Legal Lexikon

Wiki»Legal Lexikon»Verwaltungsrecht»Öffentlich-rechtliche Streitigkeiten

Öffentlich-rechtliche Streitigkeiten


Begriff und grundlegende Definition von öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten

Öffentlich-rechtliche Streitigkeiten sind Auseinandersetzungen, die ihren Ursprung im öffentlichen Recht haben. Sie zeichnen sich durch die Beteiligung eines Hoheitsträgers auf zumindest einer Seite der Rechtsbeziehung aus. Den Gegensatz dazu bilden privatrechtliche Streitigkeiten, die sich ausschließlich aus dem Zivilrecht und zwischen Privatrechtssubjekten ergeben. Die genaue Abgrenzung sowie die Einordnung einer Streitigkeit ist maßgeblich für die Zuständigkeit der Gerichte und die Anwendbarkeit bestimmter Verfahrensordnungen.

Abgrenzung: Öffentliches Recht und privates Recht

Abgrenzungskriterien

Die wesentliche Unterscheidung zwischen öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Streitigkeiten erfolgt nach verschiedenen Theorien, von denen insbesondere die Subordinationstheorie und die modifizierte Subjektstheorie in der Praxis von Bedeutung sind.

Subordinationstheorie

Nach der Subordinationstheorie handelt es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit, wenn zwischen den Beteiligten ein Über- und Unterordnungsverhältnis besteht. Der Hoheitsträger übt gegenüber dem Bürger typischerweise hoheitliche Befugnisse (Imperium) aus.

Modifizierte Subjektstheorie

Nach der modifizierten Subjektstheorie ist eine Norm dann öffentlich-rechtlich, wenn sie ausschließlich einen Träger hoheitlicher Gewalt als solchen berechtigt oder verpflichtet. Diese Theorie wird in Deutschland vorzugsweise herangezogen.

Systematische Einordnung

Öffentlich-rechtliche Streitigkeiten umfassen neben dem klassischen Verwaltungsrecht unter anderem das Staatsrecht, das Kommunalrecht, das Polizei- und Ordnungsrecht, das öffentliche Baurecht, das Sozialrecht, das Steuerrecht sowie das Umweltrecht.

Arten und Typen öffentlich-rechtlicher Streitigkeiten

Öffentlich-rechtliche Streitigkeiten gliedern sich in verschiedene Erscheinungsformen:

Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art

Die Mehrzahl der öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten ist nichtverfassungsrechtlicher Art und wird regelmäßig vor den Verwaltungsgerichten, Sozialgerichten oder Finanzgerichten ausgetragen.

Verwaltungsrechtliche Streitigkeiten

Hierunter fallen Konflikte im Verhältnis Bürger zu Verwaltung oder Verwaltung zu Verwaltung, wie beispielsweise Anfechtung eines Verwaltungsaktes, Vollstreckung, Verpflichtungen und allgemeine Leistungsbegehren.

Sozialrechtliche Streitigkeiten

Rund um Fragen der gesetzlichen Sozialversicherung, Förderungsleistungen oder bei der Berechnung und dem Bezug von Sozialleistungen treten öffentlich-rechtliche Streitigkeiten in sozialrechtlicher Ausprägung auf.

Steuerrechtliche Streitigkeiten

Auseinandersetzungen im Bereich der Abgabenordnung und steuerlichen Sachverhalten (Steuerbescheide, Einspruchsverfahren, Aussetzung der Vollziehung).

Streitigkeit verfassungsrechtlicher Art

Verfassungsrechtliche Streitigkeiten betreffen solche zwischen Verfassungsorganen (Organstreitverfahren), Normenkontrollverfahren oder Verfassungsbeschwerden, die vor den Verfassungsgerichten zu führen sind.

Voraussetzungen für eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit

Beteiligte

Mindestens eine der Parteien muss ein Träger öffentlicher Gewalt sein (z.B. Bund, Land, Kommune, Körperschaft). Auf der Gegenseite kann sich sowohl ein anderes Hoheitsorgan als auch natürliche oder juristische Personen befinden.

Streitgegenstand

Gegenstand ist regelmäßig eine Rechtsfrage öffentlich-rechtlicher Natur, insbesondere die Rechtmäßigkeit von Verwaltungsakten, öffentlich-rechtlichen Verträgen, Realakten oder eines hoheitlichen Handelns.

