Legal Lexikon

OEG


Begriff und Grundlagen: Opferentschädigungsgesetz (OEG)

Das Opferentschädigungsgesetz (OEG) ist ein zentrales Instrument des deutschen Sozialrechts, das die staatliche Entschädigung von Opfern vorsätzlicher, rechtswidriger Gewalttaten regelt. Es wurde ursprünglich am 1. Mai 1976 in Kraft gesetzt und stellt eine tiefgreifende gesetzliche Grundlage für die Leistung von Entschädigungen an betroffene Personen nach schweren Straftaten dar. Ziel des OEG ist es, durch finanzielle und gesundheitliche Leistungen die sozialen und gesundheitlichen Folgen von Gewalttaten für die Opfer so weit wie möglich auszugleichen.


Anwendungsbereich und Anspruchsvoraussetzungen

Personenkreis

Das OEG richtet sich an Personen, die im Geltungsbereich des Gesetzes durch eine vorsätzliche, rechtswidrige, gegen die Person gerichtete Gewalttat oder durch den rechtmäßigen Versuch, eine solche Tat zu verhindern, gesundheitlich geschädigt wurden. Auch ausländische Staatsangehörige können unter bestimmten Voraussetzungen begünstigt sein.

Gewalttaten im Sinne des OEG

Eine Entschädigung nach OEG setzt das Vorliegen einer Gewalttat voraus. Hierunter fallen insbesondere Körperverletzungsdelikte, aber auch Sexualstraftaten und gemeingefährliche Verbrechen. Die Tat muss vorsätzlich und widerrechtlich begangen worden sein. Fahrlässigkeitsdelikte sind nicht umfasst.

Anspruchsentstehung

Der Anspruch entsteht, sobald eine gesundheitliche Schädigung infolge der genannten Gewalttat eintritt. Hierzu zählen nicht nur körperliche, sondern auch psychische Schäden, sofern diese auf die Tat zurückzuführen sind. Die bloße Vermögensschädigung begründet keinen Anspruch unter dem OEG.


Leistungen nach dem OEG

Leistungsarten

Das OEG gewährt als sogenannte Sozialentschädigung insbesondere folgende Leistungen:

Heil- und Krankenbehandlung

Opfer erhalten medizinische Versorgung, Heilbehandlungen und Rehabilitationsleistungen entsprechend den Regelungen des Bundesversorgungsgesetzes (BVG).

Rentenleistungen

Bei dauerhaften Schädigungsfolgen sind Leistungen wie Verletztenrente, Hinterbliebenenrente (für Angehörige im Todesfall des Opfers) oder Ausgleichszahlungen vorgesehen.

Weitere Hilfen

Zusätzliche Leistungen können u.a. Hilfen zur beruflichen Rehabilitation, Pflegezulagen oder Hilfen zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben umfassen.

Nachrang der Leistungen

Ansprüche nach dem OEG haben Nachrang gegenüber anderen gesetzlichen Entschädigungsleistungen, Versicherungsleistungen oder Schadenersatzansprüchen.


Verfahren und Durchsetzung der Ansprüche

Antragstellung

Leistungen nach dem OEG werden ausschließlich auf Antrag gewährt. Zuständig sind die jeweiligen Landesversorgungsämter oder entsprechende Behörden der Bundesländer. Es gilt keine starre Antragsfrist, jedoch ist eine zügige Antragstellung wegen Beweisproblemen ratsam.

Ermittlungsgrundsatz

Im OEG-Verfahren gilt der sogenannte Amtsermittlungsgrundsatz. Die Entschädigungsbehörde klärt von Amts wegen Sachverhalt und Tatbestand auf. Die Opfer sind zur Mitwirkung verpflichtet.

Beweismaß

Für die Anerkennung eines Anspruches genügt der sogenannte „glaubhafte Nachweis“ (hinreichende Wahrscheinlichkeit), wodurch die Hürden für eine Anspruchsdurchsetzung niedriger liegen als im Zivilrecht.


Ablehnung und Ausschlussgründe

Mitverschulden und Mitwirkung

Ansprüche können abgelehnt oder gekürzt werden, wenn das Opfer durch eigenes Verhalten (z. B. durch provozierendes Verhalten) zur Tat beigetragen hat. Auch eine mangelnde Mitwirkung bei der Aufklärung des Tatgeschehens kann zum Ausschluss führen.

Ausschluss wegen Fehlverhaltens

Eine Ablehnung kommt in Betracht, falls das Opfer z. B. an Gewalttaten beteiligt war oder ein schwerwiegendes sozialwidriges Verhalten an den Tag gelegt hat, das ursächlich für die Schädigung war.


