Offenes Verfahren: Bedeutung und Einordnung
Das Offene Verfahren ist eine förmliche Art der öffentlichen Auftragsvergabe. Es zeichnet sich dadurch aus, dass jeder interessierte Marktteilnehmer ein Angebot abgeben darf und der Auftrag in einem einstufigen, transparenten Wettbewerb vergeben wird. Das Verfahren dient der Beschaffung von Liefer-, Bau- und Dienstleistungen durch öffentliche Auftraggeber und soll einen fairen, diskriminierungsfreien Wettbewerb sicherstellen.
Seinen Ursprung hat das Offene Verfahren im europäischen Vergaberecht. Es ist in den Mitgliedstaaten verbindlich umgesetzt und wird auch in mehreren anderen europäischen Rechtsordnungen genutzt. Die Grundidee ist überall ähnlich: breiter Marktzugang, klare Regeln, veröffentlichte Vergabeunterlagen und eine Vergabeentscheidung auf Basis vorher festgelegter Kriterien.
Anwendungsbereich und Abgrenzung
Geltungsschwellen und Bereiche
Das Offene Verfahren kommt vor allem bei Vergaben oberhalb bestimmter EU-weiter Schwellenwerte zur Anwendung. Diese Schwellen variieren je nach Auftragsart (Liefer- und Dienstleistungen, Bauaufträge, Sektoren mit besonderen Merkmalen) und werden in regelmäßigen Abständen angepasst. Unterhalb der Schwellen greifen nationale Regeln; das Offene Verfahren kann dort aber ebenfalls vorgesehen sein oder freiwillig genutzt werden.
Das Verfahren wird typischerweise für klassische öffentliche Auftraggeber (z. B. Ministerien, Kommunen, Körperschaften des öffentlichen Rechts) und je nach nationaler Ausgestaltung auch für Sektorenauftraggeber (z. B. Energie, Verkehr, Wasser) und den Verteidigungs- und Sicherheitsbereich, soweit keine Ausnahmen eingreifen, eingesetzt.
Abgrenzung zu anderen Vergabearten
Offenes vs. Nichtoffenes Verfahren
Im Offenen Verfahren kann jeder ein Angebot abgeben; Eignung und Zuschlag werden in einem Schritt geprüft. Im Nichtoffenen Verfahren ist zunächst ein Teilnahmewettbewerb erforderlich. Nur ausgewählte Bewerber dürfen anschließend ein Angebot einreichen.
Verhandlungsverfahren und Wettbewerblicher Dialog
Diese Verfahren erlauben – unter bestimmten Voraussetzungen – inhaltliche Verhandlungen oder dialogische Phasen. Das Offene Verfahren kennt grundsätzlich keine Verhandlungen über wesentliche Angebotsinhalte; Angebote werden auf Basis der Vergabeunterlagen abgegeben und bewertet.
Innovationspartnerschaft
Sie dient der Beschaffung innovativer Leistungen, die es noch nicht am Markt gibt. Das Offene Verfahren richtet sich demgegenüber auf standardisierbare Leistungen, die ohne Verhandlungen ausgeschrieben werden können.
Nationale Verfahren unterhalb der Schwellen
Unterhalb der EU-Schwellen kommen vereinfachte nationale Verfahren vor. Auch dort gelten jedoch Kernprinzipien wie Transparenz und Gleichbehandlung. Das Offene Verfahren kann – je nach nationalem Recht – als Option zur Maximierung des Wettbewerbs genutzt werden.
Verfahrensablauf
Vorbereitung und Bekanntmachung
Öffentliche Auftraggeber definieren den Beschaffungsbedarf, erstellen die Vergabeunterlagen (Leistungsbeschreibung, Teilnahme- und Zuschlagskriterien, Vertragsbedingungen) und veröffentlichen eine Bekanntmachung. Oberhalb der EU-Schwellen erfolgt die Veröffentlichung im EU-weiten Bekanntmachungssystem. Ziel ist, alle relevanten Marktteilnehmer rechtzeitig zu informieren.
Teilnahme und Angebotsabgabe
Alle interessierten Unternehmen können innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Fristen Angebote einreichen. Die Kommunikation erfolgt im Regelfall elektronisch. Fragen zum Verfahren werden in einem transparenten Fragen-und-Antworten-Prozess beantwortet und allen Interessenten zugänglich gemacht.
