Begriff und Stellung des Oberverwaltungsgerichts
Das Oberverwaltungsgericht (abgekürzt: OVG; in Bayern: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, in Baden-Württemberg: Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, in Hessen: Hessischer Verwaltungsgerichtshof) bildet in Deutschland die zweite Instanz der ordentlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit. Es ist zwischen den Verwaltungsgerichten als Eingangsinstanz und dem Bundesverwaltungsgericht als Revisionsinstanz angesiedelt. Das Oberverwaltungsgericht nimmt zentrale Funktionen bei der Sicherung der Rechtseinheit und der Fortentwicklung des Verwaltungsrechts auf Landesebene wahr.
Rechtsgrundlagen und Organisation
Gesetzliche Grundlagen
Die Errichtung, Organisation und Zuständigkeit der Oberverwaltungsgerichte sind im Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) und im Verwaltungsgerichtsgesetz (VwGO) geregelt. Ergänzend bestimmen die Landesgesetze, beispielsweise das Verwaltungsgerichtshofgesetz des jeweiligen Bundeslandes, konkrete Einzelheiten zur Ausgestaltung, Anzahl und Sitz der Gerichte.
Aufbau und Besetzung
Das Oberverwaltungsgericht gliedert sich in Senate, die jeweils aus mehreren Berufsrichterinnen und Berufsrichtern bestehen. Die genaue Zahl der Senate variiert je nach Bundesland und Geschäftsaufkommen. Den Senaten sitzt jeweils eine Vorsitzende oder ein Vorsitzender vor.
Aufgaben und Zuständigkeiten
Funktion im Instanzenzug
Das Oberverwaltungsgericht fungiert überwiegend als Berufungs- und Beschwerdeinstanz. Es überprüft Entscheidungen der Verwaltungsgerichte, die als erste Instanz agieren, sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht.
Verfahrenstypen
- Berufung gegen Urteile der Verwaltungsgerichte (§ 124 ff. VwGO)
- Beschwerdeverfahren in verschiedenen Konstellationen, etwa bei Ablehnung von Prozesskostenhilfe oder Streitwertfestsetzung
- Erstinstanzliche Entscheidungen in bestimmten Sonderfällen, beispielsweise bei landesweiten Bebauungsplänen, bedeutenden Infrastrukturprojekten oder Anfechtungen im Kommunalverfassungsrecht
Weitere Aufgaben
Normenkontrollverfahren
Das Oberverwaltungsgericht ist insbesondere für sogenannte abstrakte Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO zuständig. Damit wird die Rechtmäßigkeit von untergesetzlichen Rechtsnormen – zum Beispiel Bebauungsplänen oder Satzungen von Kommunen – überprüft.
Weitere Zuständigkeiten
Zudem entscheidet das OVG bzw. der Verwaltungsgerichtshof häufig in weiteren Rechtsgebieten wie dem Schul-, Hochschul-, Polizei- oder Wirtschaftsverwaltungsrecht und übernimmt eine prüfende Rolle bei Wahlprüfungsangelegenheiten in Selbstverwaltungskörperschaften.
Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht
Allgemeiner Ablauf
Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht sind in der Regel streitiges Verfahren mit mindestens zwei beteiligten Parteien: Kläger und Beklagte (meist staatliche Stellen). Grundsätzlich ist eine mündliche Verhandlung vorgesehen, es sei denn, die Beteiligten verzichten darauf oder das Gericht hält sie nicht für erforderlich (§ 101 VwGO).
Zulassung der Berufung
Eine Berufung zum Oberverwaltungsgericht ist nur zulässig, wenn sie ausdrücklich zugelassen wird. Die Zulassung erfolgt durch das Verwaltungsgericht im Urteil oder nachträglich durch Beschluss des Oberverwaltungsgerichts, sofern bestimmte Voraussetzungen gegeben sind:
- Grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache
- Abweichung von höchstrichterlicher Rechtsprechung
- Schwere Verfahrensfehler
Beteiligte und Bevollmächtigte
Vor dem OVG herrscht im Regelfall Vertretungszwang (§ 67 VwGO). Das bedeutet, dass die Beteiligten durch zur Vertretung befugte Personen handeln müssen, in aller Regel durch eine Person mit Befähigung zum Richteramt.
Bedeutung des Oberverwaltungsgerichts im Rechtsschutzsystem
Sicherung der einheitlichen Rechtsanwendung
Das Oberverwaltungsgericht sichert als zweite Instanz die einheitliche Anwendung und Auslegung des Verwaltungsrechts auf Landesebene und spielt damit eine herausgehobene Rolle für die Entwicklung der Verwaltungsrechtsprechung.
