Legal Lexikon

Wiki»Legal Lexikon»Steuerrecht»O.-R.-Geschäft

O.-R.-Geschäft


Begriff und rechtliche Einordnung des O.-R.-Geschäfts

Das O.-R.-Geschäft, ausgeschrieben Objekt-Realgeschäft, ist ein Begriff aus dem deutschen Zivilrecht, der ein bestimmtes Rechtsgeschäft im Zusammenhang mit dem Eigentumsübergang an beweglichen oder unbeweglichen Sachen beschreibt. Es handelt sich hierbei um das sogenannte Verfügungsgeschäft, durch das ein Recht unmittelbar übertragen, belastet, geändert oder aufgehoben wird. Das O.-R.-Geschäft ist vom Verpflichtungsgeschäft zu unterscheiden und stellt im Rahmen des Trennungs- und Abstraktionsprinzips des deutschen Privatrechts die Erfüllung eines Anspruchs durch die Übertragung eines Rechts dar.

1. Systematische Stellung im deutschen Recht

1.1 Verpflichtungsgeschäft und Verfügungsgeschäft

Im deutschen Recht wird strikt zwischen Verpflichtungsgeschäft (z.B. Kaufvertrag, § 433 BGB) und dem O.-R.-Geschäft (Verfügungsgeschäft, z.B. Übereignung nach § 929 BGB) unterschieden. Während das Verpflichtungsgeschäft die Verpflichtung zur Leistung begründet, bewirkt das O.-R.-Geschäft die tatsächliche Veränderung der Rechtslage an einem Objekt, beispielsweise den Eigentumsübergang.

1.2 Trennungs- und Abstraktionsprinzip

Das Trennungsprinzip besagt, dass Verpflichtungsgeschäfte und Verfügungsgeschäfte rechtlich gesonderte Vorgänge sind. Das Abstraktionsprinzip, eine Besonderheit des deutschen Privatrechts, bestimmt darüber hinaus, dass die Wirksamkeit des O.-R.-Geschäfts grundsätzlich unabhängig von der Wirksamkeit des zugrundeliegenden Verpflichtungsgeschäfts ist.

Typen des O.-R.-Geschäfts

2.1 Übertragung von Eigentum an beweglichen Sachen

Das O.-R.-Geschäft ist bei der Übertragung von Eigentum an beweglichen Sachen in § 929 Satz 1 BGB geregelt. Erforderlich sind Einigung (Einigungserklärung der Parteien, auch „Einigung“ oder „dinglicher Vertrag“ genannt) und die Übergabe der Sache.

2.1.1 Einigung („dinglicher Vertrag“)

Die Einigung ist das zentrale Element und besteht aus deckungsgleichen Willenserklärungen von Veräußerer und Erwerber, gerichtet auf den Eigentumsübergang.

2.1.2 Übergabe

Mit der tatsächlichen Übertragung der Gewalt über die Sache auf den Erwerber ist der Vorgang abgeschlossen.

2.2 Übertragung von Eigentum an unbeweglichen Sachen

Bei Grundstücken erfolgt das O.-R.-Geschäft nach §§ 873, 925 BGB durch Auflassung (notarielle Einigung) und Eintragung in das Grundbuch.

2.2.1 Auflassung

Die Auflassung ist eine besondere Form der Einigung und bedarf der gleichzeitigen, notariell beurkundeten Erklärung beider Parteien.

2.2.2 Eintragung ins Grundbuch

Die Eigentumsübertragung wird mit Eintragung im Grundbuch vollzogen, wodurch erst das Eigentum am Grundstück auf den Erwerber übergeht.

2.3 Weitere Verfügungsgeschäfte

Neben der Eigentumsübertragung sind auch Belastungen (Hypothek, Grundschuld), Aufhebungen (Eigentumsaufgabe, § 928 BGB) und Rechtsänderungen an Sachen O.-R.-Geschäfte.

