischen Einreichungen. Jede Kenntniserlangung von Angebotsinhalten vor Fristablauf stellt einen gravierenden Verstoß gegen das Gebot der Gleichbehandlung und Vertraulichkeit dar und kann zu erheblichen rechtlichen Konsequenzen führen.
Unter welchen Umständen kann ein offenes Verfahren aufgehoben werden?
Eine Aufhebung des offenen Verfahrens ist rechtlich nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig. Nach § 63 VgV darf die Vergabestelle das Verfahren insbesondere dann aufheben, wenn kein Angebot eingegangen ist, kein zuschlagsfähiges Angebot vorliegt, sich die Grundlagen des Verfahrens wesentlich geändert haben oder andere schwerwiegende Gründe, die eine Durchführung des Verfahrens unmöglich oder unzumutbar machen, vorliegen. Eine willkürliche Aufhebung ohne sachlichen Grund ist nicht zulässig und kann zu Schadensersatzansprüchen der Bieter führen. Die Gründe für die Aufhebung sind aktenkundig zu machen und den betroffenen Unternehmen mitzuteilen.
Wie wird der Zuschlag im offenen Verfahren erteilt, und was ist dabei rechtlich zu beachten?
Der Zuschlag wird gemäß § 163 GWB ausschließlich auf das wirtschaftlichste Angebot erteilt, das den festgelegten Zuschlagskriterien am besten entspricht. Der Zuschlag stellt einen Verwaltungsakt dar, durch den das Vergabeverfahren abgeschlossen wird und der Vertrag mit dem erfolgreichen Bieter zustande kommt. Die Vergabestelle ist verpflichtet, allen nicht berücksichtigten Bietern im Rahmen der Information nach § 134 GWB schriftlich die Ablehnung ihres Angebots und den vorgesehenen Zuschlagsempfänger mitzuteilen. Diese Unterrichtung setzt eine Stillhaltefrist in Gang, innerhalb derer Bieter noch Rechtsschutz erlangen können. Rechtsfehler oder Verstöße im Zusammenhang mit dem Zuschlagserteilungsprozess können zur Nichtigkeit des geschlossenen Vertrages führen.