Vorentscheidungsfunktion für das Bundesverwaltungsgericht
Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts bilden häufig die Grundlage für eine eventuelle Revision beim Bundesverwaltungsgericht. Sie sind daher für die Fortentwicklung des Verwaltungsrechts prägend und dienen als Orientierungshilfe für Verwaltungsbehörden und untere Instanzen.
Verhältnis zu anderen Gerichtsbarkeiten und Gerichten
Abgrenzung zu anderen Verwaltungsgerichten
Während die Verwaltungsgerichte die Eingangsinstanz mit vollständiger Tatsachenfeststellung bilden, steht dem OVG primär die Überprüfung dieser Urteile in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu. Damit ist es ein wichtiger Bestandteil des Instanzenzugs und der Rechtsmittelstruktur.
Stellung zum Bundesverwaltungsgericht
Das Oberverwaltungsgericht ist dem Bundesverwaltungsgericht nachgeordnet. Gegen Urteile des OVG ist unter bestimmten Voraussetzungen die Revision zum Bundesverwaltungsgericht zulässig (§ 132 VwGO).
Oberverwaltungsgerichte in den einzelnen Bundesländern
Jedes Bundesland verfügt über mindestens ein Oberverwaltungsgericht beziehungsweise einen Verwaltungsgerichtshof. Die Benennung und die genaue strukturelle Ausgestaltung unterscheiden sich teilweise:
- OVG: In nahezu allen Flächenländern
- Verwaltungsgerichtshof (VGH): In Bayern, Baden-Württemberg und Hessen
- Gemeinsames OVG Berlin-Brandenburg: Zuständig für beide Länder
Der Hauptsitz befindet sich in der jeweiligen Landeshauptstadt oder einem bedeutenden Verwaltungszentrum.
Historische Entwicklung
Die ersten Oberverwaltungsgerichte wurden in Preußen mit dem Gesetz über die Oberverwaltungsgerichte von 1875 eingeführt. Nach dem Zweiten Weltkrieg und mit Inkrafttreten des Grundgesetzes 1949 etablierte sich die heutige Struktur der Verwaltungsgerichtsbarkeit mit ihrer Drei-Stufen-Gliederung (Verwaltungsgericht, OVG/VGH, Bundesverwaltungsgericht).
Literatur und weiterführende Regelungen
Maßgebliche Regelwerke und Literaturhinweise sind insbesondere:
- Verwaltungsgerichtsgesetz (VwGO)
- Landesgesetze über die Verwaltungsgerichtsbarkeit
- Gerichtsverfassungsgesetz (GVG)
Weiterführende Informationen finden sich in wissenschaftlichen Kommentaren zur VwGO und rechtswissenschaftlichen Monografien zum Verwaltungsprozessrecht.
Fazit
Das Oberverwaltungsgericht stellt eine wesentliche Instanz innerhalb der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit dar. Es sorgt für die Überprüfung und Korrektur verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen, gewährleistet die Vereinheitlichung der Rechtsanwendung im jeweiligen Bundesland und ist maßgeblich an der Rechtsfortbildung im Verwaltungsrecht beteiligt. Seine Entscheidungskompetenz im Normenkontrollverfahren unterstreicht die Bedeutung des OVG als Mittler zwischen Recht und Verwaltung und als Garant rechtsstaatlicher Verfahren.
Häufig gestellte Fragen
Welche Aufgaben hat das Oberverwaltungsgericht im gerichtlichen Instanzenzug?
Das Oberverwaltungsgericht (OVG), in einigen Bundesländern auch als Verwaltungsgerichtshof bezeichnet, bildet die zweite Instanz innerhalb der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Es überprüft als Berufungs- und Beschwerdeinstanz die erstinstanzlichen Urteile und Beschlüsse der Verwaltungsgerichte auf Rechtsfehler sowie, unter bestimmten Voraussetzungen, auf Tatsachenfehler. Das OVG ist damit primär für die Kontrolle der rechtlichen Entscheidungen der unteren Gerichte zuständig, kann aber auch selbst Tatsachenfeststellungen vornehmen, insbesondere wenn das Verfahren auf Grundlage neuer oder nicht ausreichend gewürdigter Tatsachen zu entscheiden ist. Es entscheidet außerdem über Anträge auf Zulassung der Berufung, auf einstweiligen Rechtsschutz im zweiten Rechtszug und ist teilweise für verwaltungsgerichtliche Normenkontrollverfahren zuständig, wenn etwa Landesrecht auf seine Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht überprüft werden soll.
