Begriff und Bedeutung des Off Label Use
Der Begriff Off Label Use (auch: Off-Label-Use, deutsch: „Anwendungsabweichung“, „zulassungsüberschreitende Anwendung“) bezeichnet im Arzneimittel- und Medizinprodukterecht die Anwendung eines zugelassenen Arzneimittels oder Medizinprodukts außerhalb der von der Zulassung oder CE-Kennzeichnung umfassten Indikationen, Altersgruppen, Dosierungen oder Darreichungsformen. Die Verordnung und Anwendung eines Präparates im Off Label Use erfolgt somit außerhalb des von Behörden wie dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) oder vergleichbaren Institutionen genehmigten Rahmens.
Rechtliche Grundlagen des Off Label Use
Arzneimittelrechtlicher Rahmen
Im Arzneimittelgesetz (AMG) ist vorgeschrieben, dass Arzneimittel grundsätzlich nur für die durch die Zulassung erfassten Anwendungsgebiete in den Verkehr gebracht und angewendet werden dürfen (§ 21, § 22 AMG). Die Zulassung basiert auf wissenschaftlichen Nachweisen zur Wirksamkeit, Unbedenklichkeit und pharmazeutischen Qualität des Präparates. Anwendung außerhalb der Zulassungen entspricht nicht mehr dem Bereich der behördlichen Prüfung und stellt daher eine Besonderheit im Arzneimittelrecht dar.
Verschreibungspflicht und Verantwortung
Medizinische Fachkräfte können im therapeutischen Ermessen von der Zulassung abweichen und ein Arzneimittel Off Label verschreiben, sofern dies medizinisch indiziert, wissenschaftlich begründbar und eine Dokumentation erfolgt. Die Verschreibung im Off Label Use kann beispielsweise infrage kommen, wenn keine zugelassene Behandlungsalternative existiert und ein erheblicher gesundheitlicher Nutzen zu erwarten ist.
Haftungsrechtliche Aspekte
Die Off Label Anwendung hat weitreichende haftungsrechtliche Konsequenzen. Im Falle von Therapieschäden haftet die behandelnde Person und ggf. deren Arbeitgeber, sofern die Behandlung nicht dem anerkannten medizinischen Standard entspricht oder keine ausreichende Aufklärung der behandelten Person erfolgte. Die Darlegungs- und Beweislast bei Off Label Use liegt regelmäßig beim Behandelnden.
Aufklärungspflichten und informierte Zustimmung
Eine Anwendung Off Label verpflichtet zu einer umfänglichen und eindeutigen Aufklärung der behandelten Person über
- die Zulassungssituation,
- bestehende Unsicherheiten hinsichtlich Wirksamkeit und Sicherheit,
- mögliche Alternativen und
- bisherige wissenschaftliche Erkenntnisse zum Off Label Use.
Erst nach dokumentierter Zustimmung der informierten Person darf die Off Label Anwendung erfolgen.
Sozialversicherungsrechtliche Einordnung und Erstattung
Die Kostenübernahme eines Off Label Use durch gesetzliche Krankenkassen ist in Deutschland und weiteren Ländern nur in eng umrissenen Ausnahmefällen möglich. Die wesentlichen Voraussetzungen gemäß Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sind:
- Eine schwerwiegende, lebensbedrohliche oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung liegt vor.
- Es existiert keine zugelassene, allgemein anerkannte Standardtherapie.
- Auf Grundlage der aktuellen Erkenntnislage besteht eine begründete Aussicht auf Heilung oder Besserung.
Krankenkassen prüfen Off Label Anwendungen demnach individuell unter Berufung auf § 2 Abs. 1a SGB V, auch auf Basis von Stellungnahmen des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA).
Strafrechtliche Bezüge
Die Off Label Anwendung ist nicht per se strafbar, sofern eine medizinische Vertretbarkeit besteht, eine ausreichende Aufklärung durchgeführt wurde und kein Wirkstoffverbot hinsichtlich der jeweiligen Indikation besteht. Andernfalls könnten zivil- oder strafrechtliche Konsequenzen (zum Beispiel Körperverletzungsdelikte nach §§ 223 ff. StGB) drohen, falls die Anwendung ohne wirksame Einwilligung der behandelten Person oder entgegen dem Stand der Wissenschaft und Technik erfolgt.