Rechtswirkungen und Besonderheiten

3.1 Bedeutung der Abstraktion

Das O.-R.-Geschäft ist grundsätzlich wirksam, auch wenn das zugrundeliegende Verpflichtungsgeschäft unwirksam ist (z.B. wegen Formmangels), sofern keine Nichtigkeit nach § 139 BGB vorliegt oder das O.-R.-Geschäft einem gesetzlichen Verbot (§ 134 BGB) oder Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB) unterliegt.

3.2 Fehlerfolgen und Rückabwicklung

Ist das O.-R.-Geschäft unwirksam, können bereits erbrachte Leistungen nach Bereicherungsrecht (§§ 812 ff. BGB) herausverlangt werden. Ist nur das Verpflichtungsgeschäft nichtig, bleibt das Eigentum am Gegenstand dennoch übertragen (sog. „abstrakte“ Wirksamkeit des O.-R.-Geschäfts).

Stellvertretung und Gutgläubiger Erwerb

4.1 Stellvertretung

Das O.-R.-Geschäft kann durch einen Vertreter für die beteiligten Parteien geschlossen werden, sofern eine entsprechende Vertretungsmacht nach §§ 164 ff. BGB besteht. Besonderheiten bestehen im Grundstücksrecht, da die Auflassung stets der notariellen Form bedarf.

4.2 Gutgläubiger Erwerb

Der gutgläubige Erwerb von Eigentum ist bei beweglichen Sachen nach §§ 932 ff. BGB und bei Grundstücken nach § 892 BGB geregelt. Dabei kann das O.-R.-Geschäft trotz fehlender Berechtigung des Veräußerers unter gewissen Voraussetzungen zur Eigentumsübertragung führen.

Internationaler Kontext

5.1 Abweichungen vom deutschen Konzept

Das deutsche O.-R.-Geschäft und das ihm zugrunde liegende Trennungs- und Abstraktionsprinzip sind im internationalen Vergleich eine Besonderheit. Viele Rechtsordnungen, insbesondere solche des Common Law, kennen nur das Kausal- oder Einheitsprinzip, bei dem Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft zusammenfallen.

Literatur und Quellen

  • Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentierung zu §§ 929, 873 BGB
  • MüKoBGB, Münchener Kommentar zum BGB, §§ 929, 873 BGB
  • Medicus/Lorenz, Schuldrecht I – Allgemeiner Teil

Zusammenfassung

Das O.-R.-Geschäft (Objekt-Realgeschäft) ist ein grundlegendes Element des deutschen Zivilrechts. Es bildet das dingliche Rechtsgeschäft zur Übertragung, Belastung, Änderung oder Aufhebung eines Rechts an einer Sache und steht in engem Zusammenhang mit den Prinzipien von Trennung und Abstraktion. Das O.-R.-Geschäft wird durch gesetzliche Regelungen präzise ausgestaltet und umfasst zahlreiche rechtliche Besonderheiten, insbesondere im Hinblick auf die Wirksamkeit, Vertretung und den Schutz gutgläubiger Erwerber. Die klare Dogmatik und Systematik machen es zu einem zentralen Pfeiler des deutschen Sachenrechts.

Häufig gestellte Fragen

Welche rechtlichen Pflichten treffen den O.-R.-Geschäfts-Unternehmer gegenüber dem O.-R.-Geschäfts-Kunden?