Abgrenzung zu öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnissen

Nicht jede öffentlich-rechtliche Rechtsbeziehung führt zu einer öffentlich-rechtlichen Streitigkeit; erst das Bestehen gegensätzlicher Rechtsauffassungen und ihr Austragen im Rechtswege macht sie zur Streitigkeit.

Rechtsweg und Zuständigkeit

Verwaltungsrechtsweg (§ 40 VwGO)

Gemäß § 40 Absatz 1 Satz 1 VwGO ist für alle öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art der Verwaltungsrechtsweg eröffnet, sofern sie nicht ausdrücklich einem anderen Gericht zugewiesen sind.

Sonderverwaltungsgerichte

Für bestimmte öffentlich-rechtliche Materien bestehen eigene Gerichtsbarkeiten, etwa

  • Sozialgerichte (§ 51 SGG) für sozialrechtliche Streitigkeiten,
  • Finanzgerichte (§ 33 FGO) für steuerrechtliche Streitigkeiten.

Verfassungsgerichtsbarkeit

Sofern sich die Streitigkeit unmittelbar aus dem Verfassungsrecht ergibt (etwa Organstreitverfahren, Bund-Länder-Streit), ist das jeweilige Verfassungsgericht zuständig.

Ausnahmen: Enteignungsstreitigkeiten und öffentlich-rechtliche Streitigkeiten im Arbeitsverhältnis

Einige öffentlich-rechtliche Streitigkeiten fallen nicht in die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte, insbesondere Enteignungsentschädigungen und Auseinandersetzungen hinsichtlich öffentlich-rechtlicher Dienstverhältnisse, für die teilweise die ordentlichen Gerichte zuständig sein können.

Abgrenzung: Sonderfälle und gemischt-rechtliche Streitigkeiten

Öffentlich-rechtliche Streitigkeiten mit Sonderzuweisung

Der Gesetzgeber kann per Gesetz andere Gerichte für öffentlich-rechtliche Angelegenheiten bestimmen (z.B. § 13 GVG für den ordentlichen Rechtsweg bei bestimmten öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten).

Sonderfall: Öffentlich-rechtliche Vertrag

Verträge zwischen privaten Rechtssubjekten und Verwaltung auf öffentlich-rechtlicher Grundlage führen häufig zu Streitigkeiten, deren Behandlung sich aus dem jeweiligen Regelungsgegenstand ergibt.

Gemischt-rechtliche Streitigkeiten

Hierbei sind mehrere Rechtsmaterien berührt (öffentliches und privates Recht). In diesen Fällen entscheidet der Schwerpunkt der Streitigkeit über die gerichtliche Zuständigkeit.

Prozessuale Besonderheiten

Klagearten bei öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten

Die Verfahrensarten vor den Verwaltungsgerichten gliedern sich beispielsweise in:

  • Anfechtungsklage
  • Verpflichtungsklage
  • Feststellungsklage
  • Allgemeine Leistungsklage
  • Normenkontrollklage

Je nach Rechtsgebiet (Sozial-, Steuerrecht) bestehen weitere spezifische Klagearten.

Vorverfahren (Widerspruchsverfahren)

Vor der gerichtlichen Geltendmachung einer öffentlich-rechtlichen Streitigkeit kann ein obligatorisches Vorverfahren (Widerspruchsverfahren, § 68 VwGO) vorgeschrieben sein.

Kosten und Gebühren

In öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten richten sich die Kosten und Gebühren grundsätzlich nach dem Gerichtskostengesetz und den jeweiligen Kostengesetzen der einschlägigen Gerichtsbarkeiten.

Bedeutung und Praxisrelevanz

Öffentlich-rechtliche Streitigkeiten sind von zentraler Bedeutung für das Funktionieren des Rechtsstaates. Sie sichern die Kontrolle der Verwaltung, den effektiven Rechtsschutz für den Einzelnen und die Einhaltung gesetzlicher Vorgaben durch die Verwaltung. In der Praxis stehen dabei häufig die Rechtmäßigkeit von Verwaltungsakten, Leistungsansprüche im Sozialrecht sowie Fragen des Steuerrechts im Fokus.