Gerichtsentscheidungen und behördliche Empfehlungen zum Off Label Use
Die Rechtsprechung hat den Off Label Use wiederholt bewertet und rechtsstaatlich eingeordnet. Insbesondere das Bundessozialgericht hat die Voraussetzungen für die Zulässigkeit und Erstattungsfähigkeit geschaffen. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) erlässt auf Basis wissenschaftlicher Evidenz Regelungen zum Off Label Use, etwa in so genannten „Arzneimittel-Richtlinien“ oder G-BA-Beschlüssen.
Behördliche Leitlinien unterstreichen die Bedeutung sorgfältiger Dokumentation und Aufklärung im Falle einer zulassungsüberschreitenden Anwendung. Die ärztliche Schweigepflicht und Dokumentationspflichten nach der Berufsordnung sind stets zu beachten.
Abgrenzung zu anderen Verwendungsweisen
- Compassionate Use: Anwendung von Arzneimitteln, die sich noch im Zulassungsverfahren befinden, bei schwer erkrankten oder austherapierten Personen, unter gesonderten gesetzlichen Voraussetzungen.
- Unlicensed Use: Einsatz von Präparaten ohne jede arzneimittelrechtliche Zulassung, der noch nicht von einer zugelassenen Anwendung abgedeckt ist.
Fazit
Off Label Use nimmt im medizinischen Alltag, insbesondere bei seltenen Erkrankungen oder speziellen Therapiebedarfen, eine relevante Stellung ein. Die rechtlichen Anforderungen an Indikationsstellung, Aufklärung, Dokumentation und Erstattung sind hoch. Werden die gesetzlichen und berufsständischen Pflichten umfassend erfüllt, bleibt Off Label Use grundsätzlich zulässig, während Verstöße zu haftungs- oder gar strafrechtlichen Konsequenzen führen können. Die fortlaufende Beobachtung der Rechtsprechung, behördlicher Leitlinien und medizinischer Entwicklungen ist für die rechtssichere Handhabung des Off Label Use unerlässlich.
Häufig gestellte Fragen
Welche rechtlichen Anforderungen müssen bei der Verordnung eines Off-Label-Use erfüllt werden?
Bei der Verordnung eines Medikaments außerhalb seiner zugelassenen Indikation (Off-Label-Use) müssen Ärztinnen und Ärzte zahlreiche rechtliche Anforderungen beachten. Zunächst ist zu prüfen, ob es sich wirklich um einen Off-Label-Use handelt oder möglicherweise doch um einen Anwendung im Rahmen der Zulassung. Falls der Off-Label-Use vorliegt, muss dieser stets durch eine fundierte wissenschaftliche Datenlage gestützt sein, das heißt: Es sollte hinreichende Evidenz für den therapeutischen Nutzen und die Sicherheit der Anwendung bestehen, idealerweise durch veröffentlichte Studien oder anerkannte Leitlinien. Die ärztliche Sorgfaltspflicht erfordert zudem, die Patientin oder den Patienten umfassend über das Fehlen einer Zulassung hinsichtlich der beabsichtigten Anwendung sowie potentieller Risiken und Unsicherheiten aufzuklären. Eine dokumentierte und informierte Einwilligung des/der Patient:in ist zwingend erforderlich. In bestimmten Fällen, beispielsweise bei der Verordnung zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung, müssen zusätzliche sozialrechtliche Voraussetzungen (§ 35c SGB V) beachtet werden, etwa wenn keine Therapiealternative verfügbar ist. Behörden oder Gutachter können nachträglich die medizinische und rechtliche Berechtigung prüfen, weshalb eine ausführliche und korrekte Dokumentation maßgeblich ist.
Wer trägt die Haftung bei etwaigen Schadensfällen im Rahmen eines Off-Label-Use?
Im Falle von Schadensfällen nach Off-Label-Anwendung trägt in erster Linie die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt das Haftungsrisiko. Die Haftung basiert auf dem grundsätzlichen ärztlichen Behandlungsvertrag (§ 630a BGB), insbesondere bei Verletzung der Aufklärungspflicht oder unzureichender Dokumentation. Die Haftung kann entfallen, wenn der Off-Label-Use medizinisch geboten war, eine umfassende Risikoaufklärung sowie eine Einwilligung des Patienten belegbar sind und der medizinische Standard eingehalten wurde. Hersteller haften im Allgemeinen nicht, da das Arzneimittel außerhalb der zulassungsrelevanten Indikation eingesetzt wurde (§ 84 AMG). Auch Krankenhausträger können im Rahmen der Organisationshaftung involviert werden. Bei grober Fahrlässigkeit oder Off-Label-Use entgegen klarer Kontraindikationen kann der Versicherungsschutz der ärztlichen Haftpflichtversicherung entfallen.