Im Rahmen eines O.-R.-Geschäfts (Offene Rechnung-Geschäft) ist der Unternehmer rechtlich dazu verpflichtet, dem Kunden die vereinbarte Ware oder Dienstleistung mangelfrei und termingerecht zu übereignen oder zu erbringen. Nach deutschem Recht ergeben sich insbesondere aus §§ 433 ff. BGB (bei Warenkauf) bzw. §§ 611 ff. BGB (bei Dienst- oder Werkleistungen) die grundlegenden Vertragspflichten. Zudem muss der Unternehmer dem Kunden eine ordnungsgemäße Rechnung ausstellen, die alle gesetzlich erforderlichen Angaben enthält (siehe § 14 UStG). Die Rechnung stellt dabei nicht nur einen Zahlungsanspruch dar, sondern ist auch Grundlage für die Geltendmachung von Vorsteuerabzügen seitens des Unternehmenskunden. Zudem muss der Unternehmer bei nachgewiesenen Mängeln im Rahmen bestehender Gewährleistungsrechte für Nacherfüllung, Nachbesserung oder Rücktritt/Wandlung einstehen. Besondere Bedeutung kommt im O.-R.-Geschäft auch den Regeln des Verzuges zu: Gerät der Kunde mit seiner Zahlung in Verzug, ist der Unternehmer berechtigt, Verzugszinsen sowie etwaige Mahnkosten geltend zu machen (§§ 286, 288 BGB).

Welche gesetzlichen Vorgaben zur Fälligkeit und Zahlungsfrist einer offenen Rechnung existieren?

Nach deutschem Recht wird eine offene Rechnung grundsätzlich mit Zugang der ordentlichen Rechnung und Erhalt der Leistung fällig, sofern im Vertrag nichts anderes vereinbart wurde (§ 271 BGB). Wird eine Zahlungsfrist auf der Rechnung explizit genannt (zum Beispiel „zahlbar innerhalb von 30 Tagen ab Rechnungsdatum“), ist diese grundsätzlich bindend. Ist eine solche Frist nicht angegeben, gilt automatisch eine Zahlungsfrist von 30 Tagen nach Zugang der Rechnung (§ 286 Abs. 3 BGB), jedenfalls dann, wenn der Kunde kein Verbraucher ist. Für Verbraucher muss diese Zahlungsfrist ausdrücklich in der Rechnung vermerkt sein. Gerät der Kunde nach Ablauf dieser Frist in Zahlungsverzug, kann der Unternehmer die gesetzlichen Verzugszinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz bei Unternehmergeschäften bzw. 5 Prozentpunkten bei Verbrauchergeschäften fordern (§ 288 BGB).

Welche besonderen rechtlichen Anforderungen gelten für die Erstellung der Rechnung im O.-R.-Geschäft?

Im O.-R.-Geschäft muss die ausgestellte Rechnung bestimmten steuer- und handelsrechtlichen Vorgaben entsprechen. Gemäß § 14 Abs. 4 UStG sind unter anderem der vollständige Name und die vollständige Anschrift des leistenden Unternehmers und des Leistungsempfängers, das Ausstellungsdatum, eine fortlaufende Rechnungsnummer sowie die Menge und die Art der gelieferten Gegenstände bzw. die erbrachten Dienstleistungen anzugeben. Weiterhin müssen das Nettoentgelt, der angewendete Steuersatz, der Steuerbetrag sowie das Leistungsdatum ausgewiesen sein. Werden diese Anforderungen nicht eingehalten, kann das steuerliche Risiko entstehen, dass der Rechnungsempfänger den Vorsteuerabzug verliert. Darüber hinaus sind im Handelsverkehr (zwischen Kaufleuten) nach § 238 HGB die gesetzlichen Buchführungspflichten und eine zehnjährige Aufbewahrungsfrist für Rechnungen zu beachten.

Welche rechtlichen Konsequenzen drohen dem Kunden bei Zahlungsverzug im O.-R.-Geschäft?

Gerät der Kunde mit der Zahlung einer offenen Rechnung in Verzug, sieht das Bürgerliche Gesetzbuch diverse Rechtsfolgen vor. Wichtigster Effekt ist die Verpflichtung zur Zahlung von Verzugszinsen, deren Höhe sich nach § 288 Abs. 1 und 2 BGB richtet. Bei Rechtsgeschäften ohne Verbraucherbeteiligung beträgt der Zinssatz 9 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz, bei Verbrauchern 5 Prozentpunkte. Zusätzlich kann der Unternehmer einen pauschalen Schadensersatz für etwaige Mahnkosten und andere Verzugsschäden (insbesondere Rechtsanwalts- oder Inkassokosten) geltend machen (§ 288 Abs. 5 BGB). Voraussetzung für den Verzug ist in der Regel eine förmliche Mahnung, es sei denn, die Zahlungsfrist ist abgelaufen oder der Verzug tritt durch Zeitablauf ein. Unter Umständen kann der Unternehmer nach erfolgloser Mahnung auch gerichtliche Schritte (Mahnverfahren, Klage) einleiten.