Verhältnis zu anderen Regelungen und Änderungen durch SGB XIV

Verhältnis zum Bundesversorgungsgesetz (BVG)

Der Umfang der Leistungen und die Durchführung des Verfahrens richten sich weitgehend nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Hierbei werden die Regelungen des BVG entsprechend auf OEG-Ansprüche angewendet.

Reform durch das SGB XIV

Mit Inkrafttreten des SGB XIV am 1. Januar 2024 gab es eine grundlegende Reform der sozialen Entschädigung in Deutschland. Das OEG wird durch das Soziale Entschädigungsrecht teilweise abgelöst bzw. integriert, insbesondere im Hinblick auf leistungsrechtliche Neuregelungen und die Modernisierung der Opferentschädigung.


Internationale Bezüge und Auslandssachverhalte

Auslandstaten

Auch für im Ausland begangene Gewalttaten können Leistungen in Betracht kommen, wenn das Opfer seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat oder Deutscher ist. Die Anspruchsvoraussetzungen und Leistungsausgestaltung sind hierbei besonders geregelt.

EU-Richtlinie und grenzüberschreitende Ansprüche

Das OEG setzt rechtliche Vorgaben der EU-Richtlinie 2004/80/EG über die Entschädigung von Opfern von Gewaltverbrechen um. Diese Regelungen gewährleisten einen unionsweiten Mindestschutz für Opfer von Gewalttaten.


Rechtsschutz und Widerspruch

Rechtsmittel

Gegen Entscheidungen der Entschädigungsbehörden kann Widerspruch eingelegt werden. Im Falle der Ablehnung besteht die Möglichkeit, vor den Sozialgerichten Klage zu erheben. Dabei gelten die Vorschriften des Sozialgerichtsgesetzes.


Literatur und Weblinks

Weiterführende Literatur

  • Löhle, OEG – Kommentar zum Opferentschädigungsgesetz
  • Meier, Handbuch des Opferentschädigungsrechts

Gesetzestexte und amtliche Informationen


Fazit

Das Opferentschädigungsgesetz (OEG) stellt einen maßgeblichen Pfeiler im deutschen Recht zum Schutz und zur Unterstützung der Betroffenen von Gewalttaten dar. Durch seine umfangreichen Regelungen und die Verknüpfung mit anderen sozialen Entschädigungssystemen trägt es wesentlich dazu bei, Opfern von Gewalttaten einen umfassenden Ausgleich für erlittene gesundheitliche Schäden zu verschaffen und somit einen Beitrag zur gesellschaftlichen Solidargemeinschaft zu leisten. Die Weiterentwicklung durch das SGB XIV führt zu einer nachhaltigen Verbesserung des Leistungsniveaus und der Zugänglichkeit der Opferentschädigung.

Häufig gestellte Fragen

Wer ist anspruchsberechtigt nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG)?

Anspruchsberechtigt nach dem OEG sind in erster Linie Personen, die in Deutschland durch eine vorsätzliche, rechtswidrige tätliche Handlung gesundheitlich geschädigt wurden. Hiermit sind nicht nur körperliche, sondern auch seelische Gesundheitsschäden erfasst. Die Anspruchsberechtigung besteht unabhängig von der Staatsangehörigkeit, solange die Tat auf deutschem Hoheitsgebiet oder an Bord eines deutschen Schiffs bzw. Luftfahrzeugs begangen wurde. Auch Angehörige der primär Geschädigten, die infolge der Tat Schäden erleiden (z.B. Hinterbliebene nach einem tödlichen Angriff), können unter bestimmten Voraussetzungen Ansprüche geltend machen. Für Taten im Ausland bestehen gesonderte Regelungen, die eine Leistung allerdings in den meisten Fällen auf Staatsbürgerinnen und Staatsbürger sowie dauerhaft aufenthaltsberechtigte Personen beschränken.

Welche Leistungen können nach dem OEG beansprucht werden?

Das OEG gewährt eine Vielzahl von Leistungen, die sich nach den Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) richten. Hierzu zählen insbesondere Heilbehandlungen (medizinische Rehabilitation, Psychotherapien), Rentenleistungen bei dauerhaften gesundheitlichen Schädigungen, Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, Hilfsmittel sowie Pflegeleistungen. Daneben können Hinterbliebene von Getöteten Versorgungsrenten und Beihilfen erhalten. Auch einmalige Entschädigungen, wie das sogenannte Schmerzensgeld, sind im Rahmen des OEG möglich, wobei insbesondere die Ausnahmeregelungen für besondere Härtefälle zu beachten sind. Die Leistungen sind grundsätzlich nachrangig, das heißt, sie werden nur erbracht, wenn keine anderweitigen Ersatzansprüche bestehen oder diese nicht durchsetzbar sind.