Literatur und Weblinks

  • Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)
  • Sozialgerichtsgesetz (SGG)
  • Finanzgerichtsordnung (FGO)
  • Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (GG)
  • Weitere einschlägige Rechtsvorschriften und Kommentare

Diese ausführliche Darstellung bietet eine umfassende Übersicht über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten, ihre Abgrenzung zu anderen Rechtsmaterien, die prozessualen und materiellen Grundlagen sowie ihre Einordnung in das deutsche Rechtssystem.

Häufig gestellte Fragen

Wie gestaltet sich der Ablauf eines Verfahrens in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten?

Der Ablauf eines Verfahrens in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten, insbesondere vor den Verwaltungsgerichten, erfolgt nach klar geregelten Verfahrensordnungen. Zunächst ist meistens ein Widerspruchsverfahren erforderlich, bei dem die betroffene Person gegen einen belastenden Verwaltungsakt bei der erlassenden Behörde Einspruch einlegt. Wird diesem Widerspruch nicht stattgegeben, ist der Weg zur Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage vor dem Verwaltungsgericht eröffnet. Das gerichtliche Verfahren beginnt mit der Einreichung der Klage, welche den Streitgegenstand und die Klagebegründung enthalten muss. Nach Zulassung der Klage werden die Behörden und ggf. weitere Beteiligte zur Stellungnahme aufgefordert. Das Gericht kann eine mündliche Verhandlung ansetzen, in der die Sach- und Rechtslage erörtert wird. Das Verfahren ist durch den Untersuchungsgrundsatz geprägt – das Gericht kann von Amts wegen Beweise erheben. Abschließend erlässt das Gericht ein Urteil oder – seltener – einen Beschluss, gegen den gegebenenfalls Rechtsmittel, wie die Berufung oder Revision, eingelegt werden können. Das gesamte Verfahren ist auf die Überprüfung staatlichen Handelns und den Schutz subjektiver Rechte Einzelner ausgerichtet.

Welche gerichtlichen Instanzen sind bei öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten maßgeblich?

Die öffentlich-rechtliche Streitigkeit wird in der Regel vor den Verwaltungsgerichten entschieden, wenn es um Verwaltungsrechtliche Fragestellungen, etwa im Bereich des Polizei- und Ordnungsrechts, Baurechts oder Ausländerrechts, geht. Die erste Instanz bilden die Verwaltungsgerichte (§ 45 VwGO). Gegen deren Urteile steht unter bestimmten Voraussetzungen das Rechtsmittel der Berufung zum Oberverwaltungsgericht (OVG) oder Verwaltungsgerichtshof (VGH) offen. Eine weitere Überprüfung in Rechtsfragen ermöglicht – nach Zulassung – die Revision zum Bundesverwaltungsgericht (BVerwG). Für spezielle Materien wie die Sozialgerichtsbarkeit oder Finanzgerichtsbarkeit existieren eigene Gerichtszweige mit ähnlichem Instanzenzug (Sozialgericht, Landessozialgericht, Bundessozialgericht bzw. Finanzgericht, Bundesfinanzhof).

Wann ist eine Klage überhaupt zulässig in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten?

Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Klage ist zunächst die statthafte Klageart, die je nach Begehren bestimmt wird (z.B. Anfechtungsklage, Verpflichtungsklage oder Feststellungsklage). Weiterhin sind die allgemeinen Sachentscheidungsvoraussetzungen einzuhalten: Der Kläger muss klagebefugt sein, das heißt, er muss geltend machen können, in eigenen Rechten verletzt zu sein (§ 42 Abs. 2 VwGO). In den meisten Fällen ist vor Klageerhebung das Widerspruchsverfahren durchzuführen („Vorverfahren”), es sei denn, das Gesetz sieht eine Ausnahme vor (§ 68 ff. VwGO). Maßgeblich ist zudem das Rechtsschutzbedürfnis, das gegeben ist, wenn ein schutzwürdiges Interesse an der Klärung der Streitigkeit besteht. Form- und Fristerfordernisse, wie die Einhaltung der Klagefrist, etwa eines Monats nach Zustellung des Widerspruchsbescheids, sind zwingend zu beachten. Fehlende Zulässigkeitsvoraussetzungen führen zur Abweisung der Klage als unzulässig.

Welche Bedeutung hat das Prinzip der Amtsermittlung im Verwaltungsprozess?