Angebotsöffnung und Wertung
Nach Fristablauf werden die Angebote eröffnet und in zwei Stufen geprüft: Zuerst die Eignung (z. B. Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit), dann die Zuschlagswertung anhand der bekanntgemachten Kriterien. Unklare oder unvollständige Angaben können, soweit zulässig, aufgeklärt werden. Verhandlungen über wesentliche Angebotsinhalte sind im Offenen Verfahren nicht vorgesehen.
Zuschlag, Stillhaltefrist und Vertragsschluss
Der Zuschlag erfolgt auf das wirtschaftlichste Angebot nach den vorab bestimmten Kriterien. Vor Vertragsschluss ist in der Regel eine Stillhaltefrist einzuhalten, um effektiven Rechtsschutz zu ermöglichen. Nach Ablauf dieser Frist wird der Vertrag geschlossen und der Auftragnehmer bekannt gegeben.
Aufhebung des Verfahrens
In eng begrenzten Fällen kann ein Offenes Verfahren aufgehoben werden, etwa wenn kein wirtschaftliches Ergebnis erzielt wird oder wesentliche Änderungen des Beschaffungsbedarfs eintreten. Aufhebungen bedürfen einer sachlichen Begründung und sind bekannt zu machen.
Rechtliche Leitprinzipien
Transparenz und Gleichbehandlung
Alle Unterlagen, Kriterien und Bedingungen müssen klar, vollständig und diskriminierungsfrei formuliert sein. Sämtliche Bieter sind gleich zu behandeln, Informationen sind einheitlich zugänglich zu machen, und die Entscheidung ist nachvollziehbar zu dokumentieren.
Wettbewerbsförderung und Verhältnismäßigkeit
Vorgaben dürfen den Wettbewerb nicht unnötig einschränken. Anforderungen müssen in angemessenem Verhältnis zum Auftragsgegenstand stehen. Markterkundungen sind möglich, sofern Unvoreingenommenheit und Chancengleichheit gewahrt bleiben.
Vertraulichkeit, Datenschutz und Geschäftsgeheimnisse
Die Angebote sind vertraulich zu behandeln. Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse sowie personenbezogene Daten sind zu schützen. Informationen werden nur im rechtlich zulässigen Umfang offengelegt.
Interessenkonflikte und Selbstreinigung
Interessenkonflikte sind zu vermeiden und, wenn sie auftreten, wirksam zu behandeln. Unternehmen können unter bestimmten Voraussetzungen Maßnahmen zur Wiederherstellung ihrer Zuverlässigkeit darlegen (sogenannte Selbstreinigung), um vom Verfahren nicht ausgeschlossen zu werden.
Kriterien und Eignungsanforderungen
Eignung
Eignungsanforderungen betreffen typischerweise die fachliche Leistungsfähigkeit, wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit sowie die Zuverlässigkeit. Nachweise werden in den Vergabeunterlagen festgelegt und müssen für alle Bieter gleichermaßen gelten.
Zuschlagskriterien
Der Zuschlag erfolgt entweder nach dem niedrigsten Preis oder nach dem wirtschaftlich günstigsten Angebot. Neben dem Preis können qualitative, funktionale, innovative, soziale und ökologische Kriterien sowie Lebenszykluskosten berücksichtigt werden, sofern sie transparent festgelegt und auftragsbezogen sind.
Ungewöhnlich niedrige Angebote
Bei auffällig niedrigen Preisen kann eine Aufklärung verlangt werden. Ergibt sich, dass Mindestanforderungen nicht erfüllbar sind oder gegen verbindliche Vorschriften verstoßen würde, kann ein Angebot ausgeschlossen werden.
Elektronische Vergabe und Fristen
E-Vergabe und Kommunikation
Die Kommunikation im Offenen Verfahren erfolgt überwiegend elektronisch, einschließlich der Bereitstellung der Unterlagen, der Bieterfragen und der Angebotsabgabe. Dies dient der Nachvollziehbarkeit, der Beschleunigung und der Barrierefreiheit.
Mindestfristen und Verkürzungsmöglichkeiten
Das Offene Verfahren kennt gesetzlich vorgegebene Mindestfristen für die Angebotsabgabe. Unter bestimmten Voraussetzungen können Fristen verkürzt werden, etwa bei elektronischer Bereitstellung der Unterlagen oder wenn eine vorab veröffentlichte Vorinformation genutzt wurde. Fristen müssen so bemessen sein, dass eine sachgerechte Angebotserstellung möglich ist.