Welche Bedeutung hat die Einwilligung des Patienten im Off-Label-Kontext?
Die informierte Einwilligung des Patienten besitzt beim Off-Label-Use rechtlich zentrale Bedeutung. Der Patient muss ausdrücklich und umfassend darüber aufgeklärt werden, dass das betreffende Medikament außerhalb der zugelassenen Indikation verordnet wird. Die Aufklärung umfasst die Informationen zu möglichen Risiken, dem wissenschaftlichen Erkenntnisstand, alternativen Therapieoptionen und etwaigen Unsicherheiten. Die Einwilligung ist nur wirksam, wenn der Patient über alle relevanten Aspekte, einschließlich des Off-Label-Status und daraus resultierender Konsequenzen, Kenntnis erlangt und diese dokumentiert wurde. Ohne diese spezielle Aufklärung besteht ein erhebliches Haftungsrisiko und die Behandlung kann als rechtswidrig angesehen werden.
Gibt es eine Meldepflicht oder besondere Dokumentationspflicht beim Off-Label-Use?
Ja, beim Off-Label-Use gelten besondere Dokumentationspflichten. Jede davon abweichende Verordnung ist detailliert zu dokumentieren, wobei insbesondere die Gründe für die Wahl des Off-Label-Use, die Informations- und Aufklärungsinhalte sowie die Einwilligung des Patienten festzuhalten sind. Es besteht zudem eine erhöhte Sorgfaltspflicht hinsichtlich der Dokumentation von Therapieverlauf und etwaiger Nebenwirkungen. Eine explizite Meldepflicht an eine Behörde besteht im Allgemeinen nicht; jedoch müssen schwerwiegende unerwünschte Arzneimittelwirkungen dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gemäß § 63c AMG gemeldet werden, wie bei jeder anderen Arzneimittelanwendung auch.
Können Off-Label-Anwendungen von der gesetzlichen Krankenversicherung erstattet werden?
Die Erstattungsfähigkeit von Off-Label-Use durch die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) ist rechtlich sehr eingeschränkt und an strenge sozialrechtliche Voraussetzungen gebunden. Eine Kostenübernahme kommt nur infrage, wenn eine schwerwiegende, lebensbedrohliche oder die Lebensqualität dauerhaft stark beeinträchtigende Erkrankung vorliegt, keine anerkannte Therapiealternative existiert und aufgrund der Datenlage ein begründeter Anhalt für die Wirksamkeit besteht. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) kann im öffentlichen Verfahren bestimmte Off-Label-Anwendungen zulassen (§ 35c SGB V). Fehlt eine solche Genehmigung oder entsprechende Grundlage, ist eine Kostenerstattung in der Regel ausgeschlossen, wodurch das Verordnungsrisiko auf die behandelnden Ärztinnen und Ärzte übergeht.
Muss der behandelnde Arzt offizielle Empfehlungen oder Leitlinien beim Off-Label-Use berücksichtigen?
Aus rechtlicher Sicht ist der Arzt verpflichtet, sich an den anerkannten medizinischen Standard zu halten, auch bei Off-Label-Anwendungen. Dies bedeutet, er muss aktuelle wissenschaftliche Veröffentlichungen, Leitlinien und Empfehlungen von Fachgesellschaften berücksichtigen und gegebenenfalls die Fachinformation des Arzneimittels abwägen. Liegen Empfehlungen oder Leitlinien zum Off-Label-Use vor, sollten diese als Entscheidungsgrundlage herangezogen und dokumentiert werden, um die Therapiewahl gegebenenfalls verteidigen zu können. Fehlen solche Empfehlungen, ist erhöhte Vorsicht geboten und die Dokumentationspflicht entsprechend ausgeweitet.
Welche berufsrechtlichen Konsequenzen drohen bei unzulässigem Off-Label-Use?
Ein unzulässiger Off-Label-Use kann berufsrechtliche Folgen nach sich ziehen. Verstöße gegen die ärztlichen Berufspflichten – insbesondere gegen die Sorgfaltspflicht, den medizinischen Standard, die Aufklärungs- und Dokumentationspflicht – können zu berufsrechtlichen Maßnahmen wie Missbilligungen, Verwarnungen oder sogar dem Entzug der Approbation führen (§ 29 Bundesärzteordnung). Auch zivilrechtliche Schadensersatzansprüche oder strafrechtliche Verfahren wegen fahrlässiger Körperverletzung sind möglich, wenn durch die Off-Label-Anwendung gesundheitliche Schäden entstehen und die rechtlichen Rahmenbedingungen nicht eingehalten wurden.