Welche Verjährungsfristen gelten bei Anträgen nach dem OEG?

Ansprüche nach dem OEG unterliegen grundsätzlich keiner Verjährungsfrist. Das bedeutet, die geschädigte Person kann theoretisch auch Jahre nach der Tat noch einen Antrag stellen. Jedoch gilt: Leistungen werden nur rückwirkend für einen Zeitraum von bis zu einem Jahr vor dem Monat der Antragstellung erbracht, es sei denn, die Versäumung einer früheren Antragstellung war nicht zu vertreten. Die Nachweispflichten bezüglich des Zusammenhangs zwischen Tat und gesundheitlicher Schädigung können mit zunehmendem Zeitablauf jedoch schwieriger werden, sodass eine frühzeitige Antragstellung aus Beweisgründen ratsam ist.

Wie erfolgt die Feststellung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Tat und Gesundheitsschaden?

Für eine erfolgreiche Inanspruchnahme von Leistungen nach dem OEG muss kausal nachgewiesen werden, dass die gesundheitlichen Schäden auf die jeweilige Straftat zurückzuführen sind. Das Versorgungsgesetz spricht in diesem Zusammenhang vom sogenannten „ursächlichen Zusammenhang“. Die zuständige Versorgungsbehörde prüft anhand ärztlicher Gutachten und weiterer Nachweise sowohl die Tat als auch die gesundheitlichen Folgen. Hierzu müssen die antragsstellende Person oder deren Vertreter Unterlagen wie Arztberichte, Atteste sowie ggf. Strafanzeigen oder Ermittlungsakten vorlegen. Der Beweismaßstab ist dabei nicht die absolute Gewissheit, sondern eine überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass die gestellten Anforderungen erfüllt sind.

Welche Pflichten treffen den Antragsteller im OEG-Verfahren?

Der Antragsteller muss im Rahmen der Mitwirkungspflicht sämtliche für die Sachverhaltsaufklärung notwendigen Tatsachen wahrheitsgemäß und vollständig angeben sowie entsprechende Beweismittel vorlegen. Hierzu gehört die zeitnahe Benennung relevanter Zeugen und das Vorlegen von ärztlichen Unterlagen. Kommt der Antragsteller seinen Mitwirkungspflichten nicht nach, kann dies zu einer Ablehnung oder Verzögerung der Leistung führen. Darüber hinaus darf der Antragsteller keine Ersatzleistungen für den identischen Sachverhalt aus anderen Entschädigungsquellen verschweigen oder doppelt geltend machen, da ansonsten Rückforderungen sowie ggf. strafrechtliche Konsequenzen drohen.

Was passiert, wenn der Täter nicht ermittelt werden kann oder ein Strafverfahren eingestellt wurde?

Die Leistungsgewährung nach dem OEG ist nicht davon abhängig, dass der Täter strafrechtlich verurteilt wird oder überhaupt bekannt ist. Es genügt, wenn genug Hinweise vorliegen, die den Tathergang und die Tat als solche wahrscheinlich machen. Die Nicht-Ermittelbarkeit des Täters oder die Einstellung des Strafverfahrens – etwa mangels ausreichend nachweisbarer Beweise für eine Verurteilung – schließt das Opferentschädigungsverfahren nicht aus. Das Verfahren zur Anerkennung nach OEG richtet sich allein nach den verwaltungsrechtlichen Maßstäben, die für die Leistungsgewährung maßgeblich sind.

Kann der Anspruch auf Entschädigung nach OEG versagt werden?

Ja, unter bestimmten Voraussetzungen kann der Anspruch auf OEG-Leistungen ganz oder teilweise versagt werden. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn das Opfer selbst an der Tat beteiligt war, ein grob unbilliges Verhalten (z.B. Beteiligung an kriminellen Auseinandersetzungen) vorlag oder durch schuldhaftes Verhalten einen wesentlichen Beitrag zur Schädigung geleistet wurde. Auch bei Nichterfüllung der Mitwirkungspflichten oder bei Falschangaben kann eine Versagung oder Minderung der Leistungen erfolgen. Einzelfallabhängig prüft die Behörde, in welchem Umfang ein Mitverschulden vorliegt und inwieweit Anspruchskürzungen gerechtfertigt sind.