Welche rechtlichen Möglichkeiten hat der Unternehmer bei Streitigkeiten über die Höhe oder die Berechtigung einer offenen Rechnung?

Kommt es zu Streitigkeiten über die offene Rechnung, stehen dem Unternehmer verschiedene rechtliche Mittel zur Verfügung. Zunächst empfiehlt sich eine außergerichtliche Streitbeilegung, etwa durch Einholung einer schriftlichen Stellungnahme des Kunden oder durch Vermittlung über einen Ombudsmann. Bleibt dies erfolglos, kann der Unternehmer im Rahmen eines gerichtlichen Mahnverfahrens (§§ 688 ff. ZPO) einen Mahnbescheid beantragen. Widerspricht der Kunde diesem, muss die Angelegenheit in einem regulären Zivilprozess geklärt werden. Im Prozess ist der Unternehmer zur Beweisführung verpflichtet, d. h. er muss das Zustandekommen des Vertrages, die Leistungserbringung und den offenen Zahlungsanspruch schlüssig darlegen und beweisen (z. B. durch Verträge, Lieferscheine, Empfangsbestätigungen). Besteht Einigkeit über die Berechtigung der Forderung, kann ein Vollstreckungstitel erwirkt und anschließend die Zwangsvollstreckung betrieben werden.

Welche Verjährungsfristen sind im Zusammenhang mit dem O.-R.-Geschäft zu beachten?

Forderungen aus offenen Rechnungen unterliegen grundsätzlich der regelmäßigen Verjährung nach § 195 BGB, die drei Jahre beträgt. Die Verjährung beginnt mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den Anspruchsvoraussetzungen Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen (§ 199 BGB). Sofern keine besonderen Verjährungsverkürzungen oder -verlängerungen vereinbart wurden, muss der Unternehmer Forderungen daher innerhalb von drei Jahren gerichtlich geltend machen, sonst droht der endgültige Verlust der Durchsetzbarkeit. Längere Verjährungsfristen gelten z. B. bei bestimmten Werkverträgen (5 Jahre bei Bauleistungen). Die Hemmung der Verjährung kann durch Verhandlungen, Anerkenntnis des Schuldners oder rechtshängige Klage eintreten (§§ 203 ff. BGB).

Inwiefern unterliegt das O.-R.-Geschäft besonderen Regelungen im internationalen Handelsrecht?

Im internationalen O.-R.-Geschäft sind neben dem deutschen Recht auch Vorschriften des UN-Kaufrechts (CISG) oder bilaterale Handelsabkommen zu beachten, sofern diese vertraglich oder aufgrund der Geschäftsbeziehung Anwendung finden. Die Parteien haben häufig die Möglichkeit, das anwendbare Recht im Vertrag zu wählen (Rechtswahl gemäß Art. 3 Rom-I-VO). Fehlt eine entsprechende Rechtswahl, richtet sich das anwendbare Recht nach den Umständen des Geschäfts, insbesondere dem Sitz des Verkäufers. Das UN-Kaufrecht unterscheidet sich in der Ausgestaltung der Mängelhaftung, der Lieferpflichten und der Rechtsfolgen bei Zahlungsverzug teilweise erheblich vom deutschen Recht. Speziell bei grenzüberschreitenden Forderungen sind auch internationale Vollstreckungsabkommen und etwaige Besonderheiten bei Gerichtsstandsvereinbarungen zu beachten.