Das Prinzip der Amtsermittlung, auch Untersuchungsgrundsatz genannt (§ 86 Abs. 1 VwGO), bedeutet, dass das Gericht in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten von Amts wegen den entscheidungsrelevanten Sachverhalt ermittelt. Anders als im Zivilprozess, wo die Parteien den Umfang des Prozesses maßgeblich bestimmen (Beibringungsgrundsatz), ist das Verwaltungsgericht nicht an die Vorträge der Beteiligten gebunden. Es ist verpflichtet, alle für die Entscheidung wesentlichen Tatsachen zu erforschen, notwendige Beweise zu erheben und auch entlastende Umstände zu berücksichtigen. Die Beteiligten sind jedoch zur Mitwirkung verpflichtet (§ 86 Abs. 1 S. 2 VwGO). Der Untersuchungsgrundsatz trägt entscheidend zur materiellen Gerechtigkeit und einer objektiven Entscheidungsfindung im Verwaltungsprozess bei.

Welche Rolle spielen Verwaltungsakte in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten?

Verwaltungsakte sind regelmäßig Ausgangspunkt öffentlich-rechtlicher Streitigkeiten, da sie eine unmittelbare Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts durch eine Behörde gegenüber einer Person (Adressaten) beinhalten. Typische Beispiele sind Baugenehmigungen, polizeiliche Verfügungen oder Verwaltungsgebührenbescheide. Im Streitfall wird in der Regel die Rechtmäßigkeit oder Zweckmäßigkeit eines Verwaltungsakts angegriffen (Anfechtungsklage) oder dessen Erlass begehrt (Verpflichtungsklage). In der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle steht die Einhaltung der gesetzlichen Voraussetzungen für den Erlass von Verwaltungsakten (Ermächtigungsgrundlage), eine ordnungsgemäße Anhörung, Bestimmtheit, Fehlerfreiheit im Verfahren und inhaltliche Richtigkeit im Mittelpunkt. Wird der Verwaltungsakt für rechtswidrig befunden, hebt das Gericht ihn auf oder verpflichtet die Behörde zur Vornahme des begehrten Verwaltungsakts.

Welche Möglichkeiten der vorläufigen Rechtsschutzgewährung gibt es?

Im Rahmen öffentlich-rechtlicher Streitigkeiten besteht die Möglichkeit, vorläufigen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen, um Nachteile bis zur Hauptsacheentscheidung zu verhindern. Dies ist insbesondere durch den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung (§ 80 Abs. 5 VwGO) oder durch einstweilige Anordnungen (§ 123 VwGO) möglich. Das Ziel solcher Verfahren ist es, vorläufige Regelungen bei besonders eilbedürftigen Rechtsverhältnissen zu schaffen oder die Vollziehung eines Verwaltungsakts auszusetzen, wenn erhebliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit bestehen oder dem Betroffenen unzumutbare Nachteile drohen. Das Gericht prüft dabei die Erfolgsaussichten der Hauptsache summarisch und wägt die widerstreitenden Interessen ab. Der vorläufige Rechtsschutz ist für effektiven gerichtlichen Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) von zentraler Bedeutung.

Wie wirkt sich das Gebot des effektiven Rechtsschutzes auf öffentlich-rechtliche Streitigkeiten aus?

Das Gebot des effektiven Rechtsschutzes, verankert in Art. 19 Abs. 4 GG, verpflichtet die Gerichte dazu, den Bürgern gegen Akte der öffentlichen Gewalt einen umfassenden, wirksamen Rechtsschutz zu gewährleisten. Daraus ergibt sich, dass gegen jede Maßnahme der öffentlichen Gewalt, die in subjektive Rechte eingreifen könnte, der Rechtsweg offenstehen muss. Die Gerichte müssen in der Lage sein, sowohl die Rechtmäßigkeit als auch die Zweckmäßigkeit behördlichen Handelns umfassend zu überprüfen und gegebenenfalls korrigierend einzugreifen. In der Folge sind hohe Anforderungen an die gerichtliche Kontrolle, niedrige Zugangshürden und effektive Verfahrensinstrumente (wie einstweiliger Rechtsschutz) zu stellen. Dieses Gebot führt zu einer ständigen Fortentwicklung der Rechtsprechung und der Auslegung prozessualer Vorschriften zugunsten des Rechtsuchenden.