Rechtsschutz und Nachprüfung
Rügen und Nachprüfungsverfahren
Gegen vermeintliche Vergabeverstöße stehen abgestufte Rechtsschutzmöglichkeiten zur Verfügung. Dazu zählen formale Beanstandungen im laufenden Verfahren sowie die Anrufung spezialisierter Nachprüfungsinstanzen. Bei Erfolg können Vergabemaßnahmen aufgehoben oder korrigiert werden.
Rechtsfolgen von Verstößen
Stellt eine Kontrollinstanz Rechtsverstöße fest, kann dies zur Wiederholung von Wertungsstufen, zur Aufhebung der Vergabeentscheidung oder – in fortgeschrittenen Stadien – zu weiteren geeigneten Maßnahmen führen. Auch nach Vertragsschluss sind in Ausnahmefällen Eingriffe möglich, insbesondere bei schwerwiegenden Fehlern.
Sonderfragen und Praxisvarianten
Losaufteilung und Mittelstandsfreundlichkeit
Die Aufteilung in Fach- oder Teillose kann den Zugang kleiner und mittlerer Unternehmen erleichtern. Eine Bündelung ist nur zulässig, wenn sachlich gerechtfertigt und transparent begründet.
Nebenangebote
Nebenangebote können zugelassen werden, wenn sie inhaltlich vergleichbar bewertet werden können und Mindestanforderungen erfüllen. Die Zulässigkeit wird in den Vergabeunterlagen festgelegt.
Konzessionen
Konzessionsvergaben unterliegen in der Regel einem eigenen Rechtsrahmen. Das klassische Offene Verfahren ist darauf üblicherweise nicht unmittelbar anwendbar.
Abgrenzung zu insolvenzrechtlichen Bedeutungen
Der Ausdruck „Offenes Verfahren“ wird gelegentlich außerhalb des Vergaberechts verwendet, etwa um informell die Phase nach der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zu bezeichnen. Diese Nutzung ist begrifflich von der vergaberechtlichen Verfahrensart zu trennen. Im Kontext öffentlicher Aufträge meint „Offenes Verfahren“ ausschließlich die beschriebene Vergabeart mit EU- und nationalrechtlicher Prägung.
Häufig gestellte Fragen (FAQ) zum Offenen Verfahren
Was ist das Offene Verfahren in einfachen Worten?
Es ist ein Vergabeverfahren, bei dem jede interessierte Firma ein Angebot abgeben darf. Der Auftraggeber bewertet alle Angebote anhand vorher festgelegter Regeln und erteilt den Zuschlag dem wirtschaftlichsten Angebot.
Wann wird das Offene Verfahren angewendet?
Vor allem bei Beschaffungen oberhalb EU-weiter Schwellenwerte. Es kann auch unterhalb dieser Schwellen genutzt werden, sofern das nationale Recht dies vorsieht.
Welche Schritte umfasst das Verfahren?
Bekanntmachung und Bereitstellung der Unterlagen, Angebotsabgabe, Eignungsprüfung, Angebotswertung, Zuschlagsentscheidung, Stillhaltefrist und Vertragsschluss.
Gibt es Verhandlungen im Offenen Verfahren?
Nein. Wesentliche Angebotsinhalte werden nicht verhandelt. Angebote werden auf Basis der festgelegten Unterlagen abgegeben und bewertet.
Welche Fristen gelten?
Es gibt gesetzliche Mindestfristen für die Angebotsabgabe. Unter bestimmten Voraussetzungen sind Verkürzungen möglich, etwa bei vollständiger elektronischer Bereitstellung der Unterlagen.
Worin unterscheidet es sich vom Nichtoffenen Verfahren?
Im Offenen Verfahren kann jeder direkt ein Angebot abgeben. Im Nichtoffenen Verfahren gibt es zuerst einen Teilnahmewettbewerb; nur ausgewählte Bewerber dürfen Angebote einreichen.
Wie werden Angebote bewertet?
Nach transparent festgelegten Zuschlagskriterien, etwa Preis, Qualität oder Lebenszykluskosten. Maßgeblich ist das wirtschaftlichste Angebot.
Welche Möglichkeiten des Rechtsschutzes bestehen?
Vergaberechtsverstöße können gerügt und vor spezialisierten Nachprüfungsinstanzen geltend gemacht werden. Je nach Ergebnis sind Korrekturen oder Aufhebungen von Vergabeschritten möglich.