Wann kann gegen eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Revision eingelegt werden?
Gegen Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts kann regelmäßig Revision zum Bundesverwaltungsgericht eingelegt werden. Die Zulassung der Revision erfolgt jedoch nur unter bestimmten, gesetzlich definierten Voraussetzungen, insbesondere, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, das Urteil von einer höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht oder Verfahrensmängel von erheblichem Gewicht vorliegen. Die Revision dient ausschließlich der Überprüfung von Rechtsfragen; nur ausnahmsweise, bei Verfahrensmängeln, können auch Tatsachen rügefähig sein. Vor der Zulassung muss häufig ein gesonderter Zulassungsantrag gestellt werden.
Welche Bedeutung haben die Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts über die Auslegung von Landesrecht?
Da das Oberverwaltungsgericht in den meisten Fällen das letztinstanzliche Gericht in Bezug auf das einfache Landesrecht ist, kommt seinen Auslegungsentscheidungen auf diesem Gebiet besondere Bedeutung zu. Die ausgelegten Grundsätze sind für die nachgeordneten Verwaltungsgerichte bindend und entfalten darüber hinaus eine faktische Leitwirkung für Verwaltung und Rechtsprechung der jeweiligen Bundesländer. Eine Revision zum Bundesverwaltungsgericht ist nur zulässig, wenn bundesrechtliche Vorschriften tangiert sind oder der Streit grundsätzliche überregionale Bedeutung hat.
In welchen Verfahren ist das Oberverwaltungsgericht originär zuständig?
Neben der Berufungsinstanz kann das OVG in bestimmten Verfahren auch als Eingangsinstanz tätig werden. Dazu zählen insbesondere Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO, bei denen überprüft wird, ob untergesetzliche Rechtsvorschriften, insbesondere Bebauungspläne oder sonstige Satzungen, mit höherrangigem Recht vereinbar sind. Auch in Angelegenheiten des Landesdisziplinarrechts und in besonderen fachspezifischen Materien, etwa bei Wahlen oder Hochschulangelegenheiten, kann das Oberverwaltungsgericht unmittelbar angerufen werden, sofern dies in den Fachgesetzen vorgesehen ist.
Wie ist das Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht gestaltet?
Das Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht ist maßgeblich in der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) geregelt. Es unterscheidet sich in einigen Punkten vom erstinstanzlichen Verfahren am Verwaltungsgericht: So gilt vor dem OVG grundsätzlich der Anwaltszwang, was bedeutet, dass sich die Verfahrensbeteiligten von einem Rechtsanwalt vertreten lassen müssen, sofern sie nicht selbst als Juristen zugelassen sind. Das Verfahren ist überwiegend schriftlich, wobei das Gericht mündliche Verhandlungen und Beweisaufnahmen anberaumen kann, wenn die Sach- oder Rechtslage nicht hinreichend geklärt ist. Das Gericht ist an die Tatsachenfeststellungen der Vorinstanz grundsätzlich gebunden, kann aber Ausnahmen machen, wenn diese Feststellungen offensichtlich fehlerhaft sind.
Welche Rechtsmittel können gegen Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts eingelegt werden?
Die Entscheidung des OVG ist, je nach Art des Verfahrens und der Entscheidung, mit verschiedenen Rechtsmitteln angreifbar. In der Hauptsache steht regelmäßig die Revision zum Bundesverwaltungsgericht offen, sofern diese zugelassen wurde. In Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes sind dagegen meist keine weiteren ordentlichen Rechtsmittel statthaft. Gegen bestimmte Beschlüsse kann gegebenenfalls eine Anhörungsrüge nach § 152a VwGO eingelegt oder Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht erhoben werden, sofern Grundrechte berührt sind.
Welche Voraussetzungen müssen für eine Berufung zum Oberverwaltungsgericht erfüllt sein?
Eine Berufung zum OVG gegen ein erstinstanzliches Urteil des Verwaltungsgerichts ist nur dann zulässig, wenn sie entweder vom Verwaltungsgericht zugelassen wurde oder das Oberverwaltungsgericht auf Antrag die Berufung zulässt. Dies setzt regelmäßig voraus, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, das erstinstanzliche Urteil von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht oder schwerwiegende Verfahrensfehler geltend gemacht werden. Die Berufungsbegründung ist fristgerecht und mit detaillierter Darlegung der Zulassungsgründe